Das Gejammer war riesig die letzten Jahre. Während Rap sich ein neonfarbenes Zukunftsgewand überzog, reale Reimketten durch Codein-geschwängertes Gemurmel ersetzt wurden und Barbara Schöndingensberger auf sehr unangenehme Art und Weise Olexesh und Vanessa Mai bei der “Starnacht am Wörthersee” ankündigte, verkümmerte der “echte” Rap merklich. Und nicht nur Staiger fragte sich: Was hat das mit HipHop zu tun? Denn sind wir mal ehrlich: Niemand versteht diesen Haftbefehl und seine sinnlosen Zeilen, gerne erinnert man sich hingegen zurück, an die Zeit als Hausmarke noch so bedeutungsvolle Texte wie “An alle Nixblicker, ich bin der Picknicker / Werd’s dir erklären, doch dann mach erst den Beat dicker” kickte und man auf Rap-Partys nicht tanzen musste. Denn früher war alles besser.
Aber Rettung naht, so als kommt die Feuerwehr! Die Heads von VSK, echte Verfechter der vier Elemente und Rapper aus Leidenschaft, haben den Fakern und Kommerzschweinen den Kampf angesagt. Mit MC Bleistift, MC Schreibmaschine (aka Maxim K.I.Z.), Dr. Podwich, Streichholz MC (aka Nico K.I.Z.), Masta Maik, Flowbotta (aka Tarek K.I.Z.) und DJ Ratzefummel, hat die Crew die Crème de la Crème des Sprechgesangs versammelt, um Pfeile auf die Konkurrenz zu schießen, so wie Legolas. Ihr Album Wo die wilden Kerle flowen (seit heute draußen und nur echt auf Vinyl) ist ein Wortgewitter sondergleichen, ein keine Vergleiche scheuendes Reimemonster und ist jetzt draußen – “so wie Rabauke bei Fettes Brot.” (Streichholz MC-Voice).
Also keepen wir es endlich mal wieder tight, scheißen auf all den Newschool-Quatsch, den wir sonst so bringen müssen (weil die Major-Industrie uns dazu zwingt) und bringen die 15 realsten Lines vom VSK-Album, die euch beibringen, wie HipHop richtig geht. Ch-ch-check it out!
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1. “Jetzt pass mal auf Kleiner, leg mal kurz dein Smartphone weg / Und ich erzähl dir mal, wie das damals war mit Rap / An der Wand hier war mein Tag, ist verblichen, schade / Wenn du die Augen schließt, riechst du noch die frische Farbe” – MC Schreibmaschine
Erklärung: Heutzutage spielt sich alles nur noch im Internet ab, Likes sind eine Währung. Aber Schreibmaschine erinnert uns daran, wie das damals war, als er mit der Sprühdose durch die Straßen zog, um sich seinen Respekt zu verdienen. Statt sich seine Bestätigung über Selfies auf Instagram oder per Tweef mit anderen Rappern zu holen, riskierte er Ärger mit der Polizei und verbreitete Kunst unter den Menschen. Denn Kunst bleibt Kunst, auch wenn die Spießer sie nicht verstehen. Graffiti als eine der Säulen des HipHops darf deshalb nicht vergessen werden – natürlich immer legal *Zwinkersmiley*
2. “Im Battle machst du dich lächerlich, wie Oli Pocher / Denn ich hab einiges drauf wie ein Doppel Whopper” – MC Schreibmaschine
Erklärung: Oliver Pocher ist nicht nur ein extrem schlechter Comedian, sondern hat es sich auch mit der Rap-Szene endgültig verscherzt, als er eine Rap-Parodie unter dem Namen “Strassenkobra” veröffentlichte. Denn auch wenn HipHop immer tolerant ist, für Intoleranz gibt es keine Toleranz, so einfach ist das. Im zweiten Teil vergleicht sich Schreibmaschine mit einem Doppel Whopper, da dieser auch einiges drauf hat (zum Beispiel Tomate, Salat, Käse, Fleisch). Das ist aber nur eine Metapher, eine Schweinefirma wie McDonalds wird natürlich von HipHoppern eigentlich nicht unterstützt. Cro etwa hat nach seinem Werbespot für das amerikanische Fastfood-Unternehmen nie wieder einen Fuß auf den Boden der Untergrund-Szene bekommen. Und das ist auch gut so.
