Adam Saternus Kundschaft teilt sich grob in zwei Lager. Entweder rufen ihn Leute an, weil sie schweißgebadet und ohne Schlüssel vor ihrer Wohnungstür stehen. Oder sie liegen regelmäßig schweißgebadet im Bett, weil sie Angst vor Einbrechern haben. Der 43-Jährige betreibt einen Schlüsseldienst in Berlin-Friedrichshain. In seinem Laden erklärt er Kunden, wie sie ihre Türen besser sichern, und macht Schlüssel nach. Oder er fährt im Bereitschaftsdienst rund um die Uhr durch die Stadt. Dann lässt er streitende Paare in ihre Wohnung oder befreit eingeschlossene Babys. “Davon gibt es jede Menge”, sagt er. “Die Mutter will dem Paketboten aufmachen und es gibt einen Durchzug oder das Kind krabbelt hinterher und schubst die Tür zu. Dann muss ich kommen.”
Dass viele Leute seine Branche für zwielichtig halten, sei ihm bewusst. Es gebe leider dubiose Briefkastenfirmen, die mit Spottpreisen locken und nachher dick abkassieren, sagt er. Aber von den ganz bösen Jungs habe er selbst noch keinen persönlich getroffen. Adam ist seit 2004 selbstständig in seinem Berliner Kiez unterwegs. Viele Leute sagen, ihr Job sei toll, weil sie nie wissen, was sie als Nächstes erwartet. Bei Adam stimmt das wirklich.
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Wir haben Fragen.
VICE: Wie ist es, Geld mit dem Unglück anderer zu verdienen?
Adam Saternus: Wir arbeiten in einem Notfall-Geschäft, da passieren Unglücke. Ich habe nie ein schlechtes Gewissen bei meiner Arbeit. Ich weiß, welcher Aufwand nötig ist, bis ich beim Kunden die Tür öffne. Es sieht einfach aus: Da kommt jemand, macht die Tür auf und kassiert ab. Schnelles Geld ist das auf keinen Fall. Wir machen 24 Stunden lang Bereitschaftsdienst. Ich hatte sehr oft Kinokarten in der Hosentasche, wollte mit den Kindern ins Schwimmbad oder gerade schlafen und dann rufen Leute an und ich muss los. Tagsüber muss ich deswegen oft meinen Laden zumachen und verliere dadurch Kunden. Dann das Auto, Versicherung, Steuer, Arbeitszeit, Werkzeug, neue Teile – da kommt viel zusammen. Mir bleiben pro Auftrag 10 bis 15 Euro übrig für durchschnittlich anderthalb Stunden Arbeit. Leute, die intelligent sind, verstehen das und geben auch mal einen Zehner Trinkgeld.
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Hast du Stammkunden, die sich dauernd selbst aussperren?
Fünf bis sechs Stammkunden haben wir bestimmt. Dieses Jahr haben wir eine, die es innerhalb von fünf Monaten bereits sechsmal geschafft hat, sich auszusperren, weil sie jedes Mal die Tür einfach zuzieht und den Schlüssel vergisst. Da sprechen wir dann auch mal über Rabatt. Und es gibt die Leute, die uns zweimal am gleichen Tag rufen. Morgens ruft die Frau an, weil sie ihren Schlüssel verloren hat. Und abends ruft ihr Mann an, der mit seinem Schlüssel nicht mehr reinkommt und will, dass ich das Schloss aufbohre, das ich morgens getauscht habe. Die sollten vielleicht besser miteinander reden.
Machst du für bestimmte Gegenleistungen Türen auch kostenlos auf?
Nein. Aber ich habe schon unbeabsichtigt Türen umsonst aufgemacht. Da wurde davor gesagt: “Geld habe ich in der Wohnung”, aber dann kam raus, dass bereits Gerichtsvollzieher bei ihm Schlange stehen und es nichts zu holen gibt. Da war ich natürlich sauer. Einmal habe ich die Tür wieder zugemacht, bevor der Kunde reinging, weil er so unsympathisch war. Der fing an zu weinen und plötzlich kam ein Onkel vorbei und brachte mir das Geld.
