Eine Illustration zeigt Menschen beim Raven. Sie tanzen ausgelassen als ich von hinten Polizisten anschleichen.
Unserem Autor ging es darum, Spaß zu haben und frei zu sein. Dann wurde er paranoid | Illustration: Benedikt Beck  
Drogen

Ich habe Schizophrenie – trotzdem will ich Drogen nehmen

Die Angst vor Strafverfolgung begleitete mich auf dem Weg zur Arbeit oder in der U-Bahn zum nächsten Rave. Wie kann es besser gehen?
günther-7
Alles zur Cannabis-Legalisierung

Manchmal entwickeln sich ganz banale Situationen zu einem Schlamassel, aus dem man sich nur schwerlich rausziehen kann. So ging es mir vor ein paar Wochen: Ich saß mit Freunden in einer Berliner Bar. Wir tranken Cocktails, rauchten und sprachen über Tattoos. Ich zog meine Jeans hoch und zeigte ihnen den Kasten auf meinem Bein. Stolz erzählte ich, wie ich ihn mir selbst gestochen hatte. Damals vor zehn Jahren in Indien. Meine Freunde schauten verblüfft. Ich merkte, wie ich meine Anekdote nicht zu Ende gedacht hatte. An den Stränden Goas nahm ich damals LSD und vor allem kiffte ich täglich. Etwa drei Gramm Marihuana müssen es pro Tag gewesen sein, schätze ich. Ich war kurz davor, meine erste Psychose zu bekommen. Aber das wusste ich damals noch nicht.

Anzeige

Goa war eine wilde Zeit. Ich bereue sie kein bisschen. Kurz nach dem Abitur flog ich nach Indien. Ohne Plan, ohne Reiseführer, ohne Wegbegleiter. Ich lernte schnell andere Reisende kennen. Manche machten Work and Travel, aber die meisten waren Aussteiger: Mitdreißiger, die nach einem Burnout Freizeit wollten und Rentner, die seit 1968 dort lebten. Wir gingen auf Raves, die ehemalige Soldaten aus Israel organisierten, nahmen MDMA, Ketamin und Pilze. Es war alles, wie es mit 19 Jahren so sein sollte. Ich hatte Spaß, genoss es frei zu sein und weit weg von Menschen, die auf mich aufpassen wollten.


Auch von VICE: Wir haben Menschen nach ihren schwersten Straftaten gefragt


Doch dann wurde ich paranoid. Ich konnte mir selbst und anderen nicht mehr trauen. Wochenlang irrte ich umher. Und musste nach drei Monaten zurück nach Frankfurt fliegen. Meine Eltern holten mich vom Flughafen ab, bugsierten mich ins Auto und ließen mich in der Psychiatrie aussteigen. Zum ersten Mal in meinem Leben sprach ich mit einem Arzt über Konsum, Substanzen – und meine Psyche. Es war wohl eher das tägliche Gras als das LSD, dass mein Risiko für eine Psychose in die Höhe getrieben hatte. Die Vermutung bestätigte der Arzt, zu dem ich beim Aufnahmegespräch für den stationären Aufenthalt sagte: "Die Drogen machen mich dreifach paranoid: durch ihre Wirkung, durch die Angst vor meinen Eltern und die Angst vor der Polizei." Auch wenn ich damals vielleicht nicht ganz zurechnungsfähig war, sollte ich damit Recht behalten.

Anzeige

Eine Legalisierung aller Drogen würde allen Kranken helfen, egal ob sie süchtig, psychotisch oder depressiv sind.

Auf Menschen, die drogenfrei leben, wirkt es meist befremdlich, wenn ich sage, dass ich Drogen nehme. Noch am Frankfurter Flughafen fragte mich meine Mutter: "Mein Kind, hast du dir etwas gespritzt?" Damals dachte ich mir trotzig: selbst wenn? Ich war zu dem Zeitpunkt psychotisch und konnte das Entsetzen meiner Familie nicht einordnen. Dass diese Zeit auch für sie belastend war, arbeiten wir gerade auf.

