Eine blonde Frau in grau-orangefarbenem Rennanzug hält ihren bunten Rennhelm in der Hand und steht vor einer Rennstrecke; es handelt sich um Charlie Martin, die einzige Transfrau im Profi-Motorsport; wir haben mit ihr über ihre Karriere geredet
Das ist Charlie Martin | Foto: German Sports
Menschen

Wie es ist, die einzige Transfrau im Profi-Motorsport zu sein

Wir haben mit der Ausdauer-Rennfahrerin Charlie Martin gesprochen, die als erster Transmensch am 24-Stunden-Rennen von Le Mans teilnehmen und damit LGBTQ-Geschichte schreiben will.

Charlie Martin war bereits 23, als sie sich auf eine Karriere als Rennfahrerin einschoss. Die heute 40-Jährige hatte damals gerade ihr Studium abgeschlossen und musste, weil ihr der nötige finanzielle Hintergrund fehlte, mithilfe eines Sommerjobs 1.500 Pfund – umgerechnet knapp 1.800 Euro – zusammensparen. Mit zusätzlichen, von ihrer Mutter geliehenen 400 Pfund kaufte sich Martin dann einen runtergekommenen Peugeot 205. Damit fuhr sie 2006 ihr erstes professionelles Rennen.

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Was Martin hingegen schon früh wusste: Sie ist transsexuell. Ihre Transition folgte dennoch erst mit 30. Denn die Sportlerin, die inzwischen bei Langstreckenrennen überall in Europa antritt, war sich nicht sicher, ob sie "trans genug" sei. Dazu kam, dass sie in einer Industrie unterwegs ist, in der es auch heute noch kaum LGBTQ-Repräsentation gibt.

Eine Frau in buntem Rennfahrerhelm blickt zielstrebig nach rechts

Charlie Martin beim Britcar-Ausdauerrennen | Foto: Oliver Fessey

2011 war Martins Karriere in vollem Gange, aber die Sportlerin merkte, dass sich etwas ändern musste. Nachdem sie eine Zeit lang mit Depressionen und Suizidgedanken gekämpft hatte, entschied sie sich zur Transition. Sowohl ihr Vater als auch ihre Mutter waren an Krebs gestorben, Martin hatte in ihrem Leben also schon einiges mitmachen müssen. Ihr Coming-out als Transperson in einer Industrie, in der es Frauen sehr schwer haben, sollte eine weitere große Hürde im Leben der Athletin sein. Sie zog sich für eine Weile aus dem Motorsport zurück. 2018 outete sie sich öffentlich als transsexuell, seitdem setzt sie sich für die Rechte transsexueller Menschen im Sport ein. 

Martin lebt heute im englischen Leicestershire und ist vor allem damit beschäftigt, sich auf ihre Rennen vorzubereiten und ins Fitnessstudio zu gehen. Sie hofft, die erste Transgender-Rennfahrerin zu sein, die beim berühmten 24-Stunden-Rennen von Le Mans antritt. Sie hat schon an verschiedenen Ausdauerrennen teilgenommen und belegte 2017 beim Bugatti Circuit den dritten Platz. Und 2020 war sie der erste Transmensch, der beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring an den Start ging.

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Wir haben mit Martin über ihr Leben als Transgender-Profisportlerin gesprochen.


Auch bei VICE: Was kostet eine Geschlechtsangleichung?


VICE: Hey Charlie. Kannst du uns zuerst etwas über deine Kindheit erzählen?
Charlie Martin:
Als Kind war mein Lieblingsfilm Top Gun, deshalb wollte ich lange Düsenjets fliegen. Ich war damals wie besessen von Flugzeugen und vom Fliegen. Ich glaube, ich war sechs oder sieben Jahre alt, als mir bewusst wurde, dass ich transsexuell bin. Ich weiß noch, wie ich einen Artikel über eine Transfrau las, die in den 80er Jahren als Model arbeitete und Bond-Girl war [Caroline Cossey, Anm. d. Red.]. Sie war zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich die prominenteste Transperson. Ich dachte mir nur: "Wow, OK. So fühle ich mich auch, genau das ist es. Ich bin nicht allein."

Dennoch war ich in vielerlei Hinsicht ein "typischer" kleiner Junge: Ich kletterte gerne auf Bäume, machte beim Spielen einen auf Soldaten, baute Modellflugzeuge und so weiter. Für mich war das damals umso verwirrender, denn in den 80ern ging man ja weitläufig noch davon aus, dass Jungen, die sich eher als Mädchen fühlen, die ganze Zeit rosafarbene Klamotten tragen und sich nicht schmutzig machen wollen. Ich hatte nicht das Gefühl, irgendwo reinzupassen. Vielleicht hat das auch dazu beigetragen, dass ich mit meiner Transition so lange gewartet habe.

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Wie verlief deine Transition? Du warst ja gleichzeitig im Motorsport aktiv.
Die Motorsport-Industrie ist interessant: Einerseits ist der Sport von Natur aus sehr exklusiv, weil man ohne eine gewisse finanzielle Grundlage gar nicht damit anfangen kann, andererseits ist die Szene sehr offen, die Community hält fest zusammen.

Als ich nach meiner Transition zum ersten Mal wieder ins Fahrerlager kam, hatte ich richtig Schiss. Das war eine sehr unangenehme Erfahrung. Zum Glück waren sieben oder acht meiner engsten Freunde, mit denen ich schon Rennen gefahren war, eingeweiht. Sie wussten auch, dass ich an diesem Tag vorbeischauen würde. Sie kamen dann gleich zu mir und umarmten mich.

