Ich habe eine Woche lang Algen gegessen, um die Welt zu retten
Alle Fotos vom Autor oder zur Verfügung gestellt

FYI.

This story is over 5 years old.

Superfood

Ich habe eine Woche lang Algen gegessen, um die Welt zu retten

Algen färben dein Müsli bunt ein und sollen dabei auch noch die weltweiten Nahrungskrisen lösen können.

Nachdem Insekten bereits die Teller der Nation erobern – oder zumindest probeweise in Universitätsmensen aufs Menü gelangen, um dort unangetastet zu vergammeln – stelle ich mir die Frage, was wohl der nächste Foodtrend werden könnte, mit dem wir die Welt essend zu einem besseren Ort machen können. Damit ein Lebensmittel zum Trendfood werden kann, muss es gesund und nachhaltig sein, sowie bestenfalls – in der westlichen Welt – als exotisch gelten. Neben Quinoa und Chia-Samen hat in der vergangen Zeit auch Algenpulver seinen Platz auf Instagram-Blogs gefunden, was Lebensmittelhersteller auf den Plan gerufen hat, Produkte jeglicher Art in Algenform herzustellen.

Anzeige

Fündig wurde ich an einem Vortrag von Jörg Ullmann während der Nachhaltigkeitswoche der Universität Zürich. Ullmann ist in der Algenbranche als "Mr. Alge" bekannt. Er war mit seiner Farm in Norddeutschland einer der ersten, der Algen in Europa züchtete und glaubt, dass Algen die Nahrungsprobleme der Welt grundsätzlich lösen können. "Algenanbau auf nur zwei Prozent der Fläche der Weltmeere könnte 10 Milliarden Menschen ernähren", erklärte mir der Algenexperte. In geschlossenen Wassersystemen sollen Algen auch auf dem Festland nachhaltig angebaut werden können. Ullmann ist Teil einer Initiative in Kolumbien, die in konfliktgebeutelten Regionen mit Algenanbau gegen Mangelernährung bei Kindern kämpft. Je nach Art gelten Algen als besonders reich an Eiweiss und diversen Vitaminen (darunter auch B12), haben viele Ballaststoffe, kaum Fett und wenig Kalorien. Perfekte Voraussetzungen für DAS nächste Superfood also.

Von Mr. Alges Optimismus inspiriert beschliesse ich, einen Selbstversuch zu starten und mich eine Arbeitswoche von Montag bis Freitag lang von Nahrungsmitteln mit Algen zu ernähren. Werde ich morgens endlich voller neu gewonnener Lebensenergie aus dem Bett steigen? Können Algen meine durch Billigflüge zerstörte Ökobilanz aufbessern? Oder fange ich mir einfach nur eine Jodvergiftung ein? Ich beschliesse mir folgende Regeln aufzustellen: Jede Speise, die ich während den Tagen zu mir nehme, muss so viele Algen wie möglich beinhalten, egal in welcher Form. Dabei soll ich bestenfalls nicht alles in meiner Sozialisation über Essen Gelernte über den Haufen werfen müssen. Meine Freunde möchte ich schliesslich trotz Weltrettung behalten. Ich stöbere also durch Reformhäusern und Online-Shops und packe einfach mal alles ein, was irgendetwas mit Algen zu tun hat.

Anzeige

Montag: Das Frühstück fällt schon mal aus

Wie so oft zu Wochenbeginn verschlafe ich. Und Verschlafen geht immer zu Lasten der Frühstückszeit. Da ich überhaupt keine Vorkehrungen für ein Algenfrühstück gemacht habe, muss ich hungrig ins Büro gehen, dementsprechend im Keller ist meine Laune.

Im Büro bestelle ich im Sushi-Restaurant Maki-Rollen und eine Misosuppe – das Algenessen für Anfänger sozusagen. Zwar ziehe ich in der Redaktion neidische Blicke für mein gehobenes Mittagessen auf mich, durfte für die paar Sushi-Rollen aber auch ein halbes Vermögen ausgeben.

Sushi macht den Einstieg einfach

Allzu gut bekommt mir das Sushi nicht, mein Magen rumort den ganzen Nachmittag über. Ich frage mich, wie es mir die restliche Woche ergehen wird, wenn mein Körper schon gegen etwas so Gewohntes wie Sushi rebelliert. Zu Hause angekommen beschliesse ich, dass mir morgen so etwas wie heute früh nicht mehr passieren soll und backe einen Algenzopf. Zum Backen verwende ich einen der beliebtesten veganen Butter- und Ei-Ersatz – weil der eben auch aus Algen besteht – und das so auf Instagram beliebte grüne Chlorella-Pulver. Netter Nebeneffekt: Der Zopf wird richtig grün! Nicht so netter Nebeneffekt: Der Zopf schmeckt nach Alge, eine ziemlich gewöhnungsbedürftige Kombination. Ich belege mir ein paar Scheiben davon mit Räucherkäse, der den Geschmack glücklicherweise etwas überdeckt.

