Wie Alice im Wunderland fühlte Nicole sich zum ersten Mal auf einem Goa-Festival. Sie hatte LSD genommen, eine ganze statt wie sonst eine viertel Pappe. Zum ersten Mal trippte sie viele Stunden lang, tauchte ab in eine andere Welt. Sie beschreibt es heute als ihre erste psychedelische Grenzerfahrung: “Ich habe gemerkt, dass in LSD mehr steckt als ein bisschen Glitzer.”
Das war vor 20 Jahren. Mittlerweile hat sich die 48-Jährige auf viele solcher Trips geschickt. Denn sie ist Psychonautin. Sprich: Wie eine Astronautin sich ins All schießt, um es zu erkunden, begibt Nicole sich auf Forschungsreisen in ihre Psyche. Sie gelangt etwa über Meditationen oder bestimmte Atemtechniken in eine Trance und so in ihr Bewusstsein. Oder eben, klar, durch psychedelischen Drogen.
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Heute arbeitet Nicole ehrenamtlich in der Psychedelic Society Germany. Die Non-Profit-Organisation hat sich 2018 gegründet, um Psychonautinnen und Psychonauten zu vernetzen und Informationen auszutauschen.
Wir haben Fragen.
VICE: Was ballerst du dir, um dein Bewusstsein zu erforschen?
Nicole: “Ballern” ist ein Ausdruck, den ich auch benutzt habe, bevor ich Psychonautin wurde. Jetzt möchte ich das nicht mehr. Ich nehme Substanzen, und zwar nehme ich gerne Psilos, also psilocybinhaltige Pilze. Ich nutze gerne LSD, Mescalin, DMT, Changa und Yopo. Letzteres ist ein Samen, aus dem man ein Schnupfpulver herstellen kann. Und ich rauche gerne Cannabis.
Testest du auch Research Chemicals , die psychedelisch wirken, wie 25I-NBOMe?
Davon halte ich gar nichts. Die gehören nicht zu unseren Meisterpflanzen oder Meistersubstanzen, also denen, mit denen Schamanen schon seit Jahrhunderten arbeiten, wie zum Beispiel Ayahuasca und Mescalin.
Research Chemicals können sehr gefährlich sein. Einige von ihnen gibt es zwar schon seit Jahrzehnten und die wurden auch gut erforscht. Aber das sind nur sehr wenige. Für die meisten anderen gilt: Es gibt zu wenig Aufzeichnungen darüber und man kann sich schnell überdosieren. Die Substanzen, die ich nehme, werden schon sehr lange genutzt. Darüber gibt es Fachbücher, Studien und viele Tripberichte, mit denen man sich informieren kann.
Wenn ich mal am Wochenende MDMA oder LSD nehme, bin ich dann auch Psychonaut? Nein. Wenn Menschen Drogen aus hedonistischen Gründen nehmen, weil sie Spaß haben wollen, weil sie tanzen wollen, weil sie ihren Alltag vergessen wollen, hat das für mich noch nichts mit Psychonautik zu tun. Denn die Dosis, die ich auf einem Festival nehme, um tanzen zu gehen, verschafft mir nicht unbedingt die Grenzerfahrung, die ich als Psychonaut haben will.
Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn Menschen Drogen zum Feiern nehmen. Ich sage auch nicht, dass ich das nicht mache. Ich habe auch immer meinen Spaß dabei. Spaß, Freude und Liebe sind unsere höchsten Güter und wenn man zusammen Psychedelika nehmen kann, Musik, das Ritual des Tanzens und des Feierns erleben kann, ist das auch eine tolle Sache.
Romantisierst du deinen Drogenkonsum, indem du dir einredest, du seist Psychonautin?
