Eine Illustration einer Zoom-Party, Kacheln mit Menschen, die feiern, sich küssen, sich die Haare schneiden
Illustration: Sandra Bayer
Menschen

Ich habe eine Nacht auf Zoom-Partys durchgefeiert

Irgendwann stand ich vor der härtesten Tür des Internets: dem Club Q.

Es war mal wieder Samstagabend, und ich saß daheim. Der Kühlschrank war voll, die Blume gegossen, der Hallo-Mama-Anruf erledigt. Und jetzt: Netflix? Houseparty? Allein trinken? Fuck, nach eineinhalb Monaten der Selbstisolation und Zurückhaltung sehnte ich mich nach Exzess. Ich wollte Menschen. Ich wollte feiern. Ich lud Zoom herunter und machte einen Testanruf, um zu sehen, in welchem Licht und aus welchem Winkel ich am besten aussah.

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Die beste legale Annäherung an eine Party ist im Moment die Zoom-Party. Kindergeburtstage und Tupperpartys, sogar Sexorgien finden schon über Videochat statt. Den queeren "Club Q", so etwas wie der hottest club on the internet, besuchen jede Nacht Hunderte Gäste. Nicht alle kommen rein. Ein virtueller Türsteher kontrolliert, wer am Videochat teilnehmen will, und wirft Weirdos raus. Charli XCX spielte im Club Q ein Set, Promis tauchen auf und tanzen vor der Kamera in ihrem Apartment. Am Zuhausesitzen ändert Zoom nichts, aber das Alleinsein und die Langeweile, die sollen Zoom-Partys lindern.

Ich legte Crémant ins Eisfach. Ich fragte ein +1, ob es Zeit habe, weil man für gute Partys immer ein +1 braucht. Dann suchte ich in den Facebook-Events und auf Instagram nach Zoom-Partys.

Das +1 kam, nennen wir es hier Mo, ein Lieblingsmensch, quasi Kernfamilie, so sehr Teil des Haushalts, dass wir beschlossen, eine kleine Corona-Ausnahme verantworten zu können. In den Wochen zuvor war das Krasseste gewesen, das wir getan hatten, auf offener Straße ein Pide in eineinhalb Meter Abstand zu essen. Jetzt merkte ich, dass wir sofort einen anderen Vibe hatten. Wir hatten Bock. Wir waren heiß, zusammengeschweißt in der Vorfreude auf die Nacht. Eine Gang auf Mission: in den hottest club on the internet reinzukommen.


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Bevor der begann, linkten Mo und ich uns erst einmal um 21:23 Uhr auf der "Sommersalon Zoom Party 2.0" ein, einem Event eines Clubs namens "Klubhaus" auf Sankt Pauli. Der DJ trug eine Kapitänsmütze. Ein Teilnehmer in einer Kamerakachel hatte eine Baustellenweste an. Auch ein Party-Hase war dabei. Der DJ rief ins Mikro: "Wie schön ihr alle seid." Alle: elf Gäste, die sein Abiparty-DJ-Set hörten.

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Der erste Eindruck war, dass Zoom-Partys hauptsächlich im Sitzen stattfanden. Vielleicht war das auch ein Hamburg-Ding. Ich erinnerte mich an einige Partys, die ich dort sitzend verbracht hatte. Der DJ hielt ein Schild hoch: "Schnapszeit". Wir kippten Wodka. Auf einmal waren wir groß auf dem Bildschirm zu sehen. Erst reagierten wir nicht und dann so wie Fußballfans, wenn sie ihr Gesicht auf dem Stadionbildschirm entdecken. Jubel. So tun, als hätten wir eine richtig gute Zeit. Das Hauptbild wechselte wieder weg von uns. Ein Hamburger hielt sein Rennrad in die Kamera. Das war auf jeden Fall ein Hamburg-Ding, dass einem die Männer dort dauernd ihre teuren Sachen zeigten.

Wir taten das, was man auf langweiligen Partys tut: trinken. Auf dem Bildschirm sah ich uns klein im Chatfenster, wie wir tranken. Mo sagte: "Ich habe ständig das Gefühl, etwas Witziges machen zu müssen." Eine Sache, die mich beschäftigte, war die Frage, wohin ich auf dem Bildschirm schauen sollte. In die Kamera, um den anderen das Gefühl zu geben, ihnen in die Augen zu schauen? Abwechselnd auf ihre Videofenster, um zu sehen, wer mit uns Party machte?

Ich glaube, ich inszenierte mich auch gar nicht für die anderen, die auf ihrem Bildschirm von mir höchstens ein pixeliges Minigesicht sahen. Eher inszenierte ich mich für mich selbst, falls das geht.

Meist ertappte ich mich aber dabei, dass ich auf unser Fenster sah. Aus Clubs kannte ich das Gefühl, mich von außen zu sehen, mich beim Tanzen zu fragen, wie ich für die anderen rüberkam. Auf Zoom konnte ich mir wirklich die ganze Zeit selbst zusehen. Ich glaube, ich inszenierte mich auch gar nicht für die anderen, die auf ihrem Bildschirm von mir höchstens ein pixeliges Minigesicht sahen. Eher inszenierte ich mich für mich selbst, falls das geht. Ich war ehrlich froh, wieder einen Anlass zu haben, mich chic zu machen und dummes Zeug zu reden und zu betrinken. Was für eine Befreiung. Endlich wieder Gehirn-Reset.

