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Reisen

Raw China

Raw China war eine Serie von Artikeln die Skateboard-Autor und Zinesmann Jocko Weyland für uns geschrieben hat während er in diesem merkwürdigen 3.-obwohl-es-eigentlich-1.-Welt-Land Fegefeuer gelebt hat, das wir China nennen. Er ist jetzt seit längerer Zeit zurück in den USA (oder vielleicht Frankreich? Unklar) aber seine Geschichten über die Sinomanie trudeln hier immer noch ein. Hier ist eine über einen Streit, den wer während der Olympiade in Peking hatte.

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Unter einem ungewöhnlich klaren Himmel, den man mehreren Wetter-verändernden Raketen verdanken konnte, gab es eine merkwürdige Stimmung unter der Oberfläche, die so gar nicht zu den Feierlichkeiten wegen der Pekinger Olympiade passen wollte. Mit ehrlichem Jubel und echter Aufregung kam auch erzwungene Festlichkeit und erhöhte Aufmerksamkeit und die Anstrengung darüber war hinter dem Lächeln zu sehen während Bürgern und Besuchern permanent gesagt wurde wie sich zu verhalten hätten. Für die Chinesen waren das. nicht spucken, nicht das Shirt ausziehen um sich abzukühlen und höflich jubeln, für Ausländer bedeutete es sich noch genauer unter Kontrolle zu halten als normalerweise. Die Spiele waren verständlicherweise von einer Menge Stolz und Freunde umgeben, aber je länger sie dauerten desto mehr Ermüdung und Genervtheit kam dazu. Man dachte: Sicher ist es großartig, aber es wäre auch gut, wenn es vorbei und alles wieder normal wäre. Unter den Chinesen war es meistens ein unausgesprochenes Gefühl und bei den dort lebenden Ausländern zwar nicht ständig und explizit geäußert, aber man konnte es durchaus hören, und die vielen Touristen, die in die Stadt strömten haben das Gleichgewicht der Dinge noch stärker verändert und haben zu der Unzufriedenheit und der Ungeduld noch weiter beigetragen. Man hörte immer wieder von Unruhen unter rivalisierenden Sportfans, an den Securitychecks in der U-Bahn gab es lange Schlangen, Gerüchte über mögliche Terrorattacken machten die Runde und am ersten Tag des Wettbewerbes erstach ein Mann aus Hangzhou einen Amerikaner und verletzte seine Frau schwer bevor er sich vom Drum Tower stürzte (oder von Wächtern gestoßen wurde, die den Angriff nicht verhindert hatten; es kommt drauf an, wem du glaubst).

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Etwa nach der Hälfte dieser zwei langen Wochen von superexzellenten Sportereignissen und übertriebenem Patriotismus bin ich abends  in ein kleines Restaurant namens Caribou, in der Nähe von Dongshitao gegangen. Es sprach mühelos Westler an, überlagen westliche Magazine rum und die Karte hatte westliche Standards. Meistens schwankt es zwischen zwei Extremen, einerseits superchinesisch, andererseits will man alles Chinesische auf jeden Fall vermeiden und es ist eigentlich nicht so normal eine angenehme Mischung wie im Caribou zu finden, in dem es relativ ruhig und das Essen eine gute Mischung aus westlichen und fernöstlichen Gerichten ist, und außerdem mit richtigem Kaffee undSchnaps neben Bier und Baiju. Ich habe also Lasagne und ein Glas Wein bestellt und die angenehme Atmosphäre genossen, während ich mein Buch Mistress to an Age - A Life of Madame de Stael von J. Christopher Herald aufgeschlagen habe.  Das Warum und die Beweggründe dahinter über eine heute vergessene aber in ihrer Zeit sehr berühmte französische Schriftstellerin zu lesen, die einen gefeierten Salon hatte und Briefe mit Goethe (unter anderem) austauschte, in einem Restaurant namens Caribou in Peking zu lesen sind nicht so genau einzuordnen, genauso wie de Staels Beziehung zu Napoleon. Sie war von ihm besessen, er ließ ihre Bücher zensieren und schickte sie dreimal ins Exil, während sie versuchte ihm den Hof zu machen und seine Autorität in Frage stellte. In dem Kapitel, das ich gerade gelesen hatte kam der Korse, der die Weltherrschaft erlangen wollte und es auch fast geschafft hat auf jeder Seite erwähnt. Napoleon, Napoleon, Napoleon.

