Ich habe 10 Stunden im Stars & Stripes gefeiert – das Openair St. Gallen-Protokoll

Es gibt Dinge, auf die man im Leben verzichten kann: Schulden, ein Gölä-Konzert, Geschlechtskrankheiten oder mehr Zeit als für einen Drink im Stars & Stripes verbringen. Die Gastro-Kette hostet seit Menschengedenken am Openair St. Gallen eine Bar mit unerträglicher Musik, übelklingenden Shots und einem Grill mit Burgern. Trotzdem ist das Stars & Stripes legendär. Jeder am Openair St. Gallen kennt die hauseigene Spunte auf dem Nordhang. Ich bin dem Mythos auf den Grund gegangen und habe dabei den inneren Frieden gefunden.


14:00

Hier eine Standard-Live-Ticker-Begrüssung. Ich bin verkatert, nervt mich nicht. Und in Anbetracht der nächsten zwölf Stunden, weiss ich schon jetzt, dass ich die Entscheidung zu diesem Ticker so hart bereuen werde. Damit ihr euch das Ausmass meines Fehlers vorstellen könnt: Ich bin gestern kurz am Stars & Stripes vorbeigelaufen. Es lief Böse Onkelz. Und bei meinem freudigen Ankommen heute erklangen schon beim Eingang – über das ganze Gelände hallend – Guns’n’Roses-esque Gitarrenriffs. Aber vielleicht wird’s ja auch ganz toll. Ich hol mir erst mal Frühstück – beim hauseigenen Grill.

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14:20

Ich habe jetzt schon ein neues Tief erreicht: Pin für meine Bankkarte vergessen – gesperrt. Eine Freundin hat mir ausgeholfen. Ich muss also nicht verhungern und kann mir einen guten Rausch antrinken, um das ertragbar zu machen. Es läuft: Bloodhound Gang.

14:28

Die nächsten zwölf Stunden ernähre ich mich von Burger, Burger und Burger. Die Speisekarte ist wahrlich sehr exquisit. Aber wenigstens stimmt die Aussicht. Es läuft: Jan Delay.

14:33

Jetzt spielt der DJ(?) “Infinity” von Guru Josh Project. Die Leute – und es ist schon recht voll hier oben – fühlens voll. Keine Ahnung, ob hier wirklich ein DJ steht, aber wenn ja, hat er seinen Job Im Griff und kennt sein Klientel.

14:41

Während ich endlich mal die Spielregeln erklären will, haut der DJ den nächsten Knüller raus: Einen EDM-Remix von Eifel 65s Klassiker “I’m Blue”. “Bitte töte mich”, sage ich laut. Da klopft mir eine nette St. Gallerin auf die Schulter und sagt: “Nicht traurig sein.” Ohne Scheiss, das ist besser als in jedem Film. Darauf habe ich mir ein Bier geholt – und ich mische mich mal unters Folk.

Die Spielregeln: Ich verlasse den Radius von 50 Metern vom Stars & Stripes nicht. Punkt. Muss ich aber auch nicht. Ich habe alles hier: Alkohol, Essen, Toilette, Saufkumpanen, Cash Point.

14:59

Und gute Musik. Sehr wichtig. Und wenn wir gerade davon sprechen: Ich habe eine Best-of-Stars-&-Stripes-Liste erstellt – mit Songs, die sicher nicht nur einmal laufen.

Die Ärzte – “Schrei nach Liebe”
Papa Roach – “Last Resort”
AC/DC – “TNT”
Nirvana – “Smells Like Teenspirit”
The Prodigy – “Firestarter”

15:22

Ich weiss nicht, ob das die Welt braucht, aber ich will es mit euch teilen, lasst euch erleuchtend: Es existiert ein Metal-Cover von Shakiras WM-Hymne “Waka Waka (This Time for Africa)”. Only at Stars & Stripes.

15:33

Ich weiss, ich weiss. Eigentlich bestellt man kein Panasch. Ich bring aber gerade kein richtiges Bier runter. Der Typ neben mir an der Bar, hat mich auf meine Bestellung hin gefragt, ob er mir eins in die Fresse hauen solle. Vielleicht hätte ich’s ja wirklich verdient.

15:39

Ich habe “Seven Nation Army” auf meiner Liste vergessen. Die White Stripes führen.

15:52

Wenn ich richtig gezählt habe, sollten es noch zehn Stunden sein. Ich zweifle. An meinen Lebensentscheidungen. An gesundem Menschenverstand, den ich sicher verlieren werde. An der Musikpolitik des Stars & Stripes. Am Wetter. Daran, dass zehn Stunden 600 Minuten sind.

16:11

Ich greife zu härteren Mitteln: Bier. Volles echtes St. Galler Bier. Aber verdammt, bis zu den Margaritas ist’s nicht mehr weit. Die sehen verdammt verlockend aus. Mag ich aber überhaupt Margaritas? Wer weiss, wir werden es sicher noch herausfinden.

