Jemand hebt die Hand zum Hitlergruß neben der Erde
Collage: Cathryn Virginia | Fotos: Getty
Politik

Wie Rechtsextreme Umweltschutz für sich entdecken

Neonazis nutzen die Klimakrise, um junge Menschen zu rekrutieren.

Es ist Zeit für ein Umdenken. Am Global Day of Climate Action veröffentlicht VICE ausschließlich Geschichten zur aktuellen Klimakrise. Hier erfährst du mehr über die jungen Klimaaktivistinnen aus der ganzen Welt und was du selber unternehmen kannst.

Ein australischer Neonazi sendete am 15. März 2019 einen Livestream vom Parkplatz einer Moschee in Christchurch, Neuseeland. Darauf folgten einige der schrecklichsten Bilder, die jemals aufgenommen wurden.

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Das massenhaft geteilte Video zeigte einen bis an die Zähne bewaffneten 28-Jährigen, der 51 Menschen tötete. Weniger als fünf Monate später schoss ein 21-jähriger Texaner 23 Menschen in einem Walmart in El Paso nieder.

Die beiden bewaffneten Männer waren beispielhaft für vieles Schreckliche. Sie waren Einzeltäter, die im Namen ihrer "Rasse" töten. Sie zeigten, wie sich rechtsextreme Ideologien international verbreiten. Und sie führten uns einmal mehr die Gamification des rechten Terrorismus und das Livestreaming von Morden als Propagandawerkzeug vor Augen.

Aber nicht nur das. Sie gaben auch Beispiele für die Beziehung zwischen Umweltschutz und faschistischer Ideologie: Beide Todesschützen hinterließen Manifeste im Internet. Sie sollten als Propaganda andere Schützen animieren, es ihnen gleich zu tun. Beide Manifeste rechtfertigten die Massaker auch mit Umweltthemen.

"Ich bin ein ethno-nationalistischer Ökofaschist", schrieb der Schütze von Christchurch in seinem Manifest. Darin forderte er "ethnische Autonomie für alle Menschen mit einem Schwerpunkt auf den Schutz von Natur und einer natürlichen Ordnung."

Rechtsextreme Ideologien sind eine wachsende Bedrohung, zu der auch Ökofaschismus gehört. Seine Anhänger sehnen sich nach einem totalitären Regime, das für den Umweltschutz Opfer von (oft Minderheiten) der Bevölkerung erzwingt. Obwohl die Bewegung nicht besonders bekannt ist, sollte man sie nicht übergehen, sagt Alex Amend. Er verfasste kürzlich einen ausführlichen Artikel für die Forschungsgruppe Political Research Associates über den modernen Stand des Ökofaschismus.

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"Der Ökofaschismus liefert eine Erklärung dafür, warum jemand (wie der Schütze von Christchurch) losgeht und Menschen mit Migrationshintergrund tötet. Nämlich weil sie (in seinen Augen) eine Bedrohung für die weiße politische Gemeinschaft und eine weiße Heimat darstellen", sagt Amend gegenüber VICE News.

In verschlüsselten, nun bekannt gewordenen Chats, sprachen Neonazis und andere Rechtsextreme regelmäßig über die Umwelt – und wie sie in ihre Pläne passt.

"Da der Klimawandel immer mehr Ängste um die Umwelt auslöst", sagt Alexander Reid Ross, ein Wissenschaftler, der faschistische Bewegungen erforscht, "spielt Ökologie eine zunehmend größere Rolle in faschistischen Ideologien."

Was ist Ökofaschismus?

"Ein Ökofaschist konzentriert sich zum Beispiel auf ökologische Politik, sogenannte Überbevölkerung, und womöglich noch auf die Tiefenökologie und die Ablehnung der Menschenrechte. Andere Faschisten beschäftigen sich dagegen mehr mit der Weißen Arbeiterklasse", sagt Reid Ross.


Auch bei VICE: Interview mit einem Neonazi-Jäger der Antifa


Der Autor Alex Amend beschreibt einen Ökofaschisten als Faschisten, "dessen Vorstellung von Weißer Identität mit dem verbunden ist, was er als historische Landschaft betrachtet, die für diese Identität wichtig ist."

