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10 Fragen an eine Aktivistin der Letzten Generation, die du dich niemals trauen würdest zu stellen

activista de mediu care arunca cu supa de rosii pe opere de arta

Carla Rochel hat eigentlich keinen Bock darauf, sich auf die Straße zu kleben. Der Teer ist kalt, sie wird getreten und geschlagen und landet manchmal auch im Gefängnis. Sie macht es trotzdem und zwar, um das Klima zu retten. Rochel ist Aktivistin bei der Klimaschutzorganisation Letzte Generation. Dafür hat die 20-Jährige aus der Nähe von Dresden ihr Politik- und Psychologiestudium abgebrochen.

Aber was haben Sich-Ankleben und Kartoffelbrei-Attacken auf Gemälde überhaupt mit Klimaschutz zu tun? Erst mal gar nichts. Die Letzte Generation will vor allem eins: nerven. Für den Umweltschutz. 

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VICE: Ihr fordert das 9-Euro-Ticket und ein Tempolimit auf Autobahnen. Im Kampf gegen den Klimawandel bringt das fast nichts. Warum stresst ihr für so wenig Veränderung so viel rum?
Carla Rochel:
Wir wissen, dass unsere Aktionen nerven. Wir wissen, dass sie unangenehm sind und dass da niemand Bock drauf hat. Wir haben da genauso wenig Bock drauf. Aber wir sehen gerade, dass wir diese Unterbrechungen im Alltag brauchen, damit wir über die Klimakrise sprechen und endlich ins Handeln kommen. Und ja, die Forderung nach einem Tempolimit von 100 Stundenkilometern auf Autobahnen und ein 9-Euro-Ticket sind klein. Wir wissen, dass das nur die allerersten Schritte sein können, und umso fassungsloser macht es mich, dass nicht mal das umgesetzt wird.

Mal ganz ehrlich: Wir schaffen die Klimaziele doch eh nicht, oder?
Ja, nach jetzigem Stand erreichen wir die Klimaziele nicht. Und diese Ziele sind laut Bundesverfassungsgericht schon viel zu niedrig gesteckt. In der Politik geht es gerade darum, die nächste Wahl zu gewinnen. Um das Überleben unserer Gesellschaft geht es der Bundesregierung nicht. Ich habe trotzdem viel Hoffnung, weil die Geschichte gezeigt hat, wie viel die Bevölkerung bewirken kann, wenn sie anfängt zu handeln. Das Frauenwahlrecht, die rechtliche Gleichberechtigung von Menschen verschiedener Hautfarben – diese Veränderungen sind nur entstanden, weil es eine Zivilbevölkerung gab, die Druck gemacht hat. 

Was ist deine klimaschädlichste Angewohnheit?
Ich bin nicht perfekt. Ich lebe schon lange vegetarisch und vegan, aber ich fahre manchmal Auto. Ich fahre auch ab und zu in den Urlaub. Wir bei der Letzten Generation sind alle normale Menschen. Und man muss dazu sagen: Auch wenn alle Menschen perfekt “klimafreundlich” leben würden, würden wir die Klimakrise nicht aufhalten können. Deshalb brauchen wir politische Maßnahmen Das ist der größte Hebel. Es bringt nichts, wenn wir uns jetzt alle eine Bambuszahnbürste kaufen. 

Freust du dich insgeheim, wenn die ganzen Autofahrer im Stau stehen und sich aufregen?
Nein, natürlich nicht. Wir führen Gespräche mit den Menschen, die dort in den ersten Reihen stehen. Das sind Menschen, die zur Arbeit müssen, die ihre Kinder nach Hause bringen wollen, die Arzttermine haben, die sie erst in ein paar Monaten wieder bekommen. Das ist richtig scheiße. Aber was uns alle treffen wird, ist die eskalierende Klimakatastrophe. 

