Ein Mann steckt Kugeln in eine Gewehrmagazin, Hieu Le war als freiwilliger Kämpfer in der Ukraine
Hieu Le war schon für die USA in Afghanistan stationiert | Foto: Hieu Le
Menschen

Ausländische Kämpfer berichten, wie grausam der Krieg in der Ukraine ist

In drei Tagen Ukraine habe er mehr mitgemacht als in sechs Monaten Afghanistan, sagt ein Soldat.

In den frühen Morgenstunden des 13. März regneten russische Marschflugkörper auf den westukrainischen Militärstützpunkt Jaworiw nieder. Der Angriff war nicht nur brisant, weil der weitläufige Stützpunkt lediglich 15 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt liegt, also von NATO-Gebiet, sondern weil die Basis als Sammelpunkt für ausländische Rekruten der neu gegründeten ukrainischen Fremdenlegion diente.

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Adam war einer der neuen Rekruten, die sich zum Zeitpunkt des Raketenangriffs in dem Stützpunkt aufhielten. Der polnische Zimmermann, der aus Sicherheitsgründen nur seinen Vornamen nennen möchte, war erst seit wenigen Tagen im Land, als er an jenem Sonntag gegen 4 Uhr morgens von einschlagenden Raketen geweckt wurde. Aus seinem Zelt hervorgekommen stand Adam vor einem Blutbad.

Der Anblick eines Soldaten ist ihm besonders in Erinnerung geblieben. "Sein Gesicht war weggebrannt. Er hatte keine Hände mehr, beide waren weg. Er lief rum wie ein Zombie", sagt Adam. "Er bittet dich um Hilfe, aber was kannst du da noch machen? Du kannst nichts für ihn tun. Du weißt, dass er bereits tot ist, dass ihn nur noch das Adrenalin am Leben hält."

Am Sonntag, genau zwei Wochen nach dem Raketenangriff, hat VICE mit Adam im polnischen Krakau gesprochen. Zwei Tage zuvor ist der 35-Jährige zurück in sein Heimatland gekommen, in der Ukraine hatte er zwei Wochen als Kommandeur einer Einheit mit rund 20 Soldaten gedient. Erst jetzt kann Adam das wahre Ausmaß seiner Erlebnisse reflektieren. Er gehört zur ersten Welle Kriegsrückkehrer, die aus erster Hand berichten können, wie das Leben als ausländischer Soldat an der ukrainischen Front ist. 

In den vergangenen Wochen hat es zahlreiche und teilweise bewundernde Berichte über Ausländer gegeben, die so mutig waren, sich freiwillig in ein Kriegsgebiet zu begeben. Von denen, die es wieder zurück geschafft haben, hat man noch wenig gehört. Adam und andere ausländische Rekruten berichten VICE von erschütternden Erfahrungen voller Tod und Zerstörung, die sie während ihrer kurzen Einsätze in der Ukraine gemacht haben. Teilweise hat sie das Erlebte schwer traumatisiert.

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"In meinen ersten drei Tagen in der Ukraine war ich viel mehr Zeug ausgesetzt als während meiner ganzen Zeit in Afghanistan", sagt Adam, der 2012 sechs Monate in dem Land gedient hat. Aber er kann selbst dem schweren Raketenangriff auf den Stützpunkt in Jaworiw, bei dem 35 Ukrainer und laut Kreml bis zu 180 "ausländische Söldner" starben, etwas Positives abgewinnen. Nach der Tragödie gaben die ukrainischen Offiziere den ausländischen Rekruten die Möglichkeit, das Land zu verlassen. Viele nahmen das Angebot an.

"Es gab eine Menge Abenteurer. Viele Leute haben behauptet, dass sie in der Armee und beim Militär gewesen seien, aber ich glaube, die waren einfach ein Haufen Lügner", sagt Adam. "Wir waren eigentlich sehr froh, dass das passiert ist, bevor wir nach Kiew kamen. Das war nämlich die beste Auswahl an Leuten, die du dir verdammt noch mal vorstellen kannst – die beste."

Soldaten gehen unter einer zerstörten Brücke auf Holzplanken über einen Fluss

Adams Einheit bei einer zerstörten Brücke in Kiew | Foto: Hieu Le

Ein weiterer ausländischer Rekrut, der den Raketenangriff auf den Militärstützpunkt überlebt hat, ist Hieu Le. 

Drei Wochen zuvor hatte der US-Amerikaner mit vietnamesischen Wurzeln noch in Medellín, Kolumbien, Nudelsuppe verkauft. Als er den leidenschaftlichen Aufruf des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an ausländische Rekruten sah, sich der Verteidigung gegen die russische Invasion anzuschließen, fühlte er sich gezwungen zu handeln.

Während unseres Gesprächs Ende vergangener Woche befand sich Le mit einem anderen Kämpfer aus den USA in einem Hotelzimmer in Warschau. Beide Männer waren am 9. März unabhängig voneinander in die Ukraine gekommen und hatten das Land gemeinsam am 22. März wieder verlassen.

