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Straßenszene in Leipzig-Connewitz | Alle Fotos: Franziska Lange
Politik

Leipzig-Connewitz und der Linksextremismus: Erst eskaliert die Gewalt, dann die Debatte

Wir haben mit Politikern, Connewitzern, Linksradikalen und Polizei über Sicherheit und Stimmungsmache gesprochen.

In der sächsischen Metropole, in der am Sonntag ein neuer Bürgermeister gewählt wird, tobt seit Monaten eine Debatte – vor allem über den richtigen Umgang mit linksextremer Gewalt. Aber auch über die Frage, ob hier manche eine Gefahr mit Absicht größer machen, als sie ist. Längst sind die Stadt und der alternative Stadtteil Connewitz eine Projektionsfläche für das ganze Land geworden. In der verworrenen Debatte um die Gefahr von links geht vieles durcheinander. Der Versuch eines Panoramas aus Leipzig, der, wie die Bild -Zeitung schreibt, "Hauptstadt des linksextremen Terrors".

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Die Mauer vom Connewitzer Kreuz: Symbol für das ewige Hin und Her

Leipzig Connewitz Graffiti Kreuz Streetballplatz Helmpflicht für Bullenschweine

So sah die Lärmschutzmauer am Streetballplatz Ende Januar 2020 aus – und so sieht sie heute nicht mehr aus

Lärmschutzmauern sollen für Ruhe sorgen. Doch kaum ein Bauwerk hat so viel Lärm verursacht wie die vier Meter hohe Wand hinter dem Streetballplatz am Connewitzer Kreuz. Im Sommer 2014 sprühen Unbekannte drei Sprüche auf die Wand: "Antifa Area", "No Nazis" und "No Cops".

Ein CDU-Stadtrat erklärt zwei Jahre später, dort werde mit Billigung der Stadt "unwidersprochen gegen die Polizei gehetzt". Die Stadt lässt schließlich auch auf Drängen der Polizei die Worte "No Cops" übermalen. Unbekannte sprühen sie wenig später wieder an die Wand. Die Stadt lässt wieder pinseln. Das Graffito erscheint erneut. 17-mal wird es entfernt, 17-mal wird es heimlich wieder aufgetragen. Zeitweise bewachen Polizisten, die sonst bei Geiselnahmen im Einsatz sind, nahezu rund um die Uhr den Platz. Ohne Erfolg.

Die "Sonderkommission Linx": Aktion für Leipzig

In den frühen Morgenstunden des 8. November 2019 wird die Lärmschutzmauer grau gestrichen. Seit zwei Tagen gibt es eine neue Polizeieinheit in der Stadt: die Sonderkommission Linksextremismus, die Soko Linx. Die soll mehr ermitteln als nur den Ursprung von ein paar Graffiti: Brandstiftung, Körperverletzung, Angriffe auf Polizeibeamte.

Rückblick: Anfang Oktober brennen zwei Baukräne auf einer Großbaustelle in Leipzigs Zentrum Südost. Sie drohen umzustürzen. Rauchende Baustoffe nebeln die Straßen ein. Anwohner werden evakuiert.

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Wenige Wochen später klopfen Unbekannte an der Wohnungstür einer Prokuristin, die bei einer Immobilienfirma arbeitet. Sie schlagen ihr ins Gesicht und sollen, so sagt die Prokuristin später, "Schöne Grüße aus Connewitz" gerufen haben. Ihre Firma baut dort Eigentumswohnungen.

Anders als eine kurz zuvor reaktivierte Sonderkommission für rechts motivierte Kriminalität konzentriert sich die Soko Linx allein auf Leipzig. Die Stadt sei seit Jahren "am stärksten mit politisch links motivierten Straftaten belastet", heißt es.

Oberbürgermeister Burkhard Jung begrüßt die Maßnahmen. Dabei ist er nun quasi offiziell Chef einer Problemstadt. Und der bei der Soko-Vorstellung betont ernst drein guckende sächsische Justizminister will seinen Job. Sebastian Gemkow ist Jungs Gegenkandidat für die OB-Wahl in Leipzig.

Der Oberbürgermeister: Plötzlich zwischen den Fronten

Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) vor der Wahl

Burkhard Jung spricht von "Terror", kennt nach eigenen Angaben aber auch eine ganze Reihe Linksautonomer, die zutiefst pazifistisch eingestellt seien

Seit 14 Jahren regiert Burkhard Jung von der SPD in Leipzig. Weil er sich immer wieder eindringlich gegen Neonazis und Pegida-Anhänger positionierte, nannte Der Spiegel ihn einen "Anti-Hetzer". Jetzt sagt Jung: "So wie bei dieser Nazibande, so muss man Gewalt auch aus anderer Richtung deutlich und sichtbar verurteilen." Der Staat müsse Stärke zeigen.

