Zugegeben, gute 12 Kilo Gras klingen nicht gerade nach Eigenbedarf. Auch zweieinhalb Jahre Gefängnis sind angesichts dieser Menge nicht ungewöhnlich. Doch der Fall von Alexander Jähn aus Deutschland liegt ein bisschen komplizierter.
Alexander hatte 2001 als Beifahrer einen Autounfall, der eine gelähmte Schulter und ein steifes Bein zur Folge hatte. Der 31-Jährige ist zu 100 Prozent schwerbehindert und weder schul- noch berufsfähig. Bevor er seine Erlaubnis für eine „Ausnahmeerlaubnis zur Selbsttherapie mit Cannabis-Blüten” bekam, hatten verschiedene Ärzte versucht, seine chronischen Schmerzen, unter denen er als Folgen des Unfalls litt, mit Tilidin, Morphin, Tramal, Fentanyl und anderen Medikamenten in den Griff zu bekommen. Nichts davon hat richtig gewirkt.
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Auch Dronabinol, also reines THC in Tropfenform, brachte als so genanntes „Monopräparat” nicht den erwünschten Behandlungserfolg, zudem ist es viel teuer als die echten Blüten, die Jähn mittlerweile aus der Apotheke bekommt. Seit März 2013 hat Alexander 14.350,65 Euro aus eigener Tasche für Cannabis aus der Apotheke bezahlt, weil er als Schmerzpatient so genannter Off-Label-User ist und die Kasse die Kosten nicht übernimmt.
Als er pleite ist, baut er selbst ein paar Pflanzen an—und wird erwischt. Das Gericht ermahnt ihn lediglich, aber die Pflanzen sind weg und die Versorgung mit täglich sieben Gramm Cannabis, die er für ein schmerzfreies Leben braucht, ist wieder nicht sicher gestellt. Sieben Gramm hört sich mächtig viel an, doch bei chronischen, sehr starken Schmerzen, die im Regelfall mit Opioden oder Opiaten behandelt werden, sind relativ hohe THC-Dosierungen nicht ungewöhnlich.
500 Gramm zum Vorzugspreis
In dieser Situation bekommt er ein Angebot von einem Dealer: 500 Gramm zum Vorzugspreis von 800 Euro für eine Kurierfahrt. Für Alexander Jähn zu verlockend, er macht mit. Aber er hat kein Glück: Jähn wird mit den zwölf Kilo an einer Autobahnraststätte erwischt, der Cannabis-Patient landet erneut vor Gericht.
Das kann, auch aufgrund des vorherigen Anbau-Vorfalls, gar nicht anders, als ihn 2013 zu 30 Monaten Haft zu verurteilen. „Der Richter hat gesagt, es täte ihm leid. Ich meinte, das ist schon OK, das ist jetzt halt so.”
Im Knast gibt es kein Gras
Auch im Knast braucht ein Cannabis-Patient eine ordentliche Regel-Versorgung. Doch damit scheint man in Deutschland noch überfordert. Als Jähn im Rahmen seiner ersten Ladung zum Haftantritt fragt, ob er auch hinter Gittern regelgerecht versorgt werden könne, wurde der Termin plötzlich verschoben. Jähn wird aufgefordert, sich bei einer Ärztin vorzustellen. Die scheint wenig Ahnung von Cannabinoid-Medizin zu haben und bescheinigt Jähn gegen seinen Willen eine Drobinal-Verträglichkeit. Herr Jähn könne einfach auf dieses „Drobinal” umgestellt werden und dann flugs in den Knast wandern. „Drobinal” gibt es nicht, das Zeug heißt Dronabinol.
Er solle sich in den kommenden Wochen einfach umstellen und mit den „Drobinal”-Kapseln dann Mitte November seine Haft antreten. Stelle er sich nicht freiwillig auf das Präparat um, geschähe das dann nach Haftantritt im Gefängniskrankenhaus. Zur Orientierung: Eine Tagesdosis Cannabis-Blüten kostet 105 Euro, die gleiche Menge Dronabinol in Tropfenform über 900 Euro.
„Ich war gerade bei meiner Apotheke”, berichtet er heute am Telefon. „Die bekommen die benötigte Dosis von 1,5 Gramm Dronabinol am Tag gar nicht ran, mehr als ein Gramm geht irgendwie nicht. Außerdem will ich mich gar nicht umstellen, denn ich bekomme die Blüten ja auch deshalb, weil das Monopräparat bei mir viel schlechter anschlägt. Ich habe mich mittlerweile damit abgefunden, ins Gefängnis zu müssen. Aber bitte nicht ohne eine Regelversorgung mit der Medizin, für die ich eine staatliche Ausnahmegenehmigung besitze.”
Nachdem das Gericht keine Revision zugelassen hatte, schien ein Gnadengesuch beim Grünen Ministerpräsidenten Kretschmann der letzte Ausweg. Im Februar 2014 schreibt die SCM-Sprecherin Gabriele Gebhard im Gesuch an Kretschmann:
„Es stellt nach unserer Ansicht eine ungerechtfertigte Härte dar, Patienten für die Untätigkeit der Regierung zu bestrafen. Herr Jähn hat nichts Anderes getan, als sein Grundrecht auf Leben und Gesundheit selbst in die Hand zu nehmen. Ich bitte Sie deshalb, durch einen Gnadenerlass den Vollzug der Gefängnisstrafe auszusetzen, nicht zuletzt weil die Erfahrung zeigt, dass die medizinische Versorgung von Herr Jähn mit Cannabis in der Justizvollzugsanstalt nicht gewährleistet sein wird. Keine angemessene Versorgung mit Cannabinoiden würde aber bedeuten, dass Herr Jähns Gesundheitszustand innerhalb kurzer Zeit sich rapide verschlechtert.”
Nach der Ablehnung des Gesuchs bleibt die aktuelle Petition auf change.org wohl der einzige Strohhalm, an den sich Alexander Jähn festhalten kann. Die Petition fordert keine Haftverschonung, sondern lediglich den Zugang zur einzigen wirksamem Medikament, für das der Häftling in spe sogar eine staatliche Erlaubnis besitzt.
Legale Joints unerwünscht
Die Hürden, medizinische Cannabis-Blüten zu erhalten, sind in Deutschland ungemein hoch. Man hat eben Angst, es könnten sich Freizeit-User einschmuggeln. Anders als am Strand von L.A. kann man in Deutschland also sicher nicht von Fake-Patienten reden, jeder Einzelfall ist bei der Bundesopiumstelle akribisch geprüft worden. Wenn aber so ein Patient mal ins Gefängnis muss, steht selbst das auf der Kippe. Geht es wirklich noch um den Patienten oder darum, dass in deutschen Knästen selbst aus medizinischen Gründen kein legaler Joint brennen darf? Alexander Jähn wäre auf Nachfrage sogar bereit, eine Fußfessel zu tragen, wenn das die Regelversorgung mit Blüten aus der Apotheke sicher stellen würde.