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Popkultur

Die Firewall der Syrischen Rebellen

Ein Interview mit einem IT-Spezialisten, der mit technischem Know-how den Aufstand gegen Baschar al-Assad unterstützt.

Text: Philipp Zürcher

Fotos: Anja Pfirsch

Seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs sind laut der Syrischen Beratungsstelle für Menschenrechte (Syrian Observatory for Human Rights, SOHR) über 30.000 Menschen umgekommen. Die Aussenstellen sämtlicher mitteleuropäischer Staaten raten ihren Angehörigen dringendst davon ab, das Land zu bereisen. Die Schweiz hat ihre Botschaft in Syrien aufgelöst und gibt zu bedenken, allfällig hilfsbedürftige Schweizer Staatsbürger aus dem Krisenstaat nicht mehr retten zu können.

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Obwohl Syrien zu einem ziemlich apokalyptischen Fleckchen geworden ist, dessen Grenzen dermassen verriegelt sind, dass man nur noch bei Nacht und Nebel die Grenze passieren kann, gibt es immer noch suizidal veranlagte europäische Zivilisten, die absichtlich in dieses Krisengebiet einreisen, um die revolutionäre Opposition zu unterstützen. Eine dieser überaus idealistischen und wagemutigen Personen ist Jens. Er ist Ende zwanzig, gebürtiger Schwede, Vegetarier, IT-Spezialist und hatte schon immer einen Hang zur Spontanität. Für Jens ist es kein aussergewöhnliches Verhalten, dass er nach wochenlanger Abwesenheit plötzlich unangekündigt in die WG platzt und die Wohnung binnen Minuten zu einer Art Kommandozentrale umfunktioniert, welche die gesamte Nachbarschaft mit Gratis-Internet versorgt. Inzwischen lebt er in Beirut, von wo aus er seit bald einem Jahr die syrische Opposition mit seinem detaillierten Fachwissen in IT Fragen aktiv unterstützt und so seinen Beitrag zum Sturz des Assad-Regimes leistet.

VICE: Du arbeitest für die syrische Opposition.

Jens Berg: Nicht direkt. Ich bin angestellt bei einer zivilen Organisation, welche mit lokalen Komitees der Aktivisten in Damaskus zusammenarbeitet.

Worin genau besteht die Zusammenarbeit, von der du sprichst?

Wir koordinieren die Ein- und Ausreise der syrischen Oppositionellen zu unseren Kursorten. Wir schicken ihnen Anfragen, Kursorte und Daten und die Komitees wählen dann geeignete Kandidaten aus. Die Kurse finden meistens hier in Beirut statt. Gelegentlich schicken sie mich aber auch an andere Orte im Libanon oder nach Jordanien.

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Aber worin genau besteht deine Arbeit als IT-Experte, und was wird in diesen Kursen eigentlich unterrichtet?

Ich bin verantwortlich für die digitale Sicherheit. Die Arbeit besteht grösstenteils darin, Journalisten und Aktivisten dahingehend auszubilden, wie sie Internet, Computer oder andere digitale Kommunikationsmittel sicher und zielgerichtet einsetzen. Ich zeige ihnen, wie man digital unsichtbar wird.

Sie lernen, wie man die eigenen Spuren im Netz verwischt, mobile Funknetzwerke errichtet oder wie man die Sendefrequenz eines Handys verändert. Eine andere Aufgabe ist das Sichern ihrer regulären Kommunikationsnetzwerke. Deshalb verbringe ich einen guten Teil der Zeit damit, zu recherchieren, mich mit anderen Experten auszutauschen und an neuen Lösungen zu experimentieren.

Gibt es viele von deiner Sorte?

Allein in unserer Organisation arbeiten ganz unterschiedliche Persönlichkeiten aus aller Herren Länder, aber wir sind nicht die einzige Organisation, die hier operiert. Es gibt viele Europäer, die sich hier engagieren.

Ist das deine Art zu sagen, ihr werdet von westlichen Geheimdiensten unterstützt?

Ich habe nur mit NGOs zu tun, wer hier von wem unterstützt wird, kann ich nicht sagen.

Wo liegen denn besondere Schwierigkeiten?

Für mich ist es sehr schwer, einen genauen Überblick über die Bedrohung und verifizierbare Informationen über das syrische Netzwerk und die Praktiken der syrischen Behörden zu erhalten. Die Situation kann sich abrupt ändern, wenn das Regime neue Methoden anwendet. Wir müssen ständig alles neu überprüfen, um nicht auf kaltem Fuße erwischt zu werden. Die Verantwortung ist gewaltig. Wir sind die Firewall, wenn wir versagen, gibt es Tote.