Wie sehr bedrückt dich der Tod der Radfahrerin, für den eine eurer Protestaktionen verantwortlich gemacht wurde?
Der Tod der Radfahrerin ist tragisch, weil es immer tragisch ist, wenn Menschen im Verkehr sterben. Was mich daran stört, ist die Berichterstattung darüber und, dass dieser Unfall instrumentalisiert wird, um legitimen und friedlichen Protest durch den Dreck zu ziehen. Über die Radfahrer und Radfahrerinnen, die seit dem Unfall schon in Berlin gestorben sind, hat kein Mensch mehr geredet. 

Habt ihr oft Blasenentzündungen, weil ihr so lange auf der kalten Straße sitzt?
Mitglieder der Letzten Generation werden bei Blockaden immer wieder verletzt, aber mit Blasenentzündungen haben wir keine Probleme. Uns wird auf die Hände getreten, wir werden von der Straße gezogen. Mir wurde letztens eine Handtasche über den Kopf gezogen. Uns war auch vorher bewusst, dass uns diese Wut entgegenschlagen würde. Niemand hat Lust darauf, im Stau zu stehen. Niemand feiert es, wenn sich Menschen vor einem auf die Straße kleben und man nicht von der Stelle kommt. Es geht uns aber nicht darum, geliebt zu werden. Es geht darum, die Klimakatastrophe aufzuhalten.

Ihr habt auch mehrfach Anschläge auf Kunstwerke verübt. Was denkst du, was Claude Monet und Vincent van Gogh zu dir sagen würden, wenn sie jetzt vor dir stünden?
Die beiden haben ja auch Landschaften gezeichnet und sich von der Natur inspirieren lassen. Und genau die kollabiert gerade. Auf den Werken von Monet und Van Gogh ist zu sehen, was wir verlieren werden: nämlich einfach alles. Kunstwerke sind egal, wenn unsere gesellschaftliche Ordnung zusammenbricht. Ich hoffe, dass die Künstler uns verstanden hätten. 

Würdest du auch Menschen angreifen, um die Welt vor dem Untergang zu bewahren?
Unsere Proteste sind alle friedlicher Natur. Wir gehen ja auf die Straße, um Leben zu schützen. Sowieso hat friedlicher Widerstand in der Geschichte eher zu Erfolg und zu langanhaltenden Veränderungen geführt als gewalttätige Protestaktionen. Gewaltfreiheit und Friedlichkeit sind für uns einfach unverhandelbare Grundsätze.

Wie ist es im Knast?
Ich finde es dort immer sehr bedrückend. Meistens komme ich in eine geflieste Zelle mit einer Holzpritsche. Wenn man Glück hat, sieht man ein kleines Stück vom Himmel. In Berlin musste ich mittlerweile acht, neun Mal in einer Zelle übernachten und noch viel öfter den Tag in so einer Zelle verbringen. In München saß ich drei Tage am Stück in der JVA fest. Ich muss dann alleine in einer Zelle herumsitzen und darf nichts selbst machen: Ich muss klingeln, wenn ich auf die Toilette muss, ich muss klingeln, wenn ich Hunger oder Durst habe. Man ist komplett machtlos. Ich finde das jedes Mal vollkommen skurril, weil ich niemals gedacht hätte, dass ich jemals in meinem Leben festgenommen werden würde. Geschweige denn, dass ich mal im Gefängnis übernachten muss. Wir entscheiden uns trotzdem jedes Mal wieder, dieses Risiko einzugehen. In München wurden über 30 Menschen festgenommen und bis zu 30 Tage in Präventivhaft genommen – ohne Prozess. Jetzt sind immer mehr Menschen bereit, auch in Bayern auf die Straße zu gehen.

Glaubst du wirklich, die Letzte Generation zu sein?
Wir sind die letzte Generation, die es schaffen kann, die Klimakatastrophe abzuwenden. Wir haben jetzt gerade noch ein paar Jahre. Manche Wissenschaftler sprechen von zwei bis drei Jahren. Das ist die Legislaturperiode, in der wir jetzt gerade sind. Wir können nicht auf die nächsten Wahlen warten. Wir müssen diese Bundesregierung jetzt zum Handeln bewegen.

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