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Vergesst stundenlange Deutschrap-Interviews und huldigt Nardwuar, dem besten Interviewer der Welt

Ein 10 Minuten Interview mit Nardwuar ist intimer, unterhaltsamer und aufschlussreicher als diese ermüdenden, stundenlangen Promo-Kaffekränzchen, die zum traurigen Standard geworden sind.

Es ist morgens halb fünf, man muss früh raus und trotzdem schaut man wie hypnotisiert immer weiter Interviews mit mehr oder weniger interessanten Musikern. Wer sich mit dieser Situation identifizieren kann, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit über den unangefochtenen Meister des Musiker-Interviews—vielleicht sogar den besten Interviewer überhaupt—gestolpert. Nardwuar the Human Serviette—heißt wirklich so und scheint auf den ersten Blick ein echt seltsamer Typ zu sein, nicht nur wegen seines seit Jahrzehnten unveränderten Looks.

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Er hat im Laufe seiner Karriere eine schier unendliche Zahl von Musikern, Schauspielern und Politikern ausgefragt. Von Sting und Nirvana hin zu Drake und Future. Von Michael Moore über Ron Jeremy zu DJ Khaled oder Michail Gorbatschow. Allerdings ist es nicht allein die Größe seines Archivs (über 400 Videos!), die Nardwuar the Human Serviette so beeindruckend macht. Ein zehn Minuten Interview mit Nardwuar ist intimer, unterhaltsamer und aufschlussreicher als diese ermüdenden, stundenlangen Promo-Kaffekränzchen, die sowohl bei uns, als auch international zum traurigen Standard geworden sind.

Also was macht Nardwuar besser als eigentlich alle Interviewer? Erstens: Recherche. Er fragt nicht nach dem neuen Album oder der letzten Single, er konfrontiert lieber Yung Lean mit einem Bild, das dieser mit 13 in Vietnam gemalt hat, oder überrascht Kendrick Lamar damit, dass er sein kugelsicheres Lieblingsrestaurant in Compton kennt. Nardwuar macht seine Hausaufgaben—und das nicht nur was private Details aus dem Leben seiner „Opfer“ (die Interviews heißen nicht umsonst Nardwuar VS.) angeht. Routinemäßig bringt der Mann eine Tasche voller Platten mit, die seine Interviewpartner inspiriert haben, was nicht nur zu spannenden Gesprächen führt, sondern seine Gäste auch aus der üblichen Interview-Coolness herausholt, da sie ihren inneren Fanboy/ ihr inneres Fangirl rauslassen können.

Der zweite Grund für Nardwuars Überlegenheit schlägt in dieselbe Kerbe: aufgrund seiner kauzigen, fast schon zwanghaften Art geraten Menschen aus dem Konzept, die man sonst nur als komplett coole Hunde kennt (außer natürlich Jay-Z). Der seit Jahrzehnten unveränderte Ablauf zwischen „Who Are You“ und „Doot-Doola-Doot-Doo“ ist wie eine Art Rohrschach Test. Wer sich wie Pharrell wunderbar mit dem Weirdo versteht oder wie Questlove von der Expertise des Nerds zu Tränen gerührt ist, kann mit Fug und Recht als umgänglich und sympathisch wahrgenommen werden. Wer den Lokalpatrioten aus Vancouver dagegen arrogant behandelt wie Afrika Bambaataa, sein Konzept nicht versteht oder ihn gar rausschmeißt wie Nas outet sich als Arschloch.

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Da sicherlich nicht alle von euch schonmal mit diesem Genie zu tun hatten, haben wir uns nach hitzigen Diskussionen auf die Top 5 der legendärsten Nardwuar-Interviews geeinigt. Aber seht euch vor: Nardwuars YouTube-Kanal macht süchtiger als Game of Thrones.

AAA

Snoop Dogg

Nardwuar ist Snoop Doggs Lieblingsinterviewer. Die Dynamik der beiden hat sich über 16 Jahre entwickelt und es macht wirklich Spaß zu sehen, wie Snoop sich auch im achten Interview immer noch überraschen lässt. Während Nardwuar sich so gut wie gar nicht verändert, sind die Interviews ein schöner Querschnitt durch Snoop Doggs Karriere. Von Pimp-Anzügen bis zur Snoop Lion-Episode, die du bis gerade erfolgreich verdrängt hattest, ist Nardwuar die Konstante in Snoops Karriere. Das von uns ausgewählte Interview Nummer fünf der beiden ist nicht zuletzt legendär, weil Snoop einen frisch gedrehten Blunt in die Mikrowelle steckt, um „alle Inhaltsstoffe einzufangen“.