Mit solchen Aussagen unterscheidet sich der Oberbürgermeister kaum von der CDU. Auch er fordert mehr Polizeipräsenz in Leipzig. Die würde zwar nicht gegen linke Gewalt helfen, aber das "Sicherheitsempfinden der Bevölkerung" verbessern. Die Sicherheitsdebatte dominiert den aktuellen Wahlkampf.

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Nachdem es kurz zuvor bei einer linken Demo wieder zu Auseinandersetzungen kam, betitelt die Bild-Zeitung Leipzig als "Hauptstadt des linksextremen Terrors". Wie fühlt sich das für den Bürgermeister an? "Das schadet uns, da wird ohne Verhältnismäßigkeit pauschaliert", sagt Jung. Schon die Connewitzer Silvesternacht sei in einer Art und Weise hochgepusht worden, dass man sich frage, wer damit welche Interessen verfolge.

Jung, der die Attacke auf die Baukräne selbst einen Terroranschlag genannt hat, will differenzieren. Klar, Leipzig sei ein Hotspot für Linksautonome – "und offensichtlich auch für eine bestimmte gewalttätige Szene". Er kenne aber eine ganze Reihe Linksautonomer, die zutiefst pazifistisch eingestellt seien, sagt er. Gewaltfreiheit müsse ohnehin das oberste Prinzip sein.

Angesichts steigender Mieten gebe es "ernstzunehmenden Ängste" in Deutschlands am schnellsten wachsender Großstadt, sagt Jung. Den Tätern hinter den jüngsten Anschlägen gehe es aber nicht darum, Gentrifizierung zu stoppen. "Wer so kriminell agiert, der nutzt das nur aus." Diese Leute hätten sich auch aus dem Dialog mit der Stadtgesellschaft verabschiedet.

Die CDU in Leipzig und Sachsen: Arbeitsteilung auf allen Ebenen

Leipzig CDU Sebastian Gemkow Plakat Baustelle Brandanschlag Prager Straße

Monate nach dem Brandanschlag hängt ein Großplakat der CDU an der Baustelle im Zentrum Südost: "Ein Zeichen, dass sich Leipzig von solchen Anschlägen nicht einschüchtern lässt", sagt Sebastian Gemkow der Welt

Auch mit Ministerpräsident Michael Kretschmer von der CDU hat Burkhard Jung gesprochen, nachdem die Baukräne brannten. Kretschmer sei sehr verständnisvoll gewesen, so Jung, und habe gesagt: "Nein, das ist unsere Aufgabe. Wir dürfen Sie da nicht allein lassen."

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VICE fragt den Ministerpräsidenten nach dem Gespräch, ein ganz normaler Faktencheck. Kretschmer greift unsere Anfrage wenige Stunden später beim politischen Aschermittwoch der CDU Leipzig auf. Ein Onlinemagazin habe ihn gefragt, ob er Jung wirklich gesagt habe, "dass nur der Freistaat Sachsen sich um Connewitz kümmern müsste und die Stadt Leipzig überhaupt nicht".

Dabei haben wir Connewitz mit keinem Wort erwähnt. Er werde uns nicht antworten, sagt Kretschmer in Leipzig, aber er sei der Meinung, "dass wir das nur gemeinsam tun können".

Einen Tag später schreibt sein Sprecher: Der Ministerpräsident habe immer für ein gemeinsames Handeln geworben.

Die Reaktion zeigt ein wenig die Arbeitsteilung, mit der die Union das Thema Sicherheit im Wahlkampf bearbeitet. Innerhalb der Stadt skandalisieren Lokalpolitiker Graffiti und linke Kulturzentren, auf Landes- und Bundesebene zeigen vom Innenminister über den Ministerpräsidenten bis hin zum Bundesinnenminister Horst Seehofer alle mahnend auf Leipzig als "Zentrum des Linksextremismus".

Währenddessen gibt sich Bürgermeisterkandidat Sebastian Gemkow vergleichsweise moderat.