Dienstag: Algenbier für den Fussballabend

Damit ich nicht wieder mit knurrendem Magen und schlechter Laune ins Büro komme, gönne ich mir heute eine wahrliche Delikatesse: veganen Algenkaviar der Sorten "Trüffel" und "Klassisch", serviert auf hausgemachtem Algenzopf mit etwas Butter. Was optisch herausfordernd wirkt, ist geschmacklich eine Katastrophe. Auch mein Mitbewohner versucht sich an meinem Frühstücksteller. Wie ein Kleinkind, das zum ersten Mal in eine Zitrone beisst, verzieht er dabei sein Gesicht und beschreibt den Geschmack treffend als "wie wenn du eine Dose Meersalz auf einmal isst".

Sieht gut aus, schmeckt aber mies: Algenkaviar

Anzeige

Wieder gehe ich schlecht gelaunt und hungrig ins Büro. Für die Mittagspause habe ich heute grüne Bandnudeln mit Chlorella-Alge, dazu ganz klassisch Tomatensauce und Parmesan. Jetzt schon hängt mir der Geruch von Grünalgen aus dem Hals raus und der Gedanke, dass es bis Freitag so weitergeht, macht mich ziemlich fertig. Doch wie immer gilt bei Pasta: Je mehr Parmesan, desto besser schmecken sie. Übrigens: Manche Algensorten haben wie Parmesan auch einen besonders hohen natürlichen Glutamingehalt – der Stoff, der für den Umami-Geschmack, die berüchtigte fünfte Geschmacksrichtung, verantwortlich ist.

Abends ist Fussballschauen angesagt und da bis zum Anpfiff keine Zeit mehr zum Kochen ist, müssen die letzten Scheiben Zopf dran glauben. Fussball geht jedoch nicht ohne Bier und zum Glück bin ich in Sachen Bier besser informiert als in Sachen Frühstück und habe bereits mit Corona vorgesorgt. Der mexikanische Bierbrauer verwendet nämlich als Stabilisator den E-Stoff 405, ein Alginat, das aus Braunalgen gewonnen wird – neben den grünen, roten und blauen Algen eine weitere Sorte, die für Lebensmittel genutzt wird. Dieses Alginat sollte zwar nicht zu häufig verzehrt werden, da es die Aufnahme von Mineralstoffen behindern könnte, aber hey, es sorgt dafür, dass ich heute Abend nicht trocken bleiben muss!

Mittwoch: Blaues Algenmüsli sieht ganz geil aus

Da mein Zopf mittlerweile alle ist und ich den salzigen Geschmack von Grünalgen satt habe, wechsle ich heute die Farbe. Das Spirulina-Bakterium, auch Blaualge genannt, wird von der Lebensmittelindustrie als günstiger blauer Farbstoff verwendet – beispielsweise werden damit blaue M&Ms eingefärbt. So schütte ich eine gute Ladung dieser Bakterien in mein Frühstücksmüsli, wodurch es in ein schlumpfartiges Blau gefärbt wird. Da die Blaualge geruch- und geschmacklos ist, schmeckt das Müsli wie üblich.

Müsli in Schlumpffarben

Anzeige

Weil ich mich auch in Sachen Getränke (mit Ausnahme von Wasser) auf Algen einschränken möchte und mein Körper mal wieder nach einem Softdrink ächzt, bin ich froh, dass auch hier die Algenindustrie ein Produkt für mich bereithält. So trinke ich zum Mittagessen Algenlimonade, die als Nahrungsergänzungsmittel mit B12 angepriesen wird. Der beigefügte Zucker überdeckt hier den Algengeschmack so stark, dass sie sogar ganz passabel schmeckt. Praktischerweise ist gleich ein Rezept für Thai-Algen-Curry dabei, wobei ich einfach etwas Limo in das Curry schütten muss – klingt komisch, schmeckt aber ganz gut.

Nachmittags packt mich im Büro der Heisshunger, ein Algen-Powerriegel muss her! Doch schon nach einem Biss landet der Riegel wieder im Mülleimer – die Algenfruchtfüllung schmeckt wie eine mehlige Salzmasse und selbst der Schokomantel kann nicht mehr viel retten. Bis zum Abend vergeht mir langsam die Lust am Kochen und ich schnipple mir einfach etwas Gemüse in eine Algenbouillon, während ich mir überlege, ob es eigentlich auch ein Lebensmittel ohne Algenpendant gibt. Die Suppe schmeckt jedenfalls wie ein schlechter Versuch einer Miso-Suppe.

