Sex

Ich habe keine Arme: So habe ich Sex

"Ich dachte schon, dass ich nie eine richtige Beziehung haben würde, weil mich die Menschen nur benutzen, um ihre Neugierde zu stillen." – Ali
Eine Illustration mit einem Paar im Bett, die Frau ist blond und hat keine Arme, der Mann trägt einen Bart und umarmt sie von hinten.
Illustration: Cathryn Virginia

Umarmen, streicheln, liebkosen: Hände und Arme spielen beim Sex für die allermeisten von uns eine wichtige Rolle. Entsprechend schwer können sich viele vorstellen, wie das alles mit fehlenden Extremitäten abläuft.

Ali Lapper ist 1965 ohne Arme und mit verkürzten Beinen auf die Welt gekommen. Sie lebt als Künstlerin in Großbritannien. Wir haben mit ihr und ihrem Mann Si Clift über Sex, Beziehung und die Fetischisierung von Menschen mit Behinderung gesprochen.

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Ali: Mit sechs kam ich in eine Pflegeeinrichtung. Dort wurde mir immer wieder gesagt, dass Menschen mit Behinderung keinen Sex haben, weil das eklig sei. Einige Lehrerinnen und Mitarbeiter haben zu mir Sachen gesagt wie: "Du bist nicht schön. Du bist nicht sexy. Niemand wird jemals auf dich stehen." Wenn du das oft genug hörst, fängst du leider irgendwann an, es zu glauben. Ich wollte eine Beziehung haben, aber dachte, dass ich nie jemanden finden würde, der mit mir schlafen möchte.

Mit 19 bin ich nach London gezogen und habe gemerkt, dass es Männer und Frauen gibt, die sich nur für meine Andersartigkeit interessieren – nicht für mich als Menschen. Das ist ihr sexueller Fetisch. Sie finden mich irgendwo, kontaktieren mich aus dem Nichts heraus und schreiben dann Sachen wie: "Bitte, ich will dich sehen. Darf ich deine Schultern berühren?"

Manche Männer geben sich erst total interessiert an mir und drei Wochen später sagen sie dann: "Ich will dich nicht mehr sehen. Ich habe meine Dosis bekommen." Menschen können richtig hinterhältig sein und so tun, als würden sie dich mögen. Plötzlich heißt es: "Sorry, war nur neugierig."

Ich wusste nicht, wer es ehrlich meinte und wer nicht. Ich dachte schon, dass ich nie eine richtige Beziehung haben würde, weil mich die Leute nur benutzten, um ihre Neugierde zu stillen. Das war irgendwie schmeichelhaft, aber gleichzeitig sehr schwer für mich zu verstehen – insbesondere, weil mir vorher immer gesagt worden war: "Du bist nicht sexy."

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Irgendwann hatte ich dann eine Beziehung, die sich richtig anfühlte. Wir hatten Zeit, uns kennenzulernen. Ich fühlte mich nicht als Objekt. Die ganze Sache mit dem Sex war nicht so schwer. Ich habe mich einfach drauf eingelassen. Viel mehr als meine Behinderung beschäftigte mich, dass ich noch Jungfrau war. Es war OK. Ich erinnere mich noch, wie ich dachte "Verdammt, das hat wehgetan. Wird das immer so sein? Na super." Aber der Sex wurde besser und ich konnte mehr damit anfangen.

Si: Ich bin mit Menschen mit Behinderungen aufgewachsen. Meine Schwester hat eine Spina bifida, eine gespaltene Wirbelsäule. In der Schule hatte ich Freunde mit Behinderungen. Ich habe sie nie als anders wahrgenommen. Ich glaube nicht, dass mir bewusst war, wie andere Menschen über Behinderungen denken.

Ali war nicht meine erste Partnerin mit Behinderung. Meine Ex-Frau hatte das Silver-Russell-Syndrom und war nur etwa 1,20 Meter groß. Kleinwüchsige Menschen können aufgrund ihrer Größe unter körperlichen Problemen leiden.

Ali: Ich habe Si kennengelernt, weil eine Freundin von mir fünf Jahre lang mit ihm zusammen war. Wir haben uns bei Partys gesehen oder ich habe sie eingeladen. Ich hätte nie gedacht, dass er mich mögen könnte. Dann haben sie sich getrennt und er fing an, mich bei Instagram anzuschreiben. Ich fragte ihn: "Stehst du auf mich?" Er antwortete: "Natürlich."

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Si: Es waren schon ausreichend Monate nach meiner Trennung vergangen, bevor wir zusammengekommen sind.

Ali: Waren es nicht. Lüg nicht. Waren es definitiv nicht.

Si: Mindestens acht Wochen.

Ali: Ähm, Si, beim ersten Date: Was ist da passiert? 

Si: Oh ja. Sie hat mich zu sich eingeladen. Ich dachte, wir quatschen nur und trinken Tee.

