Mit Trumps schwulem Botschafter auf dem Christopher Street Day
Alle Fotos: Eva L. Hoppe

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Diplomatie

Mit Trumps schwulem Botschafter auf dem Christopher Street Day

"Du bist aber nicht hier, um harte Fragen zu stellen!", ermahnt mich Richard Grenell.

"Waaas?", brüllt der Botschafter. "Ohrstöpsel? Niemals! Die sind für alte Männer!" Dann grinst Richard Grenell sein perfektes, kalifornisches Grinsen und dreht sich wieder zur Musik. Dabei wären Ohrstöpsel eigentlich dringend nötig: Der Pickup, mit dem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der US-Botschaft in Berlin am CSD teilnehmen wollen, steht neben zwei riesigen Musik-Trucks, die um die Wette Techno-Tracks in so unmenschlicher Lautstärke ballern, als wollten sie den ganzen Ku’damm zum Einsturz bringen. Es ist kurz nach 12 Uhr mittags, deutlich über 30 Grad, die Straße vibriert durch die Musik und Tausende CSD-Besucher und -Besucherinnen, und der US-Botschafter hat ausgezeichnete Laune.

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Für Grenell ist das ein besonderer Tag: Es ist sein erster CSD als Botschafter in Berlin. Und: Er ist der erste offen Homosexuelle, der diesen Posten bekleidet. Eine ganze Reihe von Medien hätte ihn deshalb gerne an diesem Tag begleitet, aber er hat allen abgesagt – außer VICE. "Ich wollte, dass du das machst", hatte er mir vorher am Telefon erklärt. "Um einfach mal was Anderes zu zeigen, was Cooleres!" Am Ende sollte sich herausstellen: Der Botschafter und ich hatten ziemlich verschiedene Vorstellungen davon, was cool ist.

"Es wird Mimosas geben!"

Auf mich gekommen war Grenell, weil ich zu seiner Ernennung vor über einem Jahr eine nicht vollkommen ernste Analyse seines Instagram-Accounts geschrieben und ihn darin den "vielleicht fröhlichsten Menschen der Welt" genannt hatte. Kurz darauf bekam ich eine E-Mail von seiner privaten Gmail-Adresse, in der er sich ausdrücklich dafür bedankte, dass der Artikel "erfrischenderweise Politik vermeidet" – und mir versprach, sich zu melden, sobald er in Berlin angekommen sei.

Und tatsächlich: Knapp eine Woche vor dem CSD trudelte eine weitere E-Mail des Botschafters ein – nun von seiner neuen .gov-Adresse – mit der Frage, ob ich ihn nicht an diesem Tag begleiten wolle. Natürlich wollte ich, und so kam es, dass mich kurz darauf eine unterdrückte Nummer auf dem Handy anrief und mich jemand fragte, ob ich jetzt "ready" sei, mit "Ambassador Grenell" zu reden. Nach ein bisschen Gedudel, während die NSA wahrscheinlich mein gesamtes Leben aus meinem Telefon saugte, meldete sich Grenell plötzlich mit einem fröhlichen "Heeeyy!".

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Am Telefon erklärte der Botschafter mir dann das Programm, das er sich für diesen Tag ausgedacht hatte: Statt wie seine Vorgänger nur kurz die Teilnehmer auf dem Ku’damm zu begrüßen und dann nach Hause zu fahren, wollte Grenell "zum allerersten Mal überhaupt" die US-Botschaft öffnen. "Ich meine, die Pride endet ja genau vor unserer Tür", erklärte er mir. "Das ist doch total einleuchtend, dass wir die Leute da reinlassen! Und drinnen wird es dann Mimosas geben!" Abends solle noch eine Party in seiner Residenz in Dahlem stattfinden – "ein bisschen exklusiver, nur 60 Leute". Es klang großartig.

Grenell mit einem älteren Botschaftsmitarbeiter

"Das ist meine fünfundzwanzigste Pride!", ruft Grenell, kurz nachdem ich ihn und seine relativ kleine Truppe im Schatten des Monstertrucks eines Elektro-Clubs gefunden habe. "Meine erste war der Marsch auf Washington, 1993, seitdem habe ich nie eine verpasst!" Dann läuft er wieder los, um sich zwischen die knapp 30 Botschaftsmitarbeiter und -mitarbeiterinnen zu mischen, die vor dem Truck herumstehen. Alle tragen Shorts und graue T-Shirts mit der Aufschrift "CSD – US Embassy Berlin 2018" und einem amerikanischen Adler, der regenbogenfarbene Schwingen ausbreitet. Der Botschafter trägt ein weißes T-Shirt mit einem Sticker, auf dem ein kleiner, regenbogenfarbener Daumen nach oben zeigt, und ein Regenbogen-Schweißband am rechten Handgelenk. Grenell ist fast 1,90 groß, durchtrainiert wie ein Zehnkämpfer, und dazu hat er dieses perfekte Grinsen, das er jedes mal einschaltet, wenn er Hände schüttelt oder mit jemandem ein Selfie macht.

