Popkultur

Wie der Prozess zwischen Johnny Depp und Amber Heard zu einem Meme verkommt

Und warum das für niemanden gut ist.
Der Schauspieler Johnny Depp im Verhör beim Prozess gegen seine Ex-Frau Amber Heard, auf der Videoplattform TikTok wird das Verfahren zu einem Meme gemacht.
Foto: STEVE HELBER/POOL/AFP via Getty Images

"Johnny hat uns allen mit seinen Filmen so viele Erinnerungen beschert. Er hat einfach mehr verdient." Das findet die 24-jährige Scout Robert aus Nordkalifornien. Sie ist nur eine von vielen TikTokerinnen, die auf ihrem Account den Prozess zwischen Johnny Depp und Amber Heard begleiten. Vor Gericht behaupten beide Hollywood-Stars, vom jeweils anderen misshandelt worden zu sein.

Die Gerichtsverhandlung wird live im amerikanischen Fernsehen übertragen und auf YouTube gestreamt. Seit dem ersten Prozesstag posten TikTok-User Clips und kleine Compilations. Manche dieser Posts wurden millionenfach angeschaut.

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Auch die TikTokerin Ashley Kaye postet solche Videos. "Ich hatte keine Ahnung, auf was ich mich da einlasse", sagt sie. "Jeden Tag wird eine neue Schicht freigelegt wie beim Häuten einer Zwiebel. Ich konnte einfach nicht glauben, wie wahnsinnig das alles ist."


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Von Anfang an begleiteten Anschuldigungen häuslicher Gewalt die sehr öffentliche Trennung des einstigen Paares. Nach 15 Monaten Ehe reichte Heard 2016 nicht nur die Scheidung ein, sondern erwirkte auch noch eine einstweilige Verfügung gegen Depp. 2018 schrieb die Schauspielerin dann einen Beitrag für die Washington Post, in dem sie sich als "öffentliche Person, die für häusliche Gewalt steht", bezeichnete. Ihren Ex-Mann erwähnte sie dabei nicht namentlich. Im selben Jahr bezeichnete die britische Boulevardzeitung Sun Johnny Depp als "wife beater", also Frauenschläger. Der Schauspieler wollte gerichtlich dagegen vorgehen, seine Klage wurde allerdings abgewiesen. Jetzt verklagt Depp seine Ex-Frau auf 50 Millionen US-Dollar wegen ihres Washington Post-Artikels. Heard selbst kontert mit einer Gegenklage von 100 Millionen US-Dollar.

Das Urteil wird am 19. Mai erwartet, aber für viele scheint die Sache schon klar zu sein. Die große Mehrzahl der TikTok-Clips und die meisten Kommentare in den Livestreams ergreifen Partei für Johnny Depp.

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Die TikTok-Videos reichen von Prozessanalysen, über sogenannte Depp-Fancams, die das Verhalten und die Reaktionen des Schauspielers im Gericht zeigen, bis hin zu Compilations mit "funny Moments" und seinen "erbarmungslosen" Angriffen auf Heards Anwälte. Die Hashtags #johnnydepp und #justiceforjohnnydepp haben auf der Videoplattform bereits über elf, beziehungsweise sechs Milliarden Views. Ein heiter zusammengeschnittenes Video, das Depp "genervt von Ambers Anwälten" zeigt, wurde über 23 Millionen Mal angesehen. Selbst der O-Ton von Heards Anwalt, der Depp fragt, ob er sich ein "mega pint of wine", also ein Megaglas Wein eingeschenkt habe, ist zu einem beliebten TikTok-Sound geworden. Die Clips mit dem Tag #megapintofwine haben inzwischen über 6,2 Millionen Aufrufe erreicht.

