Politik

Arbeitskampf bei Gorillas: Interne Meetings zeigen, wie verzweifelt der CEO mittlerweile ist

Freibierversprechen und haarsträubende Zoom-Calls – Die Krise beim Start-up-Lieferdienst eskaliert.
Mehrere junge Angestellte des Lieferdienst-Start-Ups Gorillas streiken vor einem Warenlager und halten ein Plakat hoch, auf dem sie bessere Arbeitsbedingungen fordern; Gorillas-CEO Kağan Sümer hat sich derweilen in einem bizarren Zoom-Call an die Belegsch
Foto: AP Photo/Markus Schreiber

Kağan Sümer, Gründer und CEO des gehypten Lebensmittel-Lieferdienstes Gorillas, hat seinen streikenden Angestellten vorgeworfen, ein politisches Spiel zu spielen, und gegen "externe Parteien" gewettert, die seine Vision zerstörten. Das geht aus der Aufnahme eines firmenübergreifenden Zoom-Calls hervor, die VICE vorliegt.

Der Call fand am 11. Juni statt, nachdem dreitägige Streiks und Proteste den Betrieb in mehreren Berliner Warenlagern des Unternehmens zum Erliegen gebracht hatten. Auslöser für diese Streiks war die Entlassung eines Lieferanten während seiner Probezeit. Laut streikenden Angestellten wurde der Lieferant gefeuert, weil er zu spät zur Arbeit kam. In einer E-Mail an VICE schreibt ein Sprecher von Gorillas, dass man den Lieferanten wegen "Fehlverhalten" entlassen habe. Weitere Details werden nicht genannt.

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Seit dem dreitägigen Streik haben Gorillas-Lieferantinnen und -Lieferanten in verschiedenen europäischen Städten – darunter London, Brügge und Düsseldorf – in Solidarität mit ihren Berliner Kolleginnen und Kollegen ebenfalls demonstriert und gefordert, dass der entlassene Lieferant wieder eingestellt wird.


Auch bei VICE: Kambô – Froschgift in Berlin


Vor dem firmenübergreifenden Zoom-Meeting kontaktierte VICE Gorillas, um mehr über die Streiks in Berlin zu erfahren – und über den Vorwurf, dass Manager versucht haben sollen, Angestellte mit dem Versprechen von Freibier von der Betriebsversammlung wegzulocken, in der die Gründung eines Betriebsrats vorbereitet wurde. In der Antwort heißt es von Seiten des Unternehmens aber nur, dass man "aktiv in einen sachlichen Dialog" getreten sei und die Situation in den Lagern deeskalieren wolle.

Einen Tag bevor sich das Unternehmen gegenüber VICE äußerte, schickte CEO Sümer allerdings eine firmeninterne Chatnachricht ab, in der er andeutete, dass er an einer Deeskalation der Situation nicht interessiert ist. 

"Ich habe mit Beratungsagenturen für öffentliche Angelegenheiten, mit PR-Menschen, mit Krisenkommunikations-Experten gesprochen … Sie rieten mir zur Deeskalation", schrieb Sümer in der Slack-Nachricht, die VICE einsehen konnte. "Wer mich auch nur ein bisschen kennt, [der weiß], dass ich eher sterbe würde, um meine Werte zu schützen, als zu deeskalieren. Mehr Details gibt's morgen. Die Bewegung beginnt."

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Als Antwort auf einen Fragenkatalog von VICE zur Chatnachricht und dem Zoom-Call heißt es von Gorillas nur: "Wir kommentieren die interne Korrespondenz mit dem Gorillas-Team auf den Gorillas-Chatkanälen nicht."

"Das ist einer unserer Grundwerte: authentische Menschen, die mutige Entscheidungen treffen, immer auf Achse sind und Dinge verändern."

Der rund 20-minütige Zoom-Call begann mit Techno-Musik, als Sümer noch darauf wartete, dass seine Angestellten beitreten. Anstatt die Sorgen der Lieferantinnen und Lieferanten – von der Unsicherheit ihres Arbeitsplatzes, über schlimme Rückenschmerzen von den schweren Lieferungen, bis hin zu unbezahlten Arbeitsstunden – anzusprechen, warf der CEO ihnen dann allerdings vor, politische Absichten zu entwickeln.