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Gegen elf Uhr slideten wir in die "Zoom Haircutting Party!", die ich auf Facebook gefunden hatte. Nach eineinhalb Monaten Kontaktverbot brauchte ich dringend einen Haarschnitt. Als wir in den Videochatkanal reinkamen, zeigte der Splitscreen 14 Vierecke mit Frauen, die auf amerikanischem Englisch durcheinanderredeten und mit einer Schere am Pony herumschnitten. "I don’t know why I am doing this", verstand ich. Dann klackerte Mo mit der Haarschneideschere an meinem Ohr.

Vielleicht war es die betrunkene Spontaneität, etwas Dummes zu tun, das ich morgen bereuen würde, jedenfalls fühlte sich das langsam erstaunlich gut nach einer Party an. Da waren die dödeligen Sprüche: "Was ist der Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Haarschnitt? Zwei Wochen." Da waren die zu intimen Gespräche mit Fremden, von denen man nur die Hälfte verstand: "I am one year poo free." Bitte, was habt ihr Smoothie trinkenden Amerikanerinnen für einen cleanen Stoffwechsel? Ach so, poo war bloß kurz für shampoo.

"Hi guys in the Florentin screen. How did you find this chat?", fragte mich eine Frau mit halblangen Haaren, die ich für die Administratorin hielt.

"On Facebook."

"I thought this was a private event."

Gelächter, ups, sorry, aber weil sie Amerikanerinnen waren und sehr höflich, durften wir, ihre neuen European friends, noch eine Weile bleiben. Ich fragte mich, warum ich bisher in meinem Leben 40 Euro für Lockenspezialfriseure bezahlt hatte, wenn mich jemand mit einer Flasche Crémant drin mindestens genauso gut frisierte.

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Danach versuchten wir den Kindergeburtstag des vierjährigen Nolan. "Nolan’s Zoom Party" war definitiv eine Privatveranstaltung, denn der Host ließ uns nicht rein. Zur Abwechslung schauten wir, ob Chatroulette noch existierte. Chatroulette existierte und funktionierte wie immer: acht von zehn Gesprächspartnern waren Penisse.

Die Nacht verschwamm, die Livestreams flossen ineinander. Leider auch die Notizen in meinem Block. Zweifelsfrei rekonstruieren lässt sich, dass wir gegen zwei Uhr auf dem Geburtstag eines gewissen Langston landeten. Langston aus South Carolina, glaube ich. Dann flogen wir raus. Dummerweise hatten wir vergessen, das Mikro auszuschalten und auf Deutsch rumgegrölt.

Zumindest hatte ich noch genügend Klarheit, für den "Club Q" ein schwarzes Hemd anzuziehen und eine Metallkette um den Oberkörper zu legen. Einen Moment hingen wir in der Warteschlange. Dann waren wir drin. Wunderschöne Menschen tanzten in ihren Minikacheln. Hunderte Menschen, seitenweise in unzählbaren Splitscreens. Manche hatten LED-Strahler oder Discokugeln im Hintergrund montiert. Frauen und Männer in Ledergeschirren zeigten ihre Brüste. "Immerhin wieder Nackte", sagte mein +1 und dann sagten wir für lange Zeit bloß noch, wie großartig der oder die DJ war und wie wunderbar der Abend und wie geil die ganze Party.

Keine Ahnung, wie lang wir auf unseren Stühlen herumtanzten. Sitzend. Stehend. Umeinander, aufeinander. Das war der Peak. Die kurze Zeit auf einer Party, in der das Gehirn endlich ausschaltete. Pärchen machten auf dem Bildschirm herum, Dragqueens leckten über ihre Kamera, mit einem Schlag brach unter meinem +1 der Stuhl zusammen, und als es sich am Fenstersims festhalten wollte, riss es einen Blumentopf mit, der auf dem Holzboden in ein Häufchen Scherben und Erde zerbrach. Der Teppich war voller Haare, Drinks fielen um, Gläser gingen zu Bruch und auch sonst manches kaputt. Mir war es egal.

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Ich hatte nicht gewusst, wie sehnsüchtig ich dieses Gefühl gebraucht hatte. Ich hatte nicht gewusst, dass Exzess per Videochat funktionierte. Aber das ging. Wenn mich in den nächsten Wochen das Alleinsein wahnsinnig machte, dass die Tage keine Struktur hatten und auf nichts zuliefen, wenn mir die dummen Verrücktheiten fehlten, weil nie etwas Unerwartetes passierte, wenn alles gleich war, egal, dann würde ich ein schönes Hemd anziehen, mich vor den Laptop setzen und den Link zu einer Zoom-Party öffnen. Da draußen waren Menschen mit demselben Bedürfnis. Da draußen war ein Club, der das Versprechen von Clubs erfüllte: dass in dieser Nacht etwas Verrücktes passierte, dass diese Nacht besser würde als die letzte.

Als Licht durch einen Vorhangspalt kam und auf den Wahnsinn um mich fiel, dämmerte mir, dass auch virtuelle Partys sehr reale Folgen hatten. Leise hörte ich von irgendwoher Musik. Auf dem Bildschirm tanzten noch immer Menschen. Den Vorteil hatten Zoom-Partys: Auf keiner Offline-Party konnte man so einfach einen Polnischen machen. Mit der Hand schlug ich den Laptop zu.

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