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Drogen

300 Joints pro Monat: Wie die US-Regierung diesen Typen seit 34 Jahren mit Gras versorgt

Irvin Rosenfeld sagt, dass er ohne staatliches Marihuana längst tot wäre.
Foto: bereitgestellt von Irvin Rosenfeld

Irvin Rosenfeld zieht einen durch | Foto: bereitgestellt von Irvin Rosenfeld

Wenn Irvin Rosenfeld schätzen müsste, dann würde er wohl sagen, dass er seit 1982 schon um die 135.000 Joints geraucht hat—das sind seit 34 Jahren gut zehn Tüten täglich.

Trotz eines Cannabis-Konsums, bei dem wahrscheinlich sogar Snoop Dogg nur staunen kann, führt der 63-Jährige aus Florida ein relativ normales Leben. Er arbeitet als Börsenmakler bei einer großen Wertpapierhandelsfirma und arbeitet jeden Samstag mit Menschen mit Behinderungen.

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Als ich in seinem Büro anrufe, hat er gerade einen der 300 vorgerollten Joints geraucht, die ihm die US-Regierung jeden Monat zuschickt. Rosenfeld ist nämlich Patient im sogenannten "Compassionate Investigational New Drug"-Programm (IND) der Food and Drug Administration. Er leidet an einer seltenen Knochenkrankheit namens multiple kartilaginäre Exostosen—und Weed hilft ihm dabei, damit fertig zu werden.

Rosenfelds von der Regierung bereitgestelltes Weed ist nicht besonders stark und enthält nur um die vier Prozent THC. High wird Rosenfeld dadurch nicht. Das liegt laut seiner Aussage aber auch nicht in seiner Hand. Er hat Anfang der 70er Jahre zum ersten Mal Gras geraucht und dabei gemerkt, dass er nicht bekifft wird. Schuld daran ist eine Anomalie der Cannabinoid-Rezeptoren in seinem Gehirn. Das Marihuana lindert aber dennoch die chronischen Schmerzen und ist laut Rosenberg der einzige Grund, warum er überhaupt noch lebt.

Als Rosenfeld zehn Jahre alt war, stellten die Ärzte bei ihm die Krankheit fest und fanden dabei auch noch heraus, dass über 200 Tumore seine Knochen übersäten. Man ging davon aus, dass sich diese Tumore noch weiter vermehren und wachsen würden. Außerdem muss sich Rosenfeld mit schmerzhaften Knochensplittern herumschlagen, die durch die Krankheit verursacht wurden.

Im besten Fall würde Rosenfeld ein Leben mit unaufhörlichen Schmerzen und heftigen Schmerzmitteln bevorstehen. Im schlimmsten Fall würden die Tumore bösartig werden und ihn umbringen.

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Mit diesen nicht gerade rosigen Aussichten im Hinterkopf begann Rosenfeld im Jahr 1971 sein Studium. Damals hatte er Marihuana noch nie ausprobiert, denn aufgrund seiner hochwertigen Schmerzmittel sah er keinen Grund, zusätzlich noch eine illegale Droge zu konsumieren. Irgendwann gab er dem Gruppenzwang jedoch nach und begann damit, auf Partys gelegentlich zu kiffen.

Beim seinem ungefähr zehnten Joint bemerkte Rosenfeld dann etwas Außergewöhnliches: Selbst nachdem er für eine Partie Schach fast eine halbe Stunde normal dagesessen war, verspürte er keine Schmerzen. Und das ohne Medikamente. Vorher hatte er es nicht mal geschafft, länger als zehn Minuten in einer Sitzposition zu verharren, weil ihm die Krankheit so zu schaffen machte.

"Da wurde mir klar, dass Marihuana die einzige Medizin ist, die eine solche Wirkung bei mir hat", erzählt Rosenfeld.

Rosenfeld präsentiert dem US-Kongress im Jahr 2005 seinen Marihuana-Vorrat | Foto: bereitgestellt von Irvin Rosenfeld

1972 brach Rosenfeld sein Studium ab und bat die Regierung um die Erlaubnis, Marihuana zu medizinischen Zwecken konsumieren zu dürfen. Mit seiner Bitte stieß er jedoch auf taube Ohren.

1977 lernte er dann Robert Randall kennen, der im Jahr zuvor tatsächlich so eine Erlaubnis erhalten hatte. Randall litt damals an einem Glaukom und die Ärzte gingen davon aus, dass er mit 30 sehr wahrscheinlich blind sein würde. Aber nachdem er eines Tages einen Joint geraucht hatte, stellte er fest, dass das Gras die Flecken in seinem Sichtfeld linderte.

"Er zählte schnell eins und eins zusammen", erzählt Alice O'Leary, Randalls Witwe und ebenfalls eingefleischte Marihuana-Aktivistin. "Anfangs war es für ihn fast noch zu schön, um wahr zu sein, aber verschiedene Tests bestätigten seine Vermutung. Und so wurde es zu einem festen Bestandteil unseres Lebens, an Cannabis zu kommen." Natürlich taten sie damit etwas Illegales. So klickten bei Randall und O'Leary 1975 auch die Handschellen, weil sie fünf Marihuana-Pflanzen auf ihrem Sonnendeck in Washington, D.C., heranzogen—nur acht Blocks vom Capitol entfernt. Das Paar hätte die Geldstrafe bezahlen können und die Sache wäre gegessen gewesen, aber es entschied sich stattdessen dazu, vor Gericht zu ziehen, da das Gras medizinisch notwendig war.