"Gorillas ist ein Lieferunternehmen, kein Politikunternehmen", sagte Sümer. "Innerhalb dieses Rahmens ist diese Eskalation eine Eskalation von externen Parteien – etwa externen Interessengruppen. Das Ganze wird außerdem nicht nur von außen organisiert, Fehlinformationen können sich so auch relativ schnell verbreiten."

Sümer erklärte nicht weiter, wer diese "externen Parteien" seien, erwähnte aber, dass das Lächeln der Lieferantinnen und Lieferanten bei den Lieferungen nicht aufgesetzt sei. Außerdem sagte er, dass 60 Prozent der neuen Lieferantinnen und Lieferanten von Menschen vermittelt worden seien, die bereits bei Gorillas arbeiteten. Was er nicht sagte: Solche Vermittlungen werden je nach Markt mit bis zu 250 Euro belohnt.

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Schließlich verkündete Sümer, dass er mit dem Rad zu verschiedenen Warenlagern fahren würde, um den Dialog zu suchen.

"Denn das ist einer unserer Grundwerte: authentische Menschen, die mutige Entscheidungen treffen, immer auf Achse sind und Dinge verändern", sagte er. "Aber diese Veränderung geschieht nicht an den Tastaturen. Und sie geschieht nicht durch politische Agenden."

Obwohl Sümer immer wieder erwähnte, dass Gorillas offen für den Dialog sei, ließ er während des Calls keine Fragen zu. Der Chat war ebenfalls deaktiviert.

Das Zoom-Meeting wurde vom Gorillas Workers Collective, einem der Organisatoren der Streiks, auch direkt kritisiert. So wurde auf dem zugehörigen Twitter-Account später eine Art Bingokarte mit Phrasen aus dem Call gepostet – darunter "Wir sind eine Bewegung" und "Hier geht es nicht um Politik". Auch der beliebte Instagram-Meme-Account @gorillasriderlife veröffentlichte mehrere Posts, in denen sich über den Call lustig gemacht wird.

Einer der Lieferanten beschrieb das Zoom-Meeting als "komplette Farce" und bezüglich der berechtigten Sorgen der Angestellten als "Schlag ins Gesicht".

Drei Gorillas-Lieferantinnen und -Lieferanten, die aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen anonym bleiben wollen, sagten gegenüber VICE, dass sie das Meeting ebenfalls zum Großteil kritisch bewerteten. Einer von ihnen beschrieb es als "komplette Farce" und bezüglich der berechtigten Sorgen der Angestellten als "Schlag ins Gesicht". Ein anderer sagte, dass die von Sümer vorgeschlagene Lagertour zwar keine Lösung für irgendetwas sei, als "Community-Veranstaltung" aber schon helfen könnte, wenn viele Angestellte teilnehmen dürften.

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Nach immer mehr Medienberichten, Demonstrationen und 30 Aussagen bei @gorillasriderlife, in denen sich Lieferantinnen und Lieferanten über unbezahlte oder fehlende Arbeitsstunden beschweren, kündigte Gorillas im firmeninternen Newsletter eine Reihe von Maßnahmen an, die das Unternehmen nun einleiten wolle, um die Arbeitsbedingungen für die Lieferantinnen und Lieferanten zu verbessern. 

In einer E-Mail an VICE konkretisiert Gorillas einige dieser Maßnahmen – etwa computerbasierte Gewichtsangaben, mit denen schon im Voraus berechnet werden soll, ob eine Lieferung zu schwer ist, oder Veränderungen beim Bezahlsystem, wodurch sich die Genauigkeit der Arbeitszeiterfassung verbessern soll.

Eine Reihe an Beschwerden der streikenden Lieferantinnen und Lieferanten wurde allerdings nicht angesprochen – zum Beispiel die sechsmonatige Probezeit, in der Angestellte ohne Angabe von Gründen gefeuert werden können. Sechs Monate sind dem deutschen Arbeitsgesetz nach die maximale Länge für die Probezeit.

"Wir sind ein sehr junges Unternehmen, lernen aber schnell dazu und wollen unserer Verantwortung gegenüber unseren Lieferantinnen und Lieferanten gerecht werden", heißt es in der E-Mail weiter. "Für uns ist es wichtig, dass wir den Weg der Partnerschaft weitergehen, und wir sind optimistisch, dass unsere Angestellten das Wirken all unserer Maßnahmen bald spüren werden." Bleibt nur zu hoffen, dass Gorillas damit recht behält.

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