Menschen

Meine Horoskop-App bringt mich durch den Lockdown

Ich glaube Horoskopen nicht. Halt geben sie mir trotzdem.
Die Autorin mit einer Sternzeichen-Tasse, rechts davon ein Screenshot der Horoskop-App Co-Star, die sie durch den Lockdown bringt
Links: Die Autorin mit ihrer Horoskop-Tasse | Foto: Maja Dworzynski; rechts: Screenshot der App Co-Star

Der Lockdown lässt uns ungewöhnliche Dinge vermissen. Nach den ersten Wochen im Lockdown schrieb ich im April einem Freund auf WhatsApp: "Ich glaube, ich will einfach mal wieder von einem Busfahrer angeschnauzt werden für ein bisschen Normalität." 

Einfach mal wieder um neun Uhr morgens in einem Uber sitzen und mit ganzem Herzen hoffen, dass nicht gleich noch eine Kurve kommt. Oder auf dem U-Bahnsteig in der Minute, bevor die Bahn einfährt, im Laufschritt die Gleise langgehen und abschätzen, welcher der leerste Wagen sein wird. Oder in eine verrauchte Bar kommen und direkt daran denken, dass man später zu Hause die Jeans und das Oberteil waschen muss. 

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Natürlich fehlen mir diese Erlebnisse nicht als solche – ich will ihre Alltäglichkeit zurück. Diese unglaubliche Menge an Möglichkeiten und Situationen existiert im Lockdown nicht mehr. Ich will mich für eine Party fertig machen und wenn ich dann aus der Tür einen Schritt auf die Straße mache, riecht es so aufdringlich danach, dass etwas passieren wird, dass mir fast ein bisschen schlecht wird.

Meine Horoskop-App Co-Star passt sich den Corona-Gegebenheiten aber nicht an. Sie tut so, als würde ich keine Weichzeichner-Version meines eigentlichen Lebens führen. Für die App sind meine Tage immer noch voller Möglichkeiten. Basierend auf meinen Sternzeichen bekomme ich jeden Tag eine Benachrichtigung, die mir sagt, worauf ich achten soll oder was mich erwartet. Wenn auf dem Bildschirm "Love is possible" oder "Stay up and fight" steht, dann klingt es für mich so, wie wenn die Kardashians am Anfang einer Episode anstoßen. "Good health, more wealth, and lots of love", sagt Kris Kardashians Freund, und für den Zuschauer bahnt sich diese voyeuristische Vorahnung an, dass im Laufe der Episode irgendein Unheil über die Familie hereinbrechen wird.


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Neben der Benachrichtigung hat die App noch andere Features. Jeden Tag kriege ich eine Liste mit Do's und Don'ts. Do: Forehead kiss, Fantasies, Yellow. Don't: Regrets, Fennel, Calendars. Fast jeden morgen lese ich jetzt mein Horoskop. Daran halten tue ich mich nicht.

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Vor der Pandemie hatte ich die App selten angeschaut. Eigentlich benutzte ich sie nur, um mich angetrunken in einer Toilettenschlange in einer Bar mit den Leuten vor und hinter mir anzufreunden, indem ich sie dazu aufforderte, mich in der App zu adden. Betrunken schien es uns dann wie ein Todesstoß für die aufblühende Freundschaft, wenn unsere Birth Charts nicht kompatibel waren. 

Ich glaube Horoskopen, so wie ich Jungunternehmern glaube, die als Influencer auf Instagram Business-Ratschläge geben. Also gar nicht. Aber unterhaltsam sind sie trotzdem. Das war vor der Pandemie schon so und ist es jetzt immer noch. Ich lese mein Horoskop nicht für eine sichere Vorhersage meines Tages, sondern für die Illusion von Abwechslung. Das Leben im Lockdown besteht daraus, aufzustehen, in den Spiegel zu schauen, zu seufzen und zu denken: "Oh, du schon wieder." Alles ist so anstrengend und gleich. Corona dauert schon so lange, dass man nicht mehr erwarten kann, dass Leute noch wissen, was sie mit sich anfangen sollen. Wenn die Fenster schon sauber sind, kann man sie nicht noch mal putzen.

Meine Co-Star-Beschreibung erhellt eine Zeit, die ansonsten nur verunsichert und verwirrt. Sie gibt mir Halt und ordnet meine Emotionen ein. Ich schaue an einem Wochenende The Queen's Gambit durch und bin so begeistert von der letzten Episode, dass ich ganz emotional werde. Am Ende presse ich die Augen zusammen, heule und fühle mich, als würde ich sehr energisch Orangen pressen. Ich komme mir lächerlich vor. Unter meinem Profilbild in der App steht: Trouble with self. Logisch. 

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Als Kind kniff ich manchmal die Augen zusammen, wenn ein Flugzeug über den Himmel flog, um so zu tun, als wäre es eine Sternschnuppe. Ich schummelte. Vielleicht mache ich gerade dasselbe. Wenn ich die Augen zusammenkneife, dann sieht Co-Star fast aus wie das echte Leben.

Ich liege schon im Bett, als ich um 22:30 Uhr jemanden pfeifen höre, während er an meinem Fenster vorbeigeht. Irgendwie überrascht mich das. Im Winter ist die Stille so laut, dass ich schwer beeindruckt davon bin, dass sich jemand nachts bei -1 °C traut, dagegenzuhalten. Obwohl ich schon meinen Pyjama trage, will ich noch mal rausgehen.  

Weil ich morgens vergessen habe, mein Horoskop zu checken, tue ich es jetzt. Unter den Dos steht: Adventure. 

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