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Die letzte Zeitzeugin der Berliner Bücherverbrennung über den literarischen Widerstand im Untergrund

Elfriede Brüning ist am 5. August 2014 im Alter von 103 Jahren verstorben. Wir hatten vor fünf Jahren die Ehre, die damals 98-Jährige zu besuchen und für unsere alljährliche Literaturausgabe zu interviewen.

Foto: Kate Bellm

Elfriede Brüning ist eine Legende und sie war eine der liebenswertesten Frauen, die wir jemals getroffen haben. Als junges Mädchen war sie in der KPD, hat mit dem Bund Proletarisch-Revolutionärer Schriftsteller nach Hitlers Machtergreifung im Untergrund agiert und nach dem Krieg in der DDR Bestseller geschrieben. Als wir die letzte Zeitzeugin der Berliner Bücherverbrennung anriefen, verblüffte sie uns mit einem spontanen Terminvorschlag und einer resoluten Wegbeschreibung, damit wir auch ja ihre Wohnung in der Nähe des Berliner Ostbahnhofs finden—ihr solltet euch freuen, wenn ihr im Alter von 98 Jahren auch nur ansatzweise noch so gut wisst, wo es langgeht.

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VICE: Ihre Mutter hat damals eine Leihbücherei aufgemacht. Haben Sie davon die Begeisterung fürs Schreiben?
Elfriede Brüning: Natürlich, die Leihbücherei war im Berliner Wedding und zu unseren Kunden gehörten die Arbeiter von Siemens und von AEG, also von den großen Betrieben. Wir hatten sehr wenige Bücher und die waren auf Pump. Unsere Kunden sagten, ihr müsst die Bücher der Arbeiterschriftsteller anschaffen. Bei uns kamen die ersten Bücher aus der Sowjet-Union an.

Sie hatten also exklusiven Zugang zu den kontroversesten Sachen aus Russland?
Bevor wir die Bücher verliehen haben, haben wir sie natürlich erst mal selbst gelesen und so habe ich Verbindung zur Arbeiterliteratur bekommen.

Und deshalb sind Sie dann den Kommunisten beigetreten?
Na ja, der Grund war unsere miserable Lage. Mein Vater war ein kleiner selbstständiger Tischlermeister und konnte in der Weltwirtschaftskrise unsere Familie nicht mehr ernähren, darum kam meine Mutter auch auf die Idee, die Leihbücherei zu eröffnen.

Aber wenn es darum geht, etwas zum Essen auf den Tisch zu bekommen, wäre eine Leihbücherei jetzt nicht gerade mein erster Gedanke …
Meine Mutter las rasend gerne und erfüllte sich damit auch einen Wunsch. Mein Vater kam auf keinen grünen Zweig, musste irgendwann sein Gewerbe aufgeben und stempeln gehen, was ihn sehr, sehr bitter ankam. Ich dachte, so kann das nicht weitergehen, wir müssen eine gerechtere Gesellschaft aufbauen. Damals hofften wir, dass wir kurz vor der Revolution stünden.

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Ging es Ihnen darum, die Revolution voranzutreiben, als Sie dem Bund der Proletarisch-Revolutionären Schriftsteller beitraten?
Eines Tages kam ein junger Mann in unsere Leihbücherei und überredete mich, doch mal mitzukommen in eine Versammlung vom Bund. Der war 1928 von Johannes R. Becher gegründet worden und ihm gehörten berühmte Autoren wie Anne Seghers, Ludwig Renn und Friedrich Wolf an. Ich ging dorthin und lernte diese Autoren kennen. Ich war so fasziniert von der Atmosphäre und wollte über das Leben der Arbeiter schreiben. Ich war damals das jüngste Mitglied und heute bin ich noch die einzige, die lebt.

Gab es da eine Person, die besonders herausgestochen ist?
Anne Seghers war nur zehn Jahre älter als ich und war damals eine sehr hübsche junge Frau Anfang 30. Jan Petersen, damals noch Hans Schwalm, war für mich persönlich sehr wichtig.

Wie kann man sich diesen Bund jetzt konkret vorstellen?
Wir waren in Gruppen aufgeteilt und ich gehörte zur Gruppe Nord. Wir waren alle junge Leute, die noch nichts veröffentlicht hatten, quasi Arbeiterkorrespondenten.