3. “Hör die Hamburger, Stuttgarter, Frankfurter / Bravo Hits? Arschkarte, ich zieh den Funkjoker / Nachts heimlich Fernsehen gucken, aber nicht was du denkst / Sondern nur die neue Folge ‘Word Cup’ mit Wu-Tang” – Streichholz MC
Erklärung: Bevor Berlin auf der Landkarte des Raps erschien, dominierten Bands wie Massive Töne, Freundeskreis oder das Rödelheim Hartreim Projekt den deutschen Sprechgesang. Diesen Vorbildern zollen VSK hier Tribut (Savas-Voice). Eine besondere Erwähnung bekommt Toni L, auch bekannt als der Funkjoker, der natürlich nicht auf der BRAVO Hits zu finden ist. Aber auch Schlüpfrigkeit ist manchmal ein Element des Raps und so spielt Streichholz hier mit dem Gedanken des Hörers, er könnte sich Nachts die 0190-Werbungen mit nackten Mädels angucken, obwohl er eigentlich nur auf die legendäre TV-Show “Word Cup” wartet, welche von März 1996 bis Juni 1999 als TV-Format auf VIVA ausgestrahlt wurde. Die Band Wu-Tang wiederum muss sicherlich niemandem vorgestellt werden. Falls doch, solltest du dringend zur Rap-Nachhilfe, Kid!
4. “Tut der Dr. Podwich seine ausgefeilten Reimketten In den Beat einbetten sieht man Rapper einnässen / Und wegen der Schreibblockaden, auf die sie kein Bock haben / Sind ihre Taschen voller Gras wie ein Steinbockmagen” – Dr. Podwich
Erklärung: Hier geht es vordergründig um einen reinen “Representer”-Rhyme, es soll also lediglich die Coolness des Interpreten unterstrichen werden. Sowas geht zwischendrin eben auch mal klar, muss ja nicht immer alles so Bierernst sein. Gleichzeitig wird aber der imaginäre Kontrahent runtergemacht, in dem er sich – natürlich nur lyrisch – einnässt, wenn Dr. Podwich rappt. Das ist die Spitze der Wortakrobatik. Die ausgefeilte Reimtechnik in diesem Vierzeiler verbindet die verschiedensten Elemente des Battlerap und schließt mit einem Vergleich aus der Tierwelt, die das normale Gras mit Marihuana verbindet – doch zu dem kontroversen Drogenthema später mehr.
5. “Einmal um die Erde wie Magellan, weil ich lernen will wie ein Padavan / Immer nur der Nase / nachNein ich hab keinen Masterplan” – MC Schreibmaschine
Erklärung: In dieser Line zeigt MC Schreibmaschine, das HipHop auch viel mit Bildung zu tun hat und man seine eigene Knowledge immer verbreiten sollte, getreu dem Motto: “Each one, teach one”. Ferdinand Magellan war ein portugiesischer Seefahrer, der im Auftrag der spanischen Krone um die Erde segelte. Der Padavan ist ein junger Schüler aus der bahnbrechenden “Star Wars”-Reihe. Nebenbei erwähnt er dann auch noch, dass er keinen Plan für seinen Leben habe. Eine Ausbildung in der Bank oder Abitur sind eben nur schwer mit dem Leben eines HipHoppers zu vereinbaren – umso wichtiger ist es, von seinen Mitstreitern zu lernen und ihr Wissen aufzusaugen.
6. “Bonjour, Buenas Dias, Cest la Vie, Konichiwa / HipHop ist multilingual, bitte merk dir das mal – MC Bleistift
Erklärung: Schon Freundeskreis rappten auf ihrem Album Esperanto damals: “Musik ist Weltsprache, keine schnelle Geldmache”. Ironischerweise war das Album ihr kommerziell erfolgreichstes und erhielt eine Goldene Schallplatte für 250.000 verkaufte Einheiten. Aber das ist ein anderes Thema. Bleistift geht hier nochmal auf den Pluralismus von Rap ein und vereint somit gekonnt die ganze Welt unter einem großen Basecap. Da dieses Wissen in letzter Zeit allerdings verlorengegangen zu sein scheint, unterstreicht er diese Information durch ein forsches “Merk dir das mal”. Denn auch harte Ansagen gehören zum Rap. Gefällt zwar nicht jedem, ist aber so.
