Die erste Überraschung während des Gesprächs mit Felix kommt gleich am Anfang: Er habe als Hausbesetzer selbst noch nie länger in einem besetzten Haus gewohnt. Die meisten Hausbesetzer würden das nicht machen: “So ein Haus hat eben begrenzten Raum. Man braucht deutlich mehr Leute für eine Besetzung, als sowieso Platz hätten”, sagt der 33-jährige Aktivist. Viel gängiger als Besetzungen für eigenen Wohnraum seien politische Besetzungen, die auf Missstände aufmerksam machen sollen.
Ob nun aus Protest gegen die Unterbringungspolitik von Geflüchteten in Lagerhallen oder Erhaltung öffentlicher Einrichtungen – allein in Berlin hat es von 1970 bis 2014 mehr als 630 Besetzungen von Häusern und Wagenplätzen gegeben, von denen über 200 legalisiert worden sind.
Videos by VICE
Felix arbeitet als Soziologe und ist Teil von “Our House OM10“, ein Göttinger Kollektiv aus politischen Aktivistinnen und Aktivisten, die den leerstehenden Gebäudekomplex im November 2015 besetzten und zwei Jahre später ersteigerten. Diese Aktion fand auch überregionales Interesse: 2016 wurde das Projekt für den taz Panter Preis nominiert. Wenn Felix antwortet, spricht er sehr bedacht – man merkt ihm seine langjährige Erfahrung im Presseteam an.
Für Felix ist es seine vierte Hausbesetzung. Nach seiner letzten Besetzung des ehemaligen Goethe-Institut-Wohnheims in Göttingen haben über 20 Kolleginnen und Kollegen von Felix Strafbefehle bekommen; er selbst sei zum Räumungszeitpunkt nicht anwesend gewesen.
Wir haben Fragen.
VICE: Bringt eine Besetzung überhaupt etwas oder ist das nur Rebellion zum eigenen Zweck?
Felix: Wir machen uns dauerhaft Räumlichkeiten wegen Leerstand oder nicht legitimer Benutzungsform zu eigen. Wir protestieren damit beispielsweise gegen den Verkauf öffentlicher Gebäude an Investoren. Aus meiner Erfahrung ist eine Hausbesetzung ein sehr effektives Mittel. Der Vorteil ist auch, dass man damit die Gegenseite zum Reagieren zwingt – das ist bei anderen Protestformen nicht der Fall. Nicht die vielen Gespräche mit der Göttinger Universität haben die Bewilligung eines autonomen Cafés bezweckt, sondern erst dessen Besetzung. Auch dass wir letztlich das OM10 in Göttingen für einen günstigen Preis erwerben konnten, lag an der radikalen Besetzung dieses Hauses.
Hasst du die Polizei?
Ja, würde ich so sagen. Die Polizei ist aus meiner Sicht eine Institution, die gewaltsam schlechte gesellschaftliche Zustände aufrecht erhält. Ich könnte auch nicht mit einer Polizistin oder einem Polizisten befreundet sein, dafür habe ich schon zu viel an Polizeigewalt erfahren. Ob ich nun getreten, mit Pfefferspray eingesprüht oder in eine Zelle gesperrt wurde. Die Polizei sitzt immer am längeren Hebel – es ist schier unmöglich eine Besetzung mit eigenen Mitteln zu verteidigen. Ich würde davon abraten, dass man sich gegen eine Räumung aktiv wehrt. Viel wichtiger bei Besetzungen ist die Öffentlichkeitsarbeit. Wenn es dir nicht gelingt, innerhalb kurzer Zeit eine positive Öffentlichkeit zu schaffen, dann bist du ganz schnell wieder aus dem Haus draußen. Man muss immer versuchen, eine Räumung nicht physisch, sondern politisch schwierig zu machen.
Auch bei VICE: Diese Londoner Anarchisten besetzen leerstehende Luxushäuser
Lehnst du Besitz generell ab und kann ich dann deine Sachen haben?
Privateigentum ist eine Gesellschaftsordnung, die zu Elend führt. Eine Gesellschaft ohne Privateigentum wäre weit humaner. In der Gesellschaft, wie sie aktuell organisiert ist, kannst du nicht einfach meine Sachen haben, nein. Das würde meine Lebensverhältnisse ja aktuell negativ beeinflussen. In einem idealen Gesellschaftssystem könntest du meine Sachen problemlos haben, ja.
