FYI.

This story is over 5 years old.

Drogen

Wenn du in Deutschland medizinisches Cannabis anbauen willst, musst du einiges beachten

Geheime Locations, Verschwiegensheitserklärungen und Sicherheitsleute sind nur der Anfang.

Foto: imago | Xinhua

Seit 2008 ist in Österreich der Anbau von medizinischem Cannabis erlaubt—jedoch nur der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit. Auch in Deutschland soll Cannabis in Zukunft zu medizinischen Zwecken angebaut werden. Bis jetzt weiß noch niemand über Einzelheiten Bescheid. Wer wann und wo welches Weed anbauen wird, muss die zu gründende Cannabis-Agentur noch regeln. Die Niederlande verfügen mit dem "Bureau voor Medicinale Cannabis" (BMC) schon seit 2003 über eine solche Institution, die den Anbau und den Vertrieb reguliert und überwacht. Weil medizinisches Cannabis über einen stabilen Wirkstoffgehalt verfügen und so steril wie nur möglich sein muss, gelten für den Anbau ziemlich strenge Regeln. Die sollen neben einer Qualitätskontrolle auch dafür sorgen, dass die gesamte Produktion überwacht und dokumentiert wird, damit kein Cannabis in die falschen Hände gelangt.

Anzeige

Wer in den Niederlanden Medizinal-Hanfblüten anbauen möchte, kann sich gegen Zahlung einer Gebühr von 1.225 Euro beim BMC dafür bewerben. Doch die Regeln sind streng und zum Erlangen einer Lizenz muss man vorab eine Menge Geld investieren. Wer über das notwendige Kleingeld, Know-How und ein paar gute Verbindungen verfügt, muss nur ein paar Kleinigkeiten beachten, die es beim Anbau von medizinischem Cannabis zu meistern gilt.

Lage

Die Plantage muss an einem geheimen Ort liegen und darf von außen nicht als solche erkennbar sein. Das gesamte Gebäude muss über ein Be-und Entlüftung- sowie ein Filtersystem verfügen, das einerseits eine Geruchsbelästigung verhindert und andererseits dafür sorgt, dass trotz der ständigen Frischluftzufuhr keine Kontaminationen wie Schimmelsporen oder Schadinsekten in die Pflanzräume gelangen. Aufgrund der ständigen Luftaustauschs sollte die Luftqualität am Produktionsort möglichst gut sein. Das Gebäude muss ausreichenden Schutz vor Vögeln, Insekten, Nage- und Haustieren bieten, der mithilfe von Ködern, Fallen und elektrischen Insektenvernichtern gewährleistet werden muss. Die Toiletten und Pausenräume müssen über ein spezielles Alarmsystem verfügen, falls Unbefugte die Pflanzräume betreten. Oder das auch nur dann losschlägt, wenn sich jemand nach dem Pinkeln die Hände nicht wäscht, bevor die Pflanzen angefasst werden.

Sicherheit

Das gesamte Gebäude muss baulich gut gegen Einbrecher gesichert werden, was in solchen Dimensionen nicht ohne eigenen Wachschutz funktioniert. Das Personal muss die spezielle, sterile Arbeitskleidung in einem extra dafür vorgesehenen Raum anziehen und darf Handys, Taschen und andere, persönliche Gegenstände nicht mit an den Arbeitsplatz nehmen. Lieferanten, Besucher und andere, nicht betriebszugehörige Personen müssen sich registrieren lassen. Das gesamte Gebäude muss unter Berücksichtigung der Privatsphäre von Mitarbeitern mit offen und versteckt angebrachten Kameras überwacht werden. Vor Inbetriebnahme ist eine Abstimmung des Sicherheitskonzepts mit den örtlichen Polizeibehörden ratsam.

Personal

Da Hanfanbau kein Ausbildungsberuf, sondern bislang meist eine illegale Tätigkeit war, ist es schwer, auf dem freien Arbeitsmarkt erfahrenes Personal zu finden. Nachdem man das meist unerfahrene Personal geschult hat, muss man den Mitarbeiterstab von mindestens 10 bis 20 Mitarbeitern zur Verschwiegenheit verpflichten. Die dürfen zu Hause nicht mal erzählen, wo sie arbeiten, weil der Ort geheim bleiben muss. Außer qualifizierten Mitarbeitern mit grünem Daumen braucht man jeweils zur Erntezeit zusätzliche Erntehelfer sowie mindestens ein/e ausgebildete/r Pharmazeut/in, der/die für die Arzneimittelsicherheit verantwortlich ist und das Labor leitet. Damit die Pflanzen nicht verschmutzt oder die Angestellten stoned werden, ist zudem sicherzustellen, dass die Arbeitenden in keiner Phase des Produktionsprozesses mit dem Pflanzenmaterial in Berührung kommen.