So hat Gemkow sich anders als der Rest der Leipziger CDU für eine weitere Förderung des linken Kulturzentrums Conne Island ausgesprochen. In Interviews betont er, wie gering der Einfluss von Linksextremen auf das Stadtleben sei. Fast bekäme man den Eindruck, Gemkow selbst, der überall damit wirbt, "Leipzig sicherer machen" zu wollen, halte das Thema für aufgebauscht.

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Ein von Gemkow vorgestelltes Maßnahmenpaket zeigt zugleich, wie wenig Einfluss ein Oberbürgermeister überhaupt auf die innere Sicherheit hat.

Vermeintlichen "rechtsfreien Räume" will Gemkow mit gemeinsamen Streifen von Polizei und Stadt-Vollzugsdienst begegnen, dabei gibt es die schon seit zwei Jahren. Ordnung und Sauberkeit sollen schneller durchgesetzt werden, etwa wenn Verkehrsschilder zugeklebt werden. Als könnte man das Extremismus-Problem abkratzen wie Antifa-Sticker vom STOP-Schild. Oder übermalen wie ein Graffiti.

Die Linke: Hassfigur für Hardliner

Hass Graffiti gegen die Polizei in Leipzig Connewitzer RAF

Gegen solche brachiale Sprüche kämpft Jule Nagel, sie will die Kritik an der Polizei versachlichen

Am 1. Januar 2020, in den ersten Minuten des neuen Jahres, greifen am Connewitzer Kreuz mehrere Vermummte Polizeibeamte an. Die Leipziger Polizei meldet noch in der Nacht, Gewalttäter hätten versucht, einen brennenden Einkaufswagen in eine Gruppe Polizisten zu schieben und ein schwerverletzter Beamter sei notoperiert worden. Polizeipräsident Schultze selbst greift in der Pressemeldung einen Twitter-User namentlich an, der geschrieben hatte, Schultze "verheize seine Leute".

Später verschwindet die Namensnennung und die Polizei muss ihre Darstellung teilweise revidieren. Nach Medienberichten über Polizeigewalt prüft die Staatsanwaltschaft, ob sich stattdessen Polizeibeamte strafbar gemacht haben.

Jule Nagel kann sich in dieser Zeit kaum vor Medienanfragen retten. Sie sitzt für die Linken im sächsischen Landtag, hat ihr Wahlkreisbüro in Connewitz. Nagel ist eine offene Kritikerin Schultzes, sagt VICE, der Polizeipräsident habe in der Mitteilung versucht, sich "selbst als moralische Instanz" zu inszenieren.

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Aber auch Nagel selbst steht in der Kritik. An Neujahr hatte sie um 2:18 Uhr getwittert: "Uff. Cops raus aus Connewitz gewinnt nach diesem Jahreswechsel ne neue Bedeutung."

Dieser Tweet sei ein "spontaner, emotionaler Ausdruck" gewesen, sagt Nagel später. Keinesfalls fordere sie selbst, dass es keine Polizisten in Connewitz geben dürfe. Das wird ihr allerdings vorgeworfen, auch weil sie im Dezember an einer Bürgerinnenversammlung teilgenommen hatte, bei der es um die Frage gegangen sei, ob eine Gesellschaft ohne Polizei denkbar ist.

Für Nagel war das ein Beitrag, um den schwelenden Konflikt zwischen Szene und Polizei zu versachlichen. Wer "Cops raus" rufe oder "No Cops" sprühe, müsse auch sagen, wer stattdessen gesellschaftliche Konflikte lösen soll. Sie habe sich damit gegen brachiale Sprüche wie "Polizisten töten" oder "Bullenschweine" gewendet, die seit Jahren von Häuserwänden im Viertel prangen.

Die Menschen, die in Connewitz wohnen, hätten eine lange negative Erfahrung mit der Polizei, sagt Nagel. Aggressiv auftretende Polizisten bei Demonstrationen oder rechte Netzwerke im sächsischen Polizeiapparat spielen ihr zufolge bei vielen im Kopf eine Rolle. Doch vor allem verweist sie auf das Auftreten der Polizei im Viertel – inklusive eigenem Polizeiposten und offensiver Präsenz.

"Da kommt schon der Eindruck, dass polizeiliches Handeln auch politisch motiviert ist", sagt Jule Nagel. Die Polizei stigmatisiere Connewitz.

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Im Sommer 2019 liefen Einheiten der Bereitschaftspolizei in voller Einsatzmontur Streife durch das Viertel. Sie sorgten für verwirrte Blicke bei Familien, die vor der Eisdiele anstanden, oder Menschen, die abends an der Straßenecke beim Feierabendbier zusammensaßen. "Dabei ist die Kriminalitätsrate in Connewitz unterdurchschnittlich", sagt Nagel.

