Politik

Die Bundesregierung wirbt fürs Deutschsein – und scheitert grandios

30 Jahre nach dem Mauerfall sollen wir ironisch in Patriotismus geschult werden.
Jemand läuft mit weißen Socken in Birkenstock

Zwei Männerbeine, weiße Socken, Sandalen. Dazu der Text: Das ist sooo deutsch. Mit solchen Plakaten stimmt die Bundesregierung auf das kommende Jubiläum ein – 30 Jahre Mauerfall am 9. November. Allerhand Klischees werden da plakatiert, von Dackeln über FKK-Badegäste bis zu einem Rentner, der seine Gartenzwerge ins Fenster stellt. Rechts oben prangt von jedem Plakat ein Herz in Schwarz-Rot-Gold. "Deutschland ist eins: vieles" heißt die Kampagne. Sie soll also Vielfalt abbilden und so auf ironisch gebrochene Art und Weise den Patriotismus fördern. Und daran, wie verklemmt dieser Satz ist, merkt man auch, wie schwer Deutschland sich immer noch darin tut, deutsch zu sein.

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Der Mauerfall ist eines dieser seltenen Ereignisse, bei dem sich fast alle einig sind: war gut so. Selbst wer die deutsche Wiedervereinigung für eine schlechte Idee hält oder die BRD oder die DDR wiederhaben möchte, wird zumeist sagen: Mauer und Schießbefehl waren eine miese Nummer. Die Bilder von glückstrunkenen Menschen mit schrägen Dauerwellen und fetzigen Jacken, die auf der Mauer schunkeln, gingen um die Welt wie nichts aus Deutschland seit Adolf und dem Golf von VW. Ein solches Mauer-Bild findet sich nun auch in der Plakataktion der Bundesregierung. Untertitel wieder: "Das ist sooo deutsch." Schade eigentlich. Denn so kann man auch noch den schönsten Moment ins Lächerliche ziehen.

Der ironisierte Patriotismus ist neben dem Fußball-Patriotismus offenbar die zweite Spielart von Heimatliebe, die in Deutschland irgendwie durchzugehen scheint. Das Bundesland Baden-Württemberg wurde vor ein paar Jahren für den Slogan "Wir können alles. Außer Hochdeutsch" ziemlich gefeiert. Aber seither ist viel Zeit vergangen. Und eine generelle Imagekampagne eines Bundeslandes ist etwas anderes als ein Anlass, der bei vielen in Deutschland Emotionen weckt. Oder wie sollen sich Menschen fühlen, die für den Mauerfall auf die Straße gegangen sind und nun lesen dürfen, das sei "sooo deutsch"?

Die meisten Plakate zeigen eher konservativ und ländlich geprägte Menschen, Bilder, Verhaltensmuster. Funkenmariechen. Rhein. Leuchtturm. Sie zeigen ein ländliches Deutschland, dessen Stadtbewohner sich seit Jahren fragen, warum es eine rassistische Partei in Parlamente hievt, mit Nationalflaggen durch Sachsen marschiert oder das Internet mit Hassbotschaften vollschreibt. Genau dieses Deutschland aber fühlt sich von der Kampagne nun vielfach schlichtweg verarscht und provoziert, wie Online-Kommentare und Artikel auf rechten Blogs zeigen, die wir lieber nicht verlinken wollen. Und so stachelt ausgerechnet der Anlass 30 Jahre Mauerfall die Deutschen noch weiter gegeneinander auf.

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Ein einziges Plakat übrigens zeigt einen Dönerverkäufer mit Dönerspieß, Dönermesser und Dönerverkäufer-Lächeln. Um es mal im Stil der Bundesregierung zu sagen: Das ist ja sooo Quoten-Kanake.

Man kann's nicht allen Recht machen

Vielleicht haben die Macher der Kampagne aber auch einfach zu kompliziert gedacht. Zu dem Poster mit den weißen Socken und Sandalen gibt es im Netz auch ein Video. Dort ist dann zu sehen, dass hier kein Kleinbürger aufs Korn genommen wird, sondern ein bärtiger Hipster mit Man-Bun. All das aber erfährt der Kleinbürger nicht, wenn er einfach nur das Plakat in seiner Bushaltestelle kleben sieht. Was ist eine Plakatkampagne, die nur funktioniert, wenn man sich später das dazugehörige Video im Netz reinzieht? Ja, genau: schlecht.

Ironisch gebrochener Patriotismus ist ein Widerspruch in sich. Patrioten sind zumeist mit sehr wenig Humor gesegnet, vor allem wenn es um ihre heiß geliebte Nation geht, das begreift jeder, der mal auf einer ihrer Zusammenrottungen war. Solche Plakatkampagnen kommen ihnen deshalb logischerweise vor wie Hohn, während junge, linke, aufgeklärte Menschen sich ohnehin irritiert von Plakaten abwenden, die mit schwarz-rot-goldenen Herzen verziert sind. Was Ausländer und Menschen mit Migrationshintergrund von einer Kampagne halten sollen, in der der einzige Nicht-Biodeutsche happy Döner vom Spieß wetzt, kann sich jeder denken. Wer es allen Recht machen will, macht am Ende keinen glücklich.

Entweder man traut sich, schöne Momente deutscher Geschichte ungebrochen in Erinnerung zu rufen: Mauerfall, Weltmeistertitel, Willkommenskultur. Oder eben nicht. Aber pseudo-ironischen "Sooo Deutsch"-Patriotismus braucht 30 Jahre nach dem Fall der Mauer echt kein Mensch.

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