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Ab und zu habe ich mich umgeschaut um mir die einzigen andere Kunden anzusehen, ein junger chinesischer Typ der auf seinem Laptop vor sich hin tippte gegenüber und eine chinesische Frau in Begleitung eines Westlers etwa zwei Meter links von mir. Ich hatte mich nicht so sehr um die beiden gekümmert, aber je länger ich dort saß, desto mehr bezog ich sie in meine Gedanken über die französische Hofintrige des 19. Jahrhunderts mit ein. Die Hölle sind die anderen, wie ein Franzose mal gesagt hat, aber auf der Skala des Mich-Nervens waren diese beiden anfänglich noch ziemlich weit unten. Sie war etwas  über dreißig, attraktiv, würdevoll, gut angezogen, sprach fast perfekt Englisch und hatte eine Weichheit in ihrer Mimik und ihrem Stimme, die bei Frauen ihres Alters in dieser Gegend nicht unbedingt normal ist. Ich hatte mir zusammen gereimt, dass er ein Journalist war, der über die olympischen Spiele berichtete, etwa fünfzig, mit grauen Haaren und Brille, nicht sehr groß und relativ kräftig. Mit einem  starken französischen Akzent fragte er sie über ihre Familie und die Kulturevolution, hörte sehr aktiv zu und lobte sie dafür, dass sei eine do „unabhängige Frau" sei. Es war nicht unbedingt ein Date aber man hat gemerkt, dass er es gerne in die Richtung bringen würde. Versuchen jemanden abzuschleppen ist ja kein Verbrechen, aber er hat es wirklich sehr drauf angelegt und obwohl er nicht schuldiger als viele Millionen andere war, so war sein Verhalten doch ein Beispiel für die ungleichen Machtverhältnisse und die verstörenden Konnotationen, die zwischen Westlern und Chinesischen Frauen existieren. Westliche Männer, die nach China fahren um kleine Mädchen zu ficken (sogar wenn es technisch gesehen keine kleinen Mädchen sind) und die „Mädchen" die sei lieben, man sollte gar nicht so stark darauf eingehen. Es ist ein klassisches Klischee.  Das hier war anders, weil sie eine erwachsene selbstbewusste Frau war und kein Teenager der so aufgedonnert war, dass er wie ein Charakter aus einem Cartoon aussah. Auf vielen Leveln waren die beiden also das Gegenteil des Stereotyps, aber aus irgendeinem Grund  stellet ihr Tête-à-tête exemplarisch die beunruhigende Realität von sexueller Machtpolitik in den Vordergrund: orientalische Dienstleister, die vom Okzidentalismus verführt sich ebenfalls verführten abendländischen Orientalisten anbieten, und beide sich an der rohen Grenze von transaktionalem gegenseitiger Wunscherfüllung treffen und kopulieren.

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Man sieht so ein Szenario täglich in China. Es wir zum Teil der Landschaft und du gewöhnst dich dran. Sie wirkte nett, er war vielleicht ein Idiot, aber warum sollte ich mich darum kümmern. Nicht wirklich mein Problem. Ich habe mich also wieder auf Madame de Stael konzentriert und die beiden ausgeblendet bis ich nicht anders konnte als mitzuhören wie er die Bedienung wütend als „unfreundlich, sehr unfreundlich" bezeichnete.  Das kam nach einer ruppigen Frage nach Salz und Pfeffer in Englisch, gefolgt von einer lauteren Wiederholung, so als könnte wie plötzlich auf wunderbare Weise die Bestellung verstehen, wenn sie lauter ausgesprochen wird. Das klappt immer. Nachdem Salz und Pfeffer da waren, fing er an sich darüber zu beschweren, dass „sie" nichts richtig machen können und wiederholte einige der üblichen unwahren Generalisierungen. Die Sache war, dass die Bedienung gar nicht unfreundlich war, sondern nur er und jetzt machte er auch noch China vor dieser Chinesischen Dame schlecht. Irgendwie fies. Egal, keine große Sache, zurück nach Paris, ich beendete mein Essen und bin zur unbesetzten Theke. Während ich da stand und auf die Drucke an der Wand starrte, hörte ich einen weiteren Ausbruch in dem mittlerweile ziemlich unangenehmen gallischen Akzent. Er hatte dem Ober 100 Yuan gegeben und glaubte, dass er ihm zu wenig Wechselgeld gegeben hatte. Ein weiterer klischeehafter Weißer der glaubt, dass alles eine große gelbe Verschwörung ist um sein letztes Hemd zu rauben. Das kann natürlich passieren, aber es heißt noch lange nicht, dass jede finanzielle Transaktion ein Ripp-Off ist. Später habe ich rausgefunden, dass es nur ein Missverständnis war und der Ober nicht daran gedacht hatte dem Besitzer bescheid zu geben, der kurz raus war, dass er mehr Wechselgeld braucht. Also überhaupt keine Verschwörung, aber er war immer noch davon überzeugt, dass „sie" immer nur darauf aus sind die Leute abzuziehen aber er „sich sowas nicht gefallen lassen würde".

