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10 Fragen an einen Ex-Rocker, die du dich niemals trauen würdest zu stellen

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Jan Sander war unter dem Szene-Namen Miami Gianni für einen Nachrichtendienst und die Polizei undercover bei verschiedenen Rocker-Clubs aktiv. Das sagt er zumindest. Vorher betrieb er ein Bordell in Hamburg. 

2012 habe er dann für das LKA NRW zum Gremium MC Türkiye Bosporus West gewechselt, einem Chapter von Migranten, bei dem Mitglieder arabischer Clans tonangebend waren. 

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Nachdem das Chapter an Bedeutung verloren hatte, habe sich ihm die Möglichkeit geboten, sagt der 44-Jährige, zum Satudarah MC zu wechseln – und zum Vizepräsident aufzusteigen. Der Club stammt aus den Niederlanden, ist für seine Brutalität und Schonungslosigkeit bekannt und dafür, dass er den Hells Angels offen Paroli bietet. So, sagt Sander, sei er auch in den Krieg zwischen den beiden Clubs involviert gewesen und habe den Anschlag auf den Präsidenten der Hells Angels in Duisburg verhindert.

Das Cover des Buches '10 Fragen, die du dich niemals trauen würdest zu stellen – Schonungslose Interviews'
Dieser Text ist ein Auszug aus dem VICE-Buch ’10 Fragen, die du dich niemals trauen würdest zu stellen – Schonungslose Interviews’. Herausgegeben von Tim Geyer, erschienen im Riva Verlag

Später ging er wegen Schweren Raubs und Nötigung für sechs Jahre ins Gefängnis. Bis heute beteuert Sander seine Unschuld. Hätte er seinen nachrichtendienstlichen Auftrag offengelegt, wäre er nicht verurteilt worden, sagt er. Aber das habe er nicht gedurft, das darf er bis heute nicht. Deswegen können wir seine Aussagen auch nicht überprüfen. Alles in allem wirken sie aber glaubwürdig.

Wir haben Fragen.

VICE: Wie viel Geld verdient man als Rocker?
Jan Sander: Nichts. Der Europa-Chef der Bandidos kriegt vielleicht 3.000 Euro von seinem Club. Zwar steuerfrei, aber du gehst nicht in einen MC, um Geld zu verdienen. Ich glaube, bei den Hells Angels kriegt man gar nichts, das weiß ich nicht genau. Aber wenn du ein tüchtiger Geschäftsmann bist, kannst du im Rahmen des MCs viel Geld verdienen. Dann nutzt du die Struktur, das Ansehen des Clubs, um dein Geschäft aufzubauen. Aber im Gegenteil: Der Club verdient an dir. Der leiht dir eine Harley für 2.000 Euro im Monat, wovon 70 Prozent an den Präsidenten gehen und an alle, die mit drinhängen. Für einen Rockerclub bist du austauschbar. Der wird dich ausnehmen, wenn du das nicht verstanden hast.

Warst du zu schlecht für die Hells Angels oder die Bandidos oder warum bist du zu Satudarah gegangen?
Ich kannte den Chef von Satudarah, das hat sich so ergeben. Zuerst war ich bei einem Migranten-Chapter des Gremium MCs. Das hat sich aber bald selbst zerfleischt, weswegen ich gewechselt bin. Aber im Prinzip ist es so: Je mehr du drauf hast, je mehr Geld, Kontakte und Ansehen du mitbringst, desto prominentere Clubs stehen dir offen.. Und natürlich je mehr Geschäfte du mitbringst. Aber ich hatte ja mein Image als Miami Gianni, der Zuhälter aus Hamburg. Mich hat man gern genommen.

Eine tätowierte Hand steckt halb in einer Jeans-Hosentasche

Musstest du bei Null anfangen und erniedrigende Aufgaben über dich ergehen lassen?
Ja, aber auf Bitte des Chefs. Mich haben sie trotzdem sofort ernst genommen, weil ich schlauer war als die anderen, ein Geschäft im Rücken hatte und auch meine Harley Davidson Night Rod. Dass jemand ein ordentliches Motorrad hat, ist ja auch nicht mehr selbstverständlich heutzutage.

Ich bin dann beim Duisburger Satudarah MC in kürzester Zeit zum Vizepräsidenten aufgestiegen, weil ich keinen Unsinn geredet habe. Aber am Anfang musste ich unten anfangen, vor dem Clubhaus warten, wenn drinnen Meetings stattfanden, das Auto waschen oder den Chef besoffen nach Hause fahren. Den musste ich immer wieder vor sich selbst beschützen, ihm den Schlüssel aus der Hand nehmen, wenn er wieder völlig zugeballert fahren wollte.

Eine trainierte und sehr tätowierte Armbeuge mit einem Teil des Bizeps

Was war die albernste Regel im MC?
Man muss zur Begrüßung alle seine Brüder umarmen. Wenn wir mal zu einer Party in Holland gefahren sind und da 500 Typen von Satudarah gefeiert haben, war ich die ersten 45 Minuten damit beschäftigt, über das Gelände zu rennen und allen auf den Rücken zu klopfen.

