Daniela Marabini und ein Formel 1 Auto. Wir haben mit Daniela Marabini über Frauen im Rennsport gesprochen. Seit der Netflix-Doku Drive to Survive ist Formel 1 inklusiver
Foto: AlphaTauri Outfits
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Wir haben eine Expertin gefragt, wann endlich Frauen in der Formel 1 fahren

Daniela Marabini arbeitet seit siebzehn Jahren im Rennsport. Netflix hat die Formel 1 aufgewirbelt. Wie divers ist der Sport heute?

Für viele war die Formel 1 nur noch ein Hobby für Weizenbier trinkende Typen, die sonntags im Ferrari-Shirt auf ihrer Sofagarnitur sitzen und den Fernseher anschreien. Dann kam Netflix mit der Erfolgsdoku Formula 1: Drive to Survive, die den Rennsport als großes, funkelndes Drama inszeniert. Ein sagenhaftes Comeback. Auf einmal fluten Videoschnipsel aus Spa oder Singapur TikTok und Instagram: rasante Überholmanöver, gute Sprüche in Pressekonferenzen, Promis in Garagen, die Rennautos inspizieren. Doch wie modern ist dieser Sport wirklich? 

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Wir haben mit einer Veteranin des Motorsports über Frauen in der Formel 1 gesprochen – und über weinende Rennfahrer. Daniela Marabini ist seit 17 Jahren in der Formel 1 und arbeitet beim Rennstall AlphaTauri, aktuell als Senior Partnerships and Business Relations Manager. Wir erreichen sie per Video-Call, sie sitzt in ihrem Büro, direkt neben der Werkstatt. Im Hintergrund hört man das grelle Surren von pneumatischen Werkzeugen. Die Mechaniker üben gerade den Boxenstopp.

VICE: Daniela, woher kommt deine Faszination für Motorsport? 
Daniela Marabini:
Am Tag, an dem ich geboren wurde, schaute mein Vater den ersten Sieg von James Hunt beim Formel-1-Rennen in Zandvoort. Das war ein frühes Zeichen. Mein großer Bruder war ein Freak, der jeden Tag an seinem Motorrad schraubte und mir, zur großen Freude meiner Mutter, Driften beibrachte. 

Wo bist du aufgewachsen?
In der Emilia-Romagna, dem sogenannten italienischen Motor Valley, wo die italienische Automobilindustrie sitzt – im Umfeld der berühmten Minardi-Familie. Giancarlo Minardi hat den Rennstall gegründet, für den ich heute arbeite. Dank Giancarlo hatte ich als Teenager die Chance, Rennen zu schauen. Ich roch das Benzin, ich stand in der Garage zwischen den Autos als Glücksbringer. 

Wann warst du das erste Mal bei einem Rennen?
Ende der Achtziger. Ich rannte als junges Mädchen mit einem Notizbuch durchs Fahrerlager und sammelte Unterschriften der Legenden: Ayrton Senna, Nelson Piquet, Alain Prost. Das Notizbuch habe ich noch immer, es liegt in meinem Nachttisch, in der obersten Schublade.

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Vor 17 Jahren hast du beim Rennstall Toro Rosso angeheuert. Erinnerst du dich an deinen ersten Arbeitstag?
Ich saß in meinem Büro und konnte es kaum glauben, dass ich es in die Formel 1 geschafft hatte. Eine Tür weiter saß der Teamchef. Ich schaute herum auf der Suche nach Anzeichen, dass das alles wirklich real war. Dann klingelte plötzlich das Telefon, Bernie Ecclestone war am Apparat.

Der Big Boss der Formel 1.
Ich rannte zu Franz Tost, unserem Teamchef, und sagte: "Da ist Bernie Ecclestone am Telefon." Und er sagte: "Beruhig dich, der ruft hier dauernd an."

Hattest du jemals den Eindruck, dass du als Frau in der Formel 1 anders behandelt wurdest als deine männlichen Kollegen?
Ich habe da nie Unterschiede erlebt. Natürlich wirst du anders behandelt, wenn du neu im Geschäft bist, man versucht dich zu schützen. Aber das hat nichts mit dem Geschlecht zu tun. 