Die Zahlen: Alles andere als eindeutig

Leipzig Connewitz Bild-Zeitung Hauptstadt linksextremer Terror

Für eine erste Bilanz der Soko Linx sei es noch zu früh, sagt das LKA – die 'Bild'-Zeitung ist da weniger vorsichtig

Die Kriminalitätsrate, also die Zahl der erfassten Straftaten pro Einwohner, ist eine von zwei Zahlen, die im Kampf um die Deutungshoheit besonders oft auftauchen. Hier landet Leipzig seit Jahren deutschlandweit auf einem der vorderen Plätze. Die Zahlen schwanken und die Statistiken von LKA und BKA sind nur bedingt aussagekräftig. In Connewitz liegt die Rate allerdings unter dem städtischen Durchschnitt – und das Jahr für Jahr immer deutlicher.

Die Differenz zwischen links und rechts bei den politisch motivierten Straftaten ist die andere Zahl, die oft bemüht wird. Auch von Dirk Münster, dem Leiter der Soko Linx. Dem russischen Propagandasender RT Deutsch erklärt Kriminaldirektor Münster, es gebe eine "mediale Wahrnehmung" von Sachsen, die ein starkes Gewicht auf Rechtsextremismus lege, obwohl bei Gewaltdelikten seit Jahren ein leichter Überhang von links herrsche.

In dem Beitrag wird nicht klar, ob Münster sich bei den Gewaltdelikten auf Sachsen oder Leipzig bezieht. Einen dauerhaften Überhang von links gibt es tatsächlich nur in Leipzig. Aber zählt man alle Straftaten zusammen, also auch Sachbeschädigungen, Volksverhetzung und Propagandadelikte, dann überwiegen wieder jene von rechts – selbst in Leipzig.

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Etwa 250 Fälle bearbeitet die Soko Linx mittlerweile, schreibt eine LKA-Sprecherin auf Anfrage, von den erwähnten Gewaltdelikten bis hin zu einfachen Sachbeschädigungen, also wohl doch wieder auch Graffiti. Eine erste Bilanz werde man erst in den nächsten Monaten ziehen können.

Die Notwendigkeit einer Sonderkommission wird nicht nur mit der Zahl und Schwere der Delikte begründet, sondern auch mit den Tätern selbst. Die gingen sehr planvoll, organisiert und konspirativ vor, heißt es vom LKA. Spuren würden weitgehend vermieden und das Entdeckungsrisiko möglichst gering gehalten. Diese Beschreibung passt aber auf so ziemlich jeden Straftäter, der darauf bedacht ist, nicht sofort im Knast zu landen.

Hinweise, dass die Täter hinten den schweren Straftaten wie Brandstiftungen und Angriffe auf öffentliche Gebäude aus Connewitz stammen, sind zumindest öffentlich nur in den wenigsten Fällen bekannt.

Der Kultur-Veteran: Genervt vom Hin und Her

Leipzig Connewitz Werk 2 linkes Kulturzentrum

Im Werk 2 war schon Ministerpräsident Kretschmer, dennoch wird auch das linke Kulturzentrum in die Extremismus-Debatte hineingezogen

Jürgen Ackermann beschert der Blick in die Zeitung gerade deutlich Puls. Dass überall von Connewitz die Rede sei, sagt er, "das kotzt nur noch an". Ackermann ist in Connewitz aufgewachsen, lebte zwischendurch im damals noch von Neonazis geprägten Leipziger Osten, kam dann in den 90er Jahren zurück ins Viertel.

Die Linksextremismus-Debatte beschäftigt ihn schon lange, denn Ackermann ist Vorsitzender der Kulturfabrik Werk 2. Im Kommunalwahlkampf der CDU wurde sein Verein kurzzeitig als "demokratiefeindliche Institution" geführt und Fördermittel in Frage gestellt. Der Vorwurf: Auf Veranstaltungen im Kulturzentrum seien linksextremistische Bemühungen unterstützt worden.

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Im Werk-Programm haben Punkbands ebenso Platz wie deutsche Weinmessen und Depeche-Mode-Partys. Im Dezember 2019 schlenderte Ministerpräsident Kretschmer mit seiner Lebensgefährtin über den hauseigenen Weihnachtsmarkt. Dass es der CDU bei ihrer Kritik wirklich um die Kulturfabrik gehe, glaubt Ackermann nicht.

