Ein junger Mann in Tanktop und mit kurzen Haaren probiert in einem Restaurant einen Salat mit einer Algenart, die es auf Sizilien nur noch sehr selten gibt und die angeblich illegal sein soll
Der Autor mit seinem Algengericht | Alle Fotos: Grazia Di Franco 
Menschen

So schmeckt die angeblich illegale Algenart von Sizilien

Um U Mauru ranken sich auf der italienischen Insel die wildesten Gerüchte, zudem ist die Alge dort nur schwer zu finden. Ich habe mich auf die Suche gemacht.
Andrea Strafile
Rome, IT

Meeresalgen stehen schon seit Tausenden Jahren auf unserem Speiseplan. Archäologen haben die Wasserpflanzen in den prähistorischen Kochstellen von Chile gefunden, aber auch an vielen anderen Orten der Welt wurde der Verzehr in frühen Aufzeichnungen dokumentiert. Algen sind sehr nährstoffreich und voller Proteine, Vitamine, Aminosäuren sowie verschiedener Omega-Fettsäuren. Viele Forscherinnen glauben, dass Algen das Essen der Zukunft und Teil einer nachhaltigen Nahrungsgrundlage für Millionen Menschen sein könnten.

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Heutzutage verbindet man Algen vor allem mit der japanischen Küche. Dabei landet die Wasserpflanze auch in vielen anderen Ländern auf den Tellern – etwa in Italien, genauer gesagt auf Sizilien. Dort wächst eine rötliche, gallertartige Algenart auf den Steinen in den seichten Gewässern der Ostküste. Sie wird "U Mauru" genannt – nach dem sizilianischen Wort "màguru", was auf Deutsch so viel wie mager oder dürftig bedeutet.


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Früher wurden die Algen von den örtlichen Fischern bei der Rückkehr von ihren morgendlichen Touren als Snack gegessen. Sie rissen die Pflanzen von den Steinen, würzten sie mit Zitronensaft und Salz und aßen sie, noch bevor sie wieder an Land gingen. Im Sommer verkauften einige Fischer die Algen auch als Salat an die Leute am Strand. Ich wurde durch einen VICE-Follower bei Instagram auf U Mauru aufmerksam, die Algenart sei angeblich nur noch schwer zu finden. Und das stimmt: Für die Einheimischen ist sie seit über 30 Jahren eine Art Tabu.

Auf einem Teller ist eine Portion Meeresalgen mit zwei Zitronenvierteln angerichtet

Der sizilianische Algensalat wird traditionell nur mit Salz und Zitronensaft abgeschmeckt

U Mauru, deren wissenschaftliche Bezeichnung Chondracanthus teedei lautet, wurde zum ersten Mal im Jahr 1847 dokumentiert – vom deutschen Pharmazeuten, Botaniker und Algenforscher Friedrich Traugott Kützing. Die Art ist im Mittelmeerraum, im Schwarzen Meer, im Atlantik und im Indischen Ozean tatsächlich recht weit verbreitet. Auch vor Japan und Brasilien wurde sie schon entdeckt.

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Während die Algenart in Sizilien und Italien früher in rauen Mengen vorhanden war, ist sie dort heutzutage nur noch schwer zu finden. Taucher suchen oft im Vulkangestein vor der sizilianischen Küste nach der Pflanze, kehren aber meistens mit leeren Händen zurück. Aus diesem Grund stirbt die kulinarische Mauru-Tradition immer weiter aus. Nur in einer Handvoll Restaurants entlang eines 20 Kilometer langen Küstenstreifens zwischen den Städten Acireale und Catania ist sie noch zu finden.

Mit dem Ziel, einen Mauru-Salat zu essen, kontaktiere ich zwölf Fischer, Taucher und Restaurants. Neun davon blaffen mich nur an oder legen den Hörer direkt wieder auf. Und die, die mich nicht sofort abweisen, rufe ich in den darauffolgenden Tagen immer wieder an, mit jedem Mal klinge ich dabei verzweifelter. Letztendlich bekomme ich aber von allen die gleiche Antwort: "Hier gibt es kein U Mauru."

Aber zum Glück bin ich gerade eh einen Monat in der Gegend und kann persönlich nach den Algen fragen. Ich werde allerdings auch dabei immer argwöhnisch von Kopf bis Fuß gemustert. Ich habe einen Freund dabei – ein Einheimischer, der im passenden Dialekt die angespannte Situation klären kann. Schließlich erzählt mir ein freundlicherer Herr, warum die Leute beim Thema U Mauru so schroff reagieren: Die Algenart sei illegal und werde nur unter der Hand an vertraute Kunden und Freunde verkauft. Das überrascht mich, denn ich dachte die ganze Zeit, bloß einer seltenen Delikatesse nachzujagen – nicht einer verbotenen.

