Politik

So skurril sind die Coronaleugner in der Schweiz

Mit Kuhglocken demonstrieren Kritiker gegen die Coronamaßnahmen.
Eine Schweizerfahne wird in der Schweiz bei einer Demonstration gegen die Coronamaßnahmen der Luft geschwenkt, auf ihr steht der Schriftzug: Freiheit Liberté Liberta.
Alle Fotos: Sebastian Lendenmann

Es ist der 7. Oktober. Wie jeden Donnerstagabend treffen sich in Bern in der Schweiz Gegner der Coronamaßnahmen. Die Demos sind nicht bewilligt. Sie tragen Sonnenblumen und Glocken in der Hand. Im Chor schreien sie "Liberté" und auf ihren Schildern steht "Achtung: Diktatur" oder "Mir lönd üs nöd verarsche." - Wir lassen uns nicht verarschen. Ihr Ziel: das Bundeshaus, der Sitz der Regierung und des Parlaments.

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Über die letzten Wochen nahm die Zahl der Demonstrationen gegen die Coronamaßnahmen zu. Nahezu täglich finden sich in einer Schweizer Stadt die Maßnahmengegner zusammen, um durch die Straßen zu ziehen. Der Grund dafür ist eine Abstimmung ab 28. November. Im Juni nahm die Schweizer Bevölkerung mit einer Mehrheit von sechzig Prozent das Covid-Gesetz an, das dem Bundesrat während der Corona-Pandemie schnelleres Handeln ermöglicht, um die Pandemie zu bekämpfen und wirtschaftliche Schäden einzudämmen. Am 28. November sollen die Schweizerinnen nun erneut darüber abstimmen, da ein Referendum zustande gekommen ist. Diesmal geht es um die Änderungen an diesem Gesetz, die vorgenommen werden sollen. Darunter sind zum Beispiel die Erweiterung des Contact-Tracings, staatliche Förderung von Corona-Tests oder die gesetzliche Grundlage für das Covid-Zertifikat.

Während in Deutschland Antisemiten und Hippies die Querdenkerszene zu dominieren scheinen, sieht man in den Schweizer Medien Bilder von Männern und Frauen, die Glocken auf dem Rücken tragen und im Gleichschritt durch Schweizer Innenstädte marschieren. Die sogenannten Freiheitstrychler repräsentieren ein Lager der Maßnahmengegner in der Schweiz. Sie berufen sich auf Traditionen und betonen auf den Demos mit ihren Rufen die Macht des Volks. Auf ihrer Webseite schreiben sie: "Mit der Kraft der Urschweiz in zeitgemässer Form führen wir unseren Freiheitskampf kraftvoll und friedfertig so lange weiter bis sämtliche Verfassungsrechte respektiert sind."

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Trotz ihres fast schon skurrilen Auftretens, sind sie schon lange keine Randerscheinung mehr. Der SVP-Bundesrat Ueli Maurer trug im September das offizielle T-Shirt der Freiheitstrychler. Später beteuerte er, nicht gewusst zu haben in welchem Zusammenhang es stehe.

Die zweite Gruppe, die gegen das Covid-Gesetz mobilisiert, ist die Jugendbewegung Mass-Voll. Sie sind, wie sie sagen, gegen die "Zweiklassengesellschaft", die durch eine Zertifikatspflicht angeblich entstehe. 

Eine Frau hält ein Schild, auf welchem "Mir lönd üs nöd verarsche" steht. Und ein Mann hält einen Banner, auf dem "Covid-Gesetz Nein!" steht.

Während die Freiheitstrychler mit ihrem urigen Auftreten dazu verleiten, sie zu belächeln, scheint die "Mass-Voll"-Bewegung fast zu aufgeräumt, um eine reale Gefahr darzustellen. Ein "Mass-Voll"-Mitglied ruft in einem Video dazu auf, zum Pubquiz zu kommen.

Nachdem es bei den Demos zu gewalttätigen Ausschreitungen kam, distanzierten sich beide Gruppen in einem Video von den illegalen Protesten in Bern. 

Die Freiheitstrychler rufen in ihrer Telegram-Gruppe jedoch weiterhin dazu auf, bei diesen Demonstrationen aufzutauchen. Am 7. Oktober trugen in Bern zudem verschiedene Demonstrierende das "Mass-Voll"-Logo auf ihren Schildern vor sich her.

Der "Mass-Voll"-Co-Präsident Nicolas A. Rimoldi posiert auf seinem Profilbild auf Telegram mit einem Schild, auf dem "Nie wieder Faschismus" steht. In der "Mass-Voll" Telegram-Gruppe findet man zahlreiche Faschismus-Vergleiche. Ein Beispiel: "Wer kein Covid-Zertifikat hat, darf in Italien öffentliche Verkehrsmittel nicht mehr benutzen, eine Hochschule besuchen und/oder ins Restaurant gehen! Geht's noch? Das ist Faschismus." Und wo fragwürdige Faschismusdefinition sind, ist die nächste Holocaustrelativierung nicht weit weg. In einem Kommentar spricht ein "Alex Furer" vom Faschismus-Wahn und beteuert, dass am Ende alle interniert werden: "Es wird und soll wohl Krieg geben. So wie '39." 

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Auf der linken Seite wird eine Schweizer-Flagge geschwenkt und rechts sieht man den Wasserwerfer der Berner Polizei.