Wer Drogen nimmt, lebt immer mit der Gefahr, erwischt zu werden. Die Angst vor Streifenwagen und Strafverfolgung begleitete mich auf dem Weg zur Arbeit, beim Spaziergang mit Freundinnen oder in der U-Bahn zum nächsten Rave. Allein wenn Polizisten an mir vorbeiliefen und ich Drogen dabei hatte, befeuerte das meine Paranoia. Bei meiner zweiten Psychose griffen mich Polizisten auf. Sie drückten mich auf den Boden, legten mir Handschellen an und lachten, als ich vor Angst schrie. Diese Brutalität bei der Festnahme machte mir lange Zeit Angst. Nur durch Therapie konnte ich sie wieder ablegen.

Dabei ist es doch so: Eine Legalisierung aller Drogen würde allen Kranken helfen, egal ob sie süchtig, psychotisch oder depressiv sind. Sie könnten gesünder leben und schneller genesen – ohne die Furcht im Knast zu landen.

Bei einer Party am Strand von Arambol, nördlich im Bundesstaat Goa, kickte gerade das LSD. Das ist ein großartiges Gefühl, die Härchen an den Armen stellen sich auf, der Kopf funkt und alles ist witzig. Plötzlich rannte ein flüchtiger Bekannter weg. Tage später erzählte er mir, was passiert war: Zivilpolizisten hatten ihn angesprochen, ob er Drogen hätte, ob er teilen möge. Er bejahte beides und wurde festgenommen. Zwar konnte er wegrennen und ihm passierte nichts. Dennoch machte die Geschichte schnell die Runde. Die Menschen wurden ein paar Tage lang vorsichtiger, ließen sich nicht anquatschen, waren misstrauisch.

Anzeige

Eine Legalisierung aller Drogen würde dazu führen, dass sich weniger Menschen ihre Zukunft verbauen. Denn wer süchtig ist, wer richtig dringend Stoff braucht, wird stehlen, betrügen, ja, sich vielleicht auch prostituieren, um an Geld für Drogen zu kommen. Mit einer Legalisierung könnte man die Beschaffungskriminalität zumindest eindämmen. Und auch, wenn es nicht mehr im Sinne der Strafverfolgung wäre, jedes Milligramm in einem Baggy fein fürsorglich abzuwiegen und zur Anzeige zu bringen. Die Polizei könnte ihre Zeit in Verbrechen wie Vergewaltigung, Totschlag oder Mord investieren.

Meine Psychose war gerade beim ersten Mal wie ein Laster, der mich überfuhr. Immer wieder raste er auf mich zu und überraschte mich. Worüber andere Menschen sprachen, konnte ich im Wahn nur schwer einordnen: Will der mir was? Ich soll jetzt mit dem Moped 30 Kilometer Richtung Süden fahren, weil ich zufällig auf der Straße hörte, dass da alles besser ist? Ach, machen wir das nun einfach mal!

Auf grünem Hintergrund rast ein pinker Laster durch das Bild. Er sieht bedrohlich aus

Wenn die Psychosen kommen, fühlen sie sich an wie ein Laster, der über dich drüber fährt. Wieder und wieder | Illustration: Benedikt Beck​

Drogen zu nehmen, macht Spaß. Aber klar, Drogenpsychosen können nicht mit mehr Drogen geheilt werden. Wer an einer Psychose erkrankt ist, muss jeden Tag Tabletten schlucken. Sogenannte Neuroleptika. Sie ordnen Gedanken, machen aber auch dick und lethargisch. Mir haben die Ärzte eine schizo-affektive Störung diagnostiziert. Das heißt, ich kann Wahrnehmungsstörungen und Gemütsschwankungen bekommen. Krank zu sein, ist kein Verbrechen. Und auch ich will Drogen nehmen, will das Kitzeln auf der Haut spüren, wenn ich LSD nehme oder den Kontrollverlust, wenn ich Ketamin ziehe. Niemand sollte Angst haben, deswegen erst ins Polizeiauto und später vor Gericht geschliffen zu werden.

Anzeige

Wenn ich einen Abend lang ballere, wache ich am nächsten Morgen auf und denke nur: Weiter geht's!

