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Zusammenbruch der Zivilisation in 30 Jahren: Neue Forschung bestätigt MIT-Studie von 1972

Vor fast 50 Jahren erschien 'Die Grenzen des Wachstums'. Ein Abgleich mit aktuellen Daten verheißt nichts Gutes, aber gibt auch Anlass zur Hoffnung.
Eine verbrannte Landschaft, eine Studie des MIT sagte 1972 den Zusammenbruch unserer Gesellschaft in der Mitte des 21. Jahrhunderts voraus, laut neuen Forschungen scheint sich das zu bewahrheiten
Symbolfoto: Getty

Während die Weltwirtschaft es gar nicht erwarten kann, sich von der Corona-Pandemie zu erholen, stellt eine neue Studie infrage, ob es wirklich so schlau ist, wie gewohnt weiterzumachen. 

1972 hatte ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des renommierten Massachusetts Institute of Technology, kurz MIT, die Risiken für einen Zusammenbruch unserer Zivilisation untersucht. Das Ergebnis: Wenn wir so weitermachen, wird unsere industrielle Gesellschaft wegen der Überbeanspruchung globaler Ressourcen zusammenbrechen. Die vom Club of Rome in Auftrag gegebene Studie wurde unter dem Namen Die Grenzen des Wachstums als Buch veröffentlicht und in 29 Sprachen übersetzt.

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Die vom Volkswagen-Konzern finanziell unterstützte Studie sorgte bei ihrer Veröffentlichung für Diskussionen und stieß auf heftige Kritik – auch aus der Wissenschaft. Über die Jahrzehnte wurde aber immer wieder gezeigt, dass die 1972 getroffenen Aussagen weiterhin erschreckend korrekt sind. Das gilt auch für die aktuelle Untersuchung von Gaya Herrington, einer Direktorin von KPMG, einer der größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften der Welt. Sie untersuchte fast 50 Jahre nach Erscheinen von Die Grenzen des Wachstums, wie zeitgemäß das Buch noch ist.


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Die Grenzen des Wachstums

Herringtons Studie erschien im November 2020 im Yale Journal of Industrial Ecology und kann auf der KPMG-Website heruntergeladen werden. Die Studie selbst steht in keiner Verbindung zu KPMG und wurde auch nicht im Auftrag des Unternehmens durchgeführt. Sie spiegelt auch nicht zwangsläufig die Ansichten von KPMG wider. Herrington, die auch Beraterin des Club of Rome ist, führte die Studie als Erweiterung ihrer Masterarbeit an der Harvard University durch. Sie selbst erklärt ihr Projekt folgendermaßen:

"Angesichts der unschönen Aussicht auf einen Kollaps war ich neugierig, welche Szenarien den aktuellen empirischen Daten am nächsten sind. Immerhin war das Buch in den 70ern ein Bestseller, und wir verfügen inzwischen über empirische Daten aus mehreren Jahrzehnten, die einen Vergleich sinnvoll machen. Zu meiner Überraschung konnte ich keine jüngeren Versuche finden, genau das zu tun. Also habe ich entschieden, es selbst zu machen."

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Die Studie mit dem Titel Update to limits to growth: Comparing the World3 model with empirical data versucht, genau das zu tun: zu überprüfen, wie sich das sogenannte World3-Computermodell, auf dem die ursprüngliche Studie beruht, gegen die neuen empirischen Daten behauptet. Frühere Untersuchungen, die genau das versucht haben, kamen zu dem Schluss, dass die Worst-Case-Szenarien des Modells ziemlich akkurat die tatsächliche globale Entwicklung widerspiegelten. Allerdings wurde die letzte Studie dieser Art 2014 veröffentlicht.

Das Risiko des Kollapses

Herringtons schaute sich die Daten zu zehn Schlüsselvariablen an: Bevölkerungsentwicklung, Geburtenraten, Sterberaten, industrieller Output, Nahrungsproduktion, Gesundheits- und Bildungsangebote, nicht erneuerbare Ressourcen, Umweltverschmutzung, Sozialleistungen und den ökologischen Fußabdruck. Sie kam zu dem Ergebnis, dass die aktuellen Daten am nächsten an zwei Szenarien aus der alten Untersuchung sind: BAU2 – "Business-as-usual", wir machen wie gewohnt weiter – und CT – "Comprehensive Technology", wir erzielen große technische Fortschritte.

"Die Szenarien BAU2 und CT zeigen einen Wachstumsstopp in etwa einem Jahrzehnt ab heute", heißt es in Herringtons Studie. "Beide Szenarien suggerieren, dass es unmöglich ist, einfach wie gewohnt weiterzumachen, also anhaltendes Wachstum zu verfolgen. Selbst in Kombination mit beispiellosem technologischen Fortschritt wie im CT-Modell würde Business as usual, wie es in Die Grenzen des Wachstums dargestellt ist, in den USA zwangsläufig zu einem Rückgang von Industriekapital, landwirtschaftlichem Output und Sozialleistungen führen."

