Ein junger Mann in grünem Trainingsanzug blickt inmitten von anderen Menschen schräg nach oben, es handelt sich um Ali Abdul, einen Charakter aus der Netflix-Serie Squid Game; wir haben mit Anupam Tripathi über die wichtige Bedeutung seiner Rolle für die
Ali Abdul ist bei 'Squid Game' der treuherzige Teilnehmer Nummer 199 | Alle Fotos bereitgestellt von Netflix
Popkultur

Eine Ode an Ali, den viel zu netten Charakter aus 'Squid Game'

Wir haben mit Ali-Darsteller Anupam Tripathi über die wichtige Bedeutung seiner Rolle für die südkoreanische Gesellschaft gesprochen.

Achtung: Dieser Text enthält viele Spoiler zu Squid Game!

Nur neun Folgen haben gereicht, und die südkoreanische Dramaserie Squid Game ist auf dem besten Weg, die erfolgreichste Serie in der Geschichte des Streaming-Riesen Netflix zu werden. Die Handlung ist dabei recht simpel: In Seoul nehmen Hunderte verzweifelte Menschen, die unbedingt Geld brauchen, eine mysteriöse Einladung an, um genau dieses Geld bei einer Reihe von Kinderspielen mit düsterem Twist zu gewinnen. Unter den Teilnehmenden befindet sich auch Ali Abdul, ein Fabrikarbeiter aus Pakistan, der eigentlich nur seiner Frau und seinem neugeborenen Sohn ein schönes Leben ermöglichen will. Wir haben mit Ali-Darsteller Anupam Tripathi über seine Verbindung zu seiner Figur, seinen Weg zum Ruhm in Südkorea und die Bedeutung seiner Rolle für die südkoreanische Gesellschaft gesprochen.

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Ali ist bei Squid Game der nette, aber auch etwas unbeholfen wirkende Kandidat Nummer 199. Noch bevor wir seinen Namen erfahren, sehen wir bereits, wie gutherzig und hilfsbereit er ist, als er direkt beim ersten Spiel die Hauptfigur Seong Gi-hun davor bewahrt, erschossen zu werden.

"Ich habe in meinen bisherigen Filmen und Serien vor allem die Rolle des Arbeitsmigranten übernommen. Ali ist auf so vielen Ebenen anders", sagt Tripathi. "Er ist meine erste richtig ausgearbeitete Figur. Wie er schaut, wie er sich verhält, seine Hintergrundgeschichte – all das musste ich bei meinen Überlegungen dazu, wie ich ihn darstelle, bedenken." 

Rassismus – vor allem gegenüber Arbeitsmigranten – ist in Südkorea ein weit verbreitetes Problem. In Squid Game wird Ali von anderen Teilnehmenden als illegaler Ausländer beleidigt, als Person of Color ist er automatisch ein Außenseiter und er weiß, dass seine Chancen in den unvorhersehbaren Spielen eher schlecht stehen. In einer Szene gibt er auch offen zu, weder die Spiele noch deren Regeln zu kennen. Im Verlauf des morbiden Wettbewerbs wird allerdings klar, dass Ali zäher ist als gedacht und locker mit den stärkeren und aggressiveren Teilnehmenden mithalten kann. Auch beweist er sich als wichtiger Teamplayer – etwa beim nervenaufreibenden Tauziehen. Tripathi sagt, dass er beim Dreh dieses Spiels am meisten Spaß hatte.

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Mehrere Menschen in grünen Trainingsanzügen sitzen oder Knien auf dem Boden und werden von Menschen in roten Overalls und schwarzen Masken mit Waffen in Schach gehalten

Beim ersten Spiel wird den 'Squid Game'-Charakteren klar, dass es wortwörtlich um Leben und Tod geht

Ali hat als Filmfigur viel zur Sichtbarkeit von Minderheiten in Südkorea beigetragen. Ausländische Schauspielerinnen und Schauspieler bekommen dort oft nur Nebenrollen. In Squid Game steht Anupam Tripathi aber in einer Reihe mit extrem erfolgreichen südkoreanischen Schauspielern wie Lee Jung-jae und Park Hae-soo und hat sich schnell zum Liebling der Fans entwickelt.