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Le ist 30 Jahre alt und spricht mit ruhiger Stimme. Er war Soldat in Adams Einheit. Auch Le hat einen Afghanistaneinsatz hinter sich. 2012 diente er dort für neun Monate und arbeitete anschließend noch über drei Jahre als Agent in der Spionageabwehr in Afghanistan, bevor er dann 2020 nach Medellín zog. 

"Das Risiko, von irgendwelchen Kriminellen in den eigenen Reihen eine Kugel in den Rücken zu kriegen, war weitaus höher, als einem lieb war."

Wie Adam sagt auch Le, dass ihn seine bisherige Kampferfahrung nur unzureichend auf den asymmetrischen Krieg in der Ukraine vorbereitet habe. Präsident Wladimir Putin hat mit seinem Angriff die größte Militäroffensive in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg gestartet, Dörfer und Städte mit Raketen angegriffen.

"Selbst Menschen mit Militärerfahrung müssen sich bewusst machen, dass es schon lange keinen Krieg mehr gab, der auf diese Weise ausgetragen wurde", sagt Le. "Das US-Militär und alle anderen NATO-Armeen sind verwöhnt. Wenn sie in Kriegen kämpfen, haben sie Luftunterstützung, Rettungshubschrauber, Logistik, verschiedenste Ebenen der Informationsbeschaffung und Nachschub. In der Ukraine hatten wir nichts davon."

Sowohl Adam als auch Le berichten von der hohen Belastung beim Häuserkampf – der Amerikaner vergleicht diesen mit einem Kampf im Wald. Die Heimatbasis der Männer in Kiew habe aufgrund der ständigen Bedrohung durch Raketen- und Artilleriebeschuss nur unwesentlich mehr Schutz geboten. Laut Adams Einschätzung waren an dem geheimen Ort über Tausend ausländische Kämpfer untergebracht – Georgier, US-Amerikaner, Briten, Osteuropäer und sogar Südamerikaner.

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"Wenn du hier etwas über den Krieg gelernt hast, dann, dass der Häuserkampf die Hölle ist", sagt Le. "Umringt vom Feind – so vielen Feinden, so viel Panzerfahrzeugen. Du läufst rum und plötzlich begegnest du einem feindlichen Panzerfahrzeug."

Ein junger Mann in Uniform mit US-Flagge an einen Metallcontainer gelehnt

Hieu Le verkaufte bis vor wenigen Wochen noch vietnamesische Nudelsuppe in Medellín | Foto: Hieu Le

Unabhängige Zahlen gibt es nicht, aber Anfang März gab das ukrainische Verteidigungsministerium bekannt, dass sich schätzungsweise 20.000 Menschen freiwillig für die Internationale Legion der Territorialverteidigung der Ukraine gemeldet hätten. Der Freiwilligenverband wurde hastig am 27. Februar, drei Tage nach Kriegsbeginn, gebildet. In vielen Medienberichten heißt es, dass die ausländischen Rekruten die Legion vertraglich nicht vor Kriegsende verlassen dürften. Le hat ganz andere Erfahrungen gemacht: "Es war echt erstaunlich, wie viele Gelegenheiten einem die Ukrainer gegeben haben zu gehen."

Auch wenn Le den "beeindruckenden" Widerstand der Ukrainerinnen und Ukrainer lobt und stolz darauf ist, was die ukrainische Fremdenlegion in so kurzer Zeit erreicht hat, berichtet er von fehlender Struktur und Führung im Freiwilligenverband. Das habe zu unnötigen Verlusten geführt, ließe sich aber beheben, indem man jeder Einheit einen ukrainischen Offizier zuweist.

Die Disziplinproblematik habe sich laut Le auch in der Kaserne gezeigt. Von einer besonders wilden und undisziplinierten Gruppe sei ständig die Gefahr von Gewalt ausgegangen – US-Amerikaner und Briten, die behaupteten, Ex-Spezialkräfte zu sein. Während seines Aufenthalts hätten diese Soldaten andere in der Kaserne angefeindet, bedroht und angegriffen, sagt Le. Er und Adam vermuten, dass diese Männer unter dem Einfluss von Drogen standen. In der Kaserne hätten derweil Gerüchte über Plünderungen und die Erschießung von streunenden Hunden die Runde gemacht.

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Mit jedem Tag sei auch Les Anspannung gewachsen. Ständig habe er vor feindlichen Angriffen auf der Hut sein müssen, bald habe er sich aber auch unter seinen eigenen Männern nicht mehr wirklich sicher gefühlt. Eine kleine Minderheit der Freiwilligen seien "Psychos und Kriminelle" gewesen, sagt er. Sie seien nicht in die Ukraine gekommen, um dem Land zu helfen, sondern, um "einen Freifahrtschein zum Töten von Menschen zu bekommen und durchzudrehen".

Auch andere Kämpfer hätten der Gruppe nicht über den Weg getraut. "Viele wollten mit diesen Typen nicht auf Einsätze gehen, weil sie einfach nicht vertrauenswürdig waren", sagt Le. "Das Risiko, von irgendwelchen Kriminellen in den eigenen Reihen eine Kugel in den Rücken zu kriegen, war weitaus höher, als einem lieb war." 