Mir wurde klar, dass viel Aufklärungsarbeit vor mir liegt. So verbrachte ich das erste Jahr nach der Transition damit, allen zu erklären, was überhaupt los ist. Es war einfach kaum ein Bewusstsein vorhanden. Die Reaktionen fielen aber positiv aus, die Leute sagten immer so etwas wie: "Mein Gott, das habe ich nie realisiert. Wow, du bist echt mutig."

Gab es Momente, in denen du dachtest, der Rennsport sei kein geeigneter Ort für einen Transmenschen?
Als ich mich outete, war das ein totaler Sprung ins Ungewisse. Ich stamme nicht aus einer reichen Familie und musste für die Unterstützung durch Sponsoren immer hart arbeiten.

Es gab auf jeden Fall Zwischenfälle, bei denen mir gewisse Möglichkeiten verwehrt wurden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das transfeindliche Gründe hatte. Zwei sind mir besonders im Gedächtnis geblieben, weil sie noch nicht lange her sind und sich auf ziemlich hoher Ebene ereigneten. Mehr kann ich dazu aber nicht sagen, ohne Ärger zu riskieren.

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Ansonsten gibt es natürlich das "Alltägliche" – also Leute, die mich mit dem falschen Gender ansprechen, oder Leute, die mir unangebrachte Fragen stellen, zum Beispiel zu meiner OP.

Dieses Jahr wurde viel über Transsportler und -sportlerinnen diskutiert, vor allem nachdem man in US-Bundesstaaten wie Idaho und Florida beschlossen hatte, dass Transfrauen beim College- und Schulsport wieder bei den Jungen mitmachen müssen. Wie fühlt es sich für dich an, dass junge Transfrauen heutzutage so etwas durchmachen müssen?
Ich bin richtig schockiert, dass so etwas in einer relativ liberalen Gesellschaft passiert. Das ist schlimme Diskriminierung: Erwachsene geben Kindern vor, wie sie Sport zu machen haben. Das ist auf so vielen Ebene falsch. Man legitimiert damit die Annahme, dass mit diesen Kindern etwas nicht stimmt. Und diese Annahme könnte falscher nicht sein.

Eine blonde Frau in weißem Hemd und dunkler Hose steht neben einem roten Rennwagen

Martin bei der Eröffnung der britischen Hauptquartiers von Praga Cars | Foto: Dominic Fraser

Wie hast du die Berichterstattung bei den Olympischen Spielen über Transmenschen wie die neuseeländische Gewichtheberin Laurel Hubbard oder Quinn vom kanadischen Fußballteam wahrgenommen?
Ich finde, dass die Medien da recht ausgewogen berichtet haben. Gleichzeitig müssen Fakten manchmal besser dargestellt werden. Ich habe mich viel mit Studien und Forschungsarbeiten zu Testosteron auseinandergesetzt, weil ich glaube, dass das ein wichtiger Aspekt dieses Themas ist, der in der Presse leider nur selten besprochen wird.

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Die Situation ist sehr kompliziert, und eine Lösung, die für alle passt, wird nur schwer zu finden sein. Denn bei vielen Sportarten – zum Beispiel Fußball oder Surfen – geht es nicht nur um den Körperbau und Kraft, sondern auch darum, das Spiel und die Umgebung zu lesen, um Raumverständnis, Balance, Geschicklichkeit, Ballkontrolle und so weiter. All das wirkt sich ebenfalls darauf aus, ob du in diesen Sportarten zu den Besten gehörst oder nicht.

Heutzutage gibt es in der Mainstream-Politik viel Transfeindlichkeit. Wie ist die Haltung gegenüber Transmenschen in Großbritannien, wo du lebst?
Ich kann die ganze Situation nur schwer einschätzen, weil ich auf dem Land lebe und weil meine Transition schon so lange her ist. In meinem Alltag falle ich gar nicht mehr auf, ich mache mir dementsprechend kaum Sorgen, dass ich Opfer eines Hassverbrechens werde oder dass man mich in einer öffentlichen Toilette dumm anmacht. Ich brauche auch keine medizinische Unterstützung mehr. Ich erfahre also quasi nur aus der Presse, was in der Transgender-Welt passiert. Und da wird natürlich vor allem über negative, toxische Dinge berichtet – zum Beispiel, dass ein Transmensch ermordet wurde.

Es gibt da draußen Menschen, die etwas gegen Transmenschen haben, keine Frage. Ich glaube aber, dass diese Menschen nur einen kleinen Teil der Gesellschaft ausmachen. Leider schaffen sie es durch ihre laute Stimmungsmache trotzdem, relativ großen Einfluss zu haben. Die meisten Leute, mit denen ich zu tun habe, sind zum Glück sehr progressiv und offen eingestellt. 

Was steht karrieremäßig als nächstes für dich an? Welche Ziele verfolgst du?
Nächsten Monat findet das letzte Rennen der Britcar-Ausdauermeisterschaft statt. Da bin ich schon die ganze Saison dabei. Es läuft echt gut, wir standen schon mehrfach auf dem Podium. Derzeit liegen wir auf dem dritten Rang, mit ein bisschen Glück können wir die Meisterschaft noch holen.

Abgesehen davon ist mein Ziel weiterhin, als erster Transmensch am 24-Stunden-Rennen von Le Mans teilzunehmen und damit LGBTQ-Geschichte zu schreiben. Es ist mir sehr wichtig, in der Motorsport-Industrie offen trans zu sein. Ich will etwas bewegen und anderen Menschen helfen. Niemand soll noch einmal das durchmachen müssen, was ich durchmachen musste.

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