Sex

Vom Fetisch, sich für anonymen Sex in der eigenen Wohnung überraschen zu lassen

Drei schwule Männer erzählen, warum sie für ihre Sexpartner die Wohnungstür nur anlehnen und mit Augenbinde direkt auf dem Bett warten.
Eine Illustration zeigt eine Hand vor einer offenen Tür, in der sich ein Handy mit einer sexuellen Konversation befindet; es geht um den Fetisch, sich für anonymen Sex in der eigenen Wohnung überraschen zu lassen
Illustration: SAM BOXER

"Bock auf anonymen Sex? Meine Tür ist offen. Ich bin schon vornüber gebeugt, trage eine Augenbinde und habe Gleitgel am Start. Will jetzt. Gerne bei mir."

Nachrichten dieser Art kommen bei Dating-Apps für Männer, die Sex mit Männern haben, immer häufiger vor. Der Wortlaut kann variieren – manchmal ist die Tür zum Beispiel "nur angelehnt" –, aber das Prinzip ist immer gleich: Der Absender wartet begierig darauf, dass ein Fremder einfach so bei ihm zu Hause durch die Tür spaziert und in ihn eindringt. Wenn dabei noch Augenbinden im Spiel sind, ist theoretisch komplett anonymer Sex möglich. 

Anzeige

"Für mich ist das definitiv ein Fetisch", sagt Dan Thomas, ein 32-jähriger, schwuler Mann aus England. Thomas lebt derzeit wieder bei seinen Eltern. Das heißt, er kann solche Treffen mit offener Tür nur dann ausmachen, wenn seine Mutter und sein Vater nicht zu Hause sind. Aber als er vor ein paar Jahren alleine in Brighton lebte, vereinbarte er an manchen Abenden gleich mehrere solche Dates.

"Ich machte viel in die Richtung, als ich mich regelmäßig mit einem dominanten Top traf, der total darauf stand, wenn ich direkt für seinen Schwanz bereit war. Ich habe schon immer die Rolle des versauten, unterwürfigen Bottoms eingenommen", sagt Thomas. Mit der Zeit habe das zu mehr anonymen Treffen mit Männern geführt, die er nicht kannte. "Zuerst ist da die Aufregung, wenn man hört, wie die Tür aufgeht", sagt er. "Wenn man dazu noch eine Augenbinde trägt, sind die anderen Sinne extrem geschärft. Die Geräusche und Gerüche sind das, was mich total heiß macht."

Thomas gibt zu, dass der Nervenkitzel für ihn größer war, als er noch in Brighton lebte. In der englischen Großstadt gibt es viele Männer, die Sex mit Männern haben. Das ermöglichte ihm die komplett anonym ablaufenden Sextreffen. "Hier in der Kleinstadt sehe ich bei Grindr normalerweise nur Typen, die ich schon getroffen oder von denen ich zumindest schon einmal gehört habe", sagt er. Dennoch versuche er immer, die Illusion der Anonymität aufrecht zu erhalten: "Meine Augenbinde kommt nur dann runter, wenn mein Partner sie mir abnimmt", erklärt er mit Nachdruck.

Anzeige

Auch bei VICE: Geschmackssinn oder Orgasmus – Auf was kannst du verzichten?


Wie bei allen anderen Fetischen gibt es auch bei den Treffen mit offener Tür verschiedene Ausprägungen. Tommy, ein 23-jähriger, schwuler Mann aus London, heißt eigentlich anders und will hier anonym bleiben. Er sagt, dass die Anonymität der Treffen bei ihm und anderen Männern nicht zwangsläufig auch zu mehr Lust führe.

"Im Normalfall verlange ich vorher schon Selfies oder Bilder. Wenn meine Partner beim Chatten aber vernünftig wirken und nur Fotos von ihrem Körper, Schwanz oder Arsch schicken wollen, dann ist das auch OK", sagt er. "Ich habe bei den Treffen schon ein paarmal eine Augenbinde getragen. Es ging mir dabei aber mehr um den Kick, auf einen Mann zu warten, der dann einfach reinkommt und mich ihm quasi voll ausgeliefert vorfindet."

Obwohl Tommy vor allem dieses Gefühl des Ausgeliefertsein anmacht, habe er sich bei dieser Art von Sextreffen immer sicher gefühlt. "Abgesehen von einem winzig kleinen Anteil wird bei jedem schwulen Sextreffen vorher geschaut, ob der Partner vernünftig ist und ob man wirklich aufeinander steht und die gleichen Vorlieben hat", sagt er. "Wenn dann alles passt, findet das Treffen auf jeden Fall statt. Der Fetisch, dabei die Tür offen zu lassen, ist eigentlich kein zusätzliches Risiko. Der Partner kennt deine Adresse zu diesem Zeitpunkt ja schon."