VICE konnte Les Schilderungen nicht unabhängig überprüfen. Laut Adam sind die besagten Männer – es handelte sich offenbar um fünf Personen – zu den Zeitpunkt, als er das Land verließ, aus der Legion entfernt worden. Adam betont außerdem, dass diese Männer in einer ansonsten harmonischen Gruppe ausländischer Kämpfer Außenseiter gewesen seien. Die ukrainische Regierung bemühe sich, schlechtes Verhalten unter ihren ausländischen Kämpfern auszumerzen. Der US-amerikanische Soldat, mit dem Le nach Warschau gereist ist, wollte zwar kein Interview geben, aber er berichtete, dass er körperlich von einem aus der fraglichen Gruppe angegriffen worden sei. Er habe die Ukraine verlassen, weil er sich unter den eigenen Männern nicht sicher gefühlt habe.

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"Wegen der Leichenstarre mussten wir seine Arme und Beine brechen."

Dieser Umstand habe auch bei Les Entscheidung eine Rolle gespielt, seinen Ukraine-Einsatz nach zwei Wochen zu beenden, ausschlaggebend war aber ein anderer Vorfall. 

Am 18. März stieß Adams Einheit bei einer Patrouille in einem Wald im Westen Kiews auf die Leiche eines georgischen Soldaten aus ihrer Kaserne, der durch Raketenbeschuss getötet worden war. Da sie ihn nicht zurücklassen wollten, hätten Adam und Le dabei geholfen, den steifen leblosen Körper ihres Kameraden acht Kilometer durch den dichten Wald zur nächsten Straße zu tragen. Dort durchsuchten sie laut Le die Uniform des Mannes nach einem Ausweisdokument, schrieben seinen Namen, Details und sein Geburtsdatum auf ein Stück Pappe und hoben ihn für den weiteren Transport in ein wartendes Fahrzeug.

"Wegen der Leichenstarre mussten wir seine Arme und Beine brechen, damit er reinpasst. Autos sind hier in Europa super klein", sagt Le. "Es war grauenhaft, ich werde das nie vergessen."

Als er dann mit ansah, wie andere georgische Soldaten den Toten ehrten, habe auch er tiefe Trauer verspürt. Die ganze Erfahrung sei so traumatisch gewesen, dass er ein ähnliches Erlebnis nicht ertragen hätte. Wenige Tage später habe er das Land verlassen. "Mir war nicht klar, wie sehr mich das mitnehmen würde."

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Soldaten tragen einen Soldaten auf einer Bahre unter einer Betonbrücke

Soldaten aus Adams Einheit tragen die Leiche eines gefallenen Georgiers | Foto: Hieu Le

"Das war ein finsterer Augenblick. Für mich war das zu viel. Ich wollte so etwas nie wieder tun. Es war … ", sagt er und macht eine kurze Pause. "Es war unfassbar herzzerreißend."

Adam, für den das schon die zweite Begegnung mit dem Tod in einer Woche war, erinnert sich hingegen gut gelaunt an den Vorfall. Das, sagt er, sei seine Art, mit solchen Dingen umzugehen.

"Das ist meine Reaktion auf alles, was da drüben geschehen ist. Das ist mein Stress-Management. Ich mache das für mich", sagt Adam. "Für mich ist es auch OK, wenn jemand das kritisieren will. Nur zu, es ist mir egal. Aber was würde es bringen, wenn ich deswegen die ganze Zeit rumheule?"

Adam, der auch wegen der Spannungen in der Kaserne das Land verlassen hat, schließt eine Rückkehr in die Ukraine nicht aus. Momentan versucht er, Geld für Sucher, Thermal- und Nachtsichtgeräte zu sammeln – Equipment, das beim Häuserkampf in Kiew ein "Game Changer" wäre.

Le möchte durch Europa reisen, um das Erlebte zu verarbeiten, bevor er nach Kolumbien zu seinem Leben als Nudelsuppenverkäufer zurückkehrt. Mental bereite er sich schon auf ähnliche Gefühle vor wie die, die er nach seiner Rückkehr aus Afghanistan erlebt habe, wo "es allen egal war und sich nichts geändert hat".

Er warnt Menschen ohne Militärerfahrung davor, in die Ukraine zu gehen: "Nach dem ersten Luftangriff wirst du wahrscheinlich das Handtuch werfen." In den sozialen Netzwerken wurde er in den vergangenen Tagen dafür kritisiert, das Land nach zwei Wochen wieder verlassen zu haben, teilweise auch von Soldaten, mit denen er zusammen gedient hat.

In unserem Gespräch wiederholt er mehrmals, dass diese Kritik auf Ahnungslosigkeit beruht. Trotzdem merkt man, dass ihn nach allem, was er durchgemacht hat, die harten Worte seiner Kollegen treffen.

"Ich versuche, es mir nicht zu sehr zu Herzen zu nehmen, weil sie keine Ahnung haben. Die wissen wirklich nicht, dass das hier eine ganz andere Art von Konflikt ist", sagt er. "Das einzige, was ich diesen Typen wirklich zu sagen habe, ist: Sie hatten auch die Möglichkeit, hierherzukommen, aber sie haben es nicht getan."

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