Popkultur

"Russian warship, go fuck yourself": So entstand das legendäre Meme

Am Kriegsanfang wollte Russland eine kleine ukrainische Insel einnehmen. Der Schuss ging nach hinten los.
Briefmarke zeigt einen ukrainischen Soldaten, der einem russischen Kriegsschiff den Mittelfinger zeigt. Aus dem Angriff Russlands auf die Schlangeninsel ist ein Meme geworden, das mittlerweile viele Veränderungen mitgemacht hat
Bild: Boris Groh / Ukrainische Post
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Die Schlangeninsel im Schwarzen Meer ist eigentlich kein bedeutendes Stück Fels. Sie hat zwar einen gewissen strategischen Wert, der aber in keinem Verhältnis dazu steht, dass ein Großteil der Weltöffentlichkeit sie mittlerweile kennt und "Attack on Snake Island" einen eigenen Wikipedia-Eintrag hat. Der Grund dafür ist klassische Propaganda – in ihrer schönsten Form. 

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Der Angriff auf die Schlangeninsel hat nämlich einen Slogan hervorgebracht, der viele Wochen lang den Widerstand der ukrainischen Armee gegen die russischen Angreifer symbolisierte und zu einem einflussreichen Meme wurde. Und dieses Meme hat mittlerweile einige Plottwists mitgemacht. Aber der Reihe nach.

Am 24. Februar 2022 hat Russland die Ukraine angegriffen. Am selben Tag fand auch der Angriff auf die Schlangeninsel statt: ein kleines, felsiges Stück Land vor der rumänischen Küste, recht weit vom ukrainischen Festland entfernt. Russland schickte einige Kriegsschiffe zur Insel, um sie einzunehmen. Darunter das Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte, die Moskwa.

Von ihr ging ein Funkspruch an die ukrainischen Grenzsoldaten, auf Russisch: 

Moskwa: "Schlangeninsel, ich, das russische Kriegsschiff, wiederhole das Angebot: Legt die Waffen nieder und ergebt euch oder ihr werdet bombardiert. Habt ihr mich verstanden? 

Ukrainer 1: "Das war’s dann wohl. Oder sollen wir ihnen sagen, dass sie sich ficken sollen? 

Ukrainer 2: "Warum nicht?"

Ukrainer 1: "Russian warship, go fuck yourself."

Ukrainer 1 ist Roman Hrybov, dessen Spruch ikonisch werden sollte: "Russian Warship – Go Fuck Yourself". Auch weil Hrybovs Satz der letzte blieb, bevor Russland die Insel bombardierte. Ein Audiomitschnitt wurde bald in den sozialen Medien verbreitet, vor allem bei YouTube, wo das Video innerhalb von 24 Stunden fast 900.000 Views sammelte. 

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Einer der Soldaten streamte die letzten Momente vor dem Angriff live, was auch dazu beitrug, dass der Vorfall auf der Schlangeninsel bald um die Welt ging.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gab noch am selben Tag bekannt, dass alle 13 Soldaten auf der Insel umgekommen seien, und erklärte, dass er sie zu "Helden der Ukraine" ernennen wolle – die größtmögliche staatliche Ehrung.

Wer seitdem auf einer der zahlreichen Demonstrationen anlässlich des Kriegs in der Ukraine war, wird mit Sicherheit Plakate mit dem Slogan "Russian Warship – Go Fuck Yourself" gesehen haben. Immer wieder nutzen Ukrainer Varianten des Spruchs, wenn sie auf russische Soldaten treffen. Und natürlich gab es bald die ersten Memes:

Diese waren allerdings noch wenig kreativ: Das erste, das viral ging, war das Bild der Schlangeninsel mit dem Spruch "Russian Warship – Go Fuck Yourself". 

Bald kamen die gängigen Meme-Muster hinzu, etwa der bärtige Meme-Charakter Chad, der die harten Ukrainer repräsentieren sollte, und der weinende oder sich überlegen wähnende Wojak, der für die Russen stand: 

Die 13 Soldaten auf verlorenem Posten gegen eine Übermacht der russischen Armee, der Mut im Angesicht des drohenden Todes, bereit ,das eigene Land bis zum letzten Moment zu verteidigen – das sind die Geschichten, die eine Nation brauchen kann, die gerade von einer militärischen Übermacht überfallen wurde. 

