Politik

Sido: So viel Antisemitismus steckt in seinen Sätzen

Das ist kein ironischer Quatsch, den er da verbreitet. Sondern alter, mörderischer Judenhass.
Sido beim Autokulturkonzert in Hannover
Foto: imago images | Future Image 

Man will ja eigentlich gar nicht mehr darauf anspringen, wenn mehr oder weniger prominente Menschen die nächste Verschwörungserzählung in die Welt plärren. Man glaubt, die Gründe dahinter schnell zu durchschauen: Diese Promis wollen ihre Sucht nach Aufmerksamkeit befriedigen. Sich vergewissern, dass sie in der Pandemie nicht völlig egal geworden sind. Könnte man ignorieren. Sollte man aber nicht.

Hinter den kruden Behauptungen von Xavier Naidoo, Attila Hildmann und jetzt Sido stehen Verschwörungstheorien, die sich unter ihren Hunderttausenden Followern verbreiten. Egal ob nur so dahergesagt oder mit Überzeugung verbreitet: Diese Mythen, denen zur richtigen Theorie die Fakten fehlen, sind immer gefährlich.

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Deshalb muss man sich, auch wenn es anstrengt, mit dem beschäftigen, worüber Sido kürzlich in einem Interview mit dem Rapper Ali Bumaye geredet hat. Im Videoformat Ali therapiert geht es zuerst nur um Sidos Autokino-Konzerte und um den verstorbenen Bundeskanzler Helmut Schmidt. Dann aber leider auch um Kinderblut, die Rothschilds und sogenannte alternative Medien.

Die unbekannte Gefahr

Der dauerqualmende Helmut Schmidt sei nicht am Rauchen gestorben, sagt Sido an einer Stelle des Gesprächs. "Vielleicht hat er Kinderblut getrunken." Sido lacht. Es wäre eine zusammenhanglose Bemerkung, käme danach nicht noch mehr. Ob er daran glaube, fragt Ali Bumaye, und Sido spinnt das Thema weiter. "Dass Kinder auf unerklärliche Weise verschwinden?" Da gebe es Dinge und sehr reiche Leute, die keine Ahnung was machen. Er glaube schon daran, dass so was sein kann.

Ob bewusst oder nicht spielt Sido hier auf die QAnon-Theorie an. Sie behauptet, eine geheime Elite aus Politikern und Prominenten entführe Kinder und foltere sie in unterirdischen Katakomben. Auch Xavier Naidoo berichtete in einem Video von geheimen Mächten, die Kinderblut als Verjüngungskur verkaufen würden.

So konkret wird Sido nicht. Er überlässt es dem Publikum, sich das ganze Ausmaß des Bösen vorzustellen. Wie ein Horrorfilm, in dem das Monster sein Opfer immer außerhalb des Kamerasichtfelds zerfleischt und für den Zuschauer deshalb um so furchteinflößender wirkt. Die Fantasie füllt den Raum, den die fehlenden Fakten hinterlassen.

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Der gemeinsame Feind

Immer wieder nimmt Sido Ali Bumayes Unsinnsvorlagen dankend auf. Nur einmal widerspricht er. Als Bumaye über Donald Trump sagt, dass ein Typ, der in den Medien so abgelehnt werde, eigentlich gut sein müsse – zumindest habe er diese Theorie gehört. Das geht Sido offenbar doch zu weit: "Ja, aber nicht die Medien sagen das, du hörst ihn ja selber hetzen." Davon abgesehen bedient Sido jedoch eine unter Verschwörungsfans verbreitete Behauptung: Eine geheime Elite will "uns" klein halten und kontrolliert alles.

"Wir sind nix", sagt Sido, nur durch "Vetternwirtschaft" oder weil man in einer "Bruderschaft" sei, spiele man in "diesen Liegen" mit. Was er genau damit meint, lässt er wieder offen, aber Stichwortgeber Bumaye hilft. "So Rockefeller und so?", fragt er. "Alteingesessene Familien, die alten Clans", sagt Sido und lacht. Es braucht einen Feind, auf den sich alle einigen können.

Dieser Feind, diese Elite, deutet Sido an, kontrolliere auch die Medien. "Die großen Medien sind unterwandert. Die gehören alle einem reichen Typen und der wird immer dafür sorgen, dass er und seinesgleichen geschützt werden", sagt Sido und bedient dabei die "Lügenpresse"-Brüllchor-Rhetorik von Pegida und AfD.

Antisemitismus und Rap

Auf Xavier Naidoo angesprochen sagt Sido, dass der ja aus dieser "Frankfurt-Ecke" sei. Er kenne auch andere Rapper aus dieser Ecke, die ihm von komischen Leuten erzählt hätten. "Der alte Rothschild", sagt Sido in Anspielung auf die jüdische Bankiersfamilie, habe früher einen Sohn nach Frankfurt geschickt. "Deshalb ist Frankfurt auch eine Börsenstadt."

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Hier zeigt sich ein Missverständnis, dem auch Linke manchmal verfallen: Hinter der Vorstellung einer uns kontrollierenden Geheimelite steht keine Kapitalismuskritik. Sondern Antisemitismus. Seit Jahrhunderten werden Juden verfolgt und getötet wegen der schieren Behauptung, sie hielten das Finanzsystem in ihren Händen. Auch die Nazis begründeten so ihren Massenmord an den Juden. Immer noch verbreiten einige Musiker den Mythos weiter. Was Sido da verbreitet, ist kein wirrer, ironisch zu verdauender Quatsch. Es ist alte, mörderische Ideologie.

Xavier Naidoo schwafelt seit Langem vom "Finanzjudentum" und Rapper wie Haftbefehl und Olexesh warfen vor fünf Jahren schon den Namen der jüdischen Bankiersfamilie Rothschild in die Runde, als Synonym für die, die das Geld in ihren gierigen Krallen halten. Auch die wirre Behauptung, eine verschworene Gruppe – meist Juden – saufe Kinderblut, ist eine mittelalterliche, antisemitische Legende. All das wurde schon zigfach an anderer Stelle erklärt. Deshalb hätte es auch Sido mitbekommen können: Antisemitismus bleibt Antisemitismus, auch wenn man ihn nur andeutet.

Fehlende Distanzierung

Er wolle nicht zu viel darüber reden, "sonst setzen mir Leute noch den Aluhut auf", sagt Sido. Alles, was er sage, seien aber Fakten. Das ist genau das Problem. Sido bezieht keine klare Stellung gegen die Unsinnsvorlagen, die Ali Bumaye ihm laufend liefert. Er windet sich durch das Gespräch, lässt alles offen, deutet an – und behauptet dennoch: alles Fakten.

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