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Du seufzt und denkst, „Was für ein Arschloch." Was soll man machen? Was sagen? Sich einmischen? Wahrscheinlich ist es das nicht Wert und eventuell sogar eine Einladung für einen Angriff. Am besten ignorieren. Trotzdem hat dieser Typ nicht nur genervt, weil er das Personal schlecht behandelt hat sondern weil er dann damit angefangen hat sein schlechtes Benehmen auf meinen Bereich an der Theke auszuweiten. Nicht cool. Während ich da stand und der ganzen Entwicklung zusah, fing er an, alle dies Idioten zu verkörpern die man in all den Jahren so über den Weg gelaufen ist, die Blödmänner, Großmäuler und andere Schwachmaten die ein Szene machen und die hilflosen Servicekräfte anschreien und dabei eigentlich vollständig angenehme Situationen zerstören. Mittlerweile war der Besitzer wieder da und der Besitzer schrie ihn ebenfalls an, der Ober versuchte sich zurückzuhalten und die Frau sah schockiert aus. Er machte immer weiter, nannte Chinesen Abzocker und den Ober einen Lügner. Er wurde richtig aggressiv und verkündete „Hier werdet ihr mich nie wieder sehen." Seine Personifikation von allen Großmäulern über die Jahre hinweg brachte mich dazu etwas zu tun, was ich in solchen Situationen eigentlich immer schon immer mal machen wollte. Weil er grade Luft holen musste, gab es eine kleine Pause in seiner Tirade und deshalb konnte man meine Frage klar und deutlich hören: „Warum sind sie so ein Arschloch?"

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Ich hatte es raus aus meinem System und es hat sich gut angefühlt. Während all dieser unangenehmen Momente an all diesen Theken oder Kassen hat die Frage immer im Hintergrund geköchelt undendlich konnte ich sie mal stellen. Komischerweise kam es nicht wirklich sehr gut an und ich bekam auch nicht wirklich eine befriedigende Antwort. Er war offensichtlich überrascht, dass er unterbrochen wurde, genauso wie die anderen Schauspieler in diesem kleinen Drama. Jemand Neues hatte die Bühne betreten und sie wissen nicht, was sie denken sollten. Er war überrascht aber er ließ sich nicht so schnell vom Kriegspfad abbringen und spuckte mit echter Vehemenz das folgende aus: „ Du, du bist ein Arschloch!" „Fuck You!" habe ich zurück gespuckt, weil die Situation war: fuck you, du bist ein Arschloch und jetzt nennst du mich ein Arschloch? Ich habe ihn echtgehasst, diesen unhöflichen, schrecklichen, verletzenden Franzosen, der mir meinen gemütlichen Abend im Caribou versaut hat und irgendwo in meinem Hinterkopf fing ich an zu bezweifeln, dass er wirklich ein Franzose war. Weil ich gerade soviel über den echten Napoleon gelesen hatte, wurde mir langsam klar, dass dieser Ersatz-Napoleon mit seinem Größenkomplex aus dem Lehrbuch ein Korse sein muss. Er hatte irgendwie diese Art an sich.  Nachdem ich fuck you sagte, bellte er direkt zurück, die Venen in seinem Genick standen raus und seine Augen genauso, „Halt dich gefälligst da raus!" Dann sprang er auf, nahm dramatisch seine Brille ab und rannte quer durch den Raum auf mich zu.