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7. “Und auch wenn ich die meisten Länder sicher niemals besuche / Weiss ich dort schlagen Herzen mit 90 Beats pro Minute” – Streichholz MC
Erklärung: Streichholz spricht hier ein hartes und wichtiges Thema an: Armut. Denn Rap kommt aus der Unterschicht und auch wenn 90% der Realkeeper vergangener Zeit Professorenkinder und Studenten waren, darf man den Spirit der unterdrückten Vorgänger niemals vergessen. Da der MC theoretisch zwar nicht das Geld hat, um die Welt zu bereisen, aber sich dennoch gerne wegträumt, ist er darauf angewiesen, sich durch Musik mit dem Planeten zu verbinden – und HipHop ist dafür das ideale Werkzeug. Denn in jedem Land wird man jemanden treffen, der eine der vier Säulen des HipHops lebt, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
8. “Trinkt mal weiter Schnäpse, ich roll das grüne Kraut / Die Gold’ne Regel kennste, wer baut der haut” – MC Bleistift
Erklärung: Hier betritt der MC ein gefährliches Minenfeld. Denn die Diskussion über Drogen ist so alt und vielschichtig wie die Drogen selber. Obwohl sich Rapper ihrer Vorbildfunktion bewusst sein sollten, sind sie eben auch nur Menschen und damit niemals perfekt. Ob und wie jemand Drogen nimmt, sollte immer die Entscheidung des Einzelnen sein – wenn er volljährig ist. Es ist jedoch nicht zu leugnen, dass Cannabiskonsum in der HipHop-Welt eine große Rolle spielt und für die Entstehung von legendären Tracks mitverantwortlich ist. Und ganz ehrlich: Durchs Kiffen ist noch niemand gestorben, aber in Deutschland sterben jährlich circa 70.000 Menschen durch Alkohol. Denkt da einfach mal drüber nach vor dem nächsten Feierabendbier.
9. “Danke Bleistift, dann stell ich mal die Bong kurz weg / Ich tanze barfuß und schüttel meine blonden Dreads / Legalize it, das ist meine Kampfansage / VSK mit eig’nem Wagen auf der Hanfparade” – Flowbotta
Erklärung: Flowbotta geht hier in die Vollen. Er lässt alle Masken fallen und erklärt dem Staat und seinem Gesetzbuch offen den Krieg. Mutig! Derart radikale Ansätze sind eben auch Teil des Rap. Zusätzlich betont er direkt am Anfang seine Zugehörigkeit zu den Rastafaris. Rastafari ist eine in Jamaika in den 1930er Jahren entstandene, heute weltweit verbreitete Glaubensrichtung. Die Bewegung lehrt die Göttlichkeit Haile Selassies. Rastafaris erkennt man an ihren Dreadlocks und ihrer Verbundenheit mit dem Planeten. Obwohl es sich eigentlich um eine größtenteils schwarze Bewegung handelt, gibt es auch weiße Rastas, die den Spirit fühlen und sich mit der Lehre beschäftigen. Sie werden allgemein akzeptiert und bewundert.
10. “Du kommst dir auf deinem Majorlabel wie ein Gott vor / Doch dein A&R zieht die Fäden wie ein Doktor” – Streicholz MC
Erklärung: Auch hier wird wieder auf ein heikles Thema eingegangen: Die Majorindustrie. Während echte MCs in irgendwelchen vermoderten Kellern vor 30 Leuten performen, sind Majorkünstler meist hochgezüchtete Kunstfiguren, die ein vorgegebenes Image erfüllen müssen. Traurig sowas! Kein Wunder, dass VSK keine Liebe für solche Wack-MCs übrig haben und deshalb gehörig fronten. Sie stellen diese Künstler als Marionetten dar, die eigentlich nur von ihrem Manager geleitet werden und keine eigene Meinung haben. Dabei sind Individualität und eigenständiges Denken mit die höchsten Güter im HipHop. Schließlich ist man sowieso schon vornherein von der Gesellschaft ausgeschlossen und muss sich seine eigenen Gedanken machen. Deshalb immer dran denken: Gebildet ist, wer weiß, wo er findet, was er nicht weiß.
11. “In meiner Welt da gibt’s nur fünf Sprachen / Graffiti und Beatboxen Rappen, breaken, diskjocken / HipHop ist zum mitmachen / Nicht nur für die Kids auch für die älteren Semester / HipHop wird gefeiert auf der ganzen Welt so wie Silvester” – Flowbotta
Erklärung: Love, Peace, Unity! Auch wenn Rap natürlich multilingual ist, soll hier der verbindende Charakter dieser großartigen Musik durch die verschiedenen Disziplinen hervorgehoben werden. Das ist kein Widerspruch. Rap ist außerdem was für Menschen von 9-99 Jahren, so wie ein Ravensburger-Spiel. Denn auch wenn uns heute weiß gemacht werden soll, dass Rap nur von und für junge Menschen gemacht wird, zeigen Beispiele wie Curse, Kool Savas oder Samy Deluxe, dass man auch im Rentenalter noch Teil der Szene sein kann, ohne sich dafür schämen zu müssen. Und auch für Fans gilt: Nur weil ihr jetzt Frau und Kinder habt und bei einer Krankenkasse arbeitet, heißt das noch lange nicht, dass ihr keinen Plan mehr von HipHop habt.
