Ein schwarz-weißes Foto zeigt einen jungen Mann, der auf einem Friedhof auf seiner Schaufel lehnt; es handelt sich um den jungen Totengräber Patrick, der vom Fotografen Jacques Vermeer ein Jahr lang bei der Arbeit begleitet wurde
Das ist Patrick an seinem Arbeitsplatz | Alle Fotos: Jacques Vermeer
Menschen

Fotos: Ein Jahr im Leben eines jungen Totengräbers

"Ich konnte nicht atmen, weil der Geruch so schlimm war. Diesen Moment werde ich niemals vergessen."
ZD
Brussels, BE

Es geschah vor zwei Jahren auf einem Festival. Weil ihre Zelte so nah beieinander standen, lernte der belgische Fotograf Jacques Vermeer den heute 31-jährigen Patrick kennen, der hier zum Schutz seiner Privatsphäre nicht bei vollem Namen genannt werden will. "Wir haben ein bisschen zusammen gefeiert", sagt Vermeer. "Danach verloren wir uns wieder aus den Augen. Im Grunde war das eine dieser typischen Festival-Bekanntschaften, die genauso schnell enden, wie sie angefangen haben."

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Ein Jahr nach der flüchtigen Begegnung fand Vermeer über einen Kumpel heraus, dass Patrick in Brüssel auf dem Ixelles-Friedhof als Totengräber arbeitet. Neugierig nahm der Fotograf den Kontakt zu Patrick wieder auf und fragte, ob er ihn bei der Arbeit fotografieren dürfe. "Na klar", antwortete der.

Früher sei Patrick laut eigener Aussage "ein kleiner, aber netter Gangster" gewesen. Er habe sich mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen, auf verschiedenen Sofas gepennt und ein paar krumme Dinger gedreht. 2014 habe man ihn dann erwischt. Das Gericht verurteilte ihn aber nicht zu einer Gefängnisstrafe. Stattdessen musste Patrick einen richtigen Job finden.

Ein schwarz-weißes Foto zeigt einen jungen Mann, der auf einem schneebedeckten Friedhof ein Grab präpariert

So landete Patrick auf dem Ixelles-Friedhof. Ein Kollege fragte ihn, ob er es nicht mal als Totengräber versuchen wolle. Sieben Jahre später ist Patrick immer noch dabei. "Das ist schwere Arbeit", sagt er. "Viele geben direkt wieder auf."

Der Fotograf Vermeer begleitet Patrick seit einem Jahr. "Ich mache das schon so lange, weil ich ihn als Menschen besser kennenlernen und sein Verhältnis zu seiner Arbeit verstehen will", sagt er. "Gräber auszuheben ist zwar kein alltäglicher Job, aber ein notwendiger. Zudem kann ich so über die Beziehung von uns hier in der westlichen Welt zum Tod nachdenken."

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Patrick musste sich quasi direkt nach seinem Jobantritt mit dieser Beziehung auseinandersetzen. "Meine Kollegen nahmen mich mit in die Leichenhalle, sie hatten gerade eine Exhumierung durchgeführt. Wir mussten die Leiche in einen anderen Sarg legen, weil die Familie sich doch eine Einäscherung wünschte. Als ich das Gesicht des toten Typen sah, trat ich instinktiv einen Schritt zurück. Ich war total schockiert und musste fast kotzen. Ich konnte nicht atmen, weil der Geruch so schlimm war. Diesen Moment werde ich nie vergessen."

Ein schwarz-weißes Foto zeigt einen jungen Mann in Regenjacke und Baseballmütze beim Ausheben eines Grabs vor einem Familiengrab

Die ersten fünf Jahre lebte Patrick in einem Haus auf dem Friedhofsgelände. "Auf einem Friedhof zu wohnen, ist teilweise richtig gruselig", sagt er. "Immer wenn man ein unbekanntes Geräusch hört, erschrickt man total." Mit der Zeit gewöhnte sich Patrick aber an seine Umgebung. Irgendwann habe er sich unter den Toten sogar so wohl gefühlt, dass er auf seinem Skateboard durch den Friedhof rollte. "An einem nebeligen Morgen schnappte ich mir mein Brett und kurvte zwischen den Gräbern umher", erzählt er. "Total verrückt, ich fühlte mich wie in einem Film."

Heute sagt Patrick, dass er in seinem Job voll aufgehe und hat sich auch mit dem recht heftigen Arbeitspensum arrangiert habe. Ihn ärgere lediglich, dass der Beruf des Totengräbers oft übersehen wird. "Nach einer Beerdigung bedanken sich die Leute meistens nur beim Priester, die Totengräber werden ignoriert", sagt er. "Sie schauen dich nicht an und reden nicht mit dir. Das war anfangs schon scheiße."