Ali: Er ist so altmodisch. Ich habe ihn in mein Bett eingeladen. Ich hatte das Gefühl, ihn schon lange zu kennen, weil ich ihn über die Jahre immer wieder gesehen habe. Ich hatte also nicht den Eindruck, dass er einfach nur neugierig ist. Aber ich dachte auch, wenn ich nichts sage, geht er einfach nach Hause. Ich habe seine Hand unter mein Kinn geschoben und gesagt: "Komm, lass uns rüber." Ich habe ihn ziemlich rumkommandiert.

Si: Ich wollte es natürlich.

Ali: Ich meinte zu ihm: "Ich brauche Hilfe beim Ausziehen." Für mich sind solche Sachen, mit oder ohne Sex, Teil einer Beziehung. Wie hat sich das für dich angefühlt, Si?

Si: Es war richtig gut. Aber ich hätte auch nicht wirklich gewusst, was ich machen soll. Ich wollte nichts tun, was du nicht OK findest oder was dich verstimmt. 

Ali: Ich habe gelernt, dass ich die Initiative ergreifen muss. Manche Leute wissen noch nicht mal, wie sie mich begrüßen sollen. Ich tendiere also dazu, die Kontrolle zu übernehmen und darüber Witze zu machen, dass ich keine Arme habe. Ich habe wahrscheinlich keine Kontrolle darüber, aber ich will, dass die andere Person nicht das Gefühl hat, mich zu verletzen oder mir vor den Kopf zu stoßen. Menschen haben nämlich wirklich große Angst davor. Ich weiß nicht warum. Wie war das bei dir, Si?

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Si: Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass es wegen deiner fehlenden Arme und Hände war. Ich glaube, es lag vor allem daran, dass du mich nicht kanntest und ich nichts machen wollte, was dich schlecht über mich denken lässt.

Ali: Ich hatte nie das Gefühl, dass man von mir beim Sex Dinge erwartet, die man in der Regel mit Händen macht. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich es so gewohnt bin, die Kontrolle zu übernehmen. Du weißt, dass ich keine Arme habe. Wenn du mit mir schläfst, wirst du diese Dinge also nicht von mir erwarten.

Die Leute sind wahrscheinlich viel neugieriger, wie ich das kompensiere – ich hasse dieses Wort – und ohne Hände dafür sorge, dass sie Spaß haben. Ich habe mir nie groß beigebracht, meinen Körper in sexueller Weise einzusetzen. Ich habe mich einfach mit der Zeit angepasst. Sex ist für mich immer schon etwas Intuitives. Ich bin selbstbewusst. Ich habe immer gemerkt und auch gesagt, wenn mir etwas gefällt oder nicht. Ich habe schließlich gemerkt, dass ich wunderbare Füße und einen erstklassigen Mund habe.

Si: Das kann ich bestätigen. Am Anfang dachte ich mir noch: "OK, das ist interessant." Aber ich habe mir nicht so viele Gedanken darüber gemacht, was ihre Andersartigkeit für den Sex bedeuten würden. Es ist halt so, wie es ist. Du musst es einfach tun und dabei herausfinden.

Ali: Bei den Stellungen mussten wir ein bisschen rumprobieren. Doggystyle oder so kann ich nicht. Aber es gibt immer eine Möglichkeit. Benutz ein paar Kissen oder die Bettkante. Wenn du dich mit jemandem wohl fühlst, ist dieses Rumprobieren auch Teil der Sexualität.

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Ich habe Si eine Art Ausstiegsklausel gegeben: "Wenn es dir ohne Umarmung unangenehm ist, kannst du gehen." Zum Glück ist er geblieben.

Si: Ich liebe es, Ali zu umarmen, für mich funktioniert es also wunderbar.

Ali: Ich hatte auch Beziehungen, in denen die Typen irgendwann genervt davon waren, mir bei Alltagsdingen zu helfen, wie mich am Kopf zu kratzen. Ein Typ half mir beim Duschen und auf Toilette zu gehen und meinte dann: "Oh, ich kann das nicht." Tja, was zur Hölle machst du dann mit mir? Ich habe schnell gelernt, dass Si überhaupt kein Problem mit diesen Pflegetätigkeiten hat.

Si: Es hat keinen Einfluss auf den Rest unserer Beziehung, obwohl ich die meisten intimen Dinge für dich tue. Es ist fast so, als würde ich … mich um meine Haare kümmern, etwas für mich tun.

Ali: Aber da bist du auch ungewöhnlich. Du bist mit Menschen mit Behinderung aufgewachsen.

Si: Was mich wirklich stört, ist, wenn Leute zu mir kommen und sagen: "Oh, du bist wirklich tapfer."

Ali: Dafür, dass du dich mit mir rumschlägst … Meine Mutter ist ein wunderschönes Beispiel dafür. Wir haben ein schlechtes Verhältnis. Immer wenn ich einen Freund hatte, hat sie ihn vor mir gefragt: "Was an Ali findest du sexy? Warum findest du sie überhaupt attraktiv?" Diese Sprüche kamen wohlgemerkt von meiner Mutter. Verdammt.

Si: Ali hat ein schönes Gesicht und tolle Titten. Das ist meine Antwort.

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