Nein, da ist überhaupt nichts romantisches dran. Wenn man Psychonaut ist, hat man Gefilde betreten, die überhaupt nichts mit Romantik oder mit Friede, Freude, Eierkuchen zu tun haben. Man nimmt ja kein Ecstasy, das einem wunderbare gute Laune verschafft. Ein Psychedelikum wirkt anders, es bringt das hervor, was in dir drin ist. Und das können auch die Dämonen sein, die in dir schlummern. Ein Psychonaut ist jemand, der richtige Abenteuer zu durchstehen hat. Nicht nur romantische Abenteuer, sondern manchmal auch dunkle.
Hattest du schon mal einen Horrortrip?
Natürlich habe ich in meinen Trips Dinge erlebt, die nicht so schön waren. Eine sehr starke emotionale Erfahrung war für mich zum Beispiel, als ich einen sehr starken LSD-Trip genommen hatte und meine beste Freundin mir dabei von ihren Problemen erzählt hat. Ich war so tief mit ihr verbunden, dass ich ihre Trauer adaptiert und zwölf Stunden lang geweint habe. Trotz der tiefen Trauer, die ich empfunden habe, habe ich gleichzeitig auch das tiefe und schöne Gefühl der Liebe zu ihr erkannt.
So etwas möchte ich auch. Ich möchte auch durch meine innersten, eben traumatischsten Erlebnisse hindurchgehen. Die einen waren so intensiv, dass mein Gehirn eine Schranke davor gesetzt hatte und ich nie wieder daran gedacht habe. Andere sind nicht so tief vergraben, aber unangenehm. In jedem Menschen stecken traumatische Erlebnisse.
Ich würde das aber nicht Horrortrip nennen. Ich sage auch ganz ehrlich, diesen Begriff “Horrortrip”sollten wir streichen. Den haben Menschen in den 70ern geprägt, die nicht in der Szene waren und einen Deckel darauf setzen wollten. Meistens sprach man davon, wenn Leute sich wegen fehlender Informationen überdosiert hatten. Oder wenn sie einen heftigen Trip erlebten und darin mit schwierigen Dingen zu kämpfen hatten. Diesen Ausdruck heute noch zu nutzen schürt nur Ängste.
Bräuchtest du eigentlich eine Psychotherapie?
Ja, ich arbeite an meiner Psyche, halte von Psychotherapie aber nichts. Ich verfolge eher einen schamanischen Ansatz. Im Schamanismus gibt es keine Krankheiten und schon gar keine psychischen Krankheiten. Schamanen sagen, den Menschen fehlt ein Seelenstück. Und dieses Seelenstück muss man wiederholen. Ich arbeite also an meiner Psyche, das hat aber nichts mit Psychotherapie zu tun.
Die Psychonautik ersetzt auf keinen Fall die Psychotherapie. Eine Psychotherapie oder eine Psychoanalyse sind etwas ganz anderes als die Psychonautik. Ich würde sagen, es wäre gut die Psychotherapie mit einem Psychedelikum zu machen. So, wie es das zum Beispiel in der Schweiz gibt.
Hast du keine Angst vor Psychosen?
Mit dem ganzen Paket, was ich mir an Wissen angeeignet habe, habe ich keine Angst davor. Diese Angst wäre auch nicht gut. Wenn ich Angst davor habe, etwas zu tun, dann sollte ich es sein lassen. Ich meine damit nicht die Angst, die man zum Beispiel hat, wenn man über einen Graben springt, wenn man sich kurz fragt, ob man das schafft. Ich meine tiefsitzende Ängste.
Ich denke, Psychedelika können auch keine Psychosen auslösen. Sie können aber, gerade auch in hohen Dosen, eine latente Psychose hervorbringen. Die hat dann schon in der Psyche geschlummert. Man sollte sich vorher darüber schlau machen, ob jemand in der Familie an Schizophrenie oder einer anderen psychischen Krankheit erkrankt ist. Und wenn dem so ist keine Psychedelika nehmen oder sich nicht unbedarft irgendeinen Trip reinziehen.
