Die runde Öffnung und das klare Meerwasser aus den dunklen Tiefen eines Blue Holes aus gesehen. Blue Holes sind Krater am Meeresboden mit einer hohen Biodiversität, deswegen sind sie für die Wissenschaft auch so interessant
So sieht es aus, wenn man aus einem Blue Hole nach oben blickt | Foto: AJ Gonzales/Mote Marine Laboratory
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Forschende tauchen zum ersten Mal in ein riesiges Loch im tiefen Ozean

Die "Green Banana", ein sogenanntes Blue Hole vor Florida, ist rund 130 Meter tief und soll bisher unbekannte Lebensformen enthalten.

Es dauert nicht mehr lange, dann geht es für mehrere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen hinab in die unbekannte, dunkle Tiefe. Ihre Mission: Sie wollen ein sogenanntes Blue Hole, also einen Krater am Meeresboden, untersuchen.

Die Forschungsexpedition zur "Green Banana", so der Name des Lochs vor der Westküste Floridas, soll neue Erkenntnisse über die unheimlich wirkenden Gebilde in den Tiefen der Ozeane liefern – zum Beispiel zu deren Bewohnern und zu möglichen Verbindungen zu Grundwasserleitern. Schon 2019 fand eine solche Expedition zu einem anderen Blue Hole namens Amberjack statt.

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"Wir untersuchen hier zum ersten Mal die Green Banana und sind schon sehr gespannt darauf, wie sich das Loch chemisch und biologisch gesehen mit Amberjack vergleichen lässt", schreibt Emily Hall in einer Mail. Die Wissenschaftlerin und Programmmanagerin im Mote Marine Laboratory gehört zur Expeditionscrew.

"Die Form ist anders. Außerdem ist das Loch viel tiefer, wir wissen also nicht genau, was wir finden werden", schreib Hall weiter. "Aber das ist ja das Tolle an der Expedition: Alles ist neu und aufregend!"

Blue Holes gibt es überall auf der Welt, das tiefste bekannte Loch ist dabei das Dragon Hole im Südchinesischen Meer, darin geht es fast 300 Meter nach unten. Das Tauchen in solch tiefen Kratern ist wegen des immensen Drucks, der erschwerten Orientierung und der Sauerstoffknappheit sehr gefährlich. So sind im Blue Hole vor Ägypten schon weit mehr als hundert Menschen verunglückt und ums Leben gekommen.

Trotz des hohen Risikos wagen sich dennoch immer wieder Menschen und Forschungsteams in die Tiefen der Blue Holes vor. Grund dafür ist vor allem die einzigartige Biodiversität, die man dort vorfindet – inklusive Korallen, Mollusken, Schildkröten oder sogar Haien. Zudem versorgen Blue Holes angrenzende Ökosysteme mit Nährstoffen, weshalb sie auch als die "Oasen" der Meere gelten.

"Wir gehen davon aus, dass es sich bei den beiden Blue Holes vor Florida um alte Quellen und Dolinen handelt, die vor über 8.000 Jahren entstanden, als der US-Bundesstaat noch viel breiter war", schreibt die Forscherin Hall über Amberjack und Green Banana – und fügt hinzu, dass es zu den Ursprüngen und der Entwicklung aber noch viel herauszufinden gebe.

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"Alle Löcher, die wir bisher untersucht haben, unterscheiden sich chemisch und biologisch gesehen", schreibt sie.

Im Mai und September 2019 tauchte das Forschungsteam rund um Hall in das Amberjack-Blue Hole, das sich knapp 50 Kilometer westlich der floridianischen Küstenstadt Sarasota im Golf von Mexiko befindet. Dabei mussten die Taucher und Taucherinnen erstmal in eine Tiefe von mehr als 30 Metern, um überhaupt an den Rand des Lochs zu kommen. Das Blue Hole selbst ist ungefähr 72 Meter tief.

Eine tauchende Person arbeitet sich unter Wasser zu einem Blue Hole vor, also einem Krater am Meeresgrund

Im September 2019 tauchte das Forschungsteam zum zweiten Mal zum Blue Hole namens Amberjack | Foto: BRAD TANNER/MOTE MARINE LABORATORY

Jim Culter, ein leitender Wissenschaftler am Mote Marine Laboratory und weiteres Crewmitglied, beschreibt den Tauchgang in das Amberjack-Loch in einer E-Mail als "Kontrast der Extreme".

