Politik

Diese Wiener Aktivistin zeigt Rechte an, die Terrorangst instrumentalisieren

Nach dem islamistischen Anschlag versuchen Rassisten, die Stadt aufzuwiegeln. Dunia Khalil erklärt, was man dagegen tun kann.
Dunia Khalil
Foto: Alexandra Stanic

Am achten November waren in Wien durch die Lautsprecher eines Demo-Wagens Schüsse und islamische Gebetsrufe zu hören. Der Wagen wurde von der Polizei eskortiert, das zeigen zahlreiche Videos auf sozialen Medien; Passantinnen wirkten offenkundig verunsichert. Eine solche Störaktion keine sieben Tage nach dem Terroranschlag in der Wiener Innenstadt stößt bei vielen Wienerinnen auf Unverständnis. Gelinde ausgedrückt.

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Die Kundgebung war bei der Polizei unter dem Titel "Toleranz und Vielfalt" angemeldet. Vorab soll der Veranstalter gesagt haben, dass die Lautsprecher auf dem Wagen dazu dienen, um "orientalische Musik" abzuspielen. 

Die Landespolizeidirektion (LPD) Wien entschuldigte sich in einer Stellungnahme dafür, die Aktion nicht unterbunden zu haben. Zudem sei eine interne Aufarbeitung eingeleitet worden. 

Auf Nachfrage von VICE, was das konkret bedeutet, sagt die LPD Wien: "Natürlich werden alle größeren Polizeieinsätze ständig evaluiert um dementsprechend auch Verbesserungen in  Zukunft zu gewährleisten."

So weit, so vage. 

"Unzufriedenstellend" nennt die Wiener Aktivistin und Rechtsberaterin Dunia Khalil die Stellungnahme der LPD Wien. Die 27-Jährige arbeitet mit antirassistischen Vereinen zusammen und berät Menschen, die von Rassismus betroffen sind. 

Khalil verlangt von den Behörden weitere Aufklärung. In diesem Interview erklärt sie, wieso.


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VICE: Waren Sie vor Ort, als die Schüsse und Gebetsrufe aus den Lautsprechern zu hören waren?
Dunia Khalil: Nein, ich habe auf Instagram davon erfahren. Ich war im ersten Moment fest davon überzeugt, dass das ein Fake-Video ist. Ich habe auch unter einen der Beiträge als Kommentar geschrieben, dass das doch sicher ein Fake ist. Dann habe ich eine Sekunde überlegt und meinen Kommentar gelöscht, weil ich dachte: Das ist so offensichtlich kein echtes Video. Es war mir peinlich, dass ich mich auch nur kurz gefragt habe, ob das vielleicht doch wirklich passiert ist. Das ging vielen anderen unter dem Beitrag ähnlich, da gab es so Kommentare wie: 'Wer das glaubt, ist dumm.' 

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Als sich herausgestellt hat, dass es sich um echte Aufnahmen handelt, habe ich Stunden gebraucht, um das zu realisieren. Ich war ehrlich sprachlos und konnte mich erstmal gar nicht dazu äußern. 

Haben Sie dann aber doch. 
Ich wollte der Situation auf jeden Fall entgegenwirken und habe mich deswegen dazu entschlossen, auf Social Media darüber zu schreiben. Instagram ist ein guter Ort, um Menschen über rassistische Aktionen zu informieren und in weiterer Folge zu sensibilisieren. Ich habe auch dazu aufgerufen, dass sich Zeuginnen bei mir melden. Insgesamt haben sich vier Menschen gemeldet. Ich habe dann eine  Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft geschickt….

…Das ist in Österreich die Meldung eines Vorfalls gegenüber einer Behörde.
Genau. Das ist sowas wie eine Anzeige, die macht man allerdings bei der Polizei.

Was haben die Zeuginnen erzählt?
Eine Zeugin soll zur Polizei gegangen sein, um dort Anzeige zu erstatten. Die Beamten sollen sie heimgeschickt haben, weil es nicht gegen sie persönlich gegangen sei. Sie könne eine Kundgebung nicht anzeigen. Wenn das so passiert ist, ist das eine falsche rechtliche Auskunft. 

Eine andere Zeugin berichtet auf Instagram, ein Mann auf dem Demo-Wagen solle gesagt haben:  'Liebe Josefstädter (Anm. der Redaktion: Bewohner aus dem achten Wiener Bezirk), das habt ihr davon, wenn ihr links wählt. So wird eure Zukunft aussehen'.

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Bringt es überhaupt etwas, wenn man solche Kundgebungen meldet? 
Ich bin mir nicht sicher, ob die Verhetzung rechtlich erfüllt wird, ich muss aber auch dazusagen: Es gibt meiner Ansicht nach keine klare Linie, was rechtlich relevant ist und was nicht.

Wir werden sehen, was passiert und ob der Fall eingestellt wird oder nicht. Ich habe angemerkt, dass die Staatsanwaltschaft mich über den weiteren Lauf des Verfahrens informieren soll.

