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Popkultur

So überlebst du die erste Stunde nach einem Atomangriff

Wir haben Experten gefragt.
Foto: Wikimedia Commons | Gemeinfrei

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Es gab mal ein paar schöne Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte, da galten Atombomben als Relikt des Kalten Kriegs. Die Arsenale der USA und Russlands waren zwar auch in dieser Zeit groß genug, um die Menschheit gleich mehrmals auszulöschen, aber ein Unfall durch die heillos veraltete Technik schien wahrscheinlicher als ein gezielter Angriff. Tja, die Zeit ist vorbei: Mit dem gar nicht mehr so neuen US-Präsidenten und Nordkoreas vermeintlichen Fortschritten in der Raketentechnik sind Kernwaffen wieder erschreckend aktuell.

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Aber schon lange bevor die Einwohner Guams anfingen, sich mit dem Ernstfall auseinanderzusetzen, haben sich Regierungsbehörden und Katastrophenexperten auf der ganzen Welt mit den möglichen Folgen eines Atomschlags beschäftigt. Allerdings ist das typische Szenario, das die US-Regierung ins Auge fasst, weniger der Angriff mit einer Langstreckenrakete. Hier geht es eher um eine 10 Kilotonnen (KT) Bombe, die von Terroristen in einer Stadt gezündet wird. Zum Vergleich: Die Bombe, die die USA über Hiroshima abgeworfen haben, hatte eine Sprengkraft von 13 KT. Auch die nordkoreanischen Atomsprengköpfe werden auf 10 KT geschätzt.

Die Zeiten von "Duck and Cover" sind lange vorbei. Sich ducken und bedecken reichte ja eigentlich auch damals schon nicht. Heute betreibt die US-Regierung Seiten wie Ready.gov und Experten berechnen im Auftrag der Behörden, was eine solche Detonation in Metropolen wie Los Angeles oder Washington DC anrichten würde.

Angenommen der absolute Ernstfall tritt ein und mitten in deiner Stadt explodiert ohne Vorwarnung eine 10 KT Atombombe. Hier liest du, was in der ersten Stunde nach der Detonation passiert und wie gut es um deine Überlebenschancen steht.


Aus dem VICE-Netzwerk: Zu Besuch im explosivsten Labor der USA


Die ersten 15 Sekunden

Wenn du noch lebst, dürftest du dich mindestens 1,6 Kilometer vom Detonationszentrum entfernt befinden: Eine 10 KT-Bombe macht zwar nicht direkt eine ganze Stadt dem Erdboden gleich, würde aber in der näheren Umgebung für signifikante Schäden sorgen. Laut Irwin Redlener, dem Leiter des National Center for Disaster Perparedness an der Columbia University, sind jetzt alle armen Seelen tot, die sich innerhalb eines 0,8 bis 1,6 Kilometer-Radius um die Bombe befunden haben – in einer Großstadt also schätzungsweise zwischen 75.000 und 100.000 Menschen. Brooke Buddemeier, Strahlenschutz-Physiker am Lawrence Livermore National Laboratory, ergänzt, dass die allermeisten Gebäude in diesem Gebiet auch verschwunden sein würden. Selbst in den Ausläufern dieses Gebiets dürftest du signifikante Schäden sehen.

Die sogenannte "Light Damage Zone", also der Bereich mit leichten Schäden, erstreckt sich dahinter in einem Radius von 1,8 bis 5 Kilometern um das Zentrum der Explosion. Dort zerspringen Scheiben und Glas noch mit genug Wucht, um Menschen ernsthaft zu verletzen, so Buddemeier. Derweil schießt ein Feuerball, heiß wie die Sonne, 8 Kilometer nach oben in die Atmosphäre und reißt Dreck und Trümmer von den einstürzenden Gebäuden mit sich.

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Die Minuten 1 bis 15

Du hast jetzt 10 bis 15 Minuten, um Schutz zu suchen. Buddemeier kann es gar nicht oft genug betonen: Du willst dich nicht im Freien befinden, wenn der ganze Dreck und die Trümmer als Fallout wieder runterkommen. Das Zeug ist jetzt zwar nur noch so groß wie Sandkörner, dafür aber extrem radioaktiv. Es verstrahlt alles, mit dem es in Berührung kommt.

Und eine Strahlenvergiftung ist kein Witz. 1987 stahlen zwei Männer in Brasilien auf der Suche nach verwertbarem Altmetall eine Radiotherapie-Quelle aus einer Teletherapie-Maschine in einem verlassenen Krankenhaus. Sie nahmen sie mit nach Hause, zerlegten sie und verkauften sie an einen Schrotthändler, der sie einem anderen Schrotthändler verkaufte. Dieser war von dem leuchtenden Material so fasziniert, das er es mit nach Hause brachte. Das Ergebnis des sogenannten Goiânia-Unfalls: vier Tote, 249 kontaminierte Personen und mehrere Häuser, die von der brasilianischen Regierung aus Sicherheitsgründen abgerissen wurden. Und das alles nur wegen des funkelnden Inhalts einer Teletherapie-Maschine.