Eine "Theresa Stolze" schreibt unter einem Artikel über die Zertifikatspflicht: "Wer das unterstützt oder duldet, spricht sich offen für Diskriminierung und für ein Apartheidsystem aus." "Reto" spricht in seinem Kommentar von einer "faschistischen Impfpropaganda, die an die Zeiten vor 1939," erinnert.

Neben Neologismen wie Medizinalrassismus, Wahrheitsmanufaktur, Bundes(ver)rat, stößt man in den Telegramkanälen auf zahlreiche Verschwörungstheorien. Ein User warnt im Telegramkanal davor, dass der Staat die Resultate der Abstimmung faken könnte. Ein anderer bezeichnet in einem Kommentar Handys als "Spionagegeräte mit fragwürdiger 5G-Technologie".

Auf der linken Seite protestieren Leute gegen die Corona-Maßnahmen mit einem Schild, auf welchem "Achtung Diktaur" steht und recht ist ein Mann, der eine gelbe Plastiktüte auf dem Kopf trägt.

Verwunderlich ist das nicht, denn auch die Personen, die im Kern der Jugendbewegung stecken, verbreiten selbst über ihre Social-Media-Kanäle Verschwörungsglauben. Rimoldi postete im Januar den Screenshot eines BILD-Artikels, der von einem "Knast für Quarantäneverweigerer" handelte. Dazu schrieb er: "Deutschland baut wieder Lager."

Ein Mitglied des Vorstands, Olivier Chanson, sprach 2019 von den Gefahren eines "Bevölkerungsaustausch". Damit reproduziert er einen Kampfbegriff der Neuen Rechten, der den geheimen Plan beschreibt, dass eine weiße Mehrheitsgesellschaft durch nicht-weiße Einwanderer ausgetauscht werden solle.

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Obwohl sich die Bundesräte mittlerweile nicht mehr frei bewegen können und das Bundeshaus jeden Donnerstag mit Eisenzäunen eingezäunt werden muss, wird und wurde den Maßnahmengegnern eine mediale Plattform geboten. 

Im August hagelte es Kritik auf den Sender SRF, der in einer Folge der Talk-Runde "Club" auch zwei Coronaskeptikern für 75 Minuten eine Bühne geboten hatte.

Auf der linken Seite trägt ein Mann ein Schild auf dem Rücken, auf dem steht: ich beuge mich allein vor Gott! und auf dem linken Bild trägt eine Frau ein Schild, auf dem steht: Es gibt keine asymptomatischen Infektionen

Die Gefahr, die von Corona-Leugnern ausgeht, lässt sich nicht alleine auf ihre Ideologie beschränken. Auch die staatliche Reaktion auf die Identitäre Bewegungen kann zu einer Gefahr werden. Unter dem Vorwand, gegen Maßnahmenskeptiker durchzugreifen, möchte die Stadt Bern nun in die Grundrechte eingreifen. Nachdem die Stadt über Wochen jeden Donnerstag für eine potentiell gewalttätige Demo gerüstet sein muss, möchte sie nun einen Teil der Kosten auf die Teilnehmer abwälzen. Das ist bisher noch nicht geschehen. Die Konsequenzen wären jedoch fatal. Potentielle Kosten von bis zu 30.000 Franken bei einer Demoteilnahme würden bedeuten, dass das Demonstrationsrecht massiv eingeschränkt würde. 

Auch die vermehrten Vorfälle von Polizeigewalt, die während der Demos vorgefallen sind, sind auch bei einer unbewilligten Schwurbler-Demo nicht zu rechtfertigen. Auch am 7. Oktober kam es zu einem Vorfall.

Knapp dreihundert Meter vom Bundeshaus entfernt, kommt die Masse an diesem Donnerstag zum Stehen. Die Polizei hat sich in einer Reihe an der Ecke von Gurten- und Bundesgasse positioniert.

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"Hier kommt keiner mehr durch", sagt einer der Beamten. 

Irgendwann kommen Gummischrot und später Wasserwerfer zum Einsatz. Ein Demonstrierender, der es schafft, die Reihe von Polizisten zu passieren, wird von mehreren Polizisten zu Boden gedrückt. Dann schlagen sie auf ihn ein.

Vor dem Bundeshaus bleibt es heute Abend still. Die Polizistinnen hinter den Absperrungen auf dem Bundesplatz, die jeden Donnerstag aufgebaut werden, haben nichts zu tun. Nur das Abfeuern der Gummigeschosse zwei Straßen weiter ist schwach hörbar. 

Vor dem Bundeshaus in Bern stehen Absperrungen.

"Friede, Freiheit, das Volk ist souverän." Dieser Demo-Ruf der Freiheitstrychler bezieht sich auf das Schweizer System der direkten Demokratie. Das Volk kann zum Beispiel mit einem Referendum politische Entscheidungen beeinflussen und eine Abstimmung einfordern, wie es nun beim Covid-Gesetz geschehen ist. Die Kritiker kommen mittlerweile aber nicht nur aus der rechten Ecke. Auch ein linkes Komitee spricht sich nun dagegen aus, aus Angst vor Überwachung. Dazu gehört auch die Autorin und Dramatikerin Sibylle Berg. 

Was würde eine Ablehnung des Gesetzes bedeuten? An Regelungen wie der Maskenpflicht würde das nichts ändern, da diese im Epidemiegesetz verankert sind. Ein Nein an der Urne am 28. November könnte aber zur Folge habe, dass Auslandsreisen für Schweizerinnen erschwert sein könnten, da das Zertifikat abgeschafft werden würde. 

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