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Der Kollaps in den World3-Modellen "bedeutet nicht, dass die Menschheit aufhören würde zu existieren", sagt Gaya Herrington zu VICE, sondern dass "das wirtschaftliche und industrielle Wachstum abbremsen und dann zurückgehen würde, was der Produktion von Nahrung und dem Lebensstandard schaden würde. Was den Zeitpunkt angeht, zeigt das BAU2-Szenario einen steilen Abstieg, der um 2040 einsetzt."

Ein Kurvendiagramm mit den Parametern Ressourcen, Bevölkerung, Verschmutzung, Nahrung und Industrie-Output

Das Business-as-Usual-Szenario | Quelle: Herrington, 2021

Das Ende des Wachstums?

Im CT-Szenario setzt der ökonomische Rückgang auch in etwa diesem Zeitraum ein – und mit ihm eine Reihe möglicher negativer Konsequenzen. Allerdings führt das nicht zu einem Zusammenbruch der Gesellschaft.

Ein Kurvendiagramm mit den Parametern Ressourcen, Bevölkerung, Verschmutzung, Nahrung und Industrie-Output

Das Comprehensive-Technology-Szenario | Quelle: Herrington, 2021

Leider ist das optimistischste Szenario aus der Studie von 1972 auch das, welches am allerwenigsten der aktuellen Datenlage entspricht. In dem "Stabilized World", oder kurz SW, genannten Szenario schlägt die Menschheit einen nachhaltigen Weg ein und erlebt den geringsten Einbruch im Wirtschaftswachstum. Grund dafür sind eine Kombination aus technischer Innovation und großer Investitionen in den Gesundheits- und Bildungssektor.

Ein Kurvendiagramm mit den Parametern Ressourcen, Bevölkerung, Verschmutzung, Nahrung und Industrie-Output

Das Stabilized-World-Szenario | Quelle: Herrington, 2021

Auch wenn wir sowohl im Business-as-usual- als auch im CT-Szenario in etwa zehn Jahren das Ende des Wachstums erreichen würden, zeigt nur das BAU2-Szenario "eindeutige Hinweise für einen Kollaps. Das CT-Szenario suggeriert hingegen, dass der zukünftige Rückgang eine verhältnismäßig sanfte Landung wird – zumindest für die Menschheit im Großen und Ganzen."

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Beide Szenarien befinden sich zwar momentan "relativ nah an den beobachteten Zahlen", Herrington kommt in ihrer Studie jedoch zu dem Schluss, dass die Zukunft noch offen ist.

Das Zeitfenster der Hoffnung

Das Streben nach anhaltendem Wirtschaftswachstum zum reinen Selbstzweck wird also auf lange Sicht sinnlos sein. Herrington kommt in ihrer Untersuchung allerdings auch zu dem Ergebnis, dass technischer Fortschritt und Investitionen in öffentliche Dienstleistungen nicht nur das Risiko eines Kollapses mindern, sondern auch zu einer neuen stabilen Wohlstandsgesellschaft führen könnten, die innerhalb der Möglichkeiten unseres Planeten operiert. Aber wir haben nur rund zehn Jahre, um unseren Kurs entsprechend zu ändern.

"Die aktuelle Datenlage entspricht am ehesten den Szenarien CT und BAU2, was ein Erlahmen und anschließendes Erliegen des Wachstums im kommenden Jahrzehnt nahelegt. Das World3-Modell lässt jedoch offen, ob der darauffolgende Rückgang tatsächlich zu einem Zusammenbruch führen wird", heißt es in der Studie. Auch wenn das optimistische Szenario der stabilisierten Welt "am wenigsten der aktuellen Datenlage entspricht", sei ein Richtungswechsel noch möglich. Das Zeitfenster dafür schließe sich aber schnell, schreibt Herrington.

Sie sagt: "Menschliches Handeln kann auch regenerativ sein, und wir können unsere produktiven Fähigkeiten ändern. Tatsächlich sehen wir aktuell Beispiele dafür. Wenn wir jetzt diese Bemühungen ausweiten, erschaffen wir eine Welt voller Möglichkeiten, die auch nachhaltig ist."

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Herrington verweist auf die schnelle Entwicklung und Herstellung der Corona-Impfstoffe als Reaktion auf die Pandemie. Das zeige, dass wir dazu fähig sind, schnell und konstruktiv auf globale Herausforderungen zu reagieren – wenn wir uns denn entscheiden zu handeln. Ein genauso entschlossenes Vorgehen bräuchten wir für die Umweltkrise.

"Die nötigen Veränderungen werden nicht einfach sein und stellen uns vor herausfordernde Übergänge, aber eine nachhaltige und inklusive Zukunft ist noch möglich", so Herrington.

Laut den besten Daten, die wir momentan haben, wird in den kommenden zehn Jahre das langfristige Schicksal unserer industriellen Zivilisation entschieden. Auch wenn die Chancen auf Messers Schneide stehen, verweist Harrington auf den "rapiden Anstieg" klimafreundlicher, sozialer und verantwortungsbewusster Regierungspolitik. Für sie ein Hinweis auf ein Umdenken von Regierungen und auch Unternehmen – und generell ein Anlass zum Optimismus. Sie betont, das wahrscheinlich wichtigste Ergebnis ihrer Forschung sei, dass es noch nicht zu spät ist, eine wirklich nachhaltige Zivilisation zu schaffen, die für alle funktioniert.

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