"In der Diskussion geht es nur noch um Linksradikalismus, Linksterrorismus, Gewalttäter", sagt Ackermann. Eine alternative Kulturszene, ein diverser Stadtteil, solidarische Zusammenhänge oder Umgang mit den Menschen untereinander spiele keine Rolle. Connewitz sei eine Projektion, die einige für ihre Zwecke aufbauschen, ein Sinnbild für das Widerständige, das Leipzig innerhalb Sachsens verkörpert, sagt Ackermann.

Rechte haben es in Leipzig schwer. Der örtliche Pegida-Ableger ist in Leipzig grandios gescheitert ist. Auch weil sich Orte wie das Werk 2 engagierten. "Aber das wird uns immer vorgeworfen", sagt Ackermann. Dabei hatte selbst Oberbürgermeister Jung den Gegenprotest unterstützt.

Der Polizeipräsident: Kommunikation überarbeitet

Leipzig Polizei läuft Streife Eisenbahnstrasse

Ein eher ruhiger Einsatz: Drei Polizeikräfte laufen Streife auf der Eisenbahnstraße

Ende Februar werden zwei Sprecher der Polizei Leipzig versetzt. Den Grund dafür nennt die Behörde nicht. Interviewanfragen an Polizeipräsident Torsten Schultze koordiniert jetzt eine Polizeihauptkommissarin, die vorher schon für das LKA gesprochen hatte. Dass das sächsische Innenministerium bei dem Wechsel zwischen ihr und ihrem Vorgänger nachgeholfen habe, bestreitet Schultze.

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Nach Silvester wurde unter Journalistinnen und Journalisten einmal mehr diskutiert, ob die Polizei in Deutschland eine privilegierte Quelle sei oder nicht, sprich: Ob Medien sich darauf verlassen können, dass Informationen, die die Polizei verbreitet, korrekt sind.

Die Frage stellt sich offenbar auch die Leipziger Polizei selbst. Die neue Polizeisprecherin sagt, ihr Team wolle bei Polizeimeldungen "noch gründlicher" arbeiten, auch wenn das bedeute, an Schnelligkeit einzubüßen. Was Kollegen vor Ort berichten, könne Tatsache sein, "oder Meinung, und deshalb gefärbt".

In der Diskussion rund um den Silvester-Einsatz betont Polizeipräsident Schultze, überregionale Medien seien an Silvester selbst nicht vor Ort gewesen waren, sie hätten von "Meinungsäußerungen Einzelner gelebt". In Connewitz seien in dieser Nacht schwerste Straftaten begangen worden, "darüber sollte Einigkeit herrschen". Seine Beamten seien mit Steinen, Flaschen, Feuerwerkskörpern beschossen wurden. Schultze fragt: "Erwartet die Gesellschaft von der Polizei, dass sie da wegläuft oder dass sie Täter stellt?"

OB Jung will Schultze dennoch persönlich gefragt haben, ob die Polizei seit einigen Monaten eine neue Strategie verfolge und offensiver in Situationen hineingehe. Bürgerinnen und Bürger hätten ihm das so berichtet. Der Polizeipräsident bestätigt, mit Jung dazu gesprochen zu haben, könne sich an konkrete Fragen aber nicht mehr erinnern. Eine neue Taktik habe man nicht. "Wir gehen bei jedem Einsatz deeskalativ vor." Auch wenn gerade Wahlkampf herrscht. Der, so Schultze, sei für seine Polizei ohnehin "zweitrangig".

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Der Polizeipräsident sagt auch: "Wir haben kein Linksextremismus-Problem in Connewitz, sondern in der gesamten Stadt." Connewitz sei ein bunter Stadtteil, in dem wohl auch seine Kollegen abends mal was trinken gehen würden. "Solche Ereignisse wie Silvester bringen den ganzen Stadtteil in Verruf", sagt Schultze, "das hat Connewitz nicht verdient."

Die Polizei-Kritikerin: Eher vernünftig als extrem

Leipzig Copwatch No Cops Graffiti Lisa Loewe Linksradikale

Das Viertel rund um die Eisenbahnstraße im Leipziger Osten ist wohl der Ort in ganz Sachsen, an dem Weiße Menschen nicht das Straßenbild bestimmen. An einem Dienstagabend im Juli 2019 demonstrieren hier spontan rund 500 Menschen gegen die Abschiebung eines jungen Syrers. Verhindern können sie diese nicht.

