In unserer durchgetinderten Welt haben viele Menschen bereits Schwierigkeiten, mit einer Person eine funktionierende Beziehung zu führen. Leon sagt, er schaffe das sogar mit zweien gleichzeitig. Der 26-Jährige studiert in Darmstadt soziale Arbeit und erzählt, dass er in seine offene polyamore Dreierbeziehung reingerutscht sei: Vor etwa drei Jahren trennte er sich von seinem ersten Freund und heulte sich bei einem Kumpel aus. Der wiederum war bereits in einer Beziehung mit einem anderen Mann. Was zunächst nur Freundschaft war, entwickelte sich schließlich zu Liebe – und Leon und die anderen beiden Männer wurden ein Paar. Nur eben zu dritt. Weil einer von Leons Männern noch eine weitere Beziehung außerhalb dieser Dreierkonstellation führt, sind sie also “drei plus eins”, wie Leon es nennt.
Aber was bedeutet das, Polyamorie? Die Grenzen sind nicht einfach zu umreißen. Die meisten polyamoren Beziehung haben jedoch gemeinsam, dass es sich um einvernehmliche Liebesbeziehungen mit mehreren Menschen handelt, bei denen jedes Mitglied über den jeweils anderen Bescheid weiß. Leon sagt, er ist kein Fan von Definitionen. Die einzigen Regeln, die die drei Männer innerhalb ihrer Beziehung haben, lauten: Safer Sex und keine Benachteiligung. “Ehe für alle ist ja sehr gut – aber mit allen muss jetzt nicht sein“, sei die erste Reaktion seines Vaters gewesen, als Leon seinen Eltern offenbarte, dass er jetzt zwei feste Partner hat. Gefreut haben sie sich trotzdem für ihn.
Videos by VICE
Wir haben Fragen.
VICE: Ist Polyamorie deine Ausrede, um dich nicht festlegen zu müssen?
Leon: Nö, wieso? Ich bin ja festgelegt. Es sind zwar zwei Personen statt einer, aber das ist kein großer Unterschied. Und warum muss man sich überhaupt auf eine festlegen? Wenn ich mehr Liebe zu geben habe, als nur einer Person und mich mehrere Personen lieben – dann ist es umso besser. Wenn man zu mehreren glücklich ist, ist es doch viel geiler.
Auch bei VICE: Hinter den Kulissen von Londons hedonistischer, polyamoröser Einhorn-Bewegung
Ist es nicht fast unmöglich, dass sich gleich drei Leute ineinander verlieben?
Nein, aber die Chancen sind geringer. Als ich meinen einen Mann kennenlernte, war er schon in einer Beziehung. Dadurch hatte ich eine Vertrauensbasis zu dem dritten – denn was dem einen guttut, tut mir sicher auch gut. Man kann Gefühle nicht steuern, aber da wir alle sehr ähnlich denken und fühlen, waren die Chancen deutlich erhöht, dass ich mich in den dritten auch verliebe und andersherum.
Führst du einen Date-Kalender, um niemanden zu benachteiligen?
Nein, aber für die Organisation unserer Beziehung ist Google Calendar ganz wichtig. [Lacht] Wir sind an drei plus eins Standorten und führen eine Wochenendbeziehung. Um das zu koordinieren, ist Kommunikation das Allerwichtigste. Dann fühlt sich keiner von Plänen der anderen ausgeschlossen. Wenn einer eine Einladung bekommt, schreibt er das in die WhatsApp-Gruppe und trägt es in den Kalender ein. Dann schauen wir, wer Lust darauf hat und wer nicht. So treffen wir dann unsere Auswahl. Da man zu dritt mehr Einladungen bekommt, muss man natürlich auch lernen, Nein zu sagen.
Wann verheimlichst du, dass du mehrere Männer gleichzeitig liebst?