Ansonsten habe ich ein paar Mal für Leute umsonst gearbeitet, die wirklich Hilfe brauchten. Ich werde nie ein Mädel aus Kreuzberg mit ihrem kleinen Kind vergessen. Ihr Freund hatte sie verlassen und ihr die Tür eingetreten, um seine Sachen aus ihrer Wohnung zu holen. Sie hatte kein Geld, aber wollte, dass ich mich setze, und bot mir Essen und Trinken an. Hätte ich da eine Rechnung geschrieben, hätte mich mein schlechtes Gewissen aufgefressen.
Wie oft wirst du von Kunden nackt begrüßt?
Das kommt hin und wieder vor. Meistens sind die Leute aber nicht mehr ganz nackt, wenn ich ankomme, weil Nachbarn ihnen zum Beispiel eine Decke gegeben haben. Ich hatte zweimal mit Schlafwandlern zu tun. Ich erinnere mich an einen Typen, der morgens um vier Uhr nackt durch den Garten gelaufen sein soll und den ein Nachbar gefunden hat. Der andere dachte, er geht aufs Klo, hat sich ins Treppenhaus gesetzt und die Tür zugezogen. Dabei ist er zum Glück aufgewacht. Beide waren froh, als ich sie wieder in die Wohnung lassen konnte.
Hast du schon Einbrechern die Tür aufgemacht?
Nur ein einziges Mal, aber ich wusste natürlich nicht, dass es ein Einbrecher war. Ich glaube, das war 2009, in der Löwestraße in Berlin. Der Typ rief tagsüber an und sagte, er hätte seinen Schlüssel verloren. Als ich ankam, saß er in Motorradkleidung vor seinem Bike auf der Haustreppe. Auf seinem Ausweis stand eine andere Adresse, deshalb zeigte er mir einen Mietvertrag der Wohnung, die ich öffnen sollte, und meinte, er sei dort neu eingezogen. An der Klingel, auf dem Briefkasten und an der Tür stand bereits sein Name. Der Mietvertrag sah echt aus, deshalb habe ich ihm die Tür aufgemacht und ein neues Schloss eingesetzt. Die Wohnung war purer Luxus, der Typ ist wie selbstverständlich rein und hat sich Kaffee gekocht, während ich die Rechnung geschrieben habe. Das alles gefälscht war, habe ich nicht gemerkt.
Einen Tag später rief die Kripo an, weil sie meine Rechnung in der Wohnung gefunden haben. Der eigentliche Besitzer wohnte gegenüber und hörte, dass in der leerstehenden Wohnung Leute waren, und dachte an Einbrecher. Die Polizei fand dort eine spanische Großfamilie, an die der Typ vom Vortag die Wohnung mit dem neuen Schloss für 3.000 Euro vermietet hatte. Ich sollte dann eine Aussage machen und nochmal die Schlösser austauschen. Dabei habe ich die Motorradstiefel hinter der Tür wiedererkannt und einer Polizistin Bescheid gesagt. Sie haben die Wohnung genauer durchsucht und den Typen im Schrank versteckt gefunden.
Wie sehr hasst du Kunden, die dir bei der Arbeit Tipps geben?
Manche Leute rufen an und sagen, sie hätten schon die “Vorarbeit” geleistet, ich müsste nur noch kommen und “klack” machen. Das ist oft ziemlich amüsant, wenn dann irgendeine billige Bohrmaschine im Zylinder hängt und alles kaputt ist. Da wollte der Nachbar helfen, aber die merken schnell, dass sie an ihre Grenzen kommen. Meist sind diese Türen einfach nur zugefallen. Die könnte ich in einigen Sekunden mit einer Karte aufbekommen. Manchmal mache ich eine kleine Show, probiere alle Werkzeuge durch und gebe den Leuten zumindest das Gefühl, es sei aufwendiger. Auch damit sie sich nicht aufregen, wenn ich trotzdem den vollen Preis berechnen muss.