Aufklärung über Drogen bedeutet zuerst: Wer Drogen nimmt, muss wissen, was er oder sie tut. "Welche Menge kann ich mir zumuten?", ist eine elementare Frage. Frisch nach dem Abitur auf einem anderen Kontinent einen Zuckerwürfel voll LSD zu lutschen, das gehört eher nicht dazu. Aber Aufklärung bedeutet auch, dass Eltern wissen, dass Goa für Psychedelics bekannt ist. Eben nicht für Heroin, oder was auch immer meine Mutter andeuten wollte.

In meiner Schule gab es keine Drogen-, sondern eine Suchtberatung. Ich glaubte damals keine dieser Horrorstorys. Und wollte auch nicht glauben, wenn andere Menschen mir erzählten, wie schlimm das sei, dass ich in Indien Drogen genommen habe.

Ja, ich hatte eine Drogenpsychose, kämpfe immer wieder mit Substanzen und ihrer süchtig machenden Wirkung: Gerade Kokain ist gefährlich. Wenn ich einen Abend lang ballere, wache ich am nächsten Morgen auf und denke nur: Weiter geht's! Diesen Suchtdruck versuche ich dann mit Ablenkung wie Sport oder Musik gering zu halten. Ja, ich habe durch den Konsum viel Geld verbraten, Freunde verloren und war in vielerlei Hinsicht oft nicht so handlungsfähig, wie es die Gesellschaft erwartet hätte. Aber was sind die Alternativen? Keine Fehler machen? Leben in Nüchternheit? Neuroleptischer Zölibat? 

Anzeige

Ich habe in den vergangenen Jahren gelernt, mit Drogen in meinem Körper zu leben. Seit ich in Indien war, hatte ich noch zwei weitere Psychosen. Sie gehören zu mir. Ich nehme Medikamente, spreche regelmäßig mit Ärzten und stehe auch mal in der Notaufnahme, wenn ich mich wieder überfahren fühle: Wenn der Alltag mich überwältigt, wenn ich nicht klar komme und sich erste Symptome wie innere Unruhe und Schlafprobleme zeigen. Das merke ich mittlerweile früh. Dann suche ich mir Hilfe und lasse mich behandeln.

Forschung wird ohne eine Legalisierung quasi verunmöglicht.

Als ich nach meiner Indienreise wieder in Deutschland lebte, war ich wieder so dumm, ein Jahr lang jeden Tag Cannabis zu rauchen. Die nächste Psychose kam direkt zu dem Zeitpunkt, als ich aufhörte. Dann – mit 21 Jahren –  hörte ich endgültig auf, zu kiffen. Bis heute. Seitdem kam eine weitere Psychose. Sie war stressbedingt. Und seitdem? Nahezu symptomfrei, während eines halbwegs gesunden Konsums von Partydrogen.

Ich würde gerne wissen, welchen Einfluss THC und andere Substanzen auf die Entwicklung  von Psychosen haben. Der Komplex sollte so richtig ausgeforscht werden, über lange Zeit, mit Hunderttausenden Probanden und überprüfbaren Ergebnissen. Ich würde gerne meine Erkrankung verstehen können. Und ich würde gern wissen, warum es so weit kam: Was waren die Frühzeichen? Woran hätten ich oder andere die Symptome erkennen können? Welcher Rolle spielt Genetik?

Anzeige

Doch diese Forschung wird ohne eine Legalisierung quasi verunmöglicht. Weil Drogen illegal sind, kann man sie nicht so leicht in Studien verabreichen und so mehr herausfinden. Wissenschaftlerinnen müssen auf freiwillige Haarproben und Interviews zurückgreifen. 

So suche ich selbst nach Antworten. Die Pioniere der Psychedelics haben Bücher geschrieben, die mir helfen, die Drogen zu hinterfragen. Dem spirituellen Schriftsteller Alan Watts wird das Zitat nachgesagt: "If you get the message, hang up the phone." Damit meinte er, dass man auch mal innehalten muss, Abstand gewinnen, gerade zu den Drogen. Nicht: High all day everyday, 420 blaze it, wie es viele Cannabisaktivisten predigen. Nur wer mal Pause macht, kann reflektieren, was die Substanzen mit einem machen. Ob es gerade zu viel ist oder passt. Doch dieses Abstandnehmen fiel mir bei Gras besonders schwer.