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Zum Glück fand zu diesem Zeitpunkt gerade eine Studie der University of California zum Thema Augeninnendruck statt. Randall konnte noch als einer der letzten Probanden an dieser Studie teilnehmen und so zeigen, dass Cannabis ihm tatsächlich bei seinem Glaukom half und die Erblindung zumindest um ein paar Jahre nach hinten verschob. Der vorsitzende Richter ließ deshalb die Anklage gegen Randall und O'Leary fallen.

Randall ging aber noch einen Schritt weiter und setzte sich mit der Food and Drug Administration (FDA) sowie mit dem National Institute for Drug Addiction (NIDA) in Verbindung. Diese beiden Behörden sind in den USA auch für das staatliche und zu Forschungszwecken angebaute Marihuana verantwortlich. Randall bat die Beamten um Zugang zu den Cannabis-Pflanzen, um sein Glaukom behandeln zu können.

"Diese Bitte war für die Behörden eine richtige Überraschung", sagt O'Leary. "Medizinisches Marihuana war damals total neu und plötzlich kommt so ein Typ daher und fragt, ob er Zugang zu den staatlichen Vorratskammern erhalten könnte. Die zuständigen Beamten waren aber verständnisvoll und stimmten zu."

So wurde Randall seit dem Marihuana-Verbot von 1937 zum ersten Patienten der USA, der Cannabis zu medizinischen Zwecken konsumieren durfte. Und damit war auch das "Compassionate Investigational New Drug"-Programm geboren.

Robert Randall, nachdem er im November 1976 seine erste Lieferung an staatlichem Gras erhalten hatte | Foto: bereitgestellt von Alice O'Leary

Als sich Rosenfeld und Randall wenige Monate später zum ersten Mal begegneten, erklärte der Mann mit der Knochenkrankheit, wie die FDA seinen Antrag auf medizinisches Marihuana geblockt hatte. Randall und O'Leary boten direkt ihre Hilfe an. Zusammen erstellten sie für Rosenfeld einen IND-Plan und 1982 wurde er schließlich als zweiter Patient in das Programm aufgenommen.

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Im Laufe der 80er Jahre wuchs das IND-Programm immer weiter und nahm auch AIDS-Patienten und Menschen auf, die an seltenen Formen von Krebs litten. 1992 setzte die Bush-Senior-Regierung dem Ganzen jedoch ein Ende. Nur 13 Patienten durften im Programm bleiben.

Rosenfeld gehört zu diesen 13 Patienten. Alle fünf Monate bekommt er sechs Dosen zugeschickt, mit je 300 vorgerollten Joints. Das dafür verwendete Marihuana stammt von der University of Mississippi, dem einzigen Anbauer des staatlichen Cannabis.

Nach der Ernte schickt man ganze Marihuana-Pflanzen nach Raleigh im US-Bundesstaat North Carolina, wo man die Blüten in eine Zigarettenmaschine gibt. Diese Zigaretten werden anschließend gefriergetrocknet, in Blechdosen verpackt und in einem Gefrierschrank gelagert. Rosenfeld meint, dass man die Joints, die er gerade raucht, im Jahr 2009 verpackt und eingefroren hat. 13 Jahre alte Blüten sind ihm aber auch schon mal untergekommen.

"Ein Cannabis-Connaisseur wäre von der Qualität des Marihuanas sicher enttäuscht", meint Rosenfeld. "Mit geht es jedoch nur um den medizinischen Aspekt und deshalb ist das, was die Behörden mir zuschicken, für mich vollkommen in Ordnung."

Die IND-Patienten Elvy Musikka, Irvin Rosenfeld und Robert Randall zusammen mit der langjährigen Marihuana-Aktivistin Mae Nutt | Foto: bereitgestellt von Irvin Rosenfeld

Rosenfeld und die anderen Patienten müssen zusammen mit ihren jeweiligen Ärzten zweimal im Jahr ein Fortschrittsprotokoll erstellen—das ist eine Voraussetzung, um am IND-Programm teilzunehmen. Komischerweise hat man diese Protokolle nie dazu genutzt, um die Folgen von langfristigem Marihuana-Konsum zu untersuchen. In einer unabhängigen Studie hat der Arzt Ethan Russo jedoch herausgefunden, dass die IND-Patienten so gesund waren, wie es die jeweiligen Krankheiten zuließen. In anderen Worten: Pro Monat Hunderte Joints zu rauchen, hatte keine erkennbaren negativen Auswirkungen auf die Gesundheit der Patienten.

In einigen Fällen hat Cannabis die Lebensqualität sogar bedeutend verbessert. Randall behielt sein Augenlicht zum Beispiel bis er mit 53 Jahren starb, obwohl die Ärzte ihm prognostiziert hatten, dass er mit spätestens 30 blind sein würde. Bei Rosenfeld ist es ähnlich. Eigentlich haben medizinische Experten vorhergesagt, dass seine Knochentumore wachsen und sich vermehren werden. Seitdem er kifft, ist jedoch nichts davon eingetreten.

Obwohl man medizinisches Cannabis inzwischen in vielen US-Bundesstaaten legalisiert hat, wissen Rosenfeld und O'Leary genau, dass ihr Kampf noch lange nicht vorbei ist. "1982 schloss ich mit Bob Randall einen Pakt", meint Rosenfeld. "Wir wollten der ganzen Welt zeigen, welche Vorteile medizinisches Marihuana hat. Das war unser Ziel. Leider konnten wir noch nicht für alle Betroffenen einen Sieg erringen. Es ist schon ziemlich frustrierend, wenn die Behörden immer wieder darauf beharren, dass Cannabis keinen medizinischen Nutzen hat. Wir wissen ja, dass das Gegenteil der Fall ist. Ich meine, wir sind dafür ja der lebende Beweis."