Foto: Kate Bellm

Aber Sie hatten ja schon Sachen in der bürgerlichen Presse veröffentlicht, was dachten Ihre Proletarischen Freunde darüber?
Als ich meinen Bundkollegen diese Sachen—auf die ich bis dahin sehr stolz gewesen war, schließlich erschienen sie neben Thomas Mann und anderen—vorlas, wurde ich kritisiert, ich hätte immer nur über die Sonntage des Lebens geschrieben und nicht über das wirkliche Leben vor den Stempelstellen und Arbeitsämtern, da geriet ich in eine Krise und konnte erst mal gar nichts mehr schreiben.

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Klingt nach der gefürchteten Schreibblockade. Wie haben Sie der ein Ende gemacht?
Ich fing an, Betriebsreportagen zu machen und habe mit den bürgerlichen Zeitungen gebrochen, um für die proletarischen Blätter zu arbeiten.

Bei diesem Bund zu schreiben, war bestimmt nicht gern gesehen, wie lange ging das alles gut?
Unser Bund wurde 1933 mit der Machtergreifung Hitlers verboten und als wir uns im Februar noch mal treffen wollten bei einer größeren Versammlung aller Gruppen, da fanden wir das Gebäude von der SA besetzt und alle Bücher waren beschlagnahmt worden. Wir mussten uns in alle Winde zerstreuen, um nicht verhaftet zu werden. Da waren wir auseinandergerissen. Bei Hans Schwalm hatte es schon mehrmals Hausdurchsuchungen gegeben und er musste unsere Mitgliederliste vernichten, um uns nicht zu gefährden.

Ist der Kontakt zu Ihren Freunden dann völlig abgerissen?
Die Bücherverbrennung gab uns die Möglichkeit, wieder zusammenzukommen. Ich bin auf den Opernplatz gegangen, weil ich hoffte, die anderen wieder zu treffen und so war es auch. Hans Schwalm war da und Hertha Block, eine Bibliothekarin, die zu uns gehörte. Da dachten wir, dass wir weitermachen müssen, auch illegal.

Sie machten also im Untergrund weiter. Wie sah das genau aus?
Der Malik-Verlag gab eine Zeitschrift heraus, die Neuen Deutschen Blätter, da gab es eine Rubrik, die Stimme aus Deutschland, und die sollte jetzt von uns beliefert werden. Wir schrieben also wahrheitsgetreue Berichte, Satiren, Glossen über das Leben im Dritten Reich. Wenn sie für gut befunden wurden, wurden sie von Kurieren ins Ausland geschafft und in den Neuen Deutschen Blättern veröffentlicht. Wir sollten auch versuchen, in die Reichsschriftungskammer aufgenommen zu werden und harmlose Sachen dort noch unterzubringen. Das war aber auch nicht mehr lange möglich.

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Wo versteckt man sich eigentlich, wenn man im Untergrund arbeitet?
Wir trafen uns irgendwo in der Umgebung von Berlin, fuhren mit dem Paddelboot oder den Rädern raus, lasen uns dann unsere Sachen gegenseitig vor und diskutierten sie.

Aber davon konnten Sie ja nicht leben, was haben Sie sonst noch gemacht?
Ein Freund vom Bund sagte: „Schreib doch einen harmlosen Sommerroman", schließlich musste man ja von etwas leben. Da erfand ich eine Handlung von einem jungen Mädchen, das ihre Gruppe verlässt, um sich mit einem älteren Mann einzulassen und dann wieder zu ihrer Gruppe zurückgeht. Außerdem ist Sommer schickte ich an viele Verlage und bekam es immer wieder zurück. Irgendwann war ich im Tiergarten spazieren und so deprimiert, dass ich mir am liebsten das Leben nehmen wollte. Dann kam ich nach Hause und meine Mutter zog aus ihrer Schürzentasche den Brief vom Stratmann-Verlag hervor, in dem sie sagten, dass sie es bringen wollen.

Kommen wir noch mal zurück zur Bücherverbrennung, hatten Sie an dem Abend Angst?
Nein, wir waren ja noch völlig unbedarft. Aber es war natürlich schrecklich mit anzusehen, wie die Bücher unserer Besten, unsere Lieblingsbücher, alle in die Flammen geworfen wurden.

Wie lange ging die illegale Arbeit danach noch gut?
Bis Ende 1935, weil sich dann ein Spitzel bei uns eingeschlichen hat und uns an die GESTAPO verraten hat. Wir wurden im Oktober alle aus den Betten heraus verhaftet und zur ersten Vernehmung gebracht. Ich kam gleich ins Frauengefängnis, weil das Untersuchungsgefängnis überfüllt war.