Einige Ökofaschisten behaupten, die Umwelt werde durch Überbevölkerung zerstört und machen den globalen Süden dafür verantwortlich. (Auch der Täter von Christchurch erwähnte diese Idee, die sich in einigen rechten Kreisen stillschweigend durchsetzt.) Andere Ökofaschisten glauben dagegen, dass das Konsumverhalten im Westen die Zerstörung der Umwelt erklärt und die Schuld jüdischer Eliten sei.

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Bernhard Forchtner, ein Senior Fellow am Centre for Analysis of the Radical Right und Privatdozent an der University of Leicester, sagt gegenüber VICE News, Ökofaschisten hätten Angst vor Umweltkatastrophen und dem Zerfall der Umwelt. Denn dadurch werde die "Einheit der Rasse" (eines Faschisten) bedroht, sagt er. "Um mit dieser Gefahr fertig zu werden, muss die Gesellschaft anhand autoritärer Prinzipien neu organisiert werden."

Ökofaschismus ist nicht neu. Der berüchtigte Nazi-Spruch "Blut und Boden", den die Fackel-Demonstranten in Charlottesville riefen, verweist direkt auf die Verbindung einer ethnischen Gruppe mit dem Land selbst. Viele rechtsextreme Führer benutzten Umweltthemen oder einige Grundsätze des Ökofaschismus, um Anhänger zur rekrutieren. Unter ihnen auch David Lane, Mitglied der von 1983 bis 1984 in den USA aktiven Neonazi-Terrorgruppe The Order. Und William Pierce, Autor des rassistischen und antisemitischen Romans The Turner Diaries.

Jahrelang haben Faschisten versucht, Öko-Bewegungen zu infiltrieren, manchmal sogar erfolgreich. Die Anziehungskraft könnte teils davon ausgehen, dass Ökofaschismus einige Parallelen zu kontroversen, aber anerkannten Strömungen der Umweltbewegung aufweist. Die Tiefenökologie – also die Vorstellung, dass alle Lebewesen gleichwertig sind und damit die Art, wie wir Menschen leben, eine Bedrohung für dieses System darstellt – finden manche Faschisten besonders attraktiv.

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"Es gibt Rechtsextreme, die manche dieser Positionen und Debatten übernehmen", sagt Blair Taylor, Programmleiter des Institute for Social Ecology. "Tiefenökologen stellen die Menschheit als Zecke dar, die an der Natur hängt, genauso wie Faschisten Juden als Wirtschaftsparasiten darstellen oder PoCs und Sozialhilfeempfänger als Parasiten des Staatswesens."

Während die Tiefenökologie keine offensichtlich faschistische Ideologie ist, gibt es Verbindungen zwischen den beiden Denkweisen. Als der finnische Tiefenökologe Pentti Linkola Anfang diesen Jahres starb, trauerten einige Ökofaschisten und teilten ihre überschwänglichen Lobeshymnen in Sozialen Netzwerken. Linkola war vor allem dafür bekannt, über die Vorteile des Genozids zu sinnieren, um Mutter Erde zu helfen; aber auch für seine fremdenfeindlichen Ideen.

Online-Beiträge und Brandstiftungen

In den letzten Jahren haben sich etliche Gruppen organisierter Ökofaschisten im Internet gebildet. Die beiden bekanntesten sind die heute nicht mehr existierende Green Brigade und die eine Zeit lang auch in Deutschland aktive, aber inzwischen ebenfalls fast verschwundene Greenline Front.

Die Green Brigade war eng mit der inzwischen aufgelösten Neonazi-Terrorzelle The Base verbunden. Sie übernahm im vergangenen Oktober Verantwortung für die Brandstiftung einer Nerzfarm in Schweden – ein typisches Ziel für Öko-Extremisten.

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Laut einem ehemaligen Mitglied der Green Brigade begann die Gruppe als einfacher Server auf Discord (eine Chat-Plattform für Gamer), der in der "Öko-Extremisten-Community" verbreitet worden sei. Er sagte, sie hätten Neonazis zwar nicht umworben, sie aber auch nicht abgewiesen.