Bist du mal auf LSD aus dem Fenster gesprungen, weil du dachtest, du könntest fliegen?
Nein, das ist mir nicht passiert. Und ich weiß auch hundertprozentig, dass sowas nicht vom LSD kommt. Wenn jemand Probleme damit hat, dann kommt das, weil irgendetwas in ihm drin geschlummert hat, was dann rauskommt. Wenn man ein paar Regeln beachtet, passiert so etwas nicht. Diese Regeln heißen Dosis, Set und Setting. Ich informiere mich also vorher genau über die Substanz, lese Tripberichte und ermittle so die Menge, die ich davon nehmen sollte. Set steht für Mindset, also: Wie geht es mir, muss ich vielleicht noch etwas aus der Welt schaffen, damit ich mich in den vielen Stunden der psychedelischen Erfahrung nicht damit beschäftigen muss? Dann ist das Setting genauso wichtig. Wie ist mein Umfeld, welche Leute möchte ich dabei haben, brauche ich gegebenenfalls einen Tripsitter? Ich bereite gute Musik vor, stelle mir was zu Trinken und zu Essen hin. Denn es kann durchaus sein, dass ich zu alledem in den vielen Stunden des Trips nicht mehr in der Lage bin.
Hinterher ist es wichtig, sich zwei, drei Tage Zeit zu nehmen, um diese intensiven Erfahrung zu verarbeiten. Denn wenn man etwas berührt hat, was einem nahegeht, was einen aufwühlt, dann braucht man erstmal Zeit, um dieses Erlebte Revue passieren zu lassen. Man kann zum Beispiel Bilder malen oder Tagebuch schreiben oder mit anderen darüber sprechen oder sich in Foren austauschen.
Wie oft lachen dich Menschen aus, wenn du behauptest, Psychonautin zu sein?
Überhaupt nicht. Ich hatte Ängste, damit in die Öffentlichkeit zu gehen. Erst wussten das nur Leute, die auch psychonautisch unterwegs waren. Seitdem ich den Psychedelic Salon in Hannover leite, wissen das auch meine Eltern. In dem Salon tauschen wir bei verschiedenen Veranstaltungen Informationen und Erfahrungen aus. Es gibt solche Salons auch in Dresden, Hannover, Leipzig und Berlin. Weitere sind im Aufbau.
Ich habe bisher nur Positives erfahren. Das mag auch daran liegen, dass das Thema vermehrt auch positiver in den Medien ist und es da vorangeht. Ich war kürzlich im Krankenhaus und habe da auch mit der Anästhesistin über meinen Drogenkonsum und den Salon gesprochen. Das fand sie total interessant und wollte eine Visitenkarte haben. Es ist eigentlich egal, wo ich bin, wenn ich den Leuten das erkläre, dann finden sie das immer gut.
Wie kaputt ist dein Körper von den ganzen Exzessen?
Da ich immer auf mich geachtet habe, also meinem Körper und meinem Geist die Chance zu Erholung und Integration gegeben habe, fühle ich mich heute eher zufriedener und bewusster – und dadurch auch gesund. Die Psychedelika haben also eher heilend als zerstörend auf mich gewirkt. Natürlich kann man aber auch durch unbewussten, exzessiven Psychedelika-Konsum seine Psyche und auch seinen Körper ausbeuten und schaden.
Gehe beim Drogenkonsum kein unnötiges Risiko ein. Hinweise zu Safer Use findest du zum Beispiel bei ChEck iT! . Du hast ein Suchtproblem oder machst dir Sorgen um betroffene Freunde und Verwandte? Hilfe bei Drogenabhängigkeiten findest du in Deutschland über das Suchthilfeverzeichnis oder unter 01805 31 30 31 . In der Schweiz bietet Safezone anonyme Online-Suchtberatung, lokale Suchtberatungsstellen findet man bei Infoset . In Österreich findest du Beratung über den Suchthilfekompass .
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