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Was haben Sie gemacht, um in der Einzelhaft nicht durchzudrehen?
Ich schrieb dort einen kleinen Liebesroman, sozusagen als Tarnung, um zu beweisen, dass ich völlig harmlos bin. Ich wusste ja, dass die GESTAPO mitlas, weil ich jeden Tag das, was ich geschrieben hatte, abgeben musste und ein paar Tage später zurückbekam.

Ich habe gelesen, in der Zeit von 1938 bis 1945 war es still um Sie, haben Sie gar nicht geschrieben in der Zeit?
In Ich musste einfach schreiben, unbedingt …: Elfriede Brüning - Briefwechsel mit Zeitgenossen 1930-2007 sind komischerweise nur Briefe aus den 30er Jahren und dann geht es wieder in den 50ern weiter. Als mich letztens jemand darauf ansprach, hatte ich eine schlaflose Nacht und überlegte, ob ich denn in dieser Zeit wirklich nicht geschrieben habe und tatsächlich gab es in dieser Zeit keine Briefwechsel.

Sind Sie wirklich komplett ohne die Schreiberei ausgekommen?
Ich sollte eigentlich zur Landhilfe und davor konnte mich nur zweierlei retten, entweder eine Schwangerschaft, die ich nicht hatte, oder ein Auftrag. Also ging ich zu Ullstein, da war noch ein jüdischer Verleger und er vermittelte mir einen Auftrag für die Koralle, danach einen im letzten Ort vor der russischen Grenze. Ich konnte die Reportage nicht machen, weil ich merkte, dass die jungen Leute sich schon auf den Krieg vorbereiteten.

Was meinen Sie mit „auf den Krieg vorbereiten"? Wie bereitet man sich auf diesen Irrsinn vor?
Sie schossen Grenzpfähle um und riefen: „Die werden wir auch noch niederreißen." Das war furchtbar, ich konnte darüber nicht schreiben.

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Der Auftrag fiel also ins Wasser. Wovon haben Sie dann gelebt?
Bei den Fischern dort sprach sich schnell herum, dass ich im Schreiben versiert war, und sie kamen auf mich zu, damit ich ihnen helfe bei Schriftwechseln. Dafür luden sie mich dann mal zum Essen ein. Ich hatte zwei Mark pro Tag zum Verzehren, also habe ich montags eine Erbsensuppe gekocht und dann die ganze Woche davon gegessen.

Wie hat das Ihre Schriftstellerei geprägt?
Im schweren Leben der Fischer gibt es eine Jahreszeit, in der es schon zugefroren ist, aber das Eis noch nicht trägt. Dann können sie manchmal wochenlang nicht fischen und geraten in große Abhängigkeit vom ihrem Krämer. Das habe ich in Auf schmalem Land niedergeschrieben, was sogar 1938 noch erschien.

Erzählen Sie uns bitte von Ihrem Verhältnis zu den Mitgliedern der „Roten Kapelle", den Protagonisten von Damit du weiterlebst. Kannten Sie die persönlich?
Ich wusste während des Kriegs nichts von dieser Widerstandsgruppe, es war schwierig an solche Informationen zu kommen. Als ich Redakteurin vom Sonntag war, begingen wir immer einen Tag für die Opfer des Nationalsozialismus. Ich bekam eines Tages die Adresse von Frieda Koppi, der Mutter von Hans Koppi. Ich fuhr zu ihr heraus und sie erzählte mir von ihren Kindern, Hans und Hilde, die beide hingerichtet wurden. Hilde brachte im Gefängnis ein Kind zur Welt und durfte so lange leben, wie sie das Kind nähren konnte, danach wurde sie auch hingerichtet. Ihre Mutter gab mir ihre Briefe zu lesen und ich war so tief berührt, dass ich darüber schreiben wollte. Damals gab es keine Archive und ich war auf die wenigen Überlebenden angewiesen. Das Buch habe ich mit dem Mut einer Anfängerin geschrieben.

Das Buch haben Sie nach dem Krieg in der DDR geschrieben, wie hat es sich als Schriftstellerin dort gelebt?
Obwohl ich immer einen großen Leserkreis hatte, musste ich um jede neue Auflage kämpfen.

Beneiden Sie nach einer solch steinigen Autorenkarriere die jungen Autoren von heute, die sich nicht mit solchen Umständen herumplagen müssen?
Nein. Mir gefallen auch die ganzen Sachen nicht, zum Beispiel Der Turm, der diesen Preis gekriegt hat, ich quäle mich regelrecht dadurch. Da merkt man nicht viel von der DDR, auch wenn das alle behaupten. Besonders die Bücher, die heutzutage so hoch gelobt werden, mit denen kann ich nichts anfangen.