"Solange man Bäume mag und Konzerne hasst, wurde man aufgenommen. Ob man diese Konzerne Kapitalisten oder Juden nannte, spielte keine Rolle", sagt das ehemalige Mitglied der Green Brigade gegenüber VICE News. "Bei uns waren Sozialisten, Anarchisten und Faschisten." Die meisten Mitglieder seien Heiden aus den Vereinigten Staaten gewesen, obwohl es auch ein paar wenige internationale Mitglieder gegeben habe. Hauptsächlich "Keyboard Warriors", die gemeinsam propagiert hätten.

Einige gingen jedoch noch einen Schritt weiter: Das Mitglied der Green Brigade, das angeblich die Nerzfarm niederbrannte, war auch in The Base aktiv und veröffentlichte Tutorials zur Herstellung von Bomben auf der Meme-Website iFunny.

Am Ende war die Leitung der Brigade immer enger mit The Base verflochten und schickte der Neonazi-Gruppe sogar eine E-Mail, in der sie skizzierte, wie die beiden Gruppen sich gegenseitig bei der Rekrutierung helfen könnten.

Dieses Angebot kam bei einigen Brigade-Mitgliedern nicht gut an.

"Wir haben als allgemeine Öko-Terror-Gruppe angefangen, nicht speziell als Ökofaschisten. Die Unterscheidung ist wichtig, weil Menschen mit egal welchen politischen Ideen aufgenommen wurden, solange sie die Umwelt durch Gewalt retten wollten", sagt das ehemalige Mitglied. "Wir hatten ungefähr 30 Mitglieder, bevor wir uns mit The Base zusammengeschlossen haben. The Base sind hauptsächlich Nazis, was viele dazu gebracht hat, die Green Brigade zu verlassen, mich eingeschlossen."

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Der Anführer der Green Brigade hat die Verbindung der Gruppe zu The Base nie bestritten, aber gesagt, dass die Zelle autonom geblieben sei. Abgesehen von der Brandstiftung habe die Gruppe nur kleine Aktionen geplant. Etwa seed bombing, "Düngererdekugeln mit Unkrautsamen, die wir auf Rasen geworfen haben".

Die Green Brigade wurde stillgelegt, kurz nachdem das FBI mehrere Mitglieder von The Base im Zusammenhang mit Mordverschwörungen festgenommen hatte.

"The Base sind hauptsächlich Nazis, was viele dazu gebracht hat, die Green Brigade zu verlassen, mich eingeschlossen."

Die Greenline Front wurde Mitte der 2010er Jahre in Osteuropa gegründet und verbreitete sich in zahlreichen Ländern. Forchtner sagt, die Gruppe habe sich aktiv getroffen und sei bei Demonstrationen mit Flaggen aufgetaucht. Auf ihrer Website erklärte die Greenline Front, dass sie sich bei Säuberungsaktionen und anderem Aktivismus wie dem Pflanzen von Bäumen beteilige – aber hinter keiner der großen Aktionen stecke.

Heute ist die bekannteste Social-Media-Seite der Greenline Front ein Sammelsurium aus Fotos von Tieren und Hitler. Laut Forchtner sei das typisch für diese Art von kleinen Gruppen, die sich weder über einen längeren Zeitraum halten noch neue Mitglieder werben können.

Warum sie größtenteils nicht mehr existieren, habe also vor allem pragmatische Gründe, und liege weniger an ihrer Ideologie sagt Forchtner.

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In der ersten Septemberwoche nach meinem Interview mit Forchtner teilte die Greenline Front ein Foto, auf dem acht Männer mit verpixelten Gesichtern zu sehen waren, die Greenline-Front-Flaggen in der Hand hielten und vor offenbar antiken Ruinen standen.

Ein Stück vom Kuchen

Einige junge Rechtsextreme bauen ihre gesamte Marke auf einer verwässerten Version des Ökofaschismus auf. Sie konzentrieren sich auf ein einfaches Leben im Einklang mit der Natur. Ähnlich der völkischen Ideologie, die junge Deutsche schon vor der Nazizeit mit ihrer Heimat verbinden sollte. Viel rechtsextreme Umwelt-Propaganda wurde von Gruppen aus diesem Umfeld verbreitet.

