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Wie kommt ein guter Anarchist an seine Guy-Fawkes-Maske?

Es ist ein Dilemma: Du willst gegen kapitalistische Ungerechtigkeit protestieren, aber deine Guy-Fawkes-Maske entspringt direkt aus dem Herzen dieser verhassten Kapitalisten. Gibt es denn wirklich keinen Weg, wie ein guter Anarchist an eine Guy-Fawkes...

Vor kurzer Zeit tauchte auf Twitter und Reddit ein Bild von einem Arbeiter in der Massenproduktion der süffisant lächelnden Guy-Fawkes-Maske auf. Die Maske hat durch Anonymous eine weltweite Renaissance erlebt und ist Symbol verschiedenster solcher Bewegungen geworden, von Mexiko bis Brasilien, von Occupy bis Gezi. Massenhaft Verkaufsstände mit den Masken erscheinen überall da, wo der Konflikt gerade aufflackert.

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Die alte Diskussion über die kapitalistischen Mechanismen, in denen sich eine Protestbewegung zwangsläufig gefangen sieht, brandete wieder auf. Wer profitiert eigentlich von diesem Geschäft? Die Antwort ist: Time Warner, die größte Medienfirma der Welt und eine von sechs Firmen, die gemeinsam 90% der amerikanischen Medien kontrollieren.

Aber gibt es denn wirklich keinen Weg, als guter Anarchist an eine Guy-Fawkes-Maske zu kommen? Die amerikanischen Foren sind besser organisiert, aufgeklärter oder was weiß ich, auf jeden Fall werde ich ziemlich schnell auf piratebay verwiesen, auf der man nicht nur Vektorgrafiken der Maske herunterladen kann, sondern sogar ein Programm zum 3D-Druck der Maske. Das ist eine Lösung des Problems, die sowohl in der Produktion als auch in der Distribution zum Ethos von Anonymous passt.

Aber leider hat nicht jeder einen 3D-Drucker zu Hause stehen, und es scheint die Protestierenden auch nicht zu interessieren: Die Maske ist ein Bestseller bei Amazon, was bedeutet, dass auch diesem marktwirtschaftlichen Bösewicht noch Geld in den Rachen geworfen wird.

Auf die Nachricht der Abgaben an Time Warner geben sich die „Anons“, mit denen ich spreche, gewohnt abgeklärt. „Ich trage meine gerne mit einem Che Guevara T-Shirt von Gap“, sagt einer. Ein anderer schlägt vor, die Masken einfach zu klauen. Dafür wird er aber gescholten: „Damit tust du nur dem Zwischenhändler weh, der zahlt ja schon vorher an Time Warner.“ Auch auf die neuen Bilder von der Herstellung reagiert man mehr oder weniger gelassen: „Ironisch ist das schon“, sagt einer, worauf hin ein anderer ihn fragt: „Lass mich raten, du schreibst das gerade auf deinem massenproduzierten Mac und trägst dabei Nikes?“

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Die Masken, die außerhalb von Amerika und Europa verkauft werden, sind bestimmt Bootleg-Versionen, da sind sich alle sicher. Und damit ist das Thema auch schon wieder gegessen.

Haben die findigen Anonymen also schon einen Ausweg aus dem Dilemma des kapitalistischen Würgegriffs gefunden? Michael weiß nichts von Bootleg-Versionen der Maske, glaubt aber, dass es auch da ziemlich schnell Anzeigen hageln würde. In einem der deutschen Anonymous-Foren frage ich nach.

Die Frage nach der Herstellung wird ignoriert, was die Verbreitung angeht, werde ich achselzuckend auf eBay verwiesen. Leider ist dieser Weg auch nicht viel integrer. Die Operation Payback, bei der Anonymous im Dezember 2010 zur Unterstützung von WikiLeaks mehrere Firmen angegriffen hat, richtete sich unter anderem gegen PayPal. PayPal gehört—Überraschung!—zu eBay.

Seit 2011 ist bekannt, dass das Copyright für die Masken bei Time Warner liegt und dass bei jedem Verkauf eine Lizenzgebühr an die Firma entrichtet werden muss. Im dichten Stammbaumgestrüpp von Tochterfirmen und Tochtertochterfirmen blickt ja sowieso niemand mehr durch, aber es ist vielleicht nicht verwunderlich, dass der Comic V for Vendetta, der die Vorlage für den Film bot, in Amerika von Vertigo Comics veröffentlicht wurde und somit zur Time-Warner-Familie gehört.

Die Art und Weise, wie Anonymous das Symbol 2006 aufgreift, hat dann auch nur wenig mit dem Film, dem Comic oder der historischen Figur Guy Fawkes zu tun. Auf 4chan, dem Geburtsort von Anonymous (sofern das überhaupt zu verorten ist), taucht immer wieder ein Strichmännchen auf, das sich „Epic Fail Guy“ nennt. Der Name ist Programm, man kann ihm immer wieder beim Versagen zuschauen. Eines Tages auch dabei, wie er eine Guy-Fawkes-Maske im Müll findet. Für den ersten Auftritt von Anonymous IRL, der Protest gegen Scientology, beschließt man spontan, die Maske zu benutzen, um den Gegnern zu zeigen, was für ein „Epic Fail“ sie sind. Folgerichtig? Nicht ganz. Dem Anfang wohnt die Ironie schon inne.

Die ursprüngliche Time-Warner-Maske verkauft sich allerdings immer noch hervorragend, was bedeutet, dass die Nachricht von vor zwei Jahren wohl wenig bewirkt hat. Bei einer Bewegung, die nach außen so effektiv Aufmerksamkeit erregt, ist es dann doch verwunderlich, dass sie nicht in der Lage ist, die Problematik und eventuelle Lösungen nach innen zu kommunizieren.