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Für diese fünf Frauen endete das Tinder-Date in sexualisierter Gewalt

Tinder will einen Panik-Button einführen. Wir haben Frauen gefragt, wann sie die Funktion schon mal gebraucht hätten.
Ein Smartphone-Bildschirm, auf dem steht: send help
Foto: imago images | Westend61 || bearbeitet

Hey.

Ungezählte Tinder-Gespräche beginnen mit diesem Wort. Drei Buchstaben, die zu so ziemlich allem führen können. Freundschaft, Sex, Liebe, Liebeskummer, oder einfach nur ins Nichts. Du kennst die Person auf der anderen Seite des Bildschirms nicht. Das ist schön und aufregend.

Manchmal ist es gefährlich. Weil du eben nicht weiß, ob die Person auf der anderen Seite dasselbe will wie du – und ob sie dein Nein akzeptiert.

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Deshalb führt Tinder nun einen Panikknopf ein. Die Datingplattform will mit Noonlight zusammenarbeiten, einer App, die Rettungsdienste mobilisieren kann. Um den Panikknopf zu betätigen, muss der App vorher erlaubt werden, auf deinen Standort zuzugreifen. Dann lassen sich Informationen hinzufügen, wann, wo und mit wem du verabredet bist.

Wird der Knopf gedrückt, schickt Noonlight zunächst einen Zahlencode, der eingegeben werden muss. Passiert dies nicht, sendet es eine SMS. Kommt keine Antwort, wird angerufen. Hebt die Person auch dann nicht ab, wird die Polizei eingeschaltet.

Die Funktion ist zunächst nur in den USA verfügbar. Ob und wann sie in anderen Ländern eingeführt werden soll, hat das Unternehmen nicht bekannt gegeben. Dabei gäbe es Bedarf.

Hier erzählen fünf Frauen, in welchen Situationen sie bereits einen Panikknopf gebraucht hätten. Die Namen unserer Protagonistinnen haben wir geändert, um sie zu schützen. Achtung: Unsere Protokolle beschreiben Übergriffe, die wir als sexualisierte Gewalt einstufen. Wir haben uns dazu entschieden, sie dennoch zu veröffentlichen, auch um Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen und Licht in diese Grauzone zu bringen.

Bist du sexuell belästigt worden oder hast sexualisierte Gewalt erlebt? In Deutschland bekommst du Hilfe unter der Telefonnummer 0800 22 55 530. Mehr Infos findest du auf dem Hilfeportal der Bundesregierung. Wer in der Schweiz sexualisierte Gewalt erlebt hat, findet bei der Frauenberatung Links zu Beratungsstellen, betroffene Männer erhalten Hilfe im Männerhaus. In Österreich wird ein 24-Stunden-Hilfenotruf unter 01 71 719 angeboten.

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In jedem Fall gilt: Wende dich auch an die Polizei in deiner Nähe, wenn du das möchtest, und zeige den Täter oder die Täterin an.

Anna, 19: "Ich habe einfach nicht verstanden, warum er nicht den Respekt hatte, mein Nein zu akzeptieren."

Letztes Jahr im Herbst habe ich mich mit diesem Typen getroffen. Wir haben uns auf ein Bier verabredet, abends im Park. Da hatten wir schon zwei, drei Wochen lang miteinander geschrieben. Am Anfang haben wir uns gut verstanden, es war alles OK.

Aber dann ist er mir immer näher gekommen. Er hat mir an die Beine gefasst und unter mein T-Shirt. Ich hab ihm gesagt, dass ich das nicht will. Er hat halt einfach weiter gemacht. Irgendwann habe ich seine Hand weggeschoben und gesagt: "Ich möchte das nicht, das reicht jetzt."

Das fand er total kacke. Er sagte: "Hab dich nicht so, wir kennen uns ja schon lange genug." Richtige Angst hatte ich keine, aber mir war schon sehr unbehaglich zumute. Ich habe einfach nicht verstanden, warum er nicht den Respekt hatte, mein Nein zu akzeptieren. Ich bin schließlich gegangen.

Er ist mir nicht hinterhergelaufen. Hätte er das gemacht, hätte ich auf jeden Fall die Polizei gerufen. Danach habe ich noch einmal von ihm gehört. Er hat mir geschrieben und mich gefragt, ob wir das wiederholen wollen. Geht's noch?