Denkst du manchmal, dass du lieber selbst im Auto sitzen würdest?
Ich saß einmal im Cockpit, als wir Boxenstopps trainierten. Ich wurde angeschoben und musste nur im richtigen Moment bremsen, was ich kaum hinbekommen habe. Ich bin da komplett nutzlos! Trotzdem liebe ich die Geschwindigkeit und den Geruch der Reifen.

Die Sprache in der Formel 1 kann sehr brutal und direkt sein. In Drive to Survive wird dauernd geflucht und geschimpft. Wie findest du das?
Manchmal ärgert mich das. Aber das ist ja nicht nur in der Formel 1 so, sondern in der gesamten Gesellschaft. In meinem Team habe ich das kaum erlebt, sonst wäre ich hier nicht seit 17 Jahren. 

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In Drive to Survive bekommt der Zuschauer einen durchgängig fluchenden Günther Steiner zu sehen, den Teamchef von Haas. 
Trotzdem hat Netflix dafür gesorgt, dass sich mehr Menschen für die Formel 1 interessieren, auch mehr Frauen. Weil die Show mehr zeigt als nur technische Details. Sie zeigt den Sport so unterhaltsam und emotional, dass er auch viele Newcomer anzieht. Netflix hat das Geschäft vermenschlicht. 

Es gab Kritik, dass die einzige weibliche Teamchefin, Claire Williams, nicht ausreichend in der Show vorkam.
Ich glaube, dass Netflix den Sport realistisch porträtiert. Es kommen viele Frauen vor, auch in Führungsrollen. Die Hauptcharaktere sind aber natürlich Fahrer und Teamchefs. 

Und auch die Fans sind eher männlich.
Das stimmt, aber je mehr Mechanikerinnen und Ingenieurinnen es gibt, desto mehr junge Frauen sitzen vor dem Fernseher und merken, dass sie zu diesem Sport gehören. Inzwischen arbeiten Frauen nicht nur im Marketing und der Kommunikation, sondern auch in sichtbaren Rollen, zum Beispiel als Strategie-Ingenieurinnen. Drei von zehn Rennstrateginnen sind inzwischen weiblich, eine davon arbeitet bei uns. Und wir wissen, wie wichtig Strategie heutzutage ist. Zudem wird die FIA bald von einer Frau geleitet. 

Formel 1-Fahrer galten immer als harte Kerle. Ich erinnere mich an das Rennen in Monza 1999 als Mika Häkkinen nach einem Schaltfehler ausschied und vor laufenden Kameras in Tränen ausbrach. Da war ich zwölf Jahre alt. Für mich war das eine Sensation: Männer weinen, selbst Rennfahrer! Der britische Mirror aber beschimpfte Häkkinen als Heulsuse.
Heute haben sich die Fahrer von Klischees befreit. Sie sind, was sie sind und zeigen das. Sie sind Athleten, Väter, Söhne, Ehemänner, Brüder. Die Fahrer sind hochprofessionell und keine Bad Guys mehr, sie hängen nachts nicht in Bars rum und trinken. 

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Dürfen sie Schwäche zeigen?
Natürlich.

Auf Instagram folgen den Fahrern Millionen Menschen. Wie wichtig ist Style im Fahrerlager?
Sehr wichtig. Ohne angeben zu wollen: Da ist unser Team führend. Wir gelten als das glamouröseste Team im Fahrerlager. Wir haben eine eigene Modemarke, AlphaTauri. Die Rennstrecke ist wie ein Catwalk. Wenn die Fahrer donnerstags ankommen, sind überall Fotografen. Das ist das Rennen vor dem Rennen. Das Fashion-Rennen.

Ist Instagram auch eine Gefahr? Die Fahrer könnten ihren Fokus verlieren.
Wir reden hier über Sportler auf dem höchstmöglichen Level, die jede Woche auf einer Bombe sitzen. Wenn sie fokussiert sein müssen, sind sie fokussiert. Zu hundert Prozent.