Ausstattung

Wichtig sind Hochdruck-Dampflampen, wobei in naher Zukunft auch LEDs eine große Rolle spielen werden. Zur Gewährleistung des richtigen Klimas werden computergesteuerter Filter-Abluftsysteme montiert, sodass im Anbauraum immer eine stabile Luftfeuchtigkeit von circa 50 % und eine Temperatur zwischen 24 und 27 Grad herrschen. Auch zur vollautomatischen Bewässerung und zur Düngung der Pflanzen werden hochmoderne Düngecomputer sowie Be- und Entwässerungssysteme benötigt. Als Anbaumedium ist bei medizinischem Cannabis lediglich auf Schadstoffe kontrollierte Erde zugelassen, Gleiches gilt für den Dünger. Zur Produktion von Cannabis-Blüten müssen mindestens fünf, besser sechs unterschiedliche Arten von Pflanz- oder Arbeitsräumen eingerichtet werden:

- Ein bis zwei kleinere Räume für die vegetative Phase der Pflanzen, die jeweils 18 Stunden beleuchtet werden. Einer dient der Produktion von Stecklingen und Mutterpflanzen, der andere ausschließlich der Arbeit mit Sämlingen.

Anzeige

- Ein großer Raum für blühende Pflanzen, der 12 Stunden beleuchtet wird. Die Größe richtet sich nach der erwünschten Produktionskapazität. Auf einem Quadratmeter kann man pro Jahr 2 bis 3 Kilogramm Cannabis-Blüten produzieren.

- Ein Raum zum Verarbeiten der fertigen Pflanzen.

- Ein Trocknungsraum.

- Ein Labor, das alle Standards und DIN-Normen erfüllt. Hier werde Pflanzen, Teile davon und natürlich die fertigen Blüten geprüft sowie kleine Versuchsreihen zur Qualitätskontrolle oder zur Entwicklung neuer Sorten durchgeführt.

Samen

Das Saatgut wird beim BMC überprüft und mit Sortennamen registriert. Aus dem Saatgut werden in einem mehrmonatigen Prozess Mutterpflanzen selektiert. Die von ihnen stammenden Stecklinge habe allesamt gleiche Eigenschaften und sind Grundlage der Blütenproduktion. Medizinisches Cannabis wird nie direkt aus Samen gewonnen. Dabei wäre die Gefahr, zu viele Phänotypen mit unterschiedlichem Wirkstoffgehalt zu züchten, zu groß.

Anbau

Beim Anbau werden alle Parameter wie Düngung, Raumklima, Boden- und Luftfeuchtigkeit und Bewässerungsintervalle automatisch gesteuert. Insektizide oder Pestizide dürfen laut BMC nur in Ausnahmefällen verwendet und müssen genau dokumentiert werden. In Deutschland sind solche Zusätze bei der Produktion von Heilkräutern, unter die wahrscheinlich auch medizinisches Gras fiele, komplett verboten. Selbst das Wasser, die Erde und alles andere, was mit den Pflanzen in Berührung kommt, müssen vor deren Einsatz genau kontrolliert werden und frei von Bakterien, Schadstoffen und Schwermetallen sein. Die Ernte der Pflanzen aus einem "Grow" muss innerhalb eines Tages geschehen, um die Stabilität des Wirkstoffgehalts zu gewährleisten.

Ernte

Zur Ernte "trimmt" das Personal die Blüten in einem sterilen Raum, indem es die großen Blätter um die Blütenstände abschneidet und die Blüten von den Stielen trennt. Danach kommt das Gras für mehrere Wochen in eine Trocknungskammer. Der ehemalige niederländische Produzent S.I.M.M., der mittlerweile keine Lizenz mehr hat, hat die Blüten sogar drei Monate getrocknet. So findet eine vollständige Decarboxylierung statt, bei der die THC-Säure der frischen Pflanze in aktives THC umgewandelt wird. Blätter, Stiele und andere Ernteabfälle müssen gewogen, dokumentiert und zerschreddert werden, bevor sie kompostiert werden. Übersteigt die Abfallmenge 80 Kilogramm, wird der Abfall kostenpflichtig von der Gemeinde vernichtet.