A$AP Mob

Nardwuar interviewt sowohl etablierte Größen, als auch Newcomer und auch wenn Rocky mittlerweile ohne Zweifel etabliert und eine Größe im Rap-Game ist: zu der Zeit, als dieses Interview gemacht wurde, war A$AP gerade taufrisch. Das Interview ist nicht nur wegen Ferg ein historisches Dokument. Es zeigt eine aufgeregte Meute Jungs, die gerade ihren Durchbruch erleben und es macht wirklich Spaß, ihnen dabei zuzusehen. Wie bei vielen Nardwuar-Interviews zeigt sich auch hier, dass vor allem Rapper über deutlich mehr musikalisches Fachwissen verfügen als man es ihnen zutraut.

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Pharrell

Am schönsten sind Nardwuar-Interviews, wenn die Musiker nicht mit einer außergewöhnlichen Begegnung rechnen. Aus dieser Position entstehen dann ehrliche, wirklich herzerwärmende Überraschungsmomente. So geschehen bei Pharrell Williams zu N*E*R*D-Zeiten. Von Anfang an ist das Neptunes-Mitglied beeindruckt vom Wissen seines Interviewers. Als Nardwuar dann die 12” von Wreckx-N-Effects „Rump Shaker“ zückt—dem ersten Track, an dem Pharrell jemals beteiligt war—ist er komplett geflasht vom „besten Interview seines Lebens“. Als Konsequenz haben die beiden noch ein Interview gemacht und Pharrell hat Nardwuar nicht nur weitere Interviews vermittelt (wie man zum Beispiel am Anfang des Jay-Z-Interviews sehen kann), er hat dem Kanadier auch einen Platz auf seinem YouTube-Kanal geklärt.

Nirvana

Eines der ältesten Nard-Interviews auf YouTube und auch eines der chaotischsten. Das Video gibt einen Einblick in die Ursprünge von Nardwuars Stil und lässt vermuten, was es für ein weiter Weg war zu seiner heutigen Form. Nardwuar hatte ewig versucht, Nirvana zu interviewen. Irgendwann machte er irgendwie einen guten Eindruck bei Courtney Love und sie schmuggelte ihn Backstage unter dem Vorwand, er sei ihr Cousin. Das erklärt vielleicht, warum Kurt (drei Monate vor seinem Tod) Nardwuar etwas einsilbig und Pizza mampfend vor die Wand laufen lässt. Außerdem scheint die Gang recht dicht zu sein und es treffen halt auch emotional investierte Rock-Nerds aufeinander, die sich nicht immer einig sein können. Trotzdem schafft es Nardwuar mit seinem unendlichen Fachwissen zu punkten. Die Stimmung im Backstage wandelt sich im Laufe des Videos von einer hyperaktiven Schulklasse, deren freundlicher Vertretungslehrer sich nicht durchsetzen kann, hin zu einer respektvollen Experten-Diskussion. Aber die wichtigste Lektion des Videos: Kein Mitleid mehr mit dem Dritten im Nirvana-Bunde Krist Novoselic, der es (verglichen mit Dave Grohl) zu nichts gebracht hat. Der unsympathische Schreihals ruiniert das Interview fast und ist einfach nicht lustig.

Questlove

Es gibt wohl keine schöneren Nardwuar-Interviews, als die mit dem Hip-Hop-Produzenten, Roots-Schlagzeuger und obersten Musik-Nerd Questlove. Die beiden verstehen sich schon in ihrem ersten gemeinsamen Video (aus einer dunklen Zeit, in der YouTube Videos maximal zehn Minuten lang sein durften) auf Anhieb. Nardwuar bringt genau die richtigen Platten mit, um Questlove auf lange Exkurse in die frühsten Jahre von Hip-Hop, die ersten Black Eyed Peas Releases oder die Incredible Bongo Band zu schicken. Amir Thompson aka. Questlove ist auch einer der wenigen, die sich für das Interview mehr als einfach nur die üblichen 10 bis 20 Minuten nehmen. Über 40 Minuten quatschen die beiden, ohne dass es dem Zuschauer oder den Beteiligten langweilig wird. Am Ende fühlt man sich, wie man sich nach den besten Nardwuar-Videos eben fühlt. Man sitzt mit Rückenschmerzen vorm Rechner, die Sonne geht langsam auf und man wünscht sich, man hätte Kumpel wie Questlove.