Cannabis ist die dümmste Droge: Lange Zeit wurde ich einfach dumpf, konnte mit niemanden gut reden, alles drehte sich für mich nur um mich. Ich wünschte, ich wäre nie davon abhängig gewesen. Und ja, ich war süchtig. Meine Psyche sehnte sich nach der Ruhe im Kopf, die ein Joint auslöste. Ich wollte nicht mehr nachdenken und grübeln. Ich konnte keinen Tag ohne Gras auskommen. Manchmal schaffte ich es bis zum Abend nüchtern zu bleiben, aber mangels Verpflichtungen und fester Freundin fing ich dann doch an zu kiffen.

Anzeige

Bis heute rege ich mich darüber auf, dass ich meine besten Jahre mit Gras vergeudet habe.

Bis es zu viel wurde. Bis ich das Weed aufgeraucht hatte und plötzlich nichts mehr da war. Und ich auf der anderen Seite der Welt war. OK, ich musste nur in das Café, zu dem Verkäufer, der hatte immer was. Los geht's!

Doch angekommen an dem Café wartete niemand. Es war fünf Uhr morgens. Die Sonne ging gerade auf. Ich war seit drei Tagen wach. Nicht wegen der Drogen, Aufputschendes nahm ich damals nicht. Sondern wegen meiner Psychose. Sie ließ mich nicht mehr schlafen. Ich wollte nicht mehr schlafen. Ich wollte immer weiter. Als ich da stand, auf den Dealer wartete, merkte, dass niemand kam, da hatte ich das erste Mal seit Wochen einen klaren Moment. Plötzlich konnte ich einordnen, was andere mir direkt sagen: "Du hast eine Psychose."

Bis heute rege ich mich darüber auf, dass ich meine besten Jahre mit Gras vergeudet habe. Wie kann es besser gehen?

Der Stoff muss clean sein. Er muss testbar sein, leicht zugänglich, überall verfügbar. Auch kurz vor dem Club oder direkt drinnen. Er muss bezahlbar sein. Menschen sollen sich nicht verschulden, sondern einen bewussten Umgang lernen.

Niemand soll einen Gewinn daraus schlagen können, wenn Menschen ihre Psyche erkunden oder ihrer Sucht nachgehen. (Auch keine Pharmakonzerne sollen dabei Profite maximieren, danke.)

Familie und Freunde sollten vorab wissen, was ich heute weiß: Das Leben geht weiter, immer weiter. Auch mit einer Psychose. Sie ist behandelbar und der Umgang erlernbar. Ein Stigma bringt nichts, nur Ärger, Verdruss und im Zweifel Selbsthass. Drogen sollten nicht durch Mundpropaganda erklärbar werden, sondern auch durch Bücher, Artikel und durch den Schulunterricht.

In der Bar erzähle ich meinen Freunden nichts von meiner Krankheit, nichts von den Drogen, nichts von dem, was noch in Indien geschah. Es war nicht die richtige Zeit und nicht der richtige Ort. Ich machte stattdessen Witze darüber, wie dieser Klotz am Bein mich für immer begleitet. Jeden Tag trage ich ihn mit mir, ohne dass er sich schwer anfühlt.

Was tatsächlich auf mir lastet, ist diese Gewissheit: Wenn es noch einmal so weit kommt, dass ich abdrifte, auf und davon in die Psychose, dann wird mich die Erkrankung für Wochen oder Monate lahmlegen. Und ich werde Fragen beantworten müssen, die ich nicht gestellt bekommen möchte: Sohn, hast du wieder gekifft? Hallo, ist das Ihr Kokain in dieser Reisetasche?

Folge dem Illustrator Benedikt Beck auf Instagram und VICE auf FacebookTikTokInstagramYouTube und Snapchat.