John Francis Bongiovi, Jr. Etliche hundert Millionen Dollar schwer, mehrfacher “Sexiest Man”, Schauspieler, politischer Aktivist, Oscar-Nominierter, Grammy- und Golden Globe-Preisträger, Teilzeit-NFL-Unternehmer, Ehemann, Familienvater und Philantrop.
Ach ja, und als Jon Bon Jovi-Gründer, Sänger und Hauptsongwriter von Bon Jovi, einer der erfolgreichsten Rockbands aller Zeiten. 130 Millionen verkaufte Tonträger und mehr als 2.700 Konzerte sind schon eine Ansage. Aber leider sind sie seit geraumer Zeit auch einer der langweiligsten Altherrencombos der Gegenwart. Bon Jovi ist ein mittlerweile 33 Jahre altes Musikvehikel, dessen letzter guter Albumrelease Crush auch schon über 15 Jahre her ist und mit Ausnahme der noch akzeptablen Single “Have a nice Day” aus 2005 seither nur noch austauschbaren Pop-Rock erzeugt. Gut produziert wohlgemerkt, aber eben wurscht wie die Jingles einer Merci- oder Teekanne-Werbung.
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Versteht mich nicht falsch, ich bin ein Bon Jovi-Fan der ersten Stunde. Ich habe mir vom Debüt-Album bis zu New Jersey-Vinyls im Original und Musikvideos ganz offiziell auf VHS gekauft. Und bis Crush noch alle CDs. Die Supermegaschnulze “Always” ist erschienen, als meine mittlerweile 22-jährige Beziehung mit meiner Allerliebsten begann und ist seither unser Lied. Ja, lacht nur. Ich durfte Bon Jovi als Hauptact am Österreich-Ring mit einer Meute von knapp 70.000 Fans und fucking Van Halen als Vorgruppe(!) sehen. Nichts liegt mir also ferner, als eine Band zu dissen, die mich in der Pubertät regelmäßig am Walkman begleitet hat und die ich damals vehement gegen vermeintliche Konkurrenten wie Europe oder Skid Row verteidigt habe. Aber zuzusehen, wie diese einstmals großartige Combo aus wirklich hervorragenden Musikern (OK, Alec Jon Such jetzt nicht so) und einem der besten Frontmänner und Songwriter meiner Jugend so herumeiern—das tut einfach weh.
Wieso stürzt sich eine Band, die in den 80ern und frühen 90ern anerkannte Klassiker und musikalisches Allgemeingut wie “You give Love a Bad Name” oder “Living on a Prayer” erschaffen hat—letzterer Song brachte es sogar 30 Jahre später noch zu kurzzeitigem Meme-Ruhm—mit Anlauf in die Belanglosigkeit? Die mit dem gewaltigen “Dead or Alive” nicht nur einen Welthit schrieben, sondern auch mit der legendären Akustikinterpretation bei den MTV Awards 1989 den Unplugged-Trend so richtig lostraten? Liegt es am Ausscheiden des Ur-Gitarristen und kongenialen Co-Songwriters Richie Sambora? Wohl kaum, denn auch er hatte seine besten Licks schon knapp nach der Jahrtausenwende verbraucht und wendet sich gemeinsam mit seiner 26 Jahre jüngeren Freundin und Ausnahmegitarristin Orianthi entspannt dem Blues zu. Nein, er ist nicht der Grund.
“This House Is Not for Sale”, “Knockout”, “Labor of Love”, “Come On Up to Our House”, “Scars on This Guitar”. Gleich fünf Singles, die zwischen August 2016 und jetzt aus dem aktuellen Album This House Is Not for Sale ausgekoppelt wurden. Mit Video und allem Drum und Dran. Schon mal davon gehört? Ich auch nicht. Das Album selbst stieg zwar auf Platz 1 der US-Billboard-Charts ein (und ist somit das sechste Nummer-1-Album von Bon Jovi), fiel aber bereits in der folgenden Woche auf Platz 43 zurück (Billboard-Negativ-Rekord), in der Woche darauf bereits aus den Top 100 (noch ein Negativ-Rekord). Das sagt einiges aus.