Hattest du früher Angst um dein Leben?
Ja, fast täglich. Ich habe auch im Brennpunkt gewohnt, da, wo mein MC nichts verloren hatte. Dementsprechend stand ich immer auf der Abschussliste. Das führte dann auch dazu, dass man mir vor der Tür die Harley angezündet hat, als letzte Warnung. Beim Gremium hatte ich Angst um mein Leben und bei Satudarah sowieso. Da ging es ja richtig ab. Ich hatte Verfolgungsjagden mit den Hells Angels. Die fahren im unscheinbaren BMW an dir vorbei, machen ein Foto von dir, rufen dann im Clubhaus an, sagen, dass da ein verfeindeter Rocker steht und wenn du mit denen im Krieg bist, schicken sie ihre Jungs vorbei, die dann zustechen, auf dich schießen oder dich zusammenschlagen.

Aber im MC sind deine Feinde nicht nur die Polizei und andere MCs. Die Feinde sitzen mit dir im Clubhaus. Manchmal ist die Stimmung von einer Minute auf die nächste umgeschlagen, die haben die Türen zugemacht und dann hat einer von 20 Mann in die Fresse gekriegt. Für nichts, für Scheiß, für Dreck. Mir ist das nie passiert, aber ich habe es erlebt, das war sehr bedrückend. Da hat der Sergeant of Arms mit drei, vier Leuten einen Bruder im Clubhaus in einen Hinterhalt gelockt und den sofort zu Boden getreten. Er hat dann draußen die Tür zugehalten, drinnen habe ich den quieken und schreien gehört. Du hattest bei denen immer das Gefühl, dass es für dich jeden Moment zu Ende sein könnte. Das fühlte sich nicht nach Familie an.

Seid ihr alle so harte Typen oder tut ihr nur so?
Im MC sind die allermeisten Leute kaputte Gestalten, die in der normalen Welt nicht bestehen würden. Die haben Aggressionsprobleme oder sind arbeitslos oder einfach Versager. Und beim MC werden auch die harmlosen Typen zu Arschlöchern. Deshalb wollen viele Leute da auch nur mal reinschnuppern und steigen dann wieder aus. Die sehen, dass die Rocker einfach nur irre sind. Ein normal denkender und funktionierender Mensch mit guten Werten und mit einer guten Erziehung, der will da nicht mitmachen. 

Ein trainierter Mann mit kurzen Haaren schaut mit verschränkten Armen in einen Spiegel

Habt ihr Leuten, die ausgetreten sind, die Club-Tattoos ausgebrannt?
Das drohen MCs immer mal wieder an, wenn jemand austritt. Aber erlebt habe ich es nie. Die spielen mit diesem Klischee und das ist mit Sicherheit mal irgendwann vorgekommen, irgendwo in den USA. Aber wer soll jetzt wirklich mit dem Heißluft-Fön oder dem Lötkolben kommen und dir das Ganze tatsächlich aus der Haut brennen? Dafür musst du schon extrem verrohen. Besonders hier in Deutschland ist es eigentlich unvorstellbar, dass es da einen Psychopathen gibt, der das machen würde. Das ist immer viel blabla. Aber als Außenstehender weiß man das ja nicht. 

Wie einsam warst du in deiner Zeit als V-Mann?
Sehr. Du hast ja nur noch Kontakt zu Schwachmaten. Es gibt Phasen, da sind die einzig normalen Menschen in deinem Leben die Polizisten. Und die siehst du nur alle paar Monate, weil sie dich nicht gefährden wollen. Alle anderen Leute haben Angst vor dir, oder wenden sich von dir ab, weil sie Angst vor den Leuten haben, mit denen du rumhängst. In der Eisdiele sagt man dann zweimal öfter “Danke”, um die Angst zu nehmen, aber merkt trotzdem, dass die Kellnerin nur will, dass du so schnell wie möglich wieder verschwindest. 

Wie sehr hat dich die Zeit als Rocker und im Knast zerstört?
Ich bin nervlich komplett kaputt. Dass ich raus bin, ist das Beste, was mir passieren konnte. Ich will nur noch meine Ruhe und mit normalen Menschen zu tun haben. Ich kann noch nicht mal mehr abends einen Krimi angucken. 

Hast du dich je als Verräter gefühlt? 
Nein, ich wusste von Anfang an, worauf ich mich einlasse. Für mich war das einfach nur ein krimineller Haufen und ich kannte ja so Leute schon aus anderen Einsätzen. Ich fand die schon immer widerlich. Natürlich gab es da auch den einen oder anderen coolen Typen. Meistens Familienväter, Handwerker, die tagsüber normal arbeiten gingen und nur zum Spaß im MC waren. Die hielten sich aus den illegalen Sachen raus. Aber mit denen hatte ich kaum etwas zu tun.

Und wenn ich gemerkt habe, dass jemand gezwungen wurde, etwas Illegales zu tun, ein paar Kilo Koks bei sich zu verstecken zum Beispiel, dann habe ich das auch nicht sofort der Polizei gemeldet. Dann habe ich dafür gesorgt, dass das Zeug weg kommt und dann erst die Polizei eingeschaltet, der aber auch gesagt: Der macht das nicht freiwillig. Das wirkt sich strafmildernd aus. Aber wenn so ein Arschloch Drogen oder Waffen bei sich hatte und dem egal war, dass da auch seine Frau und Kinder lebten, dann hatte ich kein Mitleid.

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