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Für den Vertreter der in Deutschland meist gehassten US-Regierung seit Roosevelt bewegt sich der Botschafter überraschend sorglos zwischen den geparkten Trucks und der Menge aus halb und ganz Nackten, Männern in glitzernden Frauenkleidern und bunt geschminkten Frauen mit Aufklebern auf den Nippeln. Erst nach einer Weile bemerkt man die fünf schweren Männer in auffällig unauffälliger Kleidung, die sich permanent in einem lockeren Kreis um ihn herum mitbewegen. Keine Secret-Service-Rambos, wie ich später von der Pressesprecherin erfahre, sondern nur deutsche LKA-Beamte. Ob er sich in einer solchen Menge nicht unsicher fühle, frage ich ihn. "Ich habe Krebs überlebt", sagt er und schaut mir für den Effekt extra fest in die Augen. "Man muss sein Leben leben!"

Grenell mit einer Botschaftsmitarbeiterin

Grenell, den der Spiegel einen "schillernden Falken" nannte, ist weltanschaulich gesehen eine wilde Mischung: offen homosexuell, aber frommer Christ. Zu Hause hängt er sich Bilder von Drag Queens an die Wand, politisch gibt er sich aber erzkonservativ – und er ist ein Trump-Mann der ersten Stunde. Dafür hat Trump ihn nach dem Wahlsieg mit dem Botschafterposten belohnt. Für die republikanische Partei war das eine kleine Revolution: Noch nie hatte es unter einem Republikaner einen offen Homosexuellen in einer so hohen Position gegeben.

Dass er seinem Boss in Krawalligkeit in nichts nachsteht, bewies er gleich nach seiner Ankunft in Berlin. In einem Interview mit der strammrechten US-Seite Breitbart warf er "der politischen Klasse" Europas vor, vor den Wahlen zu entscheiden, "wer diese gewinnt und wer kandidiert" – und kündigte an, sein Amt zu nutzen, um "Konservative in ganz Europa zu stärken". Als das bekannt wurde, forderten Teile der deutschen Politik seine Abberufung – Martin Schulz warf ihm vor, sich "wie ein rechtsextremer Kolonialoffizier" zu benehmen – und auch die New York Times veröffentlichte einen Meinungsartikel, der mit "Mr. Grenell does not, and should not, represent the United States" endete. Als ich am Samstag danach frage, sagt Grenell nur: "Darüber will ich nicht reden" – und dreht sich weg.

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"Das ist ein Sieg für Donald Trump!"

So geht das eine Weile weiter: Wir unterhalten uns kurz und kommt eine politische Frage, entscheidet Grenell recht bald, dass er mir genug erzählt hat, und beendet das Gespräch. Weil der Zug aber auch eine halbe Stunde nach dem für 12:30 Uhr geplanten Abmarsch noch keine Anstalten macht, sich in Bewegung zu setzen, fängt der Botschafter bald an, sich zu langweilen – und redet doch noch mit mir.

DJ Shelly Shell, der DJ auf dem Wagen der US-Botschaft

Als ich ihn frage, ob er seine Ernennung als Sieg für die LGBTQ-Bewegung sieht, sagt er: "Das ist ein Sieg für Donald Trump! Kein anderer Präsident hätte sowas gemacht!"

Den Sieg gönnt ihm nicht jeder. "Dass die hier dabei sind, ist ein Farce", sagt Jakob, ein Berliner mit Regenbogen-Schminke im Gesicht, der dem US-Truck aus ein paar Metern Entfernung böse Blicke zuwirft. "Die vertreten eine Regierung, die total LGBT-feindlich ist. Ich hoffe, die sind schön einsam auf dem Marsch." Als ich erzähle, dass der Botschafter selbst schwul ist, zuckt Jakob zurück: "What?" Aber er fängt sich schnell. "Na gut, dann könnte er meinetwegen als Privatmann mitgehen. Aber das tut er ja nicht."

Trumps Bilanz, was LGBT-Rechte angeht, wird von vielen tatsächlich als katastrophal bewertet, weil er versuchte, Transsexuelle aus der Armee auszuschließen, und ultra-konservative Richter für den Supreme Court nominierte. "Alles Spin", sagt Grenell. "Das stimmt einfach nicht. Trump ist der beste Präsident für Schwule, den es je gab." In Berlin nimmt ihm das nicht jeder ab: Auf Facebook wurde dazu aufgerufen, Grenell auf dem CSD "auszubuhen und auszupfeifen".

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Grenell mit Israel-, Großbritannien, USA- und Pride-Flagge und beim Zünden einer Glitzer-Kanone

"Für mich geht es beim CSD um Vielfalt und Toleranz", sagt er. "Toleranz auch gegenüber Leuten, deren Art zu denken man vielleicht nicht versteht oder nachvollziehen kann." Als ich ihn fragen will, ob man das wirklich so einfach gleichsetzen könne, Toleranz mit anderen Lebensentwürfen und Toleranz mit Rechtspopulismus, winkt er genervt ab. "Wir können da später noch drüber reden. Heute sind wir doch hier, um Spaß zu haben!"

"Trump hat gesagt: 'Wir brauchen deine Stimme.'"

Der Spaß entwickelt sich aber immer mehr zur Geduldsprobe für alle Beteiligten. Mittlerweile ist der Zug schon eine Stunde zu spät und die Hitze und die Lautstärke hämmern konstant auf das kleine Team der US-Botschaft ein. Grenell und sein Team lächeln viel. Was die Mitarbeitenden wirklich von ihrem neuen Boss halten, kann ich sie leider nicht fragen – die Pressesprecherin findet das keine gute Idee.

Grenell posiert mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der US-Botschaft

"Meine Security-Leute erlauben mir nicht, den ganzen Marsch mitzumachen", ruft mir Grenell zu. "Was sie nicht wissen: Ich werde trotzdem die ersten paar hundert Meter mitlaufen. Ich habe noch nie einen Marsch verpasst, ich kann doch meine Strähne jetzt nicht abreißen lassen!" Ich nicke anerkennend, obwohl ich weiß, dass er flunkert: Ich habe vorher gesehen, wie er mit einem LKA-Mann gesprochen und ans Ende der Straße gezeigt hat.

Nur Show ist Grenellls CSD-Ausflug aber nicht. Er selbst hat bereits Erfahrung mit Diskriminierung gemacht. Als er 2012 Berater für Außenpolitik in Mitt Romneys Kampagne war, wurde schnell klar, dass die Republikaner damals noch nicht bereit waren, einen Schwulen an so prominenter Position zu dulden. "Es war vielen Leuten massiv unangenehm, dass ich da war", sagt Grenell, und man merkt, dass es ihn immer noch ärgert. "Und deshalb bin ich irgendwann gegangen."

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Hätte er damals geglaubt, dass er irgendwann Botschafter werden würde? "Niemals!", und schüttelt den Kopf. "Ich dachte damals, das war's für mich. Ich dachte: OK, bis hier habe ich es geschafft, diese Glasdecke habe ich durchbrochen, jetzt werden andere kommen und den Kampf weiterführen." Grenell zog sich aus der Politik zurück, zuletzt leitete er eine Beratung in Kalifornien.

Donald Trumps Kandidatur bedeutete für Grenell eine zweite Chance. Anders als die meisten aus der republikanischen Partei unterstützte er die Kampagne des Immobilien-Tycoons, den er seit 2005 persönlich kennt, schon früh. "Als ich dann in Trumps Team anfing, war es völlig anders als bei Romney", ruft er mir ins Ohr, um die laute Musik zu übertrumpfen. "Trump, sein Sohn, Ivanka, Kellyanne Conway haben gesagt: 'Wir brauchen deine Stimme.'"

Hat er mich mit der Bunten verwechselt?

Bei Grenells Ernennungszeremonie Anfang Mai im Weißen Haus vereidigte ihn der ultra-evangelikale Vize-Präsident Mike Pence, der sich früher für sogenannte Schwulenheilungen eingesetzt hat. Falls das Grenell Genugtuung verschafft hat, gibt er es nicht zu: "Das war eine große Ehre, und Pence war sehr nett", sagt er. "Er hat sich sogar nach der Familie meines Partners Matt erkundigt." Dann fügt er noch hinzu: "Leute haben das Recht zu denken, dass Schwulsein komisch ist. Ich finde auch vieles komisch, was andere Leute tun."

Als ich ihn frage, wie das CSD-Motto "Mein Körper, meine Identität, mein Leben" zu vergangenen Äußerungen seines Präsidenten passe, unterbricht er mich ungeduldig. "So Fragen, das machen doch alle! Hier geht es doch um die Pride! Ich will junge Menschen erreichen und denen zeigen, was wir hier Cooles machen." Als ich versuche zu erklären, dass junge Menschen sich auch für diese Fragen interessieren, sagt er: "Du bist aber nicht hier, um harte Fragen zu stellen!"

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Spätestens jetzt ist klar, was unser Problem ist: Grenell hat die VICE mit der Bunten verwechselt. Wegen meines Instagram-Artikels dachte er offenbar ernsthaft, ich wäre ein Journalist, der ihm keine nervigen, also "politischen" Fragen stellt, sondern einfach begeistert von seiner CSD-Party berichtet – wie er das von der Bunten kennt. So verrückt es auch klingt: Der amerikanische Botschafter hat keine Lust, über seine Positionen zu reden. Worüber er sonst mit mir reden wollte, weiß ich aber auch nicht. Ihm scheint gleichzeitig auch klar zu werden, dass er sich irgendwie vertan hat: "Sei aber nicht gemein in deinem Artikel", sagt er mir plötzlich, fast beschwörend.

Grenell macht ein Foto

Um zwei Uhr mittags geht es dann endlich los. Die Botschaftsmitglieder bringen sich in Stellung, der Pickup fährt so ruckartig los, dass der DJ obendrauf fast in seine Anlage kracht, und Botschafter Grenell läuft tatsächlich mit – und mit ihm die fünf bulligen LKA-Männer. Eingerahmt wird die kleine Prozession von rund hundert Techno-Fans vor ihnen, hundert Fetischisten in Hundemasken neben ihnen und einem Polizeiauto dahinter. Nach zehn Minuten, in denen sie ein paar hundert Meter gekommen sind, drehen Grenell und seine Bodyguards plötzlich in eine Seitenstraße ab und springen in einen silbernen Chevy Suburban.

"Life is short"

Als ich eine halbe Stunde später zum Empfang in der Botschaft am Pariser Platz ankomme, gibt es zwar wirklich Mimosas, also Champagner mit Orangensaft, aber es ist fast niemand da. Die marschierenden Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hängen noch irgendwo in Charlottenburg fest, und auch sonst haben es nur knapp dreißig Gäste in den Hof der Botschaft geschafft – und fünf davon sind vom LKA.

Die deutschen Barleute haben fast nichts zu tun, die paar Gäste, die bestellen, ordern fast alle Wasser. Grenell hat sich mittlerweile ein Hemd angezogen und redet mit den Gästen an den Stehtischen, irgendwann setzt er sich in eine Ecke zu ein paar Frauen – Freundinnen aus Kalifornien, die ihn besuchen. Kurz nach meiner Ankunft fängt das Personal an, das Buffet mit den Blätterteig-Käsetaschen abzubauen.

Vielleicht liegt es an der miesen Party. Vielleicht habe ich aber auch zu viele "politische" Fragen gestellt. Jedenfalls: Als ich Grenell nach einer Weile nach dem vorher verabredeten Interview frage, erklärt er knapp, er ginge jetzt nach Hause – er würde mich am Sonntag anrufen. Die Party in seiner Residenz erwähnte er mit keinem Wort mehr. Wenig später werden wir aus der Botschaft geschmissen, die Party ist vorbei.

Am nächsten Tag ruft Grenell natürlich nicht an. Auf meine Nachfrage per E-Mail antwortet er, er sei sehr beschäftigt – aber ich könne ihm meine Fragen ja per Mail schicken. Was ich ihm dann schicke, gefällt ihm aber wieder nicht: "Solche politischen Fragen bekomme ich von den Mainstream-Medien mehrmals am Tag", schreibt er – und beantwortet die Hälfte der Fragen gar nicht, die andere Hälfte nur mit einem Satz. Auf die Frage, welche Botschaft er den jungen Leuten mitgeben will, die er durch VICE erreichen wollte, schreibt Richard Grenell nur das: "Life is short, live with no regrets."

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