Der US-amerikanische Koch Anthony Bourdain schrieb sich mit Büchern zum Star, in denen er seine heroin-durchtränkten Tage an den Frittierstationen New Yorker Restaurants verarbeitete. E. Van Peter weiß, wovon der Mann spricht. Er kocht in einem Zürcher Restaurant, dessen halbe Küchencrew an manchen Tagen nicht auftaucht, weil sie die Nacht durchgefeiert hat. Aber weil E. Van Peter nicht vorhat, für diesen Teil seines Jobs bekannt zu werden, haben wir seinen Namen so geändert, wie er sich das gewünscht hat. Der 36-Jährige kocht aktuell in einem edlen italienischen Restaurant, hat sich aber auch schon in den Großkombüsen von Kreuzfahrtschiffen anschreien lassen. Doch wenn sich ein Gast bei ihm über Pfeffer in der Panna cotta beschwert und nicht versteht, dass das Vanille ist, bleibt E. Van Peter ganz ruhig. Wer den Küchenstress überlebt, hält auch die Gäste aus.
Wir haben Fragen.
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VICE: Wie bescheißt du das Gesundheitsamt?
E. Van Peter: In der Schweiz ist es praktisch nicht möglich zu tricksen, die Kontrolleure lassen sich nicht ablenken. Einmal habe ich einem einen Kaffee angeboten und er hat mir nur mit seinem Blick zu verstehen gegeben, dass er kein Interesse daran hat. Auf einem Kreuzfahrtschiff sieht das ganze schon anders aus. Wenn jemand von der Kontrolle kommt, sind auf einen Schlag alle bis auf den Chefkoch verschwunden. Wenn die Kontrolle im ersten Stock beginnt, rennen alle einen Stock höher, verstecken alle dreckigen Sachen und spülen die ganze Küche mit dem Hochdruckreiniger ab. Ein richtiges Katz-und-Maus-Spiel.
Wäschst du jedes Mal deine Hände, wenn du von der Toilette kommst?
Ja, und meine Kollegen auch. Ich bin damit sehr pingelig, weil ich selber mal eine Lebensmittelvergiftung hatte. Ich habe den Arzt damals gefragt, warum ich das bekommen habe, und er meinte, dass Bakterien im Essen waren. Ich kann mich noch erinnern, dass ich einen fauligen Geschmack im Mund hatte. Das ist aber nicht in meinem Restaurant passiert, sondern bei einem Festival. Es war so schrecklich und schmerzhaft, dass ich das Róisín-Murphy-Konzert verlassen musste. Deswegen bin ich heute auch so streng mit dem Händewaschen – das wünsche ich wirklich niemandem.
Schreist du privat auch so unkontrolliert rum wie in der Restaurantküche?
Nein. Die Zeiten haben sich geändert. Als ich angefangen habe, gab es in der Küche eine klare Hierarchie – und einen Ton wie beim Militär. Heute werden wir eigentlich nur noch laut, wenn jemand etwas richtig verbockt, zum Beispiel wenn eine Bestellung vermasselt wird. In der Küche gibt es aber eine Regel: Lass dich bei der ohnehin stressigen Arbeit nicht auf hitzige Diskussionen ein. Unter unserem täglichen Druck kann auch das Privatleben leiden: Eine gute Freundin hat mir vor Kurzem gesagt, dass ich seit einigen Wochen ziemlich viel rumschreie. Da ist mir aufgefallen, dass ich viel Stress auf der Arbeit habe. Ich werde jetzt eine kleine Pause vom Feiern einlegen, vielleicht verreisen und weniger trinken, damit ich an freien Tagen runterkomme.
Nehmt ihr in der Küche Drogen?
Ja. In der Gastronomie nimmt fast jeder viele Drogen. Es stimuliert deine Kreativität und auch deine Muskeln, wenn du 15 Stunden in der Küche stehst. Meine Mitarbeiter und ich rauchen Haschisch und nehmen synthetische Drogen wie Ecstasy oder MDMA, manche auch Kokain. Wir machen das aber eher am Wochenende, wenn wir feiern gehen, nicht während der Arbeit. Es gab auch mal eine Zeit, in der ein paar meiner Kollegen und ich LSD genommen haben, aber das hat mit dem Stress in der Küche dann doch nicht so gut funktioniert. Nach etwa einem Monat haben wir wieder damit aufgehört, weil wir kaum mehr geschlafen haben. Aktuell rauche ich eigentlich nur noch Haschisch. Ich bin ein Fan von Microdosing, das ist besser, wenn du nebenbei arbeiten musst.
Wie bestrafst du jemanden, der 15 Minuten vor Küchenschluss ein Drei-Gänge-Menü bestellt?