Der Algenriegel dort, wo er hingehört

Donnerstag: Ich habe keinen Bock mehr

Lustlos kippe ich zum Frühstück abwechselnd grüne und blaue Algen in meinen Hüttenkäse. Noch zwei Tage sind vor mir und langsam wünsche ich mir nichts sehnlicher als eine Pizza. Zu Mittag hole ich mir im Discounter einen fertigen Wakame-Salat – ein japanischer Algensalat, den viele Supermärkte auch hierzulande führen – mit etwas Brot. Der ist fast doppelt so teuer wie die normalen Salate und wurde von Japan einmal quer um die halbe Welt geflogen – womit sich wohl auch das Thema mit der Ökobilanz erübrigt – schmeckt aber wenigstens ganz ordentlich.

So langsam lichten sich meine Algenvorräte, was auch bedeutet, dass der Zenit meiner Algenwoche überschritten ist. Zwischen Algenpulver verschiedener Farben finde ich noch ein paar Trockenalgen, die ich gekocht zu einem Salat mit diversem Gemüse verkoche. Weil danach Freunde auf Drinks vorbeikommen und kohlenhydratarme Algen definitiv nicht der beste Boden sind, esse ich wieder ein paar Scheiben Brot dazu.

Anzeige

Nachdem ich meinen Vorrat an Bier mit Stabilisatoren aus Algen ausgetrunken habe, komme ich auf die glorreiche Idee, meine Algenlimonade doch einfach mit Wodka zu mischen. Das Ergebnis schmeckt ähnlich wie all die klebrigen Wodka-Mischungen aus Jugendzeiten und ich komme mit meinen Algendrinks doch noch zu einem anständigen Donnerstagsrausch.

Freitag: Verkatert isst du alles

Das Frühstück verschlafe ich wegen gestern. Fast hätte ich in meinem Katerzustand auch noch vergessen, dass ich auf Algendiät bin und mir ritualmässig meine Kater-Penne mit Tomatensauce gekocht. Etwas angepisst koche ich stattdessen nochmal eine Portion Algennudeln, um meinen verkaterten Kohlenhydratneid zu stillen.

Bandnudeln in Algenversion

Zum Abendessen treffe ich mich mit meiner Freundin, um sie zum gehyptesten Japaner der Stadt auszuführen. Der ist zwar schweineteuer und die Bedienung ist unter aller Sau aber die Ramensuppe mit Algen ist vielleicht das Beste, was ich in dieser Woche gegessen habe.

Fazit

Am Tag nach meinem Algenexperiment gehe ich mit etwas gemischten Gefühlen erstmal wieder eine gute alte Pizza essen. Wahrscheinlich macht es einfach Sinn, die Alge dort zu lassen, wo sie hingehört: in der traditionellen asiatischen Küche. Viele der vermeintlich innovativen Produkte schmeckten entweder versalzen, unausgereift oder wie im Falle des Algenriegels oder dem Algenkaviar einfach nur beschissen. Ich selbst fühlte mich während der Woche zwar etwas leichtfüssiger als sonst – was wohl daran lag, dass man sich mit Algen nur schwer überfressen kann. Nach meiner Algenwoche fahre ich nach Wädenswil, wo die Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften an den Hängen des Zürichsees die schweizweit einzige Algenzucht betreibt.

Dominik Refardt und seine Algenzucht in Wädenswil

Dominik Refardt forscht dort seit einigen Jahren mit Algen – unter anderem versuchte er, aus Algen Biotreibstoff zu produzieren, was er wegen der voraussichtlich schlechten Wirtschaftlichkeit des Produktes wieder aufgeben musste. Heute fokussiert er sich mit seinem Team auf die Produktion von Fischfutter für Schweizer Fischzuchten. "Auch wenn die Zucht von Fisch in der Schweiz selbst Sinn macht, werden trotzdem oft Fischabfälle aus Wildfang als Futtermittel verwendet", erklärt mir der Algenzüchter. Algenfuttermittel aus lokaler Zucht sind zwar nicht günstiger, würden aber die Fischproduktion deutlich ökologischer machen.

Weil die positive Wirkung von Algenprodukten nicht medizinisch bestätigt ist, werden viele Produkte als Nahrungsergänzungsmittel geführt. Diese Bezeichnung ist nicht geschützt und kann ohne Wirksamkeitsnachweis verwendet werden. Refardt sieht Algen zudem nicht als sinnvolle direkte Proteinquelle: "Dafür ist die Produktion nicht effizient genug, auch Käse hat Proteine und lässt sich in der Schweiz günstiger und nachhaltiger produzieren", erklärt mir der Biologe.

Durch meinen einwöchigen Ausflug in die bunte Welt der Algen weiss ich jetzt zwar, wie Foodblogger ihre Müslis auf Instagram grün und blau einfärben und dass Algenkaviar einen ausserordentlich kreativen Geschmacksnerv benötigt. Doch werden wahrscheinlich Lebensmittel aus Algen allein unsere Welt aber nicht retten können. Nur schon weil sie nicht den Geschmack des durchschnittlichen Europäers treffen.

VICE auf Facebook.