Nur vor meinen Großeltern. Die waren schon von meiner Homosexualität geschockt. Aber es kommt natürlich zu komischen Situationen. Einmal habe ich auf der Arbeit erzählt, dass mein Freund Informatiker ist und ein andermal, dass mein Freund im Krankenhaus im Qualitätsmanagement arbeitet. Das war dann der andere. Ich verheimliche nicht, dass ich zwei Partner habe, aber ich mache es auch nicht zum Thema. Wir definieren uns nicht darüber, dass wir in einer polyamoren Beziehung leben, sondern darüber, dass wir Menschen sind, die sich lieben.
Ist deine Beziehungen weniger tiefgründig, weil du deine Zeit und Energie auf mehrere Menschen verteilst?
Wie tiefgründig eine Beziehung ist, hat nichts mit der Anzahl meiner Männer zu tun. Und auch nicht unbedingt mit der Zeit und Energie, die ich investiere. Stattdessen kann mir eine polyamore Beziehung viel mehr Möglichkeiten und Ansichten bieten, vielleicht sogar doppelt so viele, wenn man zwei Männer hat. Und dadurch kann sie vielleicht noch inniger werden.
Wann bevorzugst du einen Partner gegenüber dem anderen?
Bevorzugen klingt nach Wertung und das mache ich nicht gerne. Aber es gibt Dinge, die kann ich mit dem einen besser machen, als mit dem anderen. Zum Beispiel Fasching feiern. Das macht der eine super gern, so wie ich, und der andere überhaupt nicht. Oder wenn ich ein Problem mit meinem Laptop habe, dann frage ich natürlich meinen Mann, der sich mit Informatik auskennt. Es kommt also auf den Anlass an, hat aber nichts mit Bevorzugung zu tun.
Welcher deiner Partner ist besser im Bett?
Kommt drauf an für was. In schwulen Beziehungen gibt es meistens – nicht zwangsläufig – einen tendenziell aktiven und einen passiven Partner. Mit dem entsprechenden Pendant ist es dann schlichtweg einfacher, geiler. Ich bin zum Beispiel passiv, insofern ist der Sex mit dem aktiven Pendant spannender als mit dem Passiven. In unserer Viererkonstellation gibt es zwei eher passive und zwei eher aktive Partner, entsprechend ist das Sexualleben ohnehin meist “aufgeteilt”. Aber es ist vor allem auch die Frage, was man als Sex definiert. Es muss nicht immer Analverkehr sein und Fetische können auch im Spiel sein.
An wen denkst du, wenn du mit einem deiner Partner Sex hast?
Wenn ich in dem Moment noch klar denken kann, kommt mir alles Mögliche in den Sinn, aber nicht unbedingt ein Partner oder der, mit dem ich gerade Sex habe. Das kann auch ein Ohrwurm sein. Ich denke nicht explizit an eine Person. Ich gebe mich der Person im Bett hin, aber Gedanken wie “Wohin geht’s in den nächsten Urlaub?” können schon passieren. Aber dann denke ich: Erstmal Sex!
Wie kannst du sicher sein, dass du beide Partner gleich viel liebst?
Für uns ist das keine Frage nach gleich viel, weil ich jeden auf seine eigene, besondere Art liebe. Man kann und muss das auch gar nicht vergleichen. Es ist ein bisschen wie mit der Liebe zu den Eltern: Man liebt beide unterschiedlich, aber ohne, dass man sagen kann, dass der eine wichtiger ist als der andere.
Du hast zwei Tickets zu einem ausverkauften Konzert: wen nimmst du mit?
Wer lieber auf das Konzert gehen möchte! Die Traumantwort wäre natürlich: Ich gebe meinen beiden Partnern die Tickets und gucke mir das Konzert im Fernsehen an. [Lacht] Aber die realistische Antwort wäre – wenn wir wirklich alle drei Bock auf das Konzert hätten –, dass keiner von uns hingeht, wir die Tickets verkaufen und uns einen schönen Abend machen. Oder ich gehe mit meinem besten Freund hin. Dann muss ich mich nicht entscheiden, und meine Männer haben mal einen Abend frei von mir.