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Aber nicht alle sind so unfreundlich. "Es gibt da einen jungen Mann, der am Grab seines Vaters Gitarre spielt. Oder die Frau, die am Grab ihres Ehemanns jede Woche Blumen niederlegt", erzählt Patrick. "Manche Leute bedanken sich bei mir und schenken mir sogar Schokolade. Das ist schön. Ich habe schon einen richtigen Schokovorrat für meine Fernsehabende angelegt."

Ein schwarz-weißes Foto zeigt zwei Männer, die vor einem Familiengrab einen Sarg in ein frisch ausgehobenes Grab heben

Patrick ist Vermeers erstes Langzeit-Fotoprojekt. "Das Ganze ist tatsächlich eine richtige Zusammenarbeit zwischen uns", sagt der Fotograf. "Jedes Mal, wenn wir uns treffen, lerne ich etwas Neues dazu. Außerdem ist Patrick ein richtig witziger und interessanter Typ."

Die Geschichte, die Vermeer mit seinen Fotos erzählen will, dreht sich um die vielfältigen Möglichkeiten, mit denen wir den Tod einer geliebten Person bekunden. "Was Beerdigungen angeht, habe ich schon alles gesehen", sagt Patrick. "Buddhisten, Katholiken, Juden, Muslime und sogar Ritter mit Schwertern." Er erinnere sich zum Beispiel an das Begräbnis eines Fußballfans, dessen Kumpels Zigaretten und Bier in das Grab legten und danach Fußballlieder anstimmten.

"Und dann war da noch diese polnische Beerdigung, bei der die Anwesenden gleichzeitig weinten und sangen", sagt Patrick. "Und eine aramäische Beerdigung, bei der die Leute Hirsekörner warfen und Coladosen verteilten."

Ein schwarz-weißes Foto zeigt einen jungen Mann, der auf einem Friedhof neben einem kleinen Bagger mit einer Schaufel ein Grab aushebt

Weil er den ganzen Tag mit dem Tod zu tun hat, will Patrick sein Leben voll auskosten. "Ich habe keine Angst vor dem Tod, aber es wäre schon dumm, jetzt zu sterben und nichts erlebt zu haben", sagt er. Deshalb versuche er auch, so viel wie möglich zu reisen und die Welt zu sehen.

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Auf die Frage, ob er auf dem Ixelles-Friedhof begraben werden will, antwortet Patrick fast schon entsetzt: "Bist du verrückt? Ich will so weit weg von hier wie nur möglich beerdigt werden. Und ganz tief unter der Erde."

Es folgt eine Auswahl an Fotos, die Jacques Vermeer von Patrick und dessen Arbeitsalltag für dieses Projekt gemacht hat.

Ein schwarz-weißes Foto zeigt einen jungen Mann, der auf einem schneebedeckten Friedhof ein Grab präpariert
Ein schwarz-weißes Foto zeigt mehrere Totengräber, die auf einem schneebedeckten Friedhof einen Sarg in ein frisch ausgehobenes Grab niederlassen
Ein schwarz-weißes Foto zeigt einen jungen Mann mit Wollmütze und Schaufel, im Hintergrund hebt ein Bagger gerade ein Grab aus
Ein schwarz-weißes Foto zeigt einen jungen Mann, der sich auf einem Friedhof mit einer Frau unterhält
Ein schwarz-weißes Foto zeigt einen Sarg in einem frisch ausgehobenem Grab
Ein schwarz-weißes Foto zeigt einen jungen Mann mit Afro, der an einem Fenster sitzend eine Zigarette raucht
Ein schwarz-weißes Foto zeigt einen jungen Mann mit Afro, der auf einem Friedhof ein Holzkreuz in ein frisches Grab steckt
Ein schwarz-weißes Foto zeigt zwei junge Männer, die neben einem frisch ausgehobenen Grab stehen
Ein schwarz-weißes Foto zeigt einen Mann, der in ein Loch vor einem Grab hinabsteigt, vor ihm kniet ein anderer Mann
Ein schwarz-weißes Foto zeigt zwei Männer, die auf ein ausgehobenes Loch vor einem Grabstein blicken
Ein schwarz-weißes Foto zeigt drei Männer, die in einer Wohnung zusammensitzen
Ein schwarz-weißes Foto zeigt einen Mann, der auf einem schneebedeckten Friedhof einen Eimer Sand trägt

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