Radioaktive Strahlung ist nicht nur in hohen Dosen tödlich. Es kann auch zu Blasen auf der Haut führen und das Knochenmark schädigen, die Schleimhaut der Lunge und den Verdauungstrakt angreifen. Spätfolgen wie Leukämie gibt es natürlich auch noch.

Also wieder zurück zu unserem Szenario: Überall herrscht Panik. Du gehörst zu den Glücklichen, die weit genug von der Bombe entfernt waren. Herabfallende Trümmer haben dich nicht erschlagen und Glas hast du auch keins abbekommen. Deinen Ford Fiesta, den du nicht weit entfernt geparkt hast, solltest du jetzt aber besser vergessen. Laut Buddemeier kommt die Gammastrahlung problemlos durch die Windschutzscheibe und das dünne Metall moderner Autos. Je mehr Schichten Beton und Ziegel du zwischen dich und den atomaren Fallout bekommst, desto besser. Der radioaktive Staub wird sich vor allem auf den Dächern niederlegen, obere Stockwerke sind also unbedingt zu meiden. Ein Altbau mit dicken Wänden ist nicht verkehrt, genau so wenig wie der mittlere Teil eines großen Bürogebäudes. Tiefgaragen oder U-Bahnstationen und -Schächte eignen sich ebenfalls sehr gut als provisorische Bunker.

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Bild: Lawrence Livermore National Laboratory

Die Minuten 15 bis 60

Du rennst also zum nächsten Bürogebäude, als du im letzten Moment ein paar verängstigte und verlorene Kinder entdeckst. Trotz akuter Strahlengefahr entscheidest du dich, ihnen zu helfen. Gut für dein Karma. Blöd nur, dass diese sandkorngroßen Partikel jetzt zurück auf die Erde und damit deine Haare, deine Kleidung und Schuhe rieseln. Du läufst Gefahr, dir eine ernsthafte Strahlenvergiftung zuziehen. Wie schlimm es um dich steht, hängt davon ab, wie nah du an der Bombe warst und wie schnell du nach der Explosion der Strahlung ausgesetzt warst. "Unsere erste Sorge sind die akuten Effekte", sagt Buddemeier. Wenn ein Mensch in kurzer Zeit einer hohen Strahlenbelastung ausgesetzt ist, muss er sich übergeben. Der Verdauungstrakt reagiert besonders sensibel darauf. Wenn du also wenig später anfängst zu kotzen, ist das ein Anzeichen dafür, dass du eine signifikante (will heißen: potenziell tödliche) Dosis abbekommen hast.

Natürlich brauchst du medizinische Hilfe. Als erste Gegenmaßnahme kann laut Redlener das Pigment Berliner Blau oral verabreicht werden, damit die Strahlung den Körper schneller wieder verlässt. Aber woher bekommen? Es ist fraglich, ob Apotheken damit bestückt sind und von einer Selbstbehandlung mit dem Farbmittel aus dem Künstlerbedarf wird dringend abgeraten. Alles, was du jetzt tun kannst, ist die Partikel von deinem Körper zu entfernen. So lässt sich jedenfalls die Dauer der Strahlenbelastung etwas verkürzen. Zieh deine Klamotten aus und streich dir die Partikel aus den Haaren. Die Dusche funktioniert wahrscheinlich nicht, aber wenn du irgendwo Wasser auftreiben kannst: wasch dich! Sei dabei aber sanft, zu starkes Rubbeln kann die Haut beschädigen und so die kleinen radioaktiven Partikel noch weiter einreiben.

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Nach der ersten Stunde

Jetzt, da du in deinem provisorischen Bunker sitzt, heißt es warten. Die gute Nachricht: Die Strahlung durch den Fallout einer Atombombe zerfällt schnell. Innerhalb der ersten Stunde hat der radioaktive Staub schon die Hälfte seiner Energie abgegeben, nach 24 Stunden sind es 80 Prozent. Wohin die Strahlung vom Wind geweht wird, lässt sich vom Boden aus nur schwer sagen. Wenn irgendwie möglich, warte auf ausgebildete Hilfskräfte.

Auch wenn du in deiner Betonfestung vor der Strahlung ziemlich sicher bist, kann die Situation schnell heikel werden. Wahrscheinlich befindest du dich mit vielen Menschen auf engstem Raum und alle sind hungrig und durstig. Nicht jeder ist so jung, fit und gesund wie du. Versuch die Menschen um dich herum zu beruhigen. Gerade jemand, der auf Insulin oder andere Medikamente angewiesen ist, kann schnell in Panik geraten.

Wenn du Glück hattest, warst du der Strahlung nicht allzu lang ausgesetzt und solltest ohne Langzeitschäden aus der Sache hervorgehen. Wenn du richtig schlau warst, hast du dich sofort in Sicherheit gebracht (natürlich nachdem du die Kinder gerettet hast) und warst nie dem Fallout ausgesetzt. Wenn deine Wohnung weit genug von der Bombe entfernt war, kannst du vielleicht sogar zurück und ein paar Habseligkeiten holen. Verlass dich aber nicht darauf. Die Strahlungswerte in deiner Stadt werden eine ganze Weile lang erhöht sein. Mit der Zeit verschwindet die Vergiftungsgefahr. Wie in Nagasaki und Hiroshima wird das Leben in deiner Stadt irgendwann zur Normalität zurückkehren.

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