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Die historischen und mythischen Analogien waren also schnell gefunden. Die muskelbepackten Hyper-Machos aus Sparta etwa, die sich den Persern an den Thermopylen entgegenwarfen. Oder die Verteidiger des Forts Alamo im Texanisch-Mexikanischen Krieg mit ihrem Spruch: "Remember the Alamo!" Die Soldaten der Schlangeninsel waren Helden. Und die Russen Loser.

In den Memes wird auch auf die Saporoger Kosaken verwiesen. Ihnen wird die erste ukrainische Staatsgründung zugeschrieben. Als der türkische Sultan im 17. Jahrhundert ihre Unterwerfung forderte, antworteten sie mit einem Brief voller Beleidigungen.

Das Bild bekam erste Risse, als Russland bekannt gab, dass es die ukrainischen Soldaten der Schlangeninsel gefangen genommen habe. Niemand sei dabei gestorben. Das klang anfangs natürlich nach russischer Propaganda, wurde aber bald auch von der ukrainischen Regierung bestätigt. Die Helden der Schlangeninsel waren also nicht für ihr Vaterland gestorben wie Leonidas und seine Recken an den Thermopylen. Aber Helden blieben sie dennoch, wenn auch in Kriegsgefangenschaft.

Und mittlerweile nicht einmal mehr das. Inzwischen wurden nämlich mehrere der Soldaten im Rahmen eines Gefangenenaustauschs freigelassen – wobei sie laut Russland vorher unterschrieben hatten, dass sie sich fortan nicht mehr an Kampfhandlungen gegen Russland beteiligen würden. Zu Helden der Ukraine wurden sie also doch nicht erklärt, doch zumindest Roman Hrybov, der Soldat, der der Moskwa die anfangs zitierten Unflätigkeiten zufunkte, ist mittlerweile mit einem Orden ausgezeichnet worden.

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Natürlich wollte die ukrainische Regierung den Propagandaerfolg des "Go Fuck Yourself" nicht einfach verpuffen lassen: Erst lobte sie am 1. März einen Wettbewerb für das beste Motiv aus, das den Schlangeninsel-Vorfall vom 24. Februar thematisierte, und ließ dann eine Briefmarke davon drucken. 

Ein Sieger war bald gefunden, ein Künstler, der auf der Krim aufgewachsen war, nach der völkerrechtswidrigen Annexion durch Russland aber nach Kiew und später Lviv ziehen musste. Am 12. April wurde die erste Auflage der Marke veröffentlicht. Sie zeigt im Hintergrund die Moskwa auf dem Meer und im Vordergrund einen ukrainischen Soldaten, der dem Schiff den Mittelfinger zeigt. Im Prinzip ein Meme für sich.

Am nächsten Tag schon bot die Moskwa, das sich zu fickende Kriegsschiff, den nächsten Propagandaerfolg mit ihrem Untergang. Russland macht dafür einen Unfall und einen Sturm verantwortlich, den sonst niemand gesehen hat, die Ukraine ihre eigenen Raketen. Berichten zufolge bildeten sich bald vor den ukrainischen Postfilialen Schlangen von Menschen, die eine der Sonderbriefmarken ergattern wollten.

Doch das Sinken des Kriegsschiffs, des Aushängeschilds und der wichtigsten Waffe der Flotte Russlands im Schwarzen Meer, stand für sich. Und führte erneut zu unzähligen Memes.

So lässt sich also zum Schluss festhalten, dass das russische Kriegsschiff am Ende womöglich mehr für die Moral und das Durchhaltevermögen der Ukrainer getan hat, als es Putin lieb gewesen sein kann. Denn Memes dienen letztlich auch dazu, all die grausamen Bilder und Erlebnisse zu verarbeiten, unter denen Soldaten und Zivilisten in einem Krieg leiden. Und somit den Kampfwillen aufrecht zu erhalten.

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