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Popkultur

'Avengers: Infinity War' ist ein guter Film – den man eigentlich nur hassen kann

Es gibt nur eine angemessene Reaktion auf den neuesten Marvel-Blockbuster: Was. Zur. Hölle.

Als ich am Donnerstag die erste Nachmittagsvorstellung von Avengers: Infinity War betrete, bin ich euphorisch. Epische CGI-Schlachten, dumme Witze und mehr Superhelden in einem Film als musterüberladene Onesies bei Primark – what’s not to love? Zweieinhalb Stunden später verlasse ich den Kinosaal als körperlich und emotional gebrochener Mensch. Was zur Hölle ist da gerade passiert?

(Es ist nahezu unmöglich, eine Einschätzung zu diesem Film zu schreiben, ohne irgendetwas zu verraten. Auf Twitter gibt es deswegen den Hashtag #thanosdemandsyoursilence. Ein amerikanischer Autor hat seiner Zerrissenheit zwischen Review mit Mehrwert und möglichen Spoilern, die allen anderen alles kaputt machen, sogar einen Artikel gewidmet. Aber keine Angst, wir verzichten auf Spoiler. Ihr könnt also beruhigt weiterlesen.)

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Dass der dritte Avengers-Film alles ein bisschen größer und dramatischer machen würde als seine Vorgänger, war abzusehen. Schließlich hatte sich die Geschichte um Oberbösewicht Thanos über Jahre und diverse Marvel-Filme hinweg aufgebaut – und wird auch über zwei Avengers-Filme hinweg erzählt werden, mit Infinity War als erstem Teil. Der zweite Teil soll im April 2019 erscheinen.

Thanos ist in jedem Fall auf der Suche nach den sogenannten Infinity-Steinen, deren Besitzer unter anderem Raum und Zeit kontrollieren kann. Befinden sich alle sechs in seinem Besitz, ist er von niemandem mehr aufzuhalten und kann endlich seinen Plan in die Tat umsetzen: die Hälfte der überbevölkerten Galaxie durch ein Fingerschnipsen auslöschen.

Wie genau das funktionieren soll und nach welchen Kriterien die Infinity-Steine entscheiden, wer am Leben bleiben darf, wird nicht erklärt. Ist aber auch nicht so wichtig. Vielmehr geht es darum, eine Bedrohung zu schaffen, die so groß ist, dass sich die Avengers mit anderen Superhelden des Marvel-Universums zusammenschließen müssen – darunter Guardians of the Galaxy, Black Panther und Doctor Strange. Der feuchte Traum eines jeden Fans, aber eben auch die ultimative Gelddruckmaschine.

Damit auch wirklich jeder vermarktungsrelevante Charakter genug Screentime bekommt, haben die Verantwortlichen die Heldinnen und Helden zu neuen Gruppen zusammengewürfelt. Die einzelnen Storylines laufen über große Teile des Films komplett unabhängig voneinander nebeneinander her, der einzige rote Faden ist Thanos. Mit allen potenziellen Subplots hätte man locker fünf Serienadaptionen für Netflix füllen können. Das bedeutet allerdings auch, dass sich Infinity War stellenweise so anfühlt, als würde man alle zehn, fünfzehn Minuten eine komplett andere Geschichte sehen, die rein zufälligerweise denselben Antagonisten hat.

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Das lenkt von den zum Teil absurd großen Logiklücken im Plot ab, wie der Frage, warum Thanos bereits seit Jahren verzweifelt nach den Infinity-Steinen suchen muss, wenn er sie in Infinity War mit einer Leichtigkiet einsammelt, als würde er Erstklässer abziehen. Bedeutet aber auch, dass uns als Zuschauern kaum eine Chance gelassen wird, uns wirklich in eine Story hineinzufühlen.


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In welchen der Dutzenden Subplots sollen wir uns nun hineinfühlen und mitfiebern? In das Ego-Battle zwischen Doctor Strange und Iron Man? Thanos’ immer wieder durchscheinende Verletzlichkeit? Spider-Mans verzweifelten Versuch, seinen Mentor Tony Stark stolz zu machen? Die etwas undurchsichtige Liebesgeschichte zwischen Gamora und Star-Lord, die durch ihre Familiengeschichte beinahe wirkt wie Meine Braut, ihr Vater und Ich – nur eben mit Massenmord? Und welches Problem gibt es eigentlich zwischen Bruce Banner und seinem grünen Alter Ego Hulk? Egal, Zeit, über irgendetwas nachzudenken, lässt Avengers: Infinity War sowieso nicht.

Wenn sich der Wert eines Kulturguts daran misst, wie viel Einfluss es auf die Gesellschaft hat, wie sehr es Menschen bewegt, dann dürfte der Avengers-Teil schon jetzt einer der wichtigsten Filme des Jahres sein.

Eben noch zeigt der Film eine absurde Szene, in der sich Star-Lord von Thors Männlichkeit eingeschüchtert sieht und versucht, tiefer zu sprechen. Dann gibt es eine weitere Schlacht, die aussichtslos scheint, bis dann doch wieder etwas passiert, was den Helden trotz zum Teil unglaublich dämlicher Pläne den Arsch rettet. Und zwischendrin dürfen sich Scarlet Witch und Vision noch einmal ihre Liebe gestehen, die zum Scheitern verurteilt scheint, da der Android einen Infinity-Stein mitten auf der Stirn trägt.

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Die tonale Dissonanz zwischen den einzelnen Storylines mag insofern Sinn ergeben, als dass die eine Gruppe ja gar nicht wissen kann, dass ihre Superheldenkollegen gerade dem Tod ins Auge blicken. Aber wir als Zuschauer wissen es, wodurch diese Aneinanderreihung vermeintlich monumentaler und epischer Momente irgendwann doch etwas sehr ziellos wirkt.

Ebenjene Reizüberflutung ist es allerdings auch, die Avengers: Infinity War zu einem beeindruckenden Kinoerlebnis macht. Der Film hat von allem so viel, ist so beeindruckend ambitioniert und laut und schnell, dass man gar nicht anders kann, als am Schluss mit weitaufgerissenen Augen aus dem Saal zu stolpern und sich zu fragen, was zur Hölle man da gerade gesehen hat. Und das liegt nicht zuletzt auch am Schluss, der allem widerspricht, was wir von Superheldenfilmen kennen und erwarten.

Als der Abspann beginnt, herrscht im Kinosaal Totenstille. Jeder hier weiß, dass er auf die Auflösung der Geschichte noch mindestens ein weiteres Jahr warten muss. In Anbetracht dessen, was da gerade passiert ist, unvorstellbar. Ich fühle mich nach fast drei Stunden Emotionsachterbahn körperlich ausgelaugt. In der Sitzreihe hinter mir macht ein Mann laute Geräusche, die verdächtig danach klingen, als versuche er, ein Schluchzen zu unterdrücken. Als eine Mutter ihren Sohn erwartungsvoll fragt, ob ihm der Film gefallen habe, starrt der sehr lange wortlos ins Nichts. Dann nickt er zögerlich.

Hat Marvel mit Avengers: Infinity War also ein cineastisches Meisterwerk abgeliefert? Wen interessiert’s. Wenn sich der Wert eines Kulturguts daran misst, wie viel Einfluss es auf die Gesellschaft hat, wie sehr es Menschen bewegt, dann dürfte der Avengers-Teil schon jetzt einer der wichtigsten Filme des Jahres sein.

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