Sophie, 30: "Was mache ich jetzt? Mich tot stellen? Flüchten? Was mache ich? Was mache ich?"

Vier Tage nach unserem ersten Treffen hatte er Geburtstag. Er hat mich gebeten, noch vorbeizukommen und etwas mit ihm zu trinken. Ich wollte mich eigentlich nicht schon beim zweiten Date mit ihm zu Hause treffen und habe ihm das auch gesagt. Er hat mir versichert, dass er nicht vorhabe, mich ins Bett zu kriegen. Also bin ich hingefahren.

Die erste halbe Stunde war OK, und dann war überhaupt nichts mehr OK. Ich habe sein Bücherregal durchstöbert und er kam von hinten und hat mich in den Nacken geküsst. Ich habe versucht, mich rauszuwinden, mich weggedreht und gesagt: "Lass uns doch lieber reden." Dann haben wir auf der Couch gesessen und er hat mein Oberteil ausgezogen. Ich habe ihm gesagt, dass ich das ja eigentlich nicht wollte, aber er hat einfach immer weiter gemacht.

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Irgendwann lag ich in Unterwäsche da und meinte wieder, dass ich das nicht will. Aber er hat gesagt: "Aber wir kuscheln doch nur ein bisschen." Ich dachte nur: "Was mache ich jetzt? Mich tot stellen? Flüchten? Was mache ich? Was mache ich?"

Ich war total benebelt und nackt. Er hat über mich gegriffen und ein Kondom aus der Schublade gezogen. Dann meinte er: "Soll ich noch weitermachen? Es wird dir schon gefallen." Dann habe ich die Beine zusammengepresst und gesagt: "Ich WILL nicht!" Da wurde er sauer. Er schlug mir gegen die Stirn, meinte: "Ihr Weiber heute spinnt doch alle! Was dachtest du denn, was passiert, wenn du hierherkommst?"

Ich bin dann raus, habe gezittert und gedacht, ich habe was falsch gemacht und die falschen Signale gesendet. Meine beste Freundin meinte, ich sollte die Polizei rufen, aber ich dachte: "Es ist ja nichts passiert, wie soll ich das nachweisen?"

In der Zeit danach war ich richtig paranoid, habe niemandem mehr über den Weg getraut. Meinen jetzigen Freund habe ich auch online kennengelernt. Bei unserem ersten Treffen fragte er mich, warum ich so angespannt sei. Ich sagte: "Ich weiß einfach nicht, ob ich dir vertrauen kann."

Man denkt inzwischen, es sei normal, dass einem sowas passiert, wenn man sich online mit Männern trifft. Aber es ist nicht normal.

Veronika, 26: "Ich habe überlegt, ob ich die Polizei rufen sollte – aber er war selbst Polizist."

Er sei Polizist, erzählte mir mein Match noch vor unserem ersten Treffen. Er war ein total offener und netter Kerl, und ich habe mich gleich sehr sicher gefühlt. Bei unserem ersten Treffen hat er mich mit dem Auto abgeholt und wir sind ein bisschen rumgefahren.

Erst waren wir bei McDonald's im Drive-in, dann fuhren wir weiter. Plötzlich ist er auf einen Feldweg abgebogen und hat angehalten. Er stürzte sich auf mich. Ich hab ihm gesagt, dass ich nicht mit ihm schlafen will, meinte sowas wie "Vielleicht eher das nächste Mal". Aber er hat einfach weiter gemacht. Ich habe überlegt, ob ich die Polizei rufen sollte, aber irgendwie dachte ich, das bringt ja auch nichts, er ist ja schließlich selbst Polizist.

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Ich habe dann gedacht, dass meine beste Möglichkeit ist, einfach mitzumachen und habe ihm Oralverkehr angeboten. Ich dachte, ich muss ihm irgendwas anderes anbieten, damit er nicht weitermacht.

Danach ist er mit mir nochmal in den Drive-in gefahren, meinte, ich solle mir etwa zu essen aussuchen. Er hat aber nichts bestellt. Rückblickend finde ich das total eklig, wie wir dann da saßen, ich mit meinem Burger. Dann hat er mich nach Hause gefahren.