Wie breche ich in ein leerstehendes Haus ein und wo hast du das gelernt?
Ich muss zugeben, dass ich selbst daran nie beteiligt war. Wenn ich ankam, war die Tür schon immer offen. Ich weiß nur, dass vorher eine ausgiebige Inspektion des Gebäudes notwendig ist. Auch wenn ich die Methodik dazu kennen würde, könnte ich das nicht öffentlich kommunizieren.
Du bist Vater. Ist es da nicht verantwortungslos, für deinen politischen Aktivismus Straftaten zu begehen?
Hausbesetzungen haben im Vergleich zu anderen politischen Aktionen ein sehr geringes Strafmaß. Im Paragraphen steht: Für Hausfriedensbruch gibt es Geldstrafen oder eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr. Meistens sind es dann doch Geldstrafen, bei denen wir uns kollektiv unterstützen. Es ist nichts, was mich jetzt als Vater aufhalten würde. Paradox finde ich, dass Besetzungen juristisch verfolgt werden, aber es legal ist, Gebäude lange leer stehen zu lassen und als Spekulationsobjekt zu nutzen. Das ist eine ärgerliche Diskrepanz.
Wie spießig durchorganisiert ist dein Alltag im besetzten Haus?
Na ja, der Abwasch muss ja auch gemacht werden. Man muss sich übers Putzen einigen, da hat man meist dieselbe Organisation wie in einer WG.
Nachtwachen müssen auch organisiert werden. Solange unklar ist, ob eine Räumung stattfinden wird oder nicht, muss immer jemand wach bleiben. Räumungen allein sind schon unangenehm, aber: Nachts von der Polizei überrascht zu werden, ist nochmal eine Stufe schlimmer. Bei einer Besetzung wachten wir davon auf, dass über uns Polizisten mit Vorschlaghammer standen. Das muss man nicht unbedingt haben.
Wie oft am Tag denkst du darüber nach, dass du vor dem Gesetz als Krimineller giltst?
Da denke ich nicht drüber nach. Ich bin aber überzeugt, dass es in bestimmten Fällen zivilen Ungehorsam und Regelverstöße geben muss, damit sich gesellschaftlich etwas ändert. Da kann ich für mich rechtfertigen, dass meine Handlungen juristisch nicht unbedingt gedeckt sind. Ich habe zwar einige Verfahren hinter mir, die endeten aber alle entweder mit der Einstellung oder mit Freispruch. Man sieht jedoch, dass ein Verfolgungsinteresse besteht.
Was habt ihr alles an illegalen Waffen und Substanzen in eurem Haus?
Vielleicht Asbest. [lacht] Die Polizei nutzt die Vermutung, illegale Substanzen seien im Haus, als Vorwand, um Gebäude zu räumen. Mit dieser Argumentation kann natürlich alles als Waffe gezählt werden; bei den Besetzungen bei denen ich dabei war, hatten wir aber keine Waffen. Wir richten uns immer provisorisch ein. Die Gegenstände die man mitbringt, können im Zuge einer Räumung schnell verloren gehen, deshalb haben wir nichts wertvolles. Das wäre auch überhaupt nicht das Konzept bei den Besetzungen; wir setzen uns bei Räumungen nicht physisch zur Wehr. Das wäre aus meiner Sicht aussichtslos.
Wäre es OK für dich, dass jemand in deine Eigentumswohnung kommt und sagt, “die ist jetzt besetzt”?
Dafür müsste ich erstmal eine Eigentumswohnung haben, da bin ich weit davon entfernt. Bei Besetzungen geht es in der Regel nicht um selbstgenutztes Eigentum. Es geht um Liegenschaften, die nicht in dieser Form genutzt werden. Es geht darum, sie durch eine Besetzung einer gesellschaftlich sinnvollen Nutzung zuzuführen. Ich finde unsere Besetzungen also vollkommen legitim.
Wertest du mit einer Besetzung nicht die Gegend auf, trägst also zur Gentrifizierung bei?
Gute Frage. Kommt natürlich auf die Gegend an. Bei der letzten Besetzung im ehemaligen Goethe-Institut, die mitten im Göttinger Villenviertel war, hat das sicherlich nicht zur Gentrifizierung beigetragen.