Hast du Angst, wenn dich die Polizei zum Türöffnen ruft?
Ich habe vor gar nichts Angst. OK, vielleicht vor Angela Merkel, nein Spaß. Unser Schlüsseldienst hat eine Zeit lang im Auftrag der Polizei gearbeitet. Wir haben in ganz Berlin Türen geöffnet, oft wegen Drogen oder Steuerhinterziehung. Andere Leute rufen erst uns und dann die Polizei. Zum Beispiel weil die Großmutter seit vier Wochen nicht mehr die Tür aufmacht. Die Feuerwehr würde da alles kaputt machen und mehrere tausend Euro Schaden verursachen. Im Job sieht man immer mal wieder tote Rentner, die schon länger in ihren Wohnungen verwesen. Das gehört dazu.
Über welche Kunden lachst du?
Es gab mal einen sehr skurrilen Vorfall, bei dem ich Chirurg spielen musste. Ein Mann rief an, ich solle sofort kommen, aber er könnte nicht sagen, worum es geht. Ich war neugierig und bin hingefahren. Eine Frau im Kapitänskostüm hat mir die Tür aufgemacht. Auf dem Küchentisch saß ihr Mann im Bademantel, komplett weiß im Gesicht. Dann lüftete er den Mantel und hatte um den Hoden ein kleines Vorhängeschloss. Alles war so doll geschwollen, dass man nicht mal mehr seinen Penis sehen konnte. Das Paar wollte keinen Rettungsdienst rufen, um nicht in der Zeitung zu landen. Ich wusste nicht, was ich machen sollte, bis mir eingefallen ist, dass ich eine Trennscheibe dabei habe, ähnlich einem Knochenschneider beim Chirurgen. Die Frau hat dann alles um den Schloss-Bügel mit Malerband abgeklebt, damit ihr Mann sich vom Schneiden der Flex keine Verbrennung holt. Ich habe ihn wie ein Arzt mit Handtüchern abgedeckt, um nur noch dieses Schloss zu sehen und es aufzuschneiden.
Was sagst du Kriminellen, die sich von dir schulen lassen wollen?
Ich habe noch nie einen Kriminellen ausgebildet und auch nichts mit denen zu tun. Es kommt aber vor, dass ich kriminelle Anfragen bekomme. Zum Beispiel, dass ich Adressen von Kunden rüberwachsen lassen soll, bei denen was zu holen sei. Dafür würde ich dann Geld bekommen. Ich werde das nie machen, aber es gibt leider auch schlimme Jungs in der Branche.
Wie breche ich eine Wohnungstür am schnellsten auf?
Bei manchen Türen muss man sich nur einmal dagegen werfen. Bei Neubauten oder günstig sanierten Wohnungen sind die Türen aus Papier. Innen ist dünner Wellkarton, der mit zwei Platten verklebt ist. Außenrum läuft nur so eine Art dünner Bilderrahmen, der die Tür zusammenhält. Mit einem Cuttermesser kann man dann einen Schlitz in die Tür schneiden, dagegen treten und ist durch das entstandene Loch drin. Altbautüren sind fast immer aus Massivholz und wirken stabil. Aber man kann die Stellen, in denen früher Glasscheiben saßen, raustreten. Das macht viel Krach ist aber eine Möglichkeit.
Manche Leute kaufen einen 300-Euro-Schließzylinder, stecken den in ihre Papptür und denken, sie sei einbruchsicher. Nur weil dieser Zylinder bei einem Warentest gut abgeschnitten hat. Sicherheit kann man immer nur in der Gesamtheit sehen. Du kaufst ja auch keinen teuren Sportwagen und ziehst schrottreife Reifen auf. Wir raten immer: Kauf eine stabile Tür, mit stabilem Rahmen und einem guten Zylinder. Und nimm dir noch ein Zusatzschloss, dass in den Boden geht oder die Tür von innen verbarrikadiert, zum Beispiel durch einen Bügel.
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