"An der Oberfläche ist das Wasser mit knapp 30 Grad Celsius sehr warm und im Sommer normalerweise klar", schreibt Culter. "Wenn man dann runtertaucht, wird das Wasser immer kühler, die erste Temperaturgrenze – also einen Übergang zwischen verschieden temperierten Wasserschichten – erreicht man ungefähr in 20 bis 28 Metern Tiefe. Auch die Sicht ist dann oft eher eingeschränkt."

"Am Rand des Lochs ist am meisten los, dort tummeln sich Fische, Schildkröten, Krustentiere, kleine Korallen und Schwämme", schreibt Culter weiter. "Wenn man dann über den Rand weg weiter in die Tiefe taucht, wird das Wasser immer kühler und das Licht immer weniger. Die zweite Temperaturgrenze kommt zwischen 40 und 45 Metern Tiefe, dann hat das Wasser nur noch um die 15 Grad Celsius."

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In dieser Tiefe gebe es statt größeren Meerestieren wie Korallen und Fischen nur noch Mikrobenwolken und den fauligen Geruch von Schwefelwasserstoff, so Culter.

"Der Boden des Blue Holes ist weich, sehr schlickig und leicht aufzuwirbeln", schreibt der Wissenschaftler. "Und es ist komplett dunkel, bis man nach oben blickt und in 45 Metern Entfernung die runde Öffnung und das blaue Wasser sieht."

"Man fragt sich, was wohl da unten ist, wo die Öffnung hinführt, und ob man nicht noch ein bisschen tiefer tauchen kann."

Hall musste während den Expeditionen bei der Öffnung des Blue Holes bleiben, weil sie wegen ihrer noch nicht abgeschlossenen Tauchausbildung nur bis in Tiefen von 60 Metern runter darf. So kann sich die Forscherin aber eingehend mit der "vielfältigen Tierwelt" am Rand des Lochs beschäftigen. 

"Da bekommt man schon einen kleinen Adrenalinrausch und fragt sich, was wohl da unten ist, wo die Öffnung hinführt, und ob man nicht noch ein bisschen tiefer tauchen kann", sagt Hall. "Die meiste Zeit sind wir aber damit beschäftigt, Wasser- und Sedimentproben zu sammeln und die Artenvielfalt zu dokumentieren. Manchmal können wir aber auch kurz innehalten und das Spektakel einfach nur bestaunen.

Zusätzlich stieß das Forschungsteam am Boden des Blue Holes auf zwei intakte Kadaver von Schmalzahn-Sägerochen. Einen davon – ein gut dreieinhalb Meter langes Männchen – brachten die Forschenden für weitere Untersuchungen mit zurück ins Labor.

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In Blue Holes sammeln sich oft tote Lebewesen an, die von oben in die Löcher sinken. Wie das Forschungsteam herausgefunden hat, treten aus dem Amberjack-Loch aber auch Nährstoffe hervor – ein Hinweis darauf, dass Blue Holes die umliegenden Ökosysteme versorgen.

"Im Vergleich zum umgebenden Wasser ist die Nährstoffkonzentration in den Löchern viel höher", schreibt Hall. Die genaue Quelle dieser Nährstoffe ist noch unbekannt. Man vermutet aber, dass sie durch die Aktivität in den Bodensedimenten entstehen, ein Resultat der Flutströmung sind, oder aus einem größeren Netzwerk an Grundwasserleitern stammen.

Hall und ihr Team hoffen, einige dieser Fragen durch die Expeditionen in das Green-Banana-Loch zu beantworten. Dieses Blue Hole liegt rund 45 Meter unter der Wasseroberfläche und ist selbst noch mal knapp 130 Meter tief. Der Ursprung des Namens ist nicht ganz geklärt, aber laut Culter sollen es die Einheimischen so genannt haben, weil bei der Entdeckung ein paar grüne Bananen vorbeigeschwommen sind.

Die beiden Tauchgänge in das Blue Hole sind für August 2020 und Mai 2021 angesetzt. Das Forschungsteam hofft zudem, auch in den kommenden Jahren noch mehr dieser mysteriösen Ozeangebilde zu entdecken und zu untersuchen.

"Für uns sind nur Blue Holes interessant, die sich mindestens 30 Kilometer vor der Küste befinden", schreibt Culter. "Es gibt rund 20 dokumentierte Löcher, die in dieses Raster fallen. Dort sind wir entweder schon persönlich gewesen, oder uns liegen zuverlässige Berichte darüber vor." Es scheint also noch genug für das Forschungsteam zu entdecken zu geben.

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