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Forscher sagen, Lithium im Trinkwasser könnte Suizide verhindern

Du kennst das Metall eher als Bestandteil von Akkus und Smartphones.
Max Daly
London, GB
Lithium hat eine stimmungsstabiliserende Wirkung, weswegen Wissenschaftler vorschlagen, es ins Trinkwasser zu geben. Damit soll die Selbstmordrate in besonders betroffenen Gebieten gesenkt werden
Lithium als Medikament gegen bipolare Störungen | Foto: Norma Jean Gargasz | Alamy Stock Photo

Vielleicht hatte man 1929 gar keine so schlechte Idee, als man Lithium zur Rezeptur von 7UP hinzufügte.

Forschende der Brighton and Sussex Medical School haben nämlich festgestellt, dass es eine starke Korrelation zwischen der Lithiumkonzentration im Trinkwasser und der lokalen Suizidrate gibt. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie diesen Juli im British Journal of Psychiatry.

In einer Pressemitteilung schreibt der leitende Forscher der Studie, Anjum Memon: "Es scheint vielversprechend, dass höhere Lithium-Spurenwerte im Trinkwasser eine antisuizidiale Wirkung haben könnten und möglicherweise die psychische Gesundheit der Bevölkerung verbessern könnten."

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Lithium ist ein silbrig-weißes Metall, das in der Erde, dem Meerwasser und Gesteinen vorkommt – und entsprechend auch in unserer Nahrung und als Spuren im Trinkwasser.

1949 entdeckte der australische Psychiater John Cade die stimmungsstabilisierende Eigenschaft von Lithium. Seitdem ist das Metall ein anerkanntes Medikament und wird in höheren Dosen zur Behandlung und Vorbeugung von bipolaren Störungen eingesetzt.

Vor der Zulassung als Medikament wurden Getränke mit Lithiumzusatz wie 7UP, das übrigens seit 1949 kein Lithium mehr enthält, mit ihrer beruhigenden Wirkung beworben. Aufgrund der guten Leitfähigkeit wird das Metall in Batterien und Smartphones verwendet.

Die aktuelle Studie ist eine Metaanalyse von wissenschaftlichen Untersuchungen der vergangenen drei Jahrzehnte aus Österreich, Griechenland, Italien, Litauen, Großbritannien, Japan und den USA.

Die Autoren der aktuellen Metastudie schlussfolgern, dass sich die schützenden Eigenschaften von Lithium weiter testen ließen, indem man es in Gegenden mit einer hohen Rate von psychischen Krankheiten und Suiziden dem Trinkwasser beimischt.

Das Trinkwasser mit einer bewusstseinsverändernden chemischen Substanz zu versetzen, mag wie der Fiebertraum eines Verschwörungstheoretikers klingen, aber die Forschenden dieser einen Metastudie finden es durchaus einen Versuch wert. Der Vorschlag ist auch nicht neu. Doch dazu wird es so schnell nicht kommen – noch viel zu unerforscht sind die Effekte auf Milz und Leber und die Wirkungsweise des Metalls im Körper, so dass andere Forscher diesen Vorschlag kategorisch ablehnen und sich dafür auch wohl kaum so einfach Fördergelder finden lassen.

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Laut WHO sterben jährlich etwa 800.000 Menschen weltweit durch Suizid (in den USA steigen die Raten, in Deutschland haben sich die Suizidraten dagegen in den vergangenen Jahren halbiert). Unter 15 bis 29-Jährigen ist Suizid global gesehen jedoch die zweithäufigste Todesursache. Leider sieht es so aus, als werde die aktuelle Pandemie durch die Isolation und wirtschaftliche Belastung zu einem Anstieg von zu Suiziden führen.

"In der Corona-Pandemie und der daraus folgenden Zunahme psychischer Probleme ist es umso wichtiger, die psychische Gesundheit der Allgemeinheit zu verbessern und Angststörungen, Depressionen und Selbstmorde zu verringern", sagt Memon, Leiter der aktuellen Studie.

Aber was ist mit der Dosis? Kann uns zu viel Lithium in apathische Zombies verwandeln? Immerhin ist das Metall in der Europäischen Union als Nahrungsmittelergänzung verboten.

Wie es in der Studie heißt, konsumieren Menschen durch das Trinkwasser eine extrem niedrige, aber konstante Menge Lithium, oftmals seit ihrer Geburt. Ob und ab welcher Menge die Substanz tatsächlich Suizid-vorbeugend wirkt, muss allerdings erst noch untersucht werden. Es gibt einige Hinweise, aber keine Belege, dass Lithium bereits im Mikrodosisbereich wirksam ist. Die Dosis einer medikamentösen Behandlung könnten die Spuren im Trinkwasser dagegen nie erreichen.

Das Trinkwasser ist auch nur eine Quelle unserer Lithiumaufnahme – und nicht mal die wichtigste: Selbst in Gegenden mit hohen Konzentrationen von Lithium im Trinkwasser – wie einigen Teilen von Texas – ist die darüber aufgenommene Menge wesentlich geringer als die, die wir sowieso schon über Nahrung und Mineralwasser aufnehmen. Ein Zusammenhang zwischen dem Konsum von abgefülltem Mineralwasser und Suizidraten ist bislang noch nicht untersucht worden.

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Notrufnummern für Suizidgefährdete bieten Hilfe für Personen, die an Suizid denken – oder sich Sorgen um einen nahestehenden Menschen machen. Die Nummer der Telefonseelsorge in Deutschland ist: 0800 111 0 111. Hier gibt es auch einen Chat. Trauernde Angehörige von Menschen, die Suizid begangen haben, finden bei Organisationen wie Agus Hilfe.

Die Nummer der Telefonseelsorge in der Schweiz ist: 143. Hier gibt es auch einen Chat. In dieser Liste sind weitere Anlaufstellen für Menschen mit psychischen Erkrankungen in der Schweiz aufgeführt.

Die Nummer der Telefonseelsorge in Österreich ist: 142. Auch hier gibt es einen Chat. Trauernde Angehörige von Menschen, die Suizid begangen haben, finden in Österreich bei Organisationen wie SUPRA Hilfe.