Nachweise

Die Dokumentation vom ersten Samen bis Endprodukt sowie der Abfallentsorgung muss lückenlos sein. Jede Pflanze erhält von Anfang an eine scanbare Batch-Nummer. Anhand derer werden die Sorte, das Alter, verwendete Düngemittel, der Standort und der voraussichtliche Erntezeitpunkt, THC-Gehalt und andere Details aufgezeichnet. Die Ergebnisse müssen mindestens zehn Jahre aufbewahrt werden und sind auf Verlangen sofort dem BMC zu präsentieren. Auch der Gewichtsverlust beim Trocknen der Blüten muss haargenau gemessen und aufgezeichnet werden.

Vetrieb und Verkauf

Den Vertrieb und Verkauf an die Apotheken und ins Ausland organisiert das BMC. Der Produzent erhält einen vorab festgelegten, festen Grammpreis und muss sich nach Ernte und Trocknung nur noch ums Analysieren und Verpacken kümmern. Zur Bestimmung des "Fingerabdrucks" einer Charge werden zehn Proben zu je einem Gramm entnommen. Im Rahmen der vorgeschriebenen Tests wird der prozentuale Anteil einzelner Cannabinoide wie THC, CBD und CBN bestimmt. Außerdem werden die Proben auf Pestizide, Bakterien und auf den Restfeuchtigkeit überprüft. Das BMC kann diese Tests in eigenen Laboren stichprobenartig wiederholen. Ist der Wirkstoffgehalt zu hoch oder zu niedrig, werden die Patienten mit Aufklebern auf der weiß-gelben Dose informiert, die es mittlerweile auch in deutschen Apotheken gibt: "Bitte beachten sie beim Dosieren, dass der Wirkstoffgehalt dieser Charge nur 18 statt der üblichen 22 Prozent beträgt".

Das ist nur eine kurze Zusammenfassung des niederländischen Regelwerks, neben den hier erwähnten Hauptregeln gibt es noch viele Nebenbestimmungen, die den Anbau von medizinischem Cannabis noch komplizierter als in Kanada oder den USA machen. So hat der niederländische Produzent S.I.M.M. von Cannabis-Pionier James Burton seine Lizenz verloren, weil er sich geweigert hatte, sein Gras mit Gammastrahlen zu bestrahlen, wie es das BMC vorsieht.

In Deutschland könnte die ganze Sache noch komplizierter und vor allen Dingen teurer werden. Vor dem Anbau steht erst einmal ein Wirtschaftlichkeitskonzept für einen Gartenbaubetrieb, das zudem betäubungsmittelrechtlichen Bestimmungen gerecht werden muss. Wer genau wissen möchte, wie so eine Bewerbung zum Cannabisanbau aussehen könnte, muss nur eine Beratung beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) buchen. Die Beratungsgebühr ist sogar gesetzlich in der Betäubungsmittel-Kostenverordnung (BtMKostV) festgelegt und kann bis zu 1.500 Euro betragen. Wer die bucht, hat bei der Lizenzvergabe durch eine dem BfArM angegliederte Cannabis-Agentur sicher gute Karten.

Nicht wenige Grower liebäugeln seit der Ankündigung zum Anbau im Januar mit der Legalisierung ihres Tuns in Form einer Anbau-Lizenz. Aber: medizinisches Cannabis wird zwar bald legal in den Regalen der deutschen Apotheken stehen, wer es jedoch anbauen will, sollte sich von vorne herein gut mit dem BfArM stellen, über das notwendige Kleingeld verfügen oder seine Hausbank überzeugen, den Antrag zu unterstützen. Eine legale Cannabis-Gärtnerei ist kein Blumenladen, den man schnell mal mit ein paar tausend Euro in der Hinterhand eröffnet. Das sollten sich all die, die mir in den vergangen Wochen erzählt haben, "was in der Richtung aufzuziehen", besser hinter die Ohren schreiben.