Anzeige

Tommy sagt, dass er dennoch lieber auf Augenbinden und Handschellen verzichtet, um jegliches Restrisiko zu minimieren. "Ich habe schon von Typen gehört, die bei Treffen mit offener Tür am liebsten gefesselt auf ihrem Bett liegen und so auf den Sexpartner warten", erklärt er. "Das ist für mich ein bisschen zu viel."

"Es ist wichtig, dass sich beide Partner der Risiken bewusst sind. Und wenn etwas falsch laufen sollte, muss es immer einen sicheren Ausweg geben."

Bevor man ein Sextreffen mit offener Tür vereinbart, muss man unbedingt über die eigene Sicherheit nachdenken. Ian Howley, CEO der Wohltätigkeitsorganisation LGBT HERO, sagt, er habe schon von mehreren sexuellen Übergriffen bei dieser Art von Rollenspiel gehört. Zum Glück komme so etwas aber nur sehr selten vor.

"Es ist wichtig, dass sich beide Partner der Risiken bewusst sind. Und wenn etwas falsch laufen sollte, muss es immer einen sicheren Ausweg geben", sagt Howley. "Das Handy muss immer in greifbarer Nähe sein, damit man im Notfall schnell Hilfe holen kann. Es ist zudem nie verkehrt, einer vertrauten Person zu erzählen, wohin man geht und was man vorhat." Howley rät außerdem dazu, sexuelle Übergriffe bei Treffen mit offener Tür der Polizei zu melden, "damit wir verhindern können, dass so etwas auch anderen passiert."

Howley weist darauf hin, dass es absolut keinen Grund gibt, diesen Fetisch zu stigmatisieren. "So lange man Grenzen festlegt, offen und ehrlich darüber redet, was man sich von dem Treffen verspricht, und mit dem Partner in allem übereinstimmt, ist da absolut nichts Falsches oder Verwerfliches dran", sagt er.

Anzeige

"Wenn mir ein Typ sagt, dass er in Sachen Sex mit anderen Männern lieber 'diskret' bleibt, schlage ich normalerweise immer ein solches Treffen vor."

Sextreffen mit offener Tür sind auch vorteilhaft für Männer, die zwar mit Männern schlafen, damit aber nicht offen umgehen oder gerade erst anfangen, ihre homosexuelle Seite zu erforschen. "Wenn mir ein Typ sagt, dass er in Sachen Sex mit anderen Männern lieber 'diskret' bleibt, schlage ich normalerweise immer ein solches Treffen vor", sagt Dan Thomas.

Dieser Fetisch kann zudem Männer empowern, die Sex mit anderen Männern haben und marginalisierten Communitys angehören. "Es klingt komisch, aber es gibt meiner unterwürfigen Seite viel Kontrolle, wenn ich weiß, dass da ein Mann nur für mich und mein Loch da ist", sagt Ali, ein 35 Jahre alter, schwuler Mann aus Leeds. Auch er heißt eigentlich anders, will zum Schutz seiner Privatsphäre aber anonym bleiben.

Ali sagt, dass sein Offener-Tür-Fetisch wegen seiner Homosexualität in Kombination mit seinem südasiatisch-muslimischen Hintergrund "kompliziert" sei. "Meine Gefühle und das, was mir von meiner Familie und meiner Religion eingetrichtert wurde, werden immer im Widerspruch stehen", sagt er. "Ich entspreche auch nicht den allgemeinen weißen Schönheitsstandards in der Schwulen-Community. Deswegen ist es für mich ja so befreiend, mein Glück und meine Zufriedenheit bei diesen Treffen selbst bestimmen zu können."

Ali weiß aber auch, dass dieses Gefühl der Freiheit schnell wieder vorbei sein kann. "Später kommt es mir leider oft so vor, als würde meine Zufriedenheit nur von der Bestätigung durch meistens weiße bi- und homosexuelle Männer abhängen", sagt er.

Dennoch hat Ali all den Leuten etwas zu sagen, die Sextreffen mit offener Tür als "pervers" oder "moralisch verwerflich" ansehen: "Was man hier bequemerweise vergisst, ist die Tatsache, dass Heteros das auch machen – jeden Freitag- und Samstagabend", so Ali. "Sie bringen nur noch Alkohol mit ins Spiel und nennen das Ganze dann 'Aufreißen'. Dann hat niemand ein Problem damit. Wir überspringen diesen Teil einfach und kommen direkt zur Sache."

Folge VICE auf Facebook, Instagram, YouTube und Snapchat.