Du hast ein sehr enges Verhältnis zu euren Fahrern, Pierre Gasly und Yuki Tsunoda. Wie kam das?
Da ich so lange im Team bin, vertrauen sie mir und fragen nach Rat. Wir verbringen viel Zeit miteinander, nicht nur bei Rennen. Ich begleite sie zu Veranstaltungen mit Partnern, zu Fotoshoots. Wir haben eher eine Mutter-Sohn-Beziehung.

Netflix zeigt die Geschichte eures Fahrers Yuki Tsunoda. Er kommt als Teenager nach Europa, kämpft mit den Entbehrungen des Motorsports, hat Heimweh nach Japan. Doch er besteht und wird erwachsen. Eine rasante Entwicklung.
Gerhard Berger, der damalige Miteigentümer unseres Teams, sagte mal zu mir: Formel 1 ist wie das normale Leben, nur zehnmal schneller. 

Was heißt das für die Fahrer?
Sie müssen zehnmal so schnell erwachsen werden – oder sagen wir dreimal so schnell. Für Yuki war es nicht leicht, er zog von Japan nach England und war erstmal auf sich allein gestellt. Als er den Schritt in die Formel 1 machte, zog er zu uns nach Italien. Er kam jeden Tag in die Fabrik, sprach mit den Mechanikern und wurde sehr schnell erwachsen. 

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Gibt es eigentlich Solidarität unter den Fahrern, über Teams hinweg? 
Auf der Strecke herrscht Wettbewerb, immer. Aber abseits der Strecke unterstützen sie sich. Manche fahren sogar zusammen in den Urlaub. Es gibt auf der ganzen Welt nur 20 von ihnen. Sie haben fast dasselbe Leben mit vielen Entbehrungen: täglich Training, wenig Freizeit. Das schweißt zusammen. Auch wenn man natürlich nicht mit jedem best friends sein kann.

Rivalen wie Max Verstappen und Lewis Hamilton können wahrscheinlich eher keine Freunde sein.
Ach, das können sie grundsätzlich schon.

Hast du Freunde in anderen Teams?
Natürlich, gerade in den italienischen. 

Ihr übernachtet mehr in Hotelbetten als zu Hause. Schweißt das zusammen?
Die Formel-1-Gemeinde ist wie ein großer Wanderzirkus. Wir teilen uns Charterflüge, wohnen manchmal im gleichen Hotel. Vor allem in Abu Dhabi oder Singapur, da ist das Hotelviertel sehr klein. Wenn man da essen geht, sitzt man plötzlich mit einem anderen Team am Tisch. 

Du hast in deinem Job viele bekannte Menschen getroffen. Seit Netflix schauen noch mehr Promis bei Rennen vorbei. Stellen die manchmal richtig dumme Fragen?
Keine Frage ist dumm. Wenn man mich in ein Fußballstadion setzt, stelle ich deutlich dümmere Fragen. 

Was fragen die Promis denn so?
Oft fragen sie, wie die Fahrer während des Rennens auf die Toilette gehen.

Und wie gehen sie auf die Toilette?
Gar nicht. Sie gehen kurz davor!

Dein Job wirkt, von außen betrachtet, ziemlich aufregend. Gibt es eigentlich auch bei dir richtig langweilige Tage, an denen du keinen Bock hast aufzustehen?
Ehrlich gesagt: nein. Anfang der Saison habe ich aus privaten Gründen drei Rennen verpasst. Zuerst freute ich mich auf ein paar freie Tage. Ich nahm mir einiges vor. Dann setzte ich mich aufs Sofa und schaltete den Fernseher ein: Es lief das Qualifying. Nach zwei Sekunden brannte das Sofa lichterloh. 

Ein Blick in die Zukunft: Werden eines Tages Frauen Rennen in der Formel 1 fahren?
Es gibt keinen Grund, warum nicht. Es gab in der Geschichte schon Frauen, die in der Formel 1 Rennen fuhren. Lella Lombardi zum Beispiel, 1975. Wahrscheinlich rennt da draußen irgendwann ein junges Mädchen durchs Fahrerlager wie ich damals und holt sich ein Autogramm der Formel-1-Weltmeisterin. 

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