Update 15.02.2017: Jana schickte uns selbst das Bild für dieses Interview zu. Als sie kritisches Feedback bekam, begann sie allerdings, sich Sorgen um ihren Job zu machen, und bat uns, sie nicht mehr im Bild zu zeigen. Wir haben das Bild daher nachträglich bearbeitet.
Sexbombe oder junge Frau auf Ärzte-Jagd: Klischees über Krankenschwestern gibt es viele. Die Schwarzwaldklinik, Doctor’s Diary und die MC Dreamies und MC Irgendwas aus Grey’s Anatomy befeuern die Fantasie. Und seien wir mal ehrlich: Wer freut sich nicht, wenn einem eine attraktive junge Dame oder ein knackiger Typ das Pampe-Essen im Krankenhaus serviert? Dann noch ein nettes Lächeln, und schwups: Sexfantasie on. Man hat ja auch sonst nicht so viel zu tun.
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Fakt ist: Krankenschwestern sitzen oft zwischen den Stühlen. Im schlimmsten Fall sind sie Vermittler zwischen selbstherrlichen Ärzten und Arschlochpatienten. Und im Idealfall? “Mir geht’s gut, wenn die Leute kapieren, dass ich mehr bin als jemand, der Leuten den Arsch abwischt”, sagt die 22-Jährige Jana aus Niedersachsen. Seit einem halben Jahr ist sie fertig ausgebildete Krankenschwester. Und damit ist sie wertvoll für unser Land. “Pflegefachkräftemangel” heißt das Problem in der Sprache des Gesundheitsministerium. Bis zum Jahr 2025 werden mehr als 100.000 ausgebildete Pfleger fehlen, so Wirtschaftsforschungsinstitute.
Auf seiner Homepage schreibt das Ministerium: “Gute Pflege braucht Zeit.” Jaja, schon richtig. Ein leckerer Kuchen braucht auch einen fetten Zuckerguss. Dass etwas benötigt wird, heißt noch lange nicht, dass es das auch gibt. Jana sagt, dass sie nie genug Zeit für ihre Patienten hat. Gerade bei älteren, einsamen Menschen würde sie sich gerne einfach kurz mal mit ihnen unterhalten. Aber: Das geht nicht. Es warten noch rund 20 andere Patienten auf sie.
Was sonst noch nicht geht für Krankenschwestern oder vielleicht gerade, hat sie uns erzählt und auch all die anderen Fragen beantwortet, die ihr euch vielleicht gestellt habt, als ihr mit eurer Blinddarmentzündung darauf gewartet habt, dass endlich der nette Pfleger oder die Schwester ins Zimmer kommt.
VICE: Lange Fußnägel, eiternde OP-Wunden: Wovor ekelst du dich bei Patienten am meisten?
Jana: Bei zwei Sachen muss ich mich echt überwinden: Peniswaschen und Fingernägelsaubermachen. Ich bin nicht schmerzfrei, nur weil ich Krankenschwester bin.
Wenn man den Penis richtig wäscht, muss man die Vorhaut ein ganzes Stück runterziehen. Das geht nicht immer leicht. Manchmal haben sich die Patienten da wochenlang nicht richtig gewaschen. Da sammelt sich einiges an. Das stinkt manchmal so sehr, dass ich würgen muss. Ich versuche, das dann zu kaschieren, das klappt aber nicht immer. Ähnlich geht’s mir beim Fingernägelsaubermachen. Ich weiß ja nie, was das Schwarze unter den Nägeln ist. Bei Patienten, die schon Metastasen im Kopf haben, ist das oft Kot. Die pulen sich dann einfach im Po rum. Eine Kollegin hat sich mal in einen Mülleimer übergeben, das ist mir aber noch nicht passiert.
Kriegen manche Männer einen Steifen, wenn du sie wäschst?
Klar kommt das vor. Ich meine, das ist ja fast sowas wie ein Reflex. Das finde ich aber nicht schlimm. Wenigstens kann ich jetzt besser waschen, denke ich dann. Letztens – das war schon lustig – bin ich auch mit dem Essenstablett in ein Zimmer und der Patient hat gerade an sich rumgespielt. Der hat das dann auch nicht gelassen, als ich drinnen war. Er war allerdings auch nicht mehr klar im Kopf, da sind Menschen ja auf die Urtriebe reduziert. Es ist aber auch schon vorgekommen, dass es eklige Sprüche gab. Oder dass die Patienten plötzlich anfangen zu stöhnen. Dann bin ich immer total perplex. Auch wenn sich Leute eigentlich noch selbst waschen können und dann sagen “Sie können das besser”, ist mir das unangenehm.
Und wie oft solltest du schon für Männer zu Hause sexy Krankenschwester spielen?
Ich habe tatsächlich noch keinen Mann erlebt, der auf meinen Job negativ reagiert hat. Klar kommt dann manchmal auch so ein dummer Doktorspiele-Spruch oder so dezente Hinweise, dass unten im Schritt etwas wehtun würde. Da soll ich dann mal nachgucken, ob noch alles OK ist. Ich meine, im Ernst? Solche Typen kommen für mich eh nicht in Frage. Von daher: Nee! Sexy Krankenschwester und Doktorspielchen im Bett, das mache ich nicht.
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Wie häufig erledigst du Aufgaben, die eigentlich ein Arzt tun müsste?