"Zur Vorbereitung habe ich mich mit verschiedenen Leuten getroffen, Dokumentationen angeschaut und Artikel über Arbeitsmigranten in Korea und im Ausland gelesen", sagt Tripathi. "Für mich ging es vor allem darum, Ali so gut und realistisch wie nur möglich darzustellen. Ich will in Zukunft verschiedene Rollen spielen, damit in Korea und auch überall sonst auf verschiedenen Plattformen Minderheiten besser repräsentiert sind." 

Im Verlauf von Squid Game erfahren wir mehr über Alis schwierige Vergangenheit und seine Beweggründe, überhaupt bei den Spielen mitzumachen: Er ist ein pakistanischer Arbeiter ohne Papiere, der von seinem unbarmherzigen Chef seit Monaten keinen Lohn mehr bekommen hat – selbst nachdem ihm bei der Arbeit in der Fabrik mehrere Finger abgetrennt wurden. Seinem Mitspieler Sang-woo, mit dem er sich schnell anfreundet, erzählt Ali, dass er das Geld brauche, um für seine Familie zu sorgen.

Viele Squid Game-Fans sehen Parallelen zwischen diesem Handlungsstrang und den Konflikten in der modernen südkoreanischen Gesellschaft. Das Land steht oft in der Kritik, weil dort rund 200.000 arme und wehrlose Arbeitsmigranten aus Ländern wie Indien oder Pakistan von den reichen und mächtigen Unternehmen ausgebeutet werden sollen

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Ein junger Mann in Trainingsjacke ist in einer Fabrikhalle im Clinch mit seinem Chef, der offensichtlich große Schmerzen hat

Ali platzt nach einer hitzigen Diskussion mit seinem hinterhältigen Chef der Kragen

"Ali steigt nur deswegen wieder beim Wettbewerb ein, weil sein Chef ihn sechs Monate lang nicht bezahlt hat", schreibt die Autorin Michelle Rennex. "Eigentlich hätte es gar nicht nötig sein sollen, dass er mitmacht." Viele Fans der Serie finden es super, wie höflich und respektvoll Ali gegenüber den anderen Teilnehmenden auftritt. Sie schließen daraus, dass Alis Verhalten wie bei vielen armen Arbeitern in Südkorea wohl von der gesellschaftlichen Hierarchie und Ausbeutung geprägt wurde. "Im Gegensatz zu den Koreanerinnen und Koreanern in der Serie zeigt er Mitgefühl und Respekt. Er drückt sich häufig höflich aus", heißt es bei Twitter. Das bedeute aber nicht, dass er sich unterordnet, sondern dass er sich an die Regeln der koreanischen Gesellschaft hält.

Wir sähen Alis Verhalten nicht als das, was es eigentlich sei: ein Verteidigungsmechanismus, den er sich als arme, migrantische Person of Color angeeignet hat, um mit der Unterdrückung klarzukommen, der er täglich ausgesetzt ist, schreibt ein anderer Twitter-User.

"Im Gegensatz zu den Koreanerinnen und Koreanern in der Serie zeigt Ali Mitgefühl und Respekt."

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Genauso wie andere Menschen, die nach Südkorea gehen und auf den großen Durchbruch in Seoul hoffen, musste auch der in Delhi geborene Tripathi sprachliche und kulturelle Barrieren überwinden. Und das mehr als zehn Jahre lang. Aber genauso wie Ali blieb der Schauspieler immer positiv und gab nicht auf. So bekam er schließlich Rollen in erfolgreichen Filmen und Serien wie Ode to My Father oder Descendants of the Sun.

"Herausforderungen sind Teil des Spiels, bei dem wir mitmachen", sagt Tripathi. Außerdem habe er dabei viele Freundschaften geschlossen und eine ganze Menge über Südkorea und dessen Kultur gelernt. "Ich wusste, dass es nicht immer einfach sein würde, aber ich bin ein sehr positiver, neugieriger und freundlicher Mensch. So haben mir meine bisherigen elf Jahre in Korea viel Spaß gemacht."