Hier liegt also der Grund für die musikalische Selbst-Demontage der einstigen zweitgrößten Musiksensation aus New Jersey: gab es früher noch Alben, die das Prädikat “All Killer No Filler” tragen durften, dünnte sich Mitte der 90er der Output auf Alben mit zumindest ein, zwei starken Lead-Singles, den Rest angereichert mit Balladen, aus. In gewisser Weise eine ähnliche Entwicklung wie die Toten Hosen, deren musikalisches Oeuvre sich von Spaßpunk und sozialkritischem Powerrock zu typisch deutschen Wir-klatschen-auf-eins-und-drei-Hymnen gemausert hat. (Würde Campino nicht zwischendurch immer wieder als Reserve-Bono weltverbesserisch von der Bühne wettern, könnte man meinen, sie schreiben ihre Songs bei Kamillentee gemeinsam mit Pur.)
Auf der anderen Seite—wenn wir schon beim Vergleichen sind—gibt es die Rolling Stones. Mal den ganzen Legendenkram beiseite gelassen, haben wir hier eine Band, die seit 53 Jahren ununterbrochen im Geschäft ist und den Titel Rock-Dinosaurier wohl wie keine andere geprägt hat. Nur: ihr aktuelles Album Blue and Lonesome reißt Kritiker und Fans zu Begeisterungsstürmen hin; ein Album mit Coverversionen von Chicago Blues-Klassikern, die Großteils älter sind als Keith Richards aussieht. Nach zehn Jahren Studioabstinenz komplett in einer dreitägigen Spontan-Studiosession eingespielt. Das ist der Unterschied, so wird’s gemacht.
Denn nach vielen Jahren und Jahrzehnten ist bei den meisten Künstlern einfach der Lack ab, auch die Größten hatten ihre wirklich mageren Jahre, die in nur wenigen Fällen durch ein letztes, famoses Spätwerk nochmal wettgemacht wurden. Man denke nur an Johnny Cash. In dieser Phase ist Selbstreflexion wichtig. Wenn der Flow sich einfach nicht mehr einstellen will und die Magie die Songschreibens weg ist, hat man zwei Möglichkeiten: es gut sein lassen, wie aktuell die Gründer des Hair-Metal (zu denen übrigens Bon Jovi auch mal zählten) selbst, Mötley Crüe. “Uns fällt nichts mehr ein, wir verpflichten uns vertraglich zum unwiderruflichen Band-Ende”, aus die Maus. Oder eben statt krampfhaft die ewig gleichen Akkorde und Hooklines in abgewandelter Form selbst zu zitieren, einfach mal drauf pfeifen und genau die Songs covern, die man selbst als blutiger Anfänger gerne gehört hat und die Gründung einer Band erst befeuert haben, wie eben die Stones.
Jon Bon Jovi hat diesen Moment schon seit langem verpasst. Auch wenn Drummer Tico Torres und Keyboarder David Bryan (bitte schneide dir endlich diese unsäglichen Locken ab, jeder Cockerspaniel und sogar Brian May sieht damit besser aus) noch als Gründungsmitglieder dabei sind, er ist der Boss. Aber nicht so einer wie Springsteen, sondern eher so wie einer aus der Wall Street—Hauptsache, der Umsatz passt. Hätte er sich nicht den Gutteil der letzten zehn Jahre in Kaufverhandlungen von Football-Teams verzettelt, sondern vielleicht wieder mal das Hinterland der USA auf der Harley bereist, wären vielleicht auch wieder die Inspiration zu großartigen Songs wie “Blaze of Glory” oder dem viel zu unterschätzen “Dry County” gekommen. Stattdessen saturierte Plattitüden zur eigenen Bandgeschichte, halbgare Country-Anleihen und weichgespülte Politstatements als Grundlage für albenweise Rock-Schmalz zu nehmen, vergrault auf Dauer die loyalsten Fans. Auch mich.
Übrigens sind wir nach 22 Jahren immer noch nicht verheiratet. Wer braucht einen Ehering, wenn man auf solche Grandezza bauen kann: “Now I can’t sing a love song/Like the way it’s meant to be/Well, I guess I’m not that good anymore/But, baby, that’s just me”.
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