Der ganze TikTok-Trubel um ein Promiverfahren scheint auf den ersten Blick ein neues Phänomen zu sein. Die Marketingexpertin Jenna Drenten von der Quinlan School of Business weist allerdings darauf hin, dass dies nicht das erste Mal ist, dass ein Gerichtsprozess die Öffentlichkeit derartig fesselt – zumindest nicht in den USA. "1993 klebten die Amerikaner vor dem Fernseher und sahen dabei zu, wie ein weißer Ford Bronco auf einem Highway in Los Angeles von der Polizei verfolgt wird", sagt Drenten und spielt damit auf das Medienpektakel um den Strafprozess gegen O. J. Simpson an. Der Footballstar und Schauspieler wurde damals beschuldigt, seine Ex-Frau und einen befreundeten Kellner umgebracht zu haben.

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Der O. J.-Simpson-Fall war eins der ersten Gerichtsverfahren, das öffentlich im Fernsehen übertragen wurde. "Es hat für immer verändert, wie Fans mit Promi-Prozessen umgehen", sagt Drenten. Für sie ist der TikTok-Trend mit Fans, die den Depp-Heard-Fall aufgreifen, nur eine neue Ausprägung der Sensationsgier, die bereits seit vielen Jahren von den großen Medien bedient wird. Der Unterschied sei lediglich, dass die Sensationsmache jetzt in den Händen der Fans liege.

Man muss allerdings auch bedenken, dass sich die Fankultur selbst merkbar verändert hat und in den Mainstream übergeschwappt ist. Die Soziologiedozentin Briony Hannell von der Universität Sheffield sagt: "Genres und Praktiken, die mal auf kleinere, stärker eingegrenzte Fangemeinden beschränkt waren, sind sehr sichtbar und allgegenwärtig geworden." Fancams zum Beispiel – also Videos, die sich bei Auftritten allein auf einen bestimmten Star konzentrieren – waren ursprünglich ein Phänomen der K-Pop-Fanszene. Heute werden sie von Stans beziehungsweise Fans aller möglichen Promis und Figuren des öffentlichen Lebens eingesetzt.

Am besten versteht man die Depp-Fancams und wohlwollenden Videozusammenschnitte im Kontext seiner langen Schauspielerkarriere. Der 58-Jährige hat mit Captain Jack Sparrow aus Fluch der Karibik und Edward mit den Scherenhänden einige der bekanntesten Figuren des Hollywoodkinos verkörpert. Die Medienpsychologin Pamela Rutledge sagt, dass ihn genau das zu einem "leichten Ziel für die Meme-ifizierung" mache. "Während vor Gericht ernste Tatvorwürfe zu häuslicher Gewalt verhandelt werden, verleihen Depps Persönlichkeit, seine bekannten Rollen und sein Image dem Verfahren eine surreale Qualität, die die Fancam-Inhalte befeuert", sagt sie.

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Hollywood, Fantum und Sensationslust sind allerdings nicht die einzigen Dinge, die die Wahrnehmung des Falls beeinflussen. Trendexpertin und Meme-Archivarin Amanda Brennan ist der Meinung, dass hier die Beliebtheit von True-Crime-Formaten und Gerichtsdramen ebenfalls eine Rolle spielen. "Anstatt echten Menschen sehen wir eindimensionale Ausschnitte einer Story, die die Leute wie eine Fernsehserie konsumieren wollen", sagt sie. "Wir fühlen mit der Person mit, mit der wir uns am meisten verbunden fühlen, feuern sie an wie unsere Lieblinge in einem Teeniedrama." 

Ähnlich wie sich Twilight-Fans als "Team Edward" oder "Team Jacob" bezeichnet haben, sind TikTok-User jetzt Team-Johnny-Depp. Der TikTok-Hashtag #teamjohnnydepp hat über 156 Millionen Aufrufe. Dutzende TikTok-Accounts verwenden als Profilbild den Schriftzug "Justice for Johnny Depp" auf schwarzem Hintergrund.