12. “Wenn ich morgens aufsteh’, was auf dem Sampler loope / Hab ich nur noch Bock auf HipHop und schwänz’ die Schule” – MC Streicholz
Erklärung: Hier begibt sich MC Streicholz in die Technikabteilung des HipHop-Baumarkts. Um diese Fachsprache zu verstehen, mussten wir uns erst mal bei Wikipedia schlau machen. “Ein Loop ist eine kurze, mit technischen Mitteln mehrfach wiederholte Klangfolge in elektronisch erzeugter oder unterstützter Musik”. Aha, wieder was gelernt, top! Ein Sample wiederum ist ein Ausschnitt aus einer Tonaufnahme, der etwa für einen neuen Beat verwendet wird. Wer denkt, dass das klauen ist, der irrt gewaltig und zeigt nur sein fehlendes Wissen. Samplings sind der Grundstein eines fetten HipHop-Beats, genau wie Scratchings oder etwa auch melodramatische Streicher.
13. “Geht es um HipHop, werde ich zum Dichter und Denker wie Goethe / Geht’s um Wackies, werde ich zum Richter und Henker und töte / Aber natürlich nur lyrisch, denn Gewalt ist was für Assis / Anstatt mich rum zu raufen, hab ich Spaß mit meinen Buddies” – MC Bleistift
Erklärung: Hier stellt Bleistift etwas klar, was oft missverstanden wird. Wenn in einem Rap-Text die Rede davon ist, jemanden zu verletzen oder gar zu ermorden, dann ist das immer metaphorisch gemeint, niemals wird echter Groll gehegt. Durch seinen Goethe-Vergleich stellt der Rapper das hier nochmals endgültig klar. Die Kunstform Rap ist eben auch mal hart, verlässt aber nie den Boden des lyrischen Kampfes. Sollte es dennoch mal zu Auseinandersetzungen auf einer Jam oder Cypher kommen, müssen die Streithähne mit der Verachtung der restlichen Szene rechnen. Also denkt immer dran: Gewalt ist keine Lösung. Niemals.
14. “Dein Style könnte Mundwasser vertragen / Meiner geht nach vorne, als würde er den Busfahrer was fragen” – MC Schreibmaschine
Erklärung: Bedarf es hier wirklich noch einer Erklärung? Oder wie Kool Savas es einst formulierte “Muss ich euch wirklich noch was beweisen?” In zwei Zeilen zerlegt Schreibmaschine hier alles, was ihm in die Quere kommt. Falls ihr auch rappen wollt: Hier habt ihr euren Meister gefunden. Denn nicht nur, dass er hier typische Battle-Elemente in den Text einbaut, das Szenario mit dem Busfahrer ist so unglaublich bildhaft, dass jeder es sofort vor seinen Augen sieht. Das meinte Sido als von den berühmten “Bildern im Kopf” rappte. Eine derartige Zeile ist die ultimative Vollendung der Reimkunst und gelingt nicht jedem. Props!
15. “Uns’re Eltern sind morgen nicht da / Also haben wir ne Party geplant / Hängen kurz noch ‘nen Zettel in Flur / Keine Angst liebe Nachbarn, wir rappen hier nur” – VSK
Erklärung: Abschließend betont die ganze Crew noch mal den Party-Charakter von HipHop. Denn trotz eines Battles oder einer vermeintlich kontroversen Zeile: Am Ende werden sich immer die Hände gereicht, so schreibt es das Regelbuch vor. Und dann geht die Party steil, denn das ist es, worum es im Leben geht: Spaß! Da sich andere Menschen oft nicht in die HipHop-Kultur einfühlen können und sie missverstehen, hängen VSK noch einen Zettel (Rap) in den Flur (unser Planet), um allen klar zu machen, dass sie friedliche Absichten haben und nur Feuer in eurer Ohr bringen wollen, “wie ein türkischer Friseur” (FlowbottaVoice).
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