Wann spricht man von Verhetzung?
Grundsätzlich gilt: Wenn etwas zu Hass aufstachelt oder zu Gewalt aufruft. Wenn man eine ganze Personengruppe beschimpft, dabei ihre Menschenwürde verletzt und sie in der Öffentlichkeit ächtet. Also etwa, wenn jemand eine ganze Bevölkerungsgruppe mit Tieren vergleicht. 

Die Kundgebung war mit dem Titel "Toleranz und Vielfalt" angemeldet. Das klingt erstmal nicht nach Schüssen und antimuslimischen Parolen. Was hätten die Polizisten vor Ort machen sollen?
Im Versammlungsgesetz steht, dass Versammlungen untersagt werden können, wenn der Zweck gegen ein  Strafgesetz verstößt oder wenn die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet ist.

Mit den Informationen, die die Polizei vorher hatte, konnte sie das vorher nicht wissen. 

Allerdings hätte man die Aktion auflösen sollen, als Maschinengewehrschüsse und islamische Gebetsrufe zu hören waren. Gerade in Anbetracht des Terroranschlags am zweiten November würde ich diese Kundgebung als Gefährdung des öffentlichen Wohls einschätzen. 

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Die Wiener Polizei hat sich auf Twitter dafür entschuldigt, dass die Aktion nicht unterbunden wurde.
Mir reicht die Stellungnahme nicht. Ich möchte wissen, was die nächsten Schritte sind. Wer wird dafür zur Verantwortung gezogen und welche Konsequenzen folgen? Das fehlt mir generell in unserem Diskurs über Rassismus in Österreich. Es braucht Taten, nicht nur Worte. Ich hoffe, der Fall wird dokumentiert und die Öffentlichkeit informiert, was konkret passieren wird. Ohne zu wissen, wie der Fall ausgeht, ist die Stellungnahme alleine für mich erstmal unzufriedenstellend. 

Muslimische Wienerinnen berichten seit dem Anschlag vermehrt von rassistischen Vorfällen auf der Straße.
Ja, die Situation ist sehr angespannt. Die unterschiedlichsten Vereine und Organisationen bestätigen, dass rassistische Vorfälle zunehmen. Einen Tag nach dem Terroranschlag haben in meinem Umfeld sehr viele junge Frauen auf sozialen Netzwerken gepostet, dass sie aufgrund ihres Kopftuchs mehr als ohnehin schon beleidigt und angegriffen wurden. 

In der Nacht des Anschlags habe ich mich mit Freundinnen ausgetauscht und alle hatten neben der Angst um Betroffene und Hinterbliebene eine große Sorge : Wie wird sich der Anschlag auf ihre Zukunft auswirken?

Mein Vater meinte am Telefon: Das müssen wir jetzt aushalten. 

Ich selbst habe ja auch Angst, dass solche Aktionen vermehrt stattfinden und nichts dagegen unternommen wird. 

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Es ist schon hart, dass sich so viele Menschen davor sorgen müssen, wie sich ein Terroranschlag, mit dem sie gar nichts zu tun haben, auf ihr Leben auswirken wird. 

Dunia Khalil

Muslime würden ein verschärftes politisches Klima nach dem Terroranschlag fürchten, sagt Dunia Khalil. Foto: Alexandra Stanic

Nehmen Österreichs Politiker diese Ängste ernst?
Nein. Politisch braucht es auf jeden Fall einen nationalen Aktionsplan gegen Rassismus. Wir brauchen konkrete Maßnahmen. Es reicht nicht, wenn wir nur darüber berichten. Im Fall der Kundgebung vom 8. November wünsche ich mir eine klare Positionierung von der Politik. 

Die Kundgebung war offensichtlich eine Provokation. Was bringt es, wenn Sie auf sozialen Medien darüber schreiben? 
Mir geht es in erster Linie um folgendes: know your rights. Es ist wichtig, dass Bürgerinnen wissen, was sie wo wann anzeigen können. Da herrscht ganz viel Unwissen und dem möchte ich entgegenwirken. 

Immer wieder berichten mir Betroffene, dass sie zur Polizei gegangen sind, um eine rassistische Beleidigung anzuzeigen und dass sie wieder nach Hause geschickt wurden, weil die Beamten meinten, sie seien nicht zuständig. Das stimmt aber nicht.

Wenn eine Muslima auf der Straße beschimpft wird. Was kann sie tun? 
Wenn die Beleidigung ein rassistisches Motiv hat und in der Öffentlichkeit passiert ist, können die Betroffenen Anzeige bei der Polizei erstatten. 

Am besten mit den entsprechenden Paragrafen zur Polizeistation gehen – Paragraf 115, Absatz 1 in Verbindung mit Paragraf 117, Absatz 3 – und Anzeigebestätigung mitgeben lassen.

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