Ich bestrafe späte Gäste, indem ich sehr gut für sie koche, aber sie auch wissen lasse, dass ich nicht sehr begeistert von der Situation bin. Ich gehe dann zuerst an die Bar und bestelle mir lauthals ein Bier, damit die Gäste verstehen, dass ich kurz vorm Feierabend stehe und mich nun nicht mehr für ein Drei-Gänge-Menü stressen werde. Ich lasse Gäste aber generell wissen, wenn sie mir auf die Nerven gehen. Gestern hat eine Frau drei Mal nach einer größeren Portion Pasta gefragt. Sie wollte extra viel Gemüse dazu haben. Irgendwann habe ich ihr ausrichten lassen, dass sie das sowieso nicht alles schaffen wird und sie, wenn sie soviel Hunger hat, eben zwei Portionen bestellen solle. Ich koche automatisch große Portionen, weil ich es unfair finde, wenn die Gäste 28 Schweizer Franken für einen kleinen Teller Pasta bezahlen. Sie hat aber übertrieben. Manchmal muss ich Gäste auch erziehen. Ich schmeiße auch nicht die Nudeln zurück ins Kochwasser, nur weil jemand nicht weiß, was Pasta al dente sind.
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Wie oft nutzt du Fertigprodukte?
In der Vergangenheit habe ich oft Fertigprodukte verwendet – weil es einfacher war oder weil meine damaligen Arbeitgeber es so wollten. In großen Hotels habe ich unglaublich viel fertiges Kartoffelpüree verarbeitet, weil es schnell gehen musste: Milch zum Pulver, du rührst um, kochst es auf, fertig. Ich bin damals an einen Punkt gekommen, an dem ich fast meinen Glauben ans Kochen verloren habe. Seit ich wieder mit extrem viel Leidenschaft koche, kommt das eigentlich gar nicht mehr vor. Ich bin ein stolzer italienischer Koch.
Wie sehr hasst du Restaurantkritiker?
Ehrlich gesagt ist es mir scheißegal, was die sagen, die bekommen auch keine Extrabehandlung. Die Leute haben doch selbst viel zu wenig Ahnung von dem, was in einem Restaurant und bei einem Gericht wichtig ist. Es gibt so viele selbsternannte Kritiker, dass du die echten Kenner kaum mehr wahrnimmst: Nur zwei Prozent sind fair, der Rest macht das wahrscheinlich, weil sie selbst niemals in einem Restaurant arbeiten könnten. Und dann gibt es noch die TripAdvisor-Kritiker, die sich damit nur amüsieren. Ich arbeite in einem renommierten Restaurant, das von montags bis sonntags geöffnet und immer ausgebucht ist – trotzdem sind wir unter allen Zürcher Restaurants bei TripAdvisor auf einem der letzten Plätze. Wenn ich einen schlechten Tag habe und jemand das Restaurant genau dann bewertet, wenn ich etwas versalze, leidet am Ende nur deswegen unser Ruf. Meiner Meinung nach ist es ein Fehler, Leuten, die keine Ahnung vom Geschäft haben, so viel Macht zu geben.
Welches der Gerichte, die du zubereitest, würdest du niemals selbst essen?
Bei meinem jetzigen Arbeitgeber stelle ich die Karte zusammen, demnach würde ich natürlich alles essen. OK, ich habe in den letzten Monaten vielleicht ein paar Artischocken zuviel gekocht, sie hängen mir ein bisschen zu den Ohren raus. Aber vor allem am Anfang der Karriere muss man da trotzdem manchmal durch. Als ich auf einem Kreuzfahrtschiff gekocht habe, musste ich oft große Büffets vorbereiten, die Massenproduktion für All-Inclusive-Touristen fand ich nicht so geil.
Wie rächst du dich an nervigen Gästen?
Normalerweise gar nicht, aber manchen Leuten muss man ins Gesicht sagen, dass sie sich nicht ordentlich benehmen. Ich hatte mal eine größere Gruppe Engländer, die für ein Business-Essen zu uns gekommen waren. Ich war schon etwas genervt, als sie immer betrunkener wurden, weil man das Essen mit einem hohen Alkoholpegel nicht so genießen kann, wie man es eigentlich sollte. Irgendwann haben sie unseren Kellner – einen der freundlichsten Menschen überhaupt – respektlos behandelt. Ich bin dann raus und habe ihnen gesagt, dass sie gehen müssen, wenn sie nicht sofort den Mund halten. Danach ging es. Jemandem in den Teller spucken oder mich hinter dem Rücken der Gäste an ihnen rächen würde ich aber nie machen.
Bist du neidisch auf Fernsehköche mit eigenen TV-Shows?
Ich war sogar selber in einer TV-Show! Ich musste damals für das italienisch-schweizerische Fernsehen ein Gericht aus glutenfreien Nudeln kochen. Leider hatte ich die nicht ganz so brilliante Idee, vor dem Dreh zu einem Rave zu fahren. Als ich morgens um 11 im Tessin ankam, hat mich die Produzentin ganz erschrocken angesehen und gesagt: “Was ist mit deinen Augen passiert?!” Sie mussten meine Augenringe dann abdecken. Aber glaub mir: Alle meine Freunde fanden mich toll, niemand hat etwas gemerkt.