Das passiert jeden Tag. Ich mache vieles, was eigentlich die Sache eines Arztes ist: Blut abnehmen, Venenkatheter legen, Infusionen einhängen. Im Grunde wälzen die Ärzte nur ihre Arbeit ab. Mich ärgert es total, wenn die vergessen, dass es eigentlich ihre Aufgabe ist. Da merkt man das starke Hierarchiedenken im Krankenhaus. Manche Ärzte lassen einen das auch sehr gerne spüren: ich Arzt, du Krankenschwester. Ein Oberarzt hat mich auch schonmal “Mäuschen” genannt. Sowas geht gar nicht. Ich habe ihn dann gefragt, ob das sein Ernst ist. Wenigstens hat er es da gemerkt. Es ist aber auch so: Manche Krankenschwestern lassen sich das gefallen. Die reproduzieren das Klischee und spielen das kleine, süße Mäuschen.
Wenn du selbst ins Krankenhaus musst: Gehst du dann in deines?
Auf keinen Fall! Erstmal weiß ich, wie es da auf manchen Stationen läuft, der Zeitdruck macht es unglaublich schwer, sich immer an alle Standards zu halten, auch wenn die Kollegen das wollen. Außerdem habe ich keine Lust, von Leuten operiert zu werden, die mich kennen. Ich erlebe ja ständig mit, wie man da teilweise über Patienten spricht. Wenn man da liegt, ist man ja bewusstlos und ausgeliefert. Klar fallen da mal dumme Sprüche und Bemerkungen.
Sprüche wie “Guck dir mal sein kleines Ding an” zum Beispiel?
Ja, sowas kommt auch vor. Das geht aber nicht nur im OP, sondern auch auf den Stationszimmern so. Wenn die Tür zu ist, macht man sich über Patienten lustig. Klar, das ist manchmal auch echt daneben. Aber ich glaube, man braucht auch eine Portion Humor, um im Job zu überleben. Zum Beispiel bei dementen Menschen: Klar ist das schlimm. Aber oft ist das auch unfreiwillig komisch, wenn dir jemand alle fünf Minuten ganz aufgeregt erzählt, er verpasst gleich den Bus. Da lacht man dann schon mal. Was für mich aber gar nicht geht: Menschen ohne Respekt zu begegnen. Ich würde eine demente Person nie fragen, ob sie sich schon wieder “eingeschissen” hat, weil sie ja eh nichts mehr mitbekommt. Jeder Mensch hat bis zum Schluss das Recht, als Mensch behandelt zu werden.
Hast du schonmal Medikamente geklaut?
Nein, das geht überhaupt nicht oder wäre wirklich sehr schwer. Im Medikamentenzimmer ist man fast nie allein, der Raum ist immer offen und für jeden zugänglich – die harten Medikamente sind sicher verschlossen. Ins Spritzenzimmer – weil wir hier auch Spritzen aufziehen, nennen wir das so – muss eigentlich ständig wer rein. Völlig unmöglich ist es, Sachen zu klauen, die ballern, also Opioide und Morphin zum Beispiel. Der Schrank ist immer verschossen, nur eine Krankenschwester hat den Schlüssel. Wenn man sich dann in ihrem Beisein etwas nimmt, muss man das ganz genau ein- und austragen.
Wäschst du dir vor jedem neuen Patienten die Hände?
Es gibt überall Hygienestandards, die eingehalten werden sollen. Aber um ehrlich zu sein, wird das fast nie gemacht. Solange man nicht unsteril wird, ist das aber auch nicht schlimm. Das liegt einfach daran, dass die Theorie oft nicht zur Praxis und zum Zeitdruck passt, unter dem wir stehen. Kritisch wird es, wenn man keine Zeit hat, um zum Beispiel Wunden ordentlich zu reinigen, oder, um auf die Einwirkzeit des Desinfektionsmittels zu warten. Ich nehme mir dann einfach die Zeit, auch wenn ich keine habe. Und was beim Waschen immer erfüllt werden muss: Bevor der Intimbereich dran ist, muss man einen Wasserwechsel machen und frische Handtücher müssen her. Wird das nicht gemacht, stimmt etwas nicht.
Wie oft verlieben sich die Patienten in dich?
Ich glaube, um richtig verliebt zu sein, gehört schon einiges dazu. Aber es gab schon einige, die ein bisschen geschwärmt haben und mir ihre Handynummer geben wollten. Aber, wer weiß: Vielleicht haben die es aber auch bei anderen versucht oder die haben das aus Langeweile gemacht. Davon hat man ja im Krankenhaus genug. Ich hatte auch noch nie etwas mit einem Patienten, mir gefiel bisher aber auch noch keiner so wirklich.
Wie oft hast du es miterlebt, dass ein Patient stirbt?
Direkt mit dabei war ich sechs Mal. Bisher das schrecklichste Erlebnis war meine erste sterbende Frau: Ich bin ganz rein ins Zimmer und habe direkt gemerkt, dass sie Atemnot hat. Wenn Patienten sterben, dann läuft oft die Lunge voll mit Wasser. Beim Atmen macht das dann so ein gurgelndes Geräusch. Als ich reingekommen bin, war sie schon fast erstickt. Sie hat dann Morphin bekommen, das entspannt und macht die Atmung flacher. Aber es war zu spät. Dieses brodelnde Gurgeln werde ich wohl nie vergessen. Ich würde nicht sagen, dass ich mich an den Tod gewöhnt habe. Ich kann nur damit umgehen, weil ich mich mehrmals in der Woche damit auseinandersetzen muss. Wenn ich morgens zur Schicht komme, heißt es dann, Patient X ist verstorben oder wurde ins Hospiz verlegt.