Als eigentlich schon alles vorbei zu sein scheint, eskaliert die Situation. Videos zeigen, wie Polizeibeamte einzelne Personen jagen und erst wieder von ihnen ablassen, als diese zu Boden gehen. Mehrere Menschen werden teils schwer verletzt. Anwesende Politiker und Journalisten werfen der Polizei unnötige Gewalt vor.

Die Sprecherin von CopWatch Leipzig nennt sich Lisa Loewe. CopWatch ist eine linksradikale Gruppe, "da legen wir Wert drauf", sagt Loewe. Wenn sie die Polizei kritisiert, gehe es ihr nicht um einzelne Vorfälle, sondern um systematische Probleme. "Unser Ziel ist es, das Problem von rassistischen Übergriffen und Polizeigewalt insgesamt zu beenden", sagt Loewe.

Die Ereignisse rund um die Abschiebung nennt sie exemplarisch dafür, wie der Staat Handlungsfähigkeit demonstriere. Zwei jungen Männern ohne deutsche Staatsbürgerschaft wirft die Polizei vor, Flaschen geworfen zu haben. Beide sitzen monatelang in Untersuchungshaft. Loewe steht in engem Kontakt mit ihnen, seit Januar begleitet sie die Gerichtsverhandlung. Die Anklage nennt sie "deutlich politisch motiviert".

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Die Polizei habe sich als politischer Akteur verselbstständigt, kritisiert Loewe. Wenn Menschen "Cops raus" fordern, müsse man das als emotionale Reaktion auf dieses Bedrohungsgefühl sehen. "Das kann ich nachvollziehen", sagt Loewe.

Die politischen Forderungen von CopWatch klingen wenig militant: Die Gruppe fordert unter anderem eine unabhängige Beschwerdestelle, Kennzeichnungspflicht und Kommunikationstrainings für Polizisten. Es fehle an einer transparenten Fehlerkultur. "Das ist demokratieschädlich", sagt Loewe.

So hatte Sachsens Innenminister Wöller nach der eskalierten Abschiebung bereits öffentlich "Gewalt gegen Polizeibeamten" beklagt, noch bevor die Polizei überhaupt vermeldet hatte, was aus ihrer Sicht passiert war.

CopWatch, sagt Loewe, macht keine Aktionen, die strafrechtlich relevant wären, und damit auch keine militanten. Über die Gewalt gegen die Prokuristin will sie aber nur als Einzelperson, nicht als Vertreterin von CopWatch sprechen. Es sei eigentlich ein allgemeiner Grundsatz, keine Gewalt gegen Personen auszuüben. "Dieser Hausbesuch hat uns allen und vor allem der Betroffenen sehr geschadet. Das hätte weder sein müssen noch sein sollen."

Die gewaltbereiten Autonomen: Wenig redselig

Für diesen Text wollten wir auch mit Menschen sprechen, die Gewalt gegen Menschen und Sachen OK finden – zumindest als ein Mittel der politischen Auseinandersetzung. Die sich zumindest teilweise selbst als "Autonome" identifizieren. Es ist diese Gruppe, über deren Denken und Handeln wohl am stärksten diskutiert wird. Ihre Stimme ist fast nie zu hören.

Zwei Personen erklären, mit uns sprechen zu wollen. Das zugesicherte Gespräch wird kurzfristig abgesagt. Intern sei man sich nicht einig über die Sinnhaftigkeit eines Interviews.

Als VICE Polizeipräsident Schultze von dem gescheiterten Gesprächsversuch berichten, erwidert der: "Wir als Polizei unterliegen der parlamentarischen Kontrolle. Wir müssen da Rede und Antwort stehen. Die andere Seite sagt Nö. Das ist ein ungleicher Kampf."

7. Februar: Die Lärmschutzmauer hinter dem Streetballkorb strahlt wieder in frischem Grau. In der übernächsten Nacht wollen zwei junge Männer den ursprünglichen Schriftzug wiederherstellen. Sie kommen bis "ANT". Dann stellt sie die Polizei. Zum ersten Mal in sechs Jahren hat sie Sprayer erwischt.

Update vom 2. März, 12 Uhr: Für diesen Text haben wir auch ein Interview mit dem Leipziger Polizeipräsidenten Torsten Schultze geführt, für das eine Autorisierung vereinbart wurde. Da diese vor Veröffentlichung nicht möglich war, haben wir seine Aussage nun ergänzt.

Die Wahl zum Oberbürgermeister hat Burkhard Jung am Sonntag knapp gewonnen. Sebastian Gemkow erhielt 1,5 Prozentpunkte der Stimmen weniger.

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