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Astronomen haben in einem Versteck des Universums einen Giganten entdeckt

Die "Südpolmauer" ist eins der größten kosmischen Gebilde, das Menschen je gesehen haben.
Das Zentrum der Milchstraße ist eine Sichtwand, weil Staub und helle Sterne alles verdecken, was sich dahinter befindet. Jetzt haben Forscher dahinter eine gigantische Struktur ausgemacht
Das Zentrum der Milchstraße | Bild: NASA/SOFIA/JPL-Caltech/ESA/Herschel

Direkt über dem Südpol haben Forschende ein gigantisches Gebilde aus Galaxien entdeckt. Es ist geformt wie ein Bogen, erstreckt sich über 1,4 Milliarden Lichtjahre und ist damit 14.000-mal größer als der Durchmesser unserer Milchstraße.

Das "South Pole Wall", Südpolmauer, getaufte Gebilde ist damit eine der größten Strukturen, die die Menschheit je gesehen hat. Ihre Entdeckung wurde am 10. Juli in der Fachzeitschrift Astrophysical Journal bekanntgegeben.

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"Als unsere Visualisierungsmodelle Hinweise darauf lieferten, dass etwas über dem Himmel am Südpol vorgeht, waren wir überrascht: Tatsächlich gab es bis dahin keine Berichte über eine große Struktur in dieser Region", schreibt Daniel Pomarède, Kosmograf an der französischen Université Paris-Saclay und Leiter der Studie, in einer E-Mail. Kosmografen arbeiten an einer Kartierung des Weltalls.


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Die Südpolmauer ist etwa so groß wie die Sloan Great Wall, die sechstgrößte bekannte Struktur im Universum, und etwa 500 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt. Die Sloan Great Wall ist doppelt so weit weg.

Das Universum ist durchzogen von gigantischen Fäden aus Wasserstoff und Dunkler Materie, sogenannten Filamenten, die Objekte im Weltall zu einem kosmischen Netz verbinden. An den Kreuzungen dieser Filamente sammeln sich häufig Galaxien zu sogenannten Superhaufen. Die größte bekannte derartige Struktur ist vermutlich die Hercules-Corona Borealis Great Wall. Sie soll, wenn sie wirklich existiert, zehn Milliarden Lichtjahre groß und auch etwa zehn Milliarden Lichtjahre von uns entfernt sein. Das entspräche etwa einem Zehntel des Durchmessers des sichtbaren Universums.

Die Existenz der Hercules-Corona Borealis Great Wall ist allerdings umstritten, weil eine so große Struktur in dieser Entfernung den bisherigen Berechnungen zur Entwicklung des Universums widerspricht. Möglicherweise besteht sie aus mehreren, nicht zusammenhängenden Gebilden.

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Die Südpolmauer ist nicht ganz so groß. Dafür sei sie aber die größte Struktur im Umkreis von 650 Millionen Lichtjahren, sagt Pomarède. "Nur weil sie bogenförmig ist, können wir die Länge von 1,4 Milliarden Lichtjahren beobachten", sagt der Astrophysiker. Eine gerade Struktur hätte sich über das Sichtfeld hinaus erstreckt. "Aber vielleicht sehen wir auch nicht alles von ihr", sagt der Kosmograf.

Aber warum wurde dieses gigantische Gebilde erst jetzt entdeckt?

Die Südpolmauer befindet sich in einem Bereich des Weltalls, der "Zone of Avoidance" genannt wird. Von der Erde aus gesehen liegt er direkt hinter dem staubigen Zentrum der Milchstraße. Unsere Sicht darauf war also blockiert – bis jetzt.

Bei der Entdeckung half die Schwerkraft

Pomarède und sein Team bemerkten, dass Galaxien von allen Seiten aus in eine bestimmte Richtung gezogen wurden – von der Gravitation einer gigantischen Struktur. Um sich die hinter dem Staub der Milchstraße verborgenen Knoten und Filamente des kosmischen Netzes anzusehen, verwendeten die Forscherinnen und Forscher Cosmicflows-3. Die Datenbank enthält Informationen über die Entfernungen und Bewegungen von 18.000 Galaxien.

Die Frage, wie die Schwerkraft großer Strukturen und die Bewegungen von Galaxien beeinflusst, ist eines der wichtigsten Forschungsfelder der Astronomie. Die Lokale Gruppe zum Beispiel, der Galaxienhaufen, zu dem auch unsere Milchstraße gehört, bewegt sich mit 630 Kilometern pro Sekunde. Das liegt daran, dass große Strukturen ihn anziehen und leere Regionen des Weltalls, sogenannte Voids, ihn abstoßen.

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Anhand der Cosmicflows-3-Daten sahen die Forschenden, dass sich einzelne Galaxien auf einer Seite der verdeckten Südpolmauer langsamer bewegten, als sie erwartet hatten. Die Galaxien auf der anderen Seite, die sich näher an der Erde befindet, bewegten sich dagegen schneller als gedacht.

"Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass die Schwerkraft der Südpolmauer auf uns wirkt. Sie verpasst uns eine Geschwindigkeit von etwa 40 Kilometern pro Sekunde", sagt Pomarède. "Wir wollen jetzt wissen, welche anderen Strukturen dazu beitragen: vor allem, ob noch etwas in der Zone of Avoidance versteckt ist. Vielleicht kreuzen sich in diesem Bereich Filamente."

Mit Modellen und Algorithmen konnten die Forschenden einen Teil der Südpolmauer rekonstruieren. Ob sie ihre tatsächlichen Ausmaße erfasst haben, lässt  sich erst in einigen Jahren sagen, wenn eine detailliertere Version von Cosmicflows erhältlich ist. In anderen Worten: Die Südpolmauer ist vielleicht noch viel größer.

"Wie Kartografen Weltkarten erstellt haben, wollen wir eine Karte des Himmels anfertigen und mehr über die Strukturen lernen, in denen wir leben", sagt Pomarède. "Wir untersuchen, ob unsere Entdeckungen mit dem aktuellen Standardmodell der Kosmologie kompatibel sind."

Wenn im Weltall neue große Strukturen entdeckt werden, erhaschen wir einen vollständigeren Blick auf die Fäden, die das große kosmische Netz zusammenhalten. Wir lernen mehr über diese Schläuche voller Dunkler Materie und Galaxien. Und wir verstehen ein bisschen besser, wie wir selbst in diesem bizarren, sich ständig wandelnden Universum zum Leben erwacht sind.

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