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Ein junger Mann in Tanktop und mit braunen Haaren sitzt in einem Restaurant und isst einen Algensalat

Nach einem Monat der Suche probiere ich endlich den Algensalat

Ich versuche herauszufinden, warum die Alge illegal sein soll. Der einheimische Fischer Giambattista Guarrera sagt, dass U Mauru "im Grunde giftig" sei und einen nach dem Verzehr krank mache. "Algen nehmen Verschmutzungen auf und können ziemlich gefährlich sein", so Guarrera weiter. Andere Leute von der Ostküste Siziliens sagen, dass die Pflanze nur in der Wildnis wachse und sehr selten vorkomme, weshalb man sie nicht aus ihrem Lebensraum entfernen sollte.

Laut einem aktuellen Bericht der italienischen Umwelt-NGO Legambiente wird die Küste vor Catania durch die örtliche Industrie, Haushaltsabfall und den Bootsverkehr verunreinigt. Einige Algenarten blühen in verschmutztem Wasser richtig auf und sorgen so für schädliche Algenblüten, die ganze Ökosysteme verändern können. Bei Studien zu essbaren Algen kam zudem heraus, dass die Pflanzen große Mengen an giftigen Metallen aufnehmen können – und solche Metalle kommen in verschmutzten Bereichen häufig vor und können für Menschen schädlich sein.

Abgesehen von den örtlichen Gerüchten finde ich aber keine anderen Belege dafür, dass U Mauru gefährlich oder als Algenart geschützt ist und deswegen nicht geerntet werden darf. Am 27. Tag meiner Recherche stoße ich dann endlich auf ein Restaurant in Acireale, in dem die Alge serviert wird. Nach meinem Besuch ruft mich der Restaurantbesitzer noch mal an und bittet mich, keine Details zu ihm und seinen Etablissement in den Artikel einzubauen – denn er befürchtet, die Leute aus der Gegend könnten es ihm übel nehmen, dass er Gerichte mit U Mauru anbietet.

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Im Restaurant bestelle ich zuerst den traditionellen Mauru-Salat, der wie früher nur mit Salz, Pfeffer und Zitronensaft gewürzt wird. Nach meinem ersten Bissen muss ich feststellen, dass das Ganze einfach nur total salzig und metallisch schmeckt. Dieser Geschmack sorgt zusammen mit der dicken, faserigen Konsistenz der Pflanze dafür, dass ich es bereue, so viel Zeit in die Suche nach U Mauru gesteckt zu haben.

"Der Geschmack hängt ganz von der Jahreszeit ab", sagt der Restaurantbesitzer, der als großer Mauru-Fan auch selbst nach der Alge taucht. "Jetzt ist nicht gerade die beste Zeit, ganz im Gegenteil. Die richtige Mauru-Saison geht von März bis Juni. Je später man die Alge danach isst, desto mehr schmeckt sie nach Jod und desto rötlicher ist die Farbe."

Zum Glück ist mein anderes Gericht – Pasta mit Meeresfrüchten und U Mauru – absolut köstlich. Durch das Kochen wird der Geschmack der Alge zwar angenehm abgemildert, bleibt aber trotzdem noch mehrere Stunden im Mund.

Auf einem Teller ist eine Portion Pasta mit Meerefrüchten und Algen angerichtet

Die Pasta, die den Restaurantbesuch gerettet hat

Zum Schluss frage ich den Restaurantbesitzer, ob die Algenart wirklich illegal und gesundheitsschädlich sei. "In dieser Gegend wächst U Mauru nur dort, wo Salzwasser auf Süßwasser trifft und das Wasser sauber ist", antwortet er. "Außerdem wächst die Alge auf Vulkangestein. Diese Bedingungen findet man nicht überall." 

Im Grunde sagt er, dass die Gerüchte über die Giftigkeit kompletter Quatsch seien. Die Algenart komme heutzutage ja nur so selten vor, weil sie in verschmutzten Gewässern nicht wachsen könne. Trotzdem seien die Leute aus der Gegend überzeugt davon, dass U Mauru gefährlich sei, und redeten deswegen schlecht über die Algenart und über die Leute, die sie essen.

Trotzdem gibt es eine Gruppe von Mauru-Liebhabern, die die Alge heimlich verarbeiten. "Wenn ich selbst nichts ernte, weiß ich, wo ich sie ohne Probleme kaufen kann", sagt der Restaurantbesitzer, ohne weitere Details zu nennen. "Ich will dann nur die Fischereilizenz sehen und wissen, wo genau die Alge geerntet wurde." 

Weil U Mauru nur noch so selten vorkommt, ist die Alge ein eher teurer Spaß: Ein Kilo kostet um die 30 Euro. Ich finde aber, dass es das wert sein kann – wenn man sie nur richtig zubereitet.

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