Er hat mich danach noch ein paar Mal angerufen, anscheinend hielt er das Treffen für ein gutes Date. Aber ich bin nie dran gegangen. Es ist jetzt zwei oder drei Jahre her und ich denke: "Ich hätte einfach noch klarer Nein sagen müssen." Aber ich weiß, dass ich mich in dem Moment nicht getraut habe. Er hat die Situation kontrolliert.

Lena, 20: "Ich wollte nicht, habe ihn weggeschubst. Da wurde er sauer."

Ich war neu in der Stadt und eigentlich auf der Suche nach Freunden, nicht nach einem Partner. Es war mein viertes oder fünftes Treffen mit dem Typen. Wir hatten eine Art Affäre, aber ich hatte ihm oft gesagt, dass da nicht mehr draus werden wird.

Ich kam abends zu ihm. Er wollte noch auf eine Party, ich aber nicht. Also ist er alleine gefahren, sagte: "Nur für eine Stunde." Na ja, es wurden dann halt acht Stunden. Am nächsten Morgen kam er wieder, total auf Drogen. Ich habe geschlafen und bin davon aufgewacht, dass er angefangen hat, mich anzufassen.

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Ich wollte aber nicht, habe ihn weggeschubst. Er wurde erst sauer, hat mich angeschrien. Ich hab's dann irgendwie geschafft, dass er sich wieder beruhigt. Ich habe auch versucht, mich zu beruhigen, wollte noch etwas mit ihm machen. Es wurde Abend und wir stritten uns wieder. Er sagte mir, ich habe ein Drogenproblem, und ich schlug ihm leicht auf den Bauch, weil ich das so unverschämt fand. Er nahm die Drogen, nicht ich. Es kann ihm unmöglich weh getan haben, das ist ein riesengroßer Mann.

Er ist total ausgeflippt, hat mich hochgehoben und aus der Tür rausgeschmissen – meine Sachen hinterher. Ich wusste, ich muss da irgendwie raus, aber es fuhren keine Busse mehr. Taxen wollten mich auch nicht abholen. Ich habe dann versucht, Freunde zu erreichen, aber bis die ein Auto organisiert hatten, dauerte es Stunden.

Ich hatte Angst, die Polizei zu rufen und wollte auch nicht, dass er Schwierigkeiten wegen den Drogen bekommt. Also habe ich gewartet, bis meine Freunde kamen.

Er hat mich den nächsten Monat immer wieder angerufen, aber ich bin nicht dran gegangen. Ich wollte keinen Kontakt mehr mit ihm.

Alice, 24: "Bei unserem zweiten Date flüsterte er mir ins Ohr: 'Knie dich hin, du Fotze.'"

Unser erstes Date war super. Wir schrieben einige Tage miteinander, dann trafen wir uns zum Essen mit anschließendem Spaziergang. Er war super nett und ich hatte das Gefühl, dass er ehrlich an mir interessiert ist.

Unser zweites Treffen lief zunächst ähnlich: erst Abendessen, dann ein Spaziergang. Es war schon später am Abend und wir wanderten durch zum Teil menschenleere Straßen. Dann fing er an, mich anzufassen. Er hat mir an den Hintern gegriffen, seine Hand unter meine Jacke geschoben. Er flüsterte mir ins Ohr: "Knie dich hin, du Fotze." Und: "Nimm meinen Schwanz in den Mund." Ich dachte: Sowas sagt man doch nicht beim zweiten Date, und hab ihm mehrmals gesagt, er soll es lassen. Aber er hat nicht aufgehört.

Wir kamen an einem kleinen Tunnel vorbei und er zog mich in einen Hinterhof. Er drückte mich an die Wand und versuchte, mich zu küssen. Ich hab ihm gesagt, dass ich nicht will, aber er hat einfach nicht locker gelassen. Erst als ich ihm sagte, dass ich anfange zu schreien, wenn er nicht aufhört, ließ er mich los.

Ich bin sofort weg und hab meine Schwester angerufen. Er ist mir bis zur Bahn gefolgt. Am nächsten Tag hat er mir geschrieben und ich hab ihm gesagt, dass das total daneben war. Erst hat er es nicht verstanden. Er hat mir dann mehrfach wieder geschrieben, aber ich habe seine Nummer gelöscht und nicht mehr geantwortet. Inzwischen meldet er sich nicht mehr.

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