16:15

Update Hitliste:

0 – Die Ärzte – “Schrei nach Liebe”
1 – Papa Roach – “Last Resort”
0 – AC/DC – “TNT”
0 – Nirvana – “Smells Like Teenspirit”
1 – The White Stripes – “Seven Nation Army”
0 – Die Ärzte – “Schrei nach Liebe”
0 – The Prodigy – “Firestarter”

16:24

Es regnet.

16:34

Korrektur aus der Wetterredaktion: Es pisst. Es donnert. Es Blitz. Der gesittete Engläder würde sagen: It’s raining cats and dogs. Aber hier beim Stars & Stripes weiss man sich zu helfen.

17:00

Ich habe mir versucht erklären zu lassen, wieso man freiwillig ins Stars & Stripes geht. Es gibt keine plausible Antwort. Aber es läuft Iron Maiden, und das fühl ich noch. Vielleicht werde ich doch noch zu einem Gläubigen des Trash-Rocks und der Trash-Drinks.

17:11

Ich bin gerade etwas niedergeschlagen, weil Cage the Elephant auf der Mainstage spielt und ich Schnipsel vom Konzert aufm Weg zum WC gehört habe. Ein lustiger Vogel versucht mich aber aufzuheitern, indem er mir andauernd über den Handybildschirm langt. Es läuft: Linkin Park.

17:18

Es läuft schon wieder Linkin Park. Und nach Inspektionen bin ich zur Erkentnisse gekommen, dass es keinen DJ gibt. Alles ab Büchse. Voll geil!

17:21

Neuster Wetterbericht: Es regnet nicht mehr. Halleluja! Heisst für mich, dass ich wieder einen höflichen Abstand von den Boxen nehmen kann.

17:34

Vanilla Ice und MC Hammer sind … wait for it … der Hammer! Mich hat’s genommen.

17:46

Neueeinsteiger auf Platz eins der Hitliste:

2 – Beastie Boys – “(You Gotta) Fight For Your Right (To Party)”
0 – Die Ärzte – “Schrei nach Liebe”
1 – Papa Roach – “Last Resort”
0 – AC/DC – “TNT”
0 – Nirvana – “Smells Like Teenspirit”
1 – The White Stripes – “Seven Nation Army”
0 – Die Ärzte – “Schrei nach Liebe”
0 – The Prodigy – “Firestarter”

18:29

Represent!

18:38

Erleuchtender Moment: Ich habs verstanden. Alle Leute sind einfach hart paniert. So einfach. Es wäre auf der Hand gelegen. Bingo! Bier bitte.

18:48

Den DJ gefunden. Nach fünf Stunden. Es läuft: Scooter.

19:02

Ich habe offiziell alles gesehen: Am Greenfield eine Ratte. Jetzt zwei Dudes am Schwingen.

19:18

Update Hitliste:

2 – Beastie Boys – “(You Gotta) Fight For Your Right (To Party)”
0 – Die Ärzte – “Schrei nach Liebe”
1 – Papa Roach – “Last Resort”
0 – AC/DC – “TNT”
1 – Nirvana – “Smells Like Teenspirit”
1 – The White Stripes – “Seven Nation Army”
0 – Die Ärzte – “Schrei nach Liebe”
0 – The Prodigy – “Firestarter”

19:45

Ab jetzt kann ich nicht mehr für Rechtschreibung garantieren. Gruss ans Lektorat an dieser Stelle. Ich bin langsam blau. Und das ist gut so. Wie die Toten Hosen singen: “Kein Alkohol ist auch keine Lösung.” Oder wie mein Vater zu sagen pflegt: “Der Alkohol ist böse, er muss vernichtet werden.”

20:01

Schnell ein neues Bier geholt, sorry. Worauf ich hinaus wollte: Alkohol ist einfach die beste Droge, um keinen Fick mehr zu geben. Um seine coole Zürcher Attitüde in die Sitter zu schmeissen. Um zu Bon Jovi den Kopf nicken zu können. Um willkürlichen Menschen High-Fives zu geben. Um Mini-Kosmos Stars & Stripes anzukommen.

20:09

Halbzeit. Und es tut gar nicht mehr so weh.

20:10

Böse Onkelz werde ich aber nie mitsingen.

20:47

Es schaffen wirklich Menschen, mit sauberen Schuhen hier anzukommen.

21:04

Shots!

21:53

Hass ist eindeutig leichter zu formulieren als Liebe. Voll deep, ich weiss. Gerade ist aber alles gut. Die Girls von Velvet Two Stripes sind zur Unterstützung gekommen, es läuft Spice Girls und das ist ziemlich geil.

22:10

Es läuft: Gölä “Schwan”. Ich muss allen sagen, dass man diese braune Grütze nicht unterstützt. Es hört niemand auf mich. Alle singen mit.

23:31

Ich kneife nie. Ich mach durch, wenn es sein muss. Aber. Jetzt kommt das grosse ABER… ich bin gerade den Hang heruntergerutscht. Wortwörtlich. Ich bin nur noch eine Masse Schlamm. Nur Schlamm. Und mit viel Schlamm verabschiede ich mich auch.