Vier Menschen in grünen Trainingsanzügen haben sich mit Eisenstangen bewaffnet und warten angespannt

Ali bleibt seinen Verbündeten immer treu

Die Konkurrenz um die Rolle des Ali war groß. Tripathi sagt, er habe drei Vorsprechen überstehen müssen. Seine Anstrengungen zahlten sich aber aus und er konnte den Regisseur und Drehbuchautor Hwang Dong-hyuk überzeugen. In einem Interview schwärmt Hwang sogar von Tripathis Talent.

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"Es war nicht einfach, in Korea gute ausländische Schauspieler zu finden", sagt Hwang in dem Interview. Tripathi sei dann "wie aus dem Nichts" erschienen. "Er sprach fließend Koreanisch und konnte schauspielern. Auch sein emotionales Spiel vor der Kamera war erstaunlich." 

Tripathi kann sich noch genau an den Anruf von Netflix erinnern, der sein ganzes Leben auf den Kopf stellte. "Ich machte einen Freudentanz und erzählte direkt meiner Familie und meinen Freunden von der tollen Nachricht", sagt er. Als er das Drehbuch in die Hände bekam, las er es "in einem Zug" und war begeistert. "Was mich am meisten faszinierte, war die Tatsache, dass die Leute bei verschiedenen Kinderspielen entweder weiterkommen oder sterben", sagt Tripathi. "Und je weiter das Ganze voranschreitet, desto klarer wird, dass jede Figur von einem ganz persönlichen Konflikt geprägt ist."

Der Schauspieler gibt aber auch zu, immensen Druck und eine große Verantwortung verspürt zu haben, als er erfuhr, dass die Serie in 190 Ländern ausgestrahlt wird.

Ein junger Mann in grünem Trainingsanzug wird von mehreren Kameras dabei gefilmt, wie er sich den Inhalt eines kleinen Stoffbeutels anschaut

Anupam Tripathi bei den Dreharbeiten

Für Tripathi war jeder Tag am Filmset eine "faszinierende Erfahrung".

"Ästhetisch gesehen war alles so wunderschön. Ich habe mich jeden Tag erneut darauf gefreut, beim Set anzukommen und Ali Abdul zu spielen. An all das werde ich mich noch lange mit Freude zurückerinnern", sagt er.

Wer Squid Game schon gesehen hat oder mit Survival-Dramen vertraut ist, weiß, dass viele Figuren ein tragisches Ende finden. In Alis Fall kommt dieses Ende durch eine Person, der er vertraut. Für viele Fans dürfte dieser Verrat eine einschneidende Szene sein: Alis Tod und seine Tränen, als er die Wahrheit erfährt, gehören zu den herzzerreißendsten Momenten in der ganzen Serie. 

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Zwei junge Männer in grünen Trainingsanzügen stehen sich gegenüber, einer hält einen kleinen Stoffbeutel in der Hand, sie beide werden von einer Person in rotem Overall beobachtet

Murmeln entscheiden über Leben und Tod

"Alis Rolle in Squid Game hat uns eins gezeigt: Egal wie nett oder treuherzig du auch bist, manche Leute werden dich trotzdem ausnutzen", heißt es in einem Tweet. "Ali hat Besseres verdient", schreibt jemand anderes.

"Ich würde alle Fans gerne persönlich umarmen und mich für ihre Liebe für Ali Abdul bedanken", sagt Tripathi. Er lese auch weiterhin die Nachrichten, die ihn von Fans aus der ganzen Welt erreichen.

In diesem Sinne: Ein Hoch auf Ali Abdul, dessen Gutherzigkeit und Mut ihn von den vielen anderen Squid Game-Teilnehmenden abhebt, die sich für ihren eigenen Vorteil lieber gegenseitig verraten und umbringen.

Seinen grünen Trainingsanzug mit der Nummer 199 durfte Tripathi übrigens als Andenken behalten.

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