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Diese Ärztin wurde verurteilt, weil sie Abtreibungen anbietet

Das Urteil gegen Kristina Hänel betrifft alle Menschen, die schwanger werden können. Doch die Ärztin will weiterkämpfen.
Kristina Hänel, eine Ärztin die für legalen Schwangerschaftsabbruch kämpft,hält
Foto: imago images | epd

Die Ärztin Kristina Hänel bietet auf ihrer Webseite eine "Blutegeltherapie" an. Sich glibschige Würmer auf die Krampfadern zu setzen, ist wissenschaftlich eher umstritten. Über einen Link von Hänels Webseite landet man glücklicherweise auf einem Flyer, der alles ausführlich beschreibt:

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Man erfährt, was zur Vorbereitung auf eine Blutegel-Behandlung notwendig ist (kein Parfum, sonst beißen die Egel nicht an), der Wirkmechanismus wird beschrieben (eine gerinnungshemmende Substanz in der Egelspucke soll dafür sorgen, dass das Blut flüssig bleibt). Außerdem klärt Hänel über die Nebenwirkungen auf (Juckreiz, Blutungen, manchmal Narben) und über Parkmöglichkeiten in der Nähe der Praxis. Jede informierte Patientin kann selbst entscheiden, ob sie das Risiko eingeht.


VICE-Video: Mit Waffen gegen Rassismus


Hänel bietet auch Schwangerschaftsabbrüche an. Über Nebenwirkungen, Wirkmechanismus und Kosten darf Hänel nichts schreiben. Dabei ist eine Abtreibung gesundheitlich und psychisch vermutlich eine schwerwiegendere Entscheidung als Egel am Dickbein. Erst vor wenigen Tagen hat Hänel trotzdem alle Informationen zu Abbrüchen endgültig von ihrer Website gelöscht: Sie musste.

Im Interview mit VICE sagte Kristina Hänel 2019: "Alle schauen mit Kopfschütteln auf Deutschland, dass uns hier die nötige Aufklärung fehlt, um Frauen eine sichere Basis zu geben."

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Keine Werbung

Seit vier Jahren kämpft Hänel vor Gericht dafür, über Schwangerschaftsabbrüche informieren zu dürfen, wie sie es über die Blutegeltherapie tut: ob sie Embryonen per Vakuum absaugt oder nur Medikamente verschreibt, mit welchen Nebenwirkungen man rechnen muss, was ein Abbruch kostet.

Im Dezember 2019 wurde sie dafür zu einer Geldstrafe von 2.500 Euro verurteilt. Sie legte Revision ein und verlor. Seit Mittwoch ist das Urteil rechtskräftig. Aus Angst vor Anzeigen löschte Hänel daraufhin die Infomaterialien von ihrer Webseite. 

Hänels Endgegner ist der Abtreibungsparagraf 219a. Der belegt "Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft" mit einer "Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren". Hänels Fall sorgte jahrelang für Aufsehen, Zehntausende demonstrierten gegen den Abtreibungsparagraphen. 2019 einigten sich CDU und SPD auf einen Kompromiss: Ein schlichter Hinweis auf Schwangerschaftsabbrüche ist seitdem legal, alle weiteren Informationen dagegen strafbar. 

Seitdem müssen Ärztinnen und Ärzte, denen man einen finanziellen Vorteil unterstellen könnte, auf eine "neutrale Stelle" verweisen. Etwa die Bundesärztekammer oder die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Den Kompromiss nannte Hänel damals "unsäglich". VICE sagte sie: "Frauen sind, solange es den Paragrafen 219a gibt, immer noch derart entmündigt und in ihrer sexuellen Selbstbestimmung gedemütigt."

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Wo liegt das Problem?

Abtreibung ist in Deutschland grundsätzlich verboten, aber in bestimmten Fällen straffrei. Die Frage, ob das ungeborene Leben oder das Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Person wichtiger ist, umgeht das deutsche Recht geschmeidig. 

Es gilt eine sogenannte "Fristenlösung" mit "Beratungspflicht". Man darf eine Schwangerschaft also in den ersten drei Monaten abbrechen, die schwangere Person muss aber vorher eine anerkannte Beratungsstelle besucht haben. Immer wieder gibt es Ärger, weil auch katholische Abtreibungsgegner solche Stellen betreiben dürfen.

All das dürfte sich nicht so schnell ändern, denn konkrete Gesetzesvorhaben sind nicht in Sicht. Die Fraktionen von Grünen und Linkspartei wollen zwar den Paragraphen 218 abschaffen und auch die aktuelle SPD-Spitze fordert, Abtreibung zu legalisieren. In den Wahlprogrammen klingt das allerdings deutlich diffuser. Und auch deutsche Politiker äußern sich selten konkret. Robert Habeck bezeichnete die Debatte über 219a als "sehr, sehr ernste Sache", sonst ist nicht viel zum Thema zu finden. Auch der neue CDU-Chef Armin Laschet hat sich bisher selten geäußert. Vor zehn Jahren forderte er noch, das "Ja zum Leben erleichtern!". So steht es auch im CDU-Parteiprogramm.

Hänel war schon darauf vorbereitet, dass das Gericht ihre Revision kippt. Sie plane die nächste, ultimative Instanz: Die Verfassungsbeschwerde. Der Text sei verfasst, sagte sie verschiedenen Medien. Er soll in den nächsten vier Wochen beim Gericht eingehen. Dann könnte für Menschen mit Uterus in Deutschland endlich ein historisches Urteil anstehen. 

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