Da ich zehn Jahre jünger war als er und wenigsten 20 Zentimeter größer, wäre ich bestimmt mit ihm fertig geworden, aber trotzdem würde ich lügen, wenn ich nicht zugeben würde, dass ich ein bisschen alarmiert war, als er so mit blitzenden Augen auf mich zukam. Kleiner Mann, großer Mund, verrückt und aggressiv, eine vermutlich korsische, entfesselte Bulldogge. Das Adrenalin fing an zu fließen. Er kam ganz nah an mich ran und verlangte: „Sag das nochmal!" Ich sah fliegende Spucke. „Warum bist du so ein Arschloch?" wiederholte ich, wortwörtlich seiner Anweisung folgend, während die Frau angelaufen kam und anfing an seinem Arm zu ziehen. Er schob sie zur Seite und spiele die Nationalitätenkarte aus: „Hakt dich da raus, du verdammter Amerikaner!" „Du bist ein Arschloch," antwortete ich. Zu diesem Zeitpunkt war es schon ein Mantra und im Rückblick fragt man sich immer warum man nicht etwas geistreiches und eloquentes gesagt hat. Er kochte, sie versuchte ihn wegzuziehen und das nächste war ein Klassiker: „Du fickst diene eigene Mutter, du verdammter Amerikaner, wir gehen jetzt raus und klären das Ganze da." „Warum nicht hier?" und ich erwartete sekündlich den ersten Schlag aber meine stoische Erwiderung schien ihn ein bisschen aus der Bahn zu werfen. Es gab ein Pause, vollkommene Stille und während sie ihn zum Tisch zurück zog wiederholte er über seine Schulter in meine Richtung: „Du verdammter Amerikaner, halt dich da raus!"

Und dann machte er einfach weiter, er beleidigte den Besitzer und die Bedienungen und hinderte die Frau daran den Zwischenfall diplomatisch zu beenden. Unglaublich. Ich habe mir das ganze noch ein bisschen angesehen  und dann entschieden mich trotz allem nochmal einzumischen. „Mein Gott, warum lässt du die Leute nicht einfach in Frieden und gehst?" Weil er wohl dachte ich wäre endgültig ruhig und es gar nicht glauben konnte, dass ich nochmal was sagte war er kurz ganz schön überrascht vor seinem nächsten Ausbruch: „DU! DU! DU VERDAMMTER AMERIKANER, KÜMMER DICH UM DEINEN EIGENEN KRAM! IHR BESCHEUERTEN AMERIKANER VERSUCHT IMMER ALLEN ANDEREN ZU SAGEN, WAS SIE ZU TUN HABEN." Er schrie mittlerweile und spuckte anti-amerikanischen Gift und versuchte dann seinen Todesstoß. „DU! DU!" „Was?" „DU VERDAMMTER AMERIKANISCHER CONARD." Jetzt nannte er mich vermutlich Arschloch, nur in Französisch. Es wurde langsam ernst. Währenddessen redete sie mit dem Besitzer, der Ober stand unbeweglich da, und ich zitterte, war aber auch befriedigt, weil ich endlich mal einen von diesen Conards auch Conard nennen durfte. Ein kleiner persönlicher Sieg. Geld wurde auf den Tisch geworfen, während die Frau mit widerspenstigem Begleitern den Laden verließ, der immer noch weiter Drohungen ausstieß. Conard, conard, verdammter amerikanischer Conard hallte es durch die nächtliche Straße.

Und dann war es vorbei. Kein Schläge, keine blauen Augen, keine zerbrochenen Brillen und überhaupt kein Kampf. Eher eine kleine Meinungsverschiedenheit. Ich schaute mich um und sah den geschockten Chinesen in der Ecke und drehte mich dann zum Besitzer und dem hilflosen Ober um. „Jesus, was sollte das denn?" Der Besitzer antwortete „Ich habe keine Ahnung." Er stellte sich vor und fragte mich, ob ich was trinken wollte. „Ich könnte einen vertragen, antwortete ich." Er brachte ein Flasche Whiskey rüber. „Der Typ war verrückt." Murmelte ich und wiederholte in einem Anfall von Redundanz „Was für ein Arschloch." „Mir ist sowas in vier Jahren hier noch nie passiert," antwortete er und wir schüttelten die Köpfe. Er dankte mir, weil ich zu tun versucht hatte, was auch immer ich zu tun versucht hatte und wir stießen an und tranken. „Ich meine, jeder will mal jemand anderen abschleppen, das ist normal, aber was hat mit dem Typen nicht gestimmt?" Er hatte offensichtlich einen idiomatischen Zugang zur englischen Sprache. „Ich weiß es nicht," antwortete ich „aber ich glaube er war Korse."  Dann anstatt das übliche zu sagen, ob die olympischen Spiele das Leben schwerer machen oder nicht, die Geschichten über Handgreiflichkeiten und all das andere Zeugs oben drauf, auf der ganzen unterdrückten  Angst sagte ich nur, „Vielleicht liegt's an der Olympiade," und wir lachten beide und tranken mehr Whiskey.

PHOTO: REUTERS