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Am schwierigsten ist es aber immer noch, die Schüler sicher in den Libanon zu bringen. Manche kommen nicht an, weil sie an der Grenze schon abgefangen und im schlimmsten Fall auch verhaftet werden.

Du unterrichtest also gesuchte Terroristen?

So würde es das Assad-Regime wohl ausdrücken. Die Schüler werden ziemlich gut ausgewählt. Die meisten gesuchten Aktivisten bleiben im Untergrund. Aber Syrien ist voller Spitzel und willkürlicher, absurder Einschränkungen. Überall Militärkontrollen. Die Bewegungsfreiheit ist ein schlechter Witz. Aber neben den Syrern besuchen auch Libanesen oder andere Araber unsere Kurse. Das Ganze ist recht professionell und ziemlich anonym, ich kenne die Wenigsten im Voraus.

Wie bist du denn zu dieser Organisation, deren Namen du nicht nennen kannst, gekommen?

Das war ziemlich zufällig. Zuerst habe ich mich auf eigene Faust in Damaskus engagiert. Da waren Freunde, von denen ich wusste, dass sie aktiv sind. Dann unterrichtete ich Freunde von Freunden. Erst später wurde das zu einem bezahlten Job. Die haben mich angefragt. Grundsätzlich fehlt es im Libanon und Syrien an fähigen IT-Leuten. Die Guten gehen halt schnell ins Ausland. Kein Wunder bei den Löhnen.

So schaut eine von Jens gebaute Antenne aus, die das Viertel mit Internet versorgt, bis sie von der Regierung wieder abgerissen wird.

Bist du deiner Arbeit wegen in den Libanon?

Nein. Ich habe bereits in Syrien für diese Organisation gearbeitet, aber ich musste das Land Ende 2011 verlassen, weil ich nur ein Touristenvisum hatte und keinen Job angeben konnte, der mir eine Arbeitsbewilligung ermöglicht hätte. Inzwischen ist die Lage auch viel zu heikel. Es gibt praktisch keine Ausländer mehr dort, also stichst du als Weisser schon sehr hervor.

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Hat sich dein Job heute im Verhältnis zu damals stark verändert?

Als ich noch in Syrien war, war es sehr viel heikler. Hier in Beirut ist die Lage ziemlich entspannt. Natürlich gibt es auch hier syrische Spitzel und krude Sicherheitsdienste, aber in den kosmopolitischen Regionen wie dem Zentrum von Beirut muss man nicht mit grossen Problemen rechnen.

Du musst dich also nicht tarnen?

Nein. Ich verhalte mich einfach möglichst unauffällig und gebe nirgends meinen Job an. Beirut ist eine Partyhochburg. Hier wimmelt es von jungen Menschen und es gibt vor allem sehr viele Europäer. Wenn du das Geld hast, kannst du hier so ausschweifend leben wie nur möglich, ohne nur den geringsten Gedanken an die Probleme der Umgebung zu verschwenden.

Hast du nie Anfälle von Paranoia?

Man gewöhnt sich sehr schnell an die Situation. Und auch wenn es sehr zynisch klingt: Meine helle Haut und der europäische Pass sind gleichzeitig Schutz und Ausstiegsticket. Die Syrer haben das nicht. Was mich traurig macht, sind die unzähligen haarsträubenden Geschichten aus Syrien—von Freunden und Bekannten, von Orten, die man kennt. Verhaftungen, Verschwinden, Reiseverbote, willkürliche Bombardierungen. Positiv stimmen einen nur der unglaubliche Wille zum Durchhalten, die

Solidarität, das Improvisationstalent und der Optimismus der vielen, vielen Syrer, die ich kenne.

Wie lange wirst du denn noch bleiben?

Kann ich noch nicht sagen. Mein Vertrag mit der Organisation ist noch für die nächsten paar Monate gültig, aber selbst wenn das Assad-Regime dann gefallen wäre, gäbe es für mich noch einiges zu tun.

Augenblicklich geniesse ich die Zeit und nutze die Gelegenheit, mein Arabisch zu verbessern, den Libanon genauer kennenzulernen und eine einigermassen sinnvolle Arbeit zu tun, die meiner Erfahrung gerecht wird. 28 Grad im November sind übrigens auch ganz okay. Zudem herrscht grauenhafter Terror! Mein letzter Besuch war im Juni. Die Stimmung war bedrückend. Seit August sehe ich keinen Grund mehr, warum ich noch da rein sollte, selbst wenn ich könnte. Das Rest-Syrien unter Kontrolle des Regimes ist weitgehend abgeriegelt.