Einige Expertinnen und Experten haben sich bereits besorgt über die Meme-isierung des Depp-Heard-Verfahrens gezeigt. Ihre Sorge: Die ganzen Fancams und TikTok-Zusammenschnitte könnten unseren Umgang mit häuslicher Gewalt beeinflussen. Aus diesem Grund findet Evie Muir, eine Expertin für häusliche Gewalt, die Pro-Depp-Rhetorik der TikTok-Videos so besorgniserregend: "Wir sehen ständig Beispiele von Menschen, die sofort einen Promi verteidigen, freisprechen und unterstützen, den sie nie persönlich kennengelernt haben. Wir wissen, dass dieses Verhalten den Umgang mit Opfern häuslicher Gewalt widerspiegelt, wenn ein Familienmitglied, Freund oder Kollege beschuldigt wird", sagt sie.

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"Was uns Sorgen machen sollte, ist die Message, die die Reaktionen zum Depp-Heard-Prozess an Opfer von sexualisierter und Beziehungsgewalt auf der ganzen Welt sendet: dass ihnen nicht geglaubt wird, sie hinterfragt werden und sich über sie lächerlich gemacht wird."

Die TikTok-Userinnen und User, die diese Videos hochladen, sehen das natürlich anders. Der Account @MCULokii hat mehrere Millionen Aufrufe mit lustigen Videocompilations des Falls generiert. Die Videos seien dazu da, "die Stimmung aufzulockern", sagt die anonyme Person, die den Account betreibt.

"Ich glaube, dass die Edits und Videos alle mit guten Absichten entstehen. Niemand hier will ein so ernstes Thema wie häusliche Gewalt runterspielen", schreibt @MCULokii. "Schließlich macht Johnny Depp im Gericht Witze und lacht, wir sollten auch lachen dürfen!"

Für TikTok-Userin Kaye ist die Motivation das überwältigende Feedback, das sie auf ihr erstes Video zu dem Prozess bekommen hatte. Darin hört man mutmaßlich Amber Heard sagen, dass sie Depp geschlagen habe. Zahlreiche User hätten ihr daraufhin gedankt, dass sie auf häusliche Gewalt aufmerksam mache. Das habe Kaye dazu inspiriert, weiterzumachen, sagt sie. Andere wie die Tiktokerin Scout sind einfach von Depps Unschuld überzeugt und wollen dabei helfen, sein Image geradezurücken. "Für Gleichheit zu kämpfen, ist niemals falsch", sagt sie.

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Die Psychologin Carla Manly sagt allerdings, dass die ganzen Beiträge zu dem Prozess in erster Linie "die Ernsthaftigkeit von Depps Behauptungen und den Gegenbehauptungen seiner Ex-Frau abschwächen". Unabhängig davon, wie das Urteil am Ende lautet, werde das Verfahren fatale Konsequenzen für Depp und Heard sowie für alle Opfer häuslicher Gewalt haben, warnt sie: "Wenn wir wichtige Themen in ein Spektakel verwandeln, anstatt ihnen mit dem Ernst zu begegnen, den sie für die Beteiligten haben, dann beeinflussen wir damit die weitere Entwicklung."

Die ursprüngliche Motivation hinter den Videos mag variieren, eine große Gemeinsamkeit ist aber, dass die Clips für viele TikToker die erste Erfahrung mit viralem Ruhm sind. Marketingexpertin Drenten weist darauf hin, dass die schiere Zahl der Aufrufe und Follower, die solche Posts nach sich ziehen, eine Verlockung sein können. "Fancams auf TikTok ermöglichen Fans ihren eigenen Augenblick im Scheinwerferlicht", sagt sie. "So ein Promi-Verfahren auf TikTok zu begleiten, ermöglicht ganz normalen Menschen, Klicks, Likes und Follower zu kriegen."

Ganz unabhängig davon, ob diese Userinnen und User bewusst zum Medienspektakel beitragen oder nicht, lässt sich nicht leugnen, dass ihre Videos zu einer makabren Form der Unterhaltung geworden sind. Generell ist fraglich, ob die Vereinfachung eines komplexen Falls zu Vorwürfen der häuslichen Gewalt in kurzen Clips und lustig gemeinten Compilations der beste Weg ist, um auf ein so ernstes Problem aufmerksam zu machen.

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