Andere Faschisten sehen die Natur vor allem als modernes Rekrutierungs-Werkzeug.

"BRINGT DEN FASCHISMUS ZURÜCK IN DEN ÖKO-FASCHISMUS! Rechtsextremer Umweltschutz ist ein unerschlossener Markt", schreibt ein User 2016 im rechtsextremen Forum Iron March.

Der Autor Alex Amend sagt, dass die jüngere Generation von Rechten, die nicht mit der giftigen Suppe der Klimawandel-Leugner aufgewachsen ist, besonders anfällig für diese Denkweise sein könnte.

"Sie wissen, dass es real ist. Sie wissen, dass es immer heißer wird. Sie wissen, dass dies ihre Zukunft ist. Junge Konservative – die Zukunft der Rechten – könnten schnell die Seite wechseln", sagt Amend. "Ihre Lösungen sehen vermutlich folgendermaßen aus: härtere, militarisierte, fremdenfeindliche Politik."

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"grünes" Denken und Auswüchse der Ökofaschismus-Ideologie könne man in den USA leicht in "jungen faschistischen Gruppen" wie der Patriot Front oder Identity Evropa (jetzt American Identity Movement) finden, die sich nicht zwangsläufig als Ökofaschisten bezeichnen würden.

In ihrem verschlüsselten Chat hat die Neonazi-Gruppe The Base Bücher von einflussreichen Autoren des Ökofaschismus beworben, die von der Rekrutierung und den Einsatz von Ökofaschismus für Propagandazwecke handeln. Eine ähnliche Gruppe, Atomwaffen, nutzte dagegen das Gesicht von Ted Kaczynski, einem US-amerikanischen Terroristen, um seine Botschaften zu verbreiten.

Die Natur als Rechtfertigung der Hierarchie

Blair Taylor vom Institute for Social Ecology sagte VICE News, es gebe drei Gründe, warum der Ökofaschismus immer beliebter werde: Erstens seien junge Rechte in einer Welt aufgewachsen, in der Umweltschutz normal ist. Zweitens nennt er das Weißsein der Umweltschutzbewegung als Grund. Und drittens die Tendenz unter Rechtsextremen, sich Denkern zuzuwenden, die sich von traditionellen Konservativen unterscheiden, die den Klimawandel leugnen.

"Ich denke nicht, dass wir Angst davor haben müssen, dass Öko-Faschisten die Macht übernehmen", sagt Reid Ross. "Aber wir sollten uns Sorgen machen … um das, was einzelne von ihnen anrichten können."

Rad mit acht Unterteilungen, das auf einem Sonnenrad aufbaut, das der Attentäter von Christchurch auf seinem Manifest gezeigt hat

Auf der Titelseite seines Manifests präsentierte der Schütze von Christchurch ein Rad mit acht Unterteilungen, das auf einem Sonnenrad aufbaut. Jede Unterteilung steht für einen anderen Bereich seiner Gedankenwelt. Die erste von rechts ist der Umweltschutz. Und so kann man sich Öko-Faschismus im Zusammenhang mit dem Wiederaufleben rechtsextremer Bewegungen vielleicht am besten vorstellen – als Teil eines großen Ganzen, aber auch als Werbemethode.

Während die Welt brennt, der Meeresspiegel steigt und ganze Communitys verdrängt werden, suchen Menschen verzweifelt nach Antworten, die ihnen die Regierenden nicht geben können. Einige suchen sich deshalb ihre eigenen Antworten. Zum Beispiel in der vermeintlichen Verbindung einer reinen "Rasse" und einer reinen Erde. Für Blair Taylor, der sein ganzes Leben lang Umweltschützer ist, ist das der jüngste Kampf in einem scheinbar endlosen Kulturkrieg.

"Die Natur ist eine wichtige Waffe in diesem Krieg – für die Herzen und die Gedanken der Menschen."

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