Ein Mann in Uniform salutiert vor bengaloschwenkenden Demonstranten, in Polen ist die Rechte durch die PiS sehr stark geworden.
Demonstranten beim rechten Unabhängigkeitsmarsch in Warschau | Foto: Sean Gallup/Getty Image
Politik

Wie Rechtspopulisten das homofeindlichste Land der EU nach ihren Wünschen formen

Ultranationalisten und Hooligans sind zu willigen Fußsoldaten der polnischen Regierung geworden. Früher waren Migranten das Ziel, heute ist es die LGBTQ-Community.

Als Polens oberstes Gericht im Oktober 2020 ein de facto Abtreibungsverbot verabschiedete, gingen Hunderttausende Frauen und ihre Unterstützer wütend auf die Straße.

Weil sie der Katholischen Kirche eine Mitschuld an dem Gesetz gaben, trugen die Demonstrierenden ihren Protest auch vor Kirchen. Als Antwort darauf ernannten sich ultrarechte Gruppierungen und Hooligans spontan zu Kirchenbeschützern und stellten sich den Protestierenden aggressiv entgegen.

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An der Heilig-Kreuz-Kirche in Warschau wurden Frauen von breitschultrigen Männern die Treppen hinuntergeschleppt und dabei frauenfeindlich beschimpft. Anschließend gab der ultranationalistische Anführer, Robert Bąkiewicz, bekannt, dass er eine Bürgerwehr gründen wolle, die "Nationalwache", um die Kirchen zu schützen und Protestierende zurückzudrängen, die er als "linke Barbaren" bezeichnete.


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"Wir werden jede Kirche, jedes Viertel, jede Stadt, jedes Dorf verteidigen", sagte er. "Ich kann sagen, dass das Schwert der Gerechtigkeit über ihnen hängt. Wenn nötig, werden wir sie zu Staub verwandeln und diese Revolution zerstören."

Trotz Warnungen der Polizei, dass die ultrarechten Bürgerwehren die Situation anheizen würden, bekundeten prominente Mitglieder der regierenden Partei für Recht und Gesetz, PiS, öffentlich ihre Unterstützung für die selbsternannten Kirchenbeschützer.

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Der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński, der wohl einflussreichste Politiker Polens, rief Katholikinnen und Katholiken dazu auf, die Kirchen zu verteidigen, während der PiS-Parlamentarier Tomasz Rzymkowski die "jungen Nationalisten" lobte, die die Kirche verteidigten und mit ihr gleich "die ganze römische Zivilisation gegen die Barbaren".

Auch wenn die Zusammenstöße, die Polen nach dem Abtreibungsgesetz erschütterten, schockierend waren, waren sie nichts Neues.

Maskierte Demonstrierende recken vor einer polnischen Flagge die Faust in die Luft

Demonstrierende bei einem Protest gegen das Abtreibungsgesetz im Januar 2021 | Foto: WOJTEK RADWANSKI/AFP via Getty Images

In Polen haben sich im Laufe der vergangenen Jahre immer wieder ähnliche Szenen abgespielt: Ultranationalistische Gruppen suchen die gewalttätige Konfrontation mit Gruppen, die sich für progressive Anliegen einsetzen – seien es LGBTQ-Rechte oder das Recht auf Abtreibung. Diese Männer, die sich aus neofaschistischen Bewegungen und der Hooliganszene zusammensetzen, haben sich immer wieder als willige Fußsoldaten in dem Kulturkrieg erwiesen, der seit Jahren in Polen tobt. 

Seit die PiS 2015 an die Macht gekommen ist, hat die rechtspopulistische Partei alles daran gesetzt, Polen nach ihren Vorstellungen zu formen – so sehr, dass Kritikerinnen und Kritiker die demokratische Ordnung gefährdet sehen.

Die Partei hat die Gerichte des Landes mit Gleichgesinnten besetzt, ihren Griff um die Medien gefestigt und systematisch daran gearbeitet, alle sozialliberalen Werte zu vernichten. Durch ihre konservative und katholisch-nationalistische Agenda hat die PiS Minderheiten dämonisiert, die Gesellschaft polarisiert und rechtsradikale Einstellungen in den polnischen Mainstream einfließen lassen.

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Ein Menschenmenge mit polnischen Fahnen und Bengalos

Rechte Demonstrierende beim Unabhängigkeitsmarsch 2020 | Foto: WOJTEK RADWANSKI/AFP via Getty Images

Dieses Vorgehen hat zu breiter Kritik gegen die Regierung geführt – aus dem Aus- wie Inland. Der polnische Verfassungsrechtler, Menschenrechtsaktivist und aktuell noch amtierende Beauftragte für Bürgerrechte, Adam Bodnar, sagt, die PiS würde die polnische Demokratie gefährden, insbesondere durch ihre Stärkung des rechten Rands.

"Sobald die Regierung eines Landes ihr Gewaltmonopol mit privaten Organisationen wie den extremen Rechten teilt, ist das extrem gefährlich für die Demokratie", sagt er zu VICE. Offenbar meint er damit insbesondere die Unterstützung von PiS-Funktionären für die selbsterklärten Kirchenbeschützer.

"Das ist ein Spiel mit dem Feuer. Man eröffnet ihnen Möglichkeiten und gibt ihnen dadurch bestimmte Positionen in der Struktur des Staates."

Die rechtspopulistische PiS kam 2015 auf dem Höhepunkt der europäischen Flüchtlingskrise an die Macht. Sie nutzte geschickt die migrantenfeindliche Stimmung und die damit einhergehende Islamophobie aus. Dabei ist Polen ein überwiegend homogenes Land, der Anteil von Muslimen in der Bevölkerung ist winzig, und das Staatsgebiet befand sich auch nicht in der Nähe der europäischen Fluchtrouten.

Auf der Suche nach einem neuen Ziel lenkte die PiS bald ihre Aufmerksamkeit auf die LGBTQ-Community. Im Wahlkampf zur Parlamentswahl 2019 stellten führende Politikerinnen und Politiker der Partei die Rechte für Homosexuelle als gefährliche und fremde Ideologie dar, die eine Gefahr für die traditionelle Einheit der katholisch-polnischen Familie bedeute.

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Ein Mann mit einem schwarzen T-Shirt mit "White Brotherhood Poland"-Aufschrift und einer Südstaatenflagge als Mundschutz

Ein Mann bei einer Anti-LGBTQ-Demonstration in Krakau im Sommer 2020 | Foto: Beata Zawrzel/NurPhoto via Getty Images

Diese andauernden und niveaulosen Attacken kamen auch von den obersten Rängen der Partei. Kaczyński bezeichnete die Forderungen nach mehr LGBTQ-Rechten als "große Gefahr" und "letztendlich einen Angriff auf Kinder". Andere PiS-Politiker twitterten "Polen ist am schönsten ohne LGBT" oder verglichen gleichgeschlechtliche Ehen mit Sex mit Tieren. Um die 100 Gemeinden erklärten sich zu LGBT-freien Zonen – das war etwa ein Drittel des polnischen Gebiets.

Die Hassreden aus der Regierung bestärkten religiöse Hardliner und entfesselten eine Anfeindungswelle auf die LGBTQ-Gemeinschaft, die sich häufig auch in körperlicher Gewalt äußerte. Bei Veranstaltungen wie dem Pride-March 2019 in der Stadt Białystok stand den Protestierenden ein rechter Mob aus Hooligans, Ultranationalisten und katholischen Extremisten gegenüber, der sie ungestraft angriff.

"Menschen werden attackiert, auf den Straßen gejagt. Sie werden zusammengeschlagen, mit Pflastersteinen beworfen oder mit Flaschen, die mit Pisse gefüllt sind", sagt Ola Kaczorek, die Co-Präsidentin von Liebe Schließt Nicht Aus, einer Gruppe, die sich für die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe einsetzt.

Ein schwarzgekleideter Mann steht inmitten einer Demonstration eine schwarz-rote Flagge haltend auf einem Auto über der Menge

Ein Mann hält die "Frauenstreik"-Flagge bei einer Demonstration gegen das neue Abtreibungsgesetz | Foto: Omar Marques/Getty Images

Vergangenen Oktober entschied dann das polnische Verfassungsgericht, dass die Abtreibung stark geschädigter oder unheilbar kranker Föten verfassungswidrig ist. Die Entscheidung, die von einem fast vollständig von der PiS bestückten Gericht gefällt wurde, machte die häufigste Grundlage für eine legale Abtreibung illegal. Dabei hatte Polen bereits eines der strengsten Abtreibungsgesetze in ganz Europa. Kritikerinnen und Kritiker sehen in dem Gesetz den Höhepunkt der systematischen Angriffe der Regierung auf die Rechte von Frauen.

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"Du fühlst dich, als wärst du im Krieg mit deiner eigenen Regierung", sagt Justyna Wydrzyńska von der Organisation Abtreibung ohne Grenzen zu VICE. Die Initiative hilft polnischen Frauen, Zugang zu Abtreibungen zu bekommen.

Für Bürgerrechtskommissar Bodnar zeigt das Abtreibungsverbot, wie die Regierung ihre "politischen Schulden" bei der katholischen Kirche begleiche.

Das alles hat dem rechten Rand in Polen zunehmend Selbstvertrauen gegeben. Und dieses lässt sich jedes Jahr am 11. November in Warschau beobachten, wenn Neonazis, Hooligans und andere rechte Gruppierungen zum Unabhängigkeitstag durch die polnische Hauptstadt marschieren.

Zwei maskierte Polizeibeamte stehen einer Frau mit Gesichtsmaske gegenüber

Bei einer Demonstration gegen das Abtreibungsgesetz in Krakau 2020 | Foto: Omar Marques/Getty Images

Seit über zehn Jahren hat ein Zusammenschluss von ultrarechten Organisationen – momentan unter der Führung von Bąkiewicz – Polens Nationalfeiertag mit einer riesigen Demonstration für sich beansprucht. An ihr nehmen patriotische Polinnen und Polen, Hooligans und neofaschistische Gruppierungen aus dem ganzen Land teil – und rechte Gruppierungen aus anderen Teilen Europas.

Der Aufmarsch, der in den vergangenen Jahren noch einmal dramatisch an Größe zugelegt hat, mündet immer wieder in Ausschreitungen zwischen Hooligans und der Polizei. 2020 wurde aus der Menge eine Leuchtfackel auf eine Wohnung geworfen, über der eine Regenbogenflagge und ein Banner für Frauenrechte hing, und setzte das Gebäude in Brand.

Der Aufmarsch 2020 trug den Titel "Unsere Zivilisation, unsere Regeln" und hatte einen dezidiert homophoben Ton – ganz im Sinne der Anti-LGBTQ-Rhetorik der Regierung. Die Veranstaltung wurde mit einem Poster beworben, auf dem ein Ritter ein Schwert durch einen Regenbogenstern treibt. Demonstrierende trugen Banner mit Sprüchen wie "Normale Familie, starkes Polen" – ein Slogan, der häufig von polnischen Rechten gegen die LGBTQ-Rechte verwendet wurde.

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Die vielen Jahre mit der rechtskonservativen PiS an der Macht und einer gestärkten Rechten, die auf den Straßen der Gesellschaft ihre traditionalistischen Ansichten mit Gewalt aufzwingt, haben dazu geführt, dass liberale und progressive Menschen in Polen befürchten, dass ihnen ihr Land entgleitet. Vor allem für Mitglieder von Minderheiten waren die anhaltenden Attacken auf ihre Gemeinschaft besonders hart.

Eine Skyline bei Nacht mit einer großen Menschenmasse auf den Straßen

Demonstration gegen das Abtreibungsgesetz in Warschau 2020 | Foto: Omar Marques/Getty Images

"Junge LGBT+ Menschen wachsen umgeben von dieser Ideologie auf, die sagt, dass an ihnen etwas zutiefst falsch ist", sagt Kaczorek von Liebe Schließt Nicht Aus.

Immer wieder wird man daran erinnert, vor was für Hürden man steht, wenn man versucht, die zunehmend autoritär agierende PiS-Regierung herauszufordern. Im April dieses Jahres wurde der Beauftragte für Bürgerrechte Bodnar, einer der letzten unabhängigen Regierungsbeobachter, dazu aufgefordert, seinen Posten innerhalb von drei Monaten zu räumen. Die Entscheidung kam vom gleichen PiS-bestückten Verfassungsgericht, das auch hinter dem Abtreibungsgesetz vom Oktober steht. Human Rights Watch bezeichnete das Urteil gegen Bodnar als Auftrag der Regierung. Auch andere NGOs sagen, dass es rechtlich umstritten sei. Seine Nachfolgerin oder sein Nachfolger wird sehr wahrscheinlich von der PiS gestellt.

Demonstrierende mit weißen T-Shirts und Regenbogenflaggen, eine Frau hält eine Kirchenikone hoch, bei der die Heiligenscheine durch Regenbogen ersetzt wurden

Pride-Demonstration in Płock, 2019 | Foto: WOJTEK RADWANSKI/AFP via Getty Images

Trotz der katastrophalen Lage sagen liberale und progressive Menschen in Polen, dass sie den Kampf auf keinen Fall aufgeben wollen.

"Das ist mein Ort und mein Zuhause", sagt Kaczorek